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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 03.03.2006
Aktenzeichen: 3 Sa 860/05
Rechtsgebiete: BMT-G II


Vorschriften:

BMT-G II § 53 I
1. Allein aus dem Umstand, dass gegen einen Mitarbeiter von der Staatsanwaltschaft ermittelt wird und ein Durchsuchungsbeschluss vorliegt, ergeben sich für den Arbeitgeber keine starken Verdachtsmomente, dass der Arbeitnehmer sich in der ihm zur Last gelegten Weise tatsächlich verhalten hat.

2. Der Arbeitgeber kann sich zwar die Verdachtsmomente des Dritten (Versicherung oder Staatsanwaltschaft) zu Eigen machen. Er muss jedoch die objektive Tatsachengrundlage, auf die sich der Verdacht des Dritten stützt, in den Prozess einführen.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 09. Februar 2005 - 3 Ca 2735/04 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer durch die Beklagte ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung vom 29. September 2004 sowie einer (hilfsweise) ordentlichen Kündigung vom 12. Oktober 2004 zum 31. März 2005.

Beklagte ist die A, die ihre Entsorgungsbetriebe als Eigenbetrieb nach dem Hessischen Eigenbetriebsgesetz führt. Der am 20. September 1970 geborene, verheiratete, zwei Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger ist dort seit 16. September 1996 als Kraftfahrer nach Maßgabe des schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 4, 5 d.A.) beschäftigt. Gemäß dessen § 3 richtet sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Manteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II). Der Kläger erzielte eine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung von € 2.433,29. Bei der Beklagten werden regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt. Bei ihr ist ein Personalrat gebildet.

Beim Betrieb der Müllfahrzeuge der Beklagten kommt es häufiger zu Schadensfällen, die über den Kommunalversicherer B reguliert werden. Bei einigen der von ihr zu regulierenden Verkehrsunfälle hatte die B den Verdacht, dass diese vorsätzlich herbeigeführt worden seien und erstattete Strafanzeige. Am 14. September 2004 erhielt die Beklagte eine Liste mit den Namen von 11 Mitarbeitern, darunter auch den des Klägers, gegen die ermittelt wurde. Am darauf folgenden Tag wurde der Kläger in den Räumen der Beklagten von Ermittlungsbeamten der gebildeten Sonderkommission "Tonne" vernommen. Gleichzeitig wurde ein Durchsuchungsbeschluss vorgelegt, nach dem der Spind des Klägers von der Polizei geöffnet und durchsucht werden durfte sowie mitgeteilt, dass zeitgleich eine Durchsuchung der privaten Räumlichkeiten des Klägers erfolgt. Das Mobiltelefon des Klägers wurde von der Polizei beschlagnahmt. Die Ermittlungsbehörden teilten der Beklagten mit, dass gegen den Kläger wegen Betrugs zu Lasten des kommunalen Versicherers B ermittelt wird wegen Verkehrsunfällen vom 15. Mai 2003 und 19. August 2003. Am 16. September 2004 hörte die Beklagte den Kläger zu dem Verdacht an; insoweit wird auf das von ihr gefertigte Protokoll (Bl. 31, 32 d.A.) Bezug genommen. Mit Schreiben vom 23. September 2004 hörte die Beklagte den Personalrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen Verdachtskündigung nach § 53 BMT-G II an (siehe Bl. 33, 34 d.A.). Am selben Tag beteiligte sie den Personalrat hinsichtlich einer ordentlichen Verdachtskündigung nach § 50 BMT-G II (Bl. 35, 36 d.A.).

Mit Schreiben vom 29. September 2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos (Bl. 10, 11 d.A.). Unter dem 12. Oktober 2004 kündigte sie dem Kläger vorsorglich ordentlich zum 31. März 2005 (Bl. 17, 18 d.A.). Hiergegen hat sich der Kläger mit einer Kündigungsschutzklage gewandt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, für die außerordentliche Kündigung liege kein wichtiger Grund vor, die ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Es lägen keine objektiven Umstände vor, die einen dringenden Tatverdacht gegen ihn rechtfertigten. Auch sei er nicht ordnungsgemäß zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen angehört worden. Der Kläger bestreitet, vorsätzlich zu Lasten der Beklagten und der B Verkehrsunfälle herbeigeführt zu haben. Am 19. August 2003 sei er aufgrund einer verschmutzten Schuhsohle vom Bremspedal abgerutscht und habe so den Auffahrunfall verursacht. Am 15. Mai 2003 habe er ein parkendes Auto beschädigt. Dass dieses der Freundin eines Klassenkameraden gehörte, habe er erst später erfahren. Er bestreitet die Höhe des entstandenen Sachschadens. Er habe keine Beziehungen zu dem Unfallgegner unterhalten. Soweit auf seinem Handy auch Telefonnummern von Arbeitskollegen gespeichert seien, die ebenfalls verdächtig seien, belaste ihn dies nicht, da er mit seinen Arbeitskollegen teilweise auch privat Kontakte unterhalte. Er sei zu den Verdachtsmomenten nicht ordnungsgemäß angehört worden. Es sei nur über den Unfall vom 19. August 2003 gesprochen worden. Ihm sei lediglich eröffnet worden, dass gegen ihn ein Verdacht bestehe, nicht aber warum. Der Kläger rügt, dass der Personalrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört wurde.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die mit Schreiben vom 29. September 2004 erklärte außerordentliche Kündigung aufgelöst worden ist noch durch die mit Schreiben vom 12. Oktober 2004 erklärte ordentliche Kündigung aufgelöst wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, die Kündigungen beruhten auf dem dringenden Verdacht, dass der Kläger zusätzlich zu Lasten der Beklagten und des kommunalen Versicherers B Verkehrsunfälle herbeigeführt habe.

Die B habe die Versicherungsfälle der letzten 3 Jahre ausgewertet und dabei Auffälligkeiten festgestellt. Nach folgendem Schema seien Unfälle aufgelistet worden:

- Unfälle mit hochwertigen Fahrzeugen,

- hoher Schaden (mindestens € 5.000,00),

- Schuldfrage eindeutig,

- Anspruchsgegner oder beschädigtes Fahrzeug waren wiederholt bei der Unfallregulierung aufgefallen,

- persönliche Verbindungen zwischen dem betreffenden Mitarbeiter der Beklagten und den Anspruchsgegnern.

An den Unfällen seien hochwertige Fahrzeuge beteiligt gewesen (Audi A6, Mercedes). Die Schuldfrage sei eindeutig und der Schaden hoch gewesen.

In dem Personalgespräch vom 17. September 2004 sei dem Kläger mitgeteilt worden, dass der Verdacht bestehe, er habe die Unfälle vom 15. Mai und 19. August 2003, vorsätzlich herbeigeführt. Am 21. und 22. September 2004 sei der Beklagten durch den Leiter der Sonderkommission mitgeteilt worden, dass die Auswertung der Asservate und die Ergebnisse der Durchsuchung und Vernehmung den Tatverdacht gegen den Kläger erhärtet hätten. Der Unfall des Klägers reihe sich nahtlos in das Schema der bisherigen Unfallereignisse ein. Durch die strafrechtlichen Ermittlungen sei ein Vertrauensverlust bei der Beklagten eingetreten, der es ihr unzumutbar mache, den Kläger weiter zu beschäftigen. Sie dürfe sich darauf verlassen, dass die Informationen seitens der B und der Ermittlungsbehörden richtig seien. Zudem seien Beschlagnahmungen und Durchsuchungsanordnungen nur bei hinreichendem Tatverdacht möglich.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Beklagte habe die Verdachtsmomente nicht im Einzelnen dargelegt. Erforderlich wäre gewesen, die objektiven Tatsachen vorzutragen, aus denen die Beklagte den sich gegen den Arbeitnehmer ergebenden Verdacht herleitet. Hierfür reiche es nicht aus, auf die Mitteilung der Ermittlungsbehörden zu verweisen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit dem Rechtsmittel der Berufung.

Die Beklagte ist der Ansicht, nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dürfe sie sich auf Indizien beschränken und sei nicht verpflichtet, weitere Ermittlungen durchzuführen. Die Beklagte stütze sich auf die Informationen der Ermittlungsbehörde. Eigene Ermittlungen seien ihr auch nicht möglich gewesen, da sich die Akten beim Versicherer befunden hätten. Inzwischen habe sich der gegen den Kläger bestehende Verdacht wie folgt erhärtet: Am 19. August 2003 gegen 12:40 Uhr habe der Kläger die beiden am Unfall beteiligten Fahrzeuge an der Straße "..." vorgelassen. Nach dem Eindruck des Mitfahrers seien beide Fahrzeuge auffällig langsam vor dem Kläger hergefahren. Der Mitfahrer habe bemerkt, dass die Fahrzeuge am Kreisel C vor ihnen standen. Er habe dem Kläger noch gesagt, dass er bremsen solle. Gegenüber seinem Mitfahrer habe der Kläger als Erklärung für das Auffahren angegeben, er habe bremsen wollen, sei aber abgerutscht. Einer der Unfallbeteiligten sei Herr D gewesen, der an weiteren Unfällen mit Fahrzeugen der Beklagten beteiligt gewesen sei.

Der Unfall vom 15. Mai 2003 habe sich außerhalb der vorgesehenen Tour ereignet. Der mitfahrende Arbeitnehmer habe vor dem Unfall angeboten, auszusteigen und im Weg stehende Mülltonnen wegzuräumen. Dies habe der Kläger abgelehnt, bevor er den parkenden Pkw der Frau E beschädigt habe. Zu diesen Verdachtsmomenten erfolgte - unstreitig - keine Personalratsanhörung.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 09. Februar 2005 - 3 Ca 2735/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts als zutreffend. Er ist der Ansicht, auch das neue Vorbringen der Beklagten trage die Verdachtskündigung nicht. Der Kläger bestreitet nach wie vor den Unfall abgesprochen zu haben. Die Beklagte trage auch nicht vor, mit wem und wann der Kläger eine Absprache getroffen habe. Die nachgeschobenen Verdachtsmomente seien im Kündigungsschutzverfahren nicht zu berücksichtigen, weil nicht zuvor der Personalrat hierzu angehört wurde. Im Übrigen seien die weiteren Verdachtsmomente nicht innerhalb der 2-Wochenfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB in den Prozess eingeführt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Berufung ist nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64 Abs. 1 und 2, 8 Abs. 2 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).

B.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

I.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 29. September 2004 nicht aufgelöst.

1.

Nach § 53 Abs. 1 BMT-G II kann ein Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann dabei nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren oder sonstigen Verfehlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigen Arbeitnehmer darstellen. Eine Verdachtskündigung ist rechtlich zulässig, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (ständige Rechtsprechung, BAG 06. Dezember 2001 - 2 AZR 496/00 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 36, zu B. I. 1. d.Gr.; 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37, zu B. I. 1. b) d.Gr.; 06. November 2003 - 2 AZR 631/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39, zu B. II. 1. a) aa) d.Gr.).

2.

Das Arbeitsgericht hat richtig erkannt, dass die der Beklagten zum Zeitpunkt der Kündigung bekannten objektiven Tatsachen nicht ausreichten, starke Verdachtsmomente im Sinn der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gegenüber dem Kläger zu begründen. Der Beklagten war bekannt, nach welchen Kriterien der kommunale Versicherer und die Staatsanwaltschaft aus der Vielzahl stattgefundener Unfälle solche herausgefiltert haben, die möglicherweise vorsätzlich herbeigeführt wurden. Hinsichtlich dieser Kriterien trafen nach dem zum Zeitpunkt der Kündigung vorliegenden Wissensstand der Beklagten auf den vom Kläger am 19. August 2003 verursachten Verkehrsunfall nur einige, nicht aber alle zu. An dem Unfall war ein hochwertiges Fahrzeug beteiligt, der Schaden betrug mehr als € 5.000,00 und die Schuldfrage war eindeutig. Die weiteren "Auswahlkriterien" waren, dass der Anspruchsgegner oder das beschädigte Fahrzeug wiederholt bei der Unfallregulierung der Versicherung aufgefallen ist, sowie das Vorliegen persönlicher Verbindungen zwischen dem den Unfall verursachenden Mitarbeiter der Beklagten und den Anspruchsgegnern. Hierzu lagen der Beklagten zum Zeitpunkt der Kündigung keine Informationen in Bezug auf den Unfall des Klägers vom 19. August 2003 vor. Gerade diesen Kriterien kommt bei der Feststellung eines dringenden Verdachts besondere Bedeutung zu, weil insbesondere die wiederholte Beteiligung derselben Personen oder Fahrzeuge kaum zufällig sein dürfte und sich so die echten von den "gestellten" Unfällen unterscheiden lassen. Entsprechendes gilt bei Bestehen einer persönlichen Beziehung zwischen den Unfallbeteiligten.

Da nur 3 von 5 der für die Beklagte maßgeblichen Kriterien vorliegen, ist ein dringender Verdacht nicht gegeben, zumal die Beklagte auch nicht vorgetragen hat, aufgrund welcher besonderer Umstände sie hier trotz des Nichtvorliegens von 2 der Kriterien erhebliche Verdachtsmomente annimmt.

Hinsichtlich des Unfalls vom 15. Mai 2003 fehlt es gleichfalls daran, dass das beschädigte Fahrzeug oder der Anspruchsgegner wiederholt bei der Unfallregulierung der Versicherung aufgefallen ist.

3.

Auf objektiven Tatsachen gründende starke Verdachtsmomente ergaben sich auch nicht daraus, dass die Staatsanwaltschaft gegen den Kläger ermittelte und ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss vorlag. Allein aus dem Umstand, dass gegen einen Mitarbeiter von der Staatsanwaltschaft ermittelt wird und ein Durchsuchungsbeschluss vorliegt, ergeben sich für den Arbeitgeber keine starken Verdachtsmomente, dass dieser sich in der ihm zur Last gelegten Weise tatsächlich verhalten hat. Nicht auszuschließen ist nämlich, dass sich bei den strafrechtlichen Ermittlungen der Arbeitnehmer als unschuldig herausstellt.

4.

Der Arbeitgeber kann sich zwar die Verdachtsmomente des Dritten (Versicherung oder Staatsanwaltschaft) zu Eigen machen. Eigene Ermittlungen braucht er, abgesehen von der Anhörung des Arbeitnehmers, insoweit nicht anzustellen. Er muss jedoch die objektive Tatsachengrundlage, auf die sich der Verdacht des Dritten stützt, in den Prozess einführen. Daran fehlt es hier. Die Beklagte hat nicht im Einzelnen vorgetragen, dass (sämtliche) Kriterien, nach denen Versicherer und Staatsanwaltschaft aus der Vielzahl stattgefundener Unfälle solche herausfiltert, die den Verdacht einer Manipulation nahe legen, auf die Unfälle des Klägers vom 15. Mai und 19. August 2003 zutreffen. Wie oben ausgeführt, ist nicht dargetan, dass der Anspruchsgegner oder das beschädigte Fahrzeug wiederholt bei der Unfallregulierung der Versicherung aufgefallen ist und persönliche Verbindungen zwischen dem Kläger und dem Anspruchsgegner bestehen. Wenn die Beklagte maßgeblich auf die staatsanwaltlichen Ermittlungen abstellen wollte, hätte sie deren Freigabe-erklärung abwerten und sodann das Ermittlungsergebnis zur Begründung der Verdachtsmomente heranziehen können. Vorher begann auch die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht zu laufen (vgl. BAG 17.03.2005 - 2 AZR 245/05 zu II der Gründe). Dies hat die Beklagte jedoch nicht getan, sondern - ohne einen hinreichend sicheren tatsächlichen Kenntnisstand zu haben - dem Kläger gekündigt.

5.

Den Verdacht stärkende oder entkräftende Tatsachen können bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz vorgetragen werden. Sie sind grundsätzlich zu berücksichtigen, sofern sie - wenn auch unerkannt - bereits vor Zugang der Kündigung vorlagen (BAG 06. November 2003 - 2 AZR 631/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 39, zu B. II. 1. c) d.Gr.; 14. September 1994 - 2 AZR 164/94 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 24, zu II. 3. d) d.Gr.). Die Beklagte war insoweit nicht gehindert, in der Berufungsbegründung weitere Tatsachen zur Erhärtung des gegen den Kläger bestehenden Verdachts vorzutragen.

Die Beklagte kann die in der Berufungsbegründung vorgetragenen zusätzlichen Verdachtsmomente deshalb nicht zur Rechtfertigung der Kündigung heranziehen, weil sie die bei ihr gebildete Personalvertretung hierzu nicht angehört hat. Auch in Bezug auf die Verdachtskündigung gilt, dass vor dem Nachschieben von Kündigungsgründen, die bei Ausspruch der Kündigung bereits entstanden waren, dem Arbeitgeber aber erst später bekannt geworden sind, der Betriebsrat hierzu angehört werden muss (BAG 13. September 1995 - 2 AZR 587/94 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 25, zu II. 5. d.Gr.; 11. April 1995 - 2 AZR 239/84 - BAGE 49, 39, zu B. I. 2. d.Gr.).

6.

Darauf, ob der Kläger zwischenzeitlich strafrechtlich verurteilt wurde, kommt es nicht an. Zwar ist das Arbeitsgericht nicht gehindert, auch wenn der Arbeitgeber die Kündigung gerade auf den Verdacht stützt, die nachgewiesene Pflichtwidrigkeit als wichtigen Grund anzuerkennen (BAG 06. Dezember 2001 - 2 AZR 496/00 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 26, zu B II. d.Gr.). Hierfür reicht es jedoch nicht aus, wenn sich der Arbeitgeber darauf beruft, inzwischen liege eine strafrechtliche Verurteilung vor. Das Arbeitsgericht hat sich eine eigene Überzeugung zu bilden, ob die die Kündigung rechtfertigenden Tatsachen vorliegen. Allein das Vorliegen einer strafrechtlichen Verurteilung des gekündigten Arbeitnehmers ersetzt daher nicht den vom Arbeitgeber als Darlegungspflichtigem zu leistenden Vortrag der den Kündigungsgrund darstellenden objektiven Tatsachen.

II.

Die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 12. Oktober 2004 ist sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG), da sie nicht aus verhaltensbedingten Gründen gerechtfertigt ist. Zwar ist auch bei der ordentlichen Kündigung ein Verdacht "an sich" geeignet, diese sozial zu rechtfertigen. Auch insoweit fehlt es jedoch am Vorliegen objektiver Tatsachen, auf die sich starke Verdachtsmomente der Beklagten gründen.

C.

Gemäß § 97 Abs. 1 ZPO hat die Beklagte die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Die Revision wurde gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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