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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 26.08.2008
Aktenzeichen: 4 Ta 308/08
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 48
1. Zur Begründung des Gerichtsstandes von § 48 Abs. 1a Satz 2 ArbGG am Wohnsitz eines Außendienstmitarbeiters genügt es, wenn er in einem häuslichen Home-Office seine Geschäftsreisen vor- oder nachbereitet oder Berichte über diese verfasst. Einen bestimmten Mindestumfang muss die am Wohnort verichtete Tätigkeit nicht haben.

2. Ein § 48 Abs. 1 a ArbGG verletzender Verweisungsbeschluss kann nicht mit einer außerorentlichen Beschwerde zum Landesarbeitsgericht angefochten werden.


Tenor:

Die "sofortige Beschwerde" der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kassel vom 17. Juli 2008 - 7 Ca 247/08 - wird auf Kosten der Beschwerdeführerin als unzulässig verworfen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen einen Verweisungsbeschluss wegen örtlicher Unzuständigkeit.

Die Beschwerdeführerin, die Klägerin des Ausgangsverfahrens, ist für die in A ansässige Beklagte als Außendienstmitarbeiterin tätig. Sie ist für einen Bezirk zuständig, der den Arbeitsgerichtsbezirk Kassel und einen Teil des Arbeitsgerichtsbezirks Marburg umfasst. Sie wird von einem in Korbach gelegenen Home-Office aus tätig. Das Arbeitsgericht verwies den Rechtsstreit mit dem angefochtenen Beschluss mit der Begründung an das Arbeitsgericht Stuttgart, es bestehe kein besonderer Gerichtsstand in seinem Bezirk. Bei einem dezentralisierten Arbeitsverhältnis wie dem der Parteien gebe es keinen einheitlichen Erfüllungsort und damit keinen Gerichtsstand nach § 29 ZPO. Auch der Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes nach § 48 Abs. 1 a ArbGG sei nicht einschlägig. Die Beschwerdeführerin habe nicht vorgetragen, ob sie gewöhnlich im Home-Office tätig geworden sei. Dass jedenfalls auch im Home-Office Arbeitsleistungen erbracht wurden, begründe das Merkmal des gewöhnlichen Arbeitsortes nicht. Dazu müsse quantitativ, also in zeitlicher Hinsicht, oder qualitativ, d. h. nach dem Inhalt der Tätigkeit, ein zentraler Ort, eine Regelmäßigkeit, ein Schwerpunkt zu bestimmen sein. Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin habe sie lediglich von dort aus Dienstfahrten begonnen und diese dort beendet. Ob sie an diesem Ort weitere Tätigkeiten ausgeführt habe, ergebe sich aus ihrem Vortrag nicht ansatzweise. Dies sei deshalb zu verneinen. Bei einem reisenden Vertriebsmitarbeiter lasse sich außer im Fall eines überwiegenden Tätigwerdens an ein und demselben Ort regelmäßig kein gewöhnlicher Arbeitsort feststellen. Der von der Beschwerdeführerin gegen den am 22. Juli 2008 zugestellten Beschluss am 25. Juli 2008 eingelegten "sofortigen Beschwerde" hat das Arbeitsgericht nicht abgeholfen.

II.

Die von der Beschwerdeführerin eingelegte "sofortige Beschwerde" ist nicht statthaft und daher als unzulässig zu verwerfen. Zwar hätte das Arbeitsgericht den Rechtsstreit mit der von ihm angeführten Begründung nicht verweisen dürfen. Ein Rechtsmittel zum Landesarbeitsgericht sieht das Verfahrensrecht indessen nicht vor.

1. Die Begründung des Arbeitsgerichts trägt die Verneinung seiner örtlichen Zuständigkeit nicht. Zwar sind die Ausführungen zum Gerichtsstand des Erfüllungsortes vertretbar. Sie entsprechen einer in der Instanzrechtsprechung verbreiteten Ansicht (zum Streitstand vgl. etwa GK-ArbGG-Wenzel Stand Juli 2008 § 2 Rn. 240). Mit den gesetzlichen Vorgaben nicht vereinbar ist dagegen die Verneinung des Gerichtsstands des gewöhnlichen Arbeitsortes. Nach § 48 Abs. 1 a S. 1 ArbGG ist für Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis auch das Arbeitsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat. Ist ein Arbeitsort in diesem Sinne nicht feststellbar, ist nach § 48 Abs. 1 a S. 2 ArbGG das Arbeitsgericht örtlich zuständig, von dessen Bezirk aus der Arbeitsnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt verrichtet hat. Nach der Gesetzesbegründung soll durch diese Regelung Arbeitnehmern durch Gewährleistung eines naheliegenden Gerichtsstands die Prozessführung erleichtert werden, die wie Außendienstmitarbeiter ihre Arbeitsleistung fern vom Sitz des Arbeitgebers oder dem Ort einer Niederlassung des Arbeitgebers erbringen (BR-Dr. 820/07 S. 13 f).

Dementsprechend ist der Wohnort eines Außendienstmitarbeiters jedenfalls dann der Ort, von dem aus er im Sinne von § 48 Abs. 1 a S. 2 ArbGG gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, wenn er dort in gewissem Umfang Arbeitsleistungen erbringt. So genügt es, wenn Außendienstmitarbeiter in einem Home-Office ihre Geschäftsreisen vor- oder nachbereiten oder Berichte über diese verfassen (allgemeine Ansicht, etwa GK-ArbGG-Bader a.a.O. § 48 Rn. 93 c; Francken/ Natter/Rieker NZA 2008/377, 378; Bergwitz NZA 2008/443, 445). Einen bestimmten Mindestumfang muss die am Wohnort verrichtete Tätigkeit nicht haben. Umso weniger besteht angesichts des Normzwecks eine Grundlage für die Annahme des Arbeitsgerichts, die dort verrichteten Arbeiten müssten quantitativ oder qualitativ den Schwerpunkt der Gesamttätigkeit des Arbeitnehmers bilden. Diese Auffassung ist mit dem Wortlaut und dem Zweck der Neuregelung unvereinbar.

Da die Beschwerdeführerin ihre Tätigkeit von ihrem Home-Office aus betreibt und über kein externes Büro für die Vor- und Nachbereitung und das Berichtswesen verfügt, spricht nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts alles dafür, dass sich der Gerichtsstand von § 48 Abs. 1 a S. 2 ArbGG im Bezirk des Arbeitsgerichts befindet. Außendiensttätigkeit bedarf regelmäßig der Vor- und Nachbereitung. Stehen dem Arbeitnehmer dafür nicht andere Räumlichkeiten zur Verfügung, liegt es mangels Alternativen auf der Hand, dass er diese an seinem Wohnort verrichten muss. In solchen Fällen genügt es daher in der Regel zur Darlegung des Gerichtsstands von § 48 Abs. 1 a S. 2 ArbGG, auf das Home-Office zu verweisen. Nähere Darlegungen werden regelmäßig erst nach einem substantiierten Bestreiten durch den Beklagten erforderlich.

2. Auch wenn die Begründung des angefochtenen Beschlusses § 48 Abs. 1 a S. 2 ArbGG verletzt, besteht keine Grundlage zur Aufhebung des Beschlusses. Gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG sind Beschlüsse der Arbeitsgerichts über die örtliche Zuständigkeit unanfechtbar. Dies gilt auch für offensichtlich fehlerhafte und greifbar gesetzeswidrige Entscheidungen (Schwab/Weth-Walker ArbGG 2. Aufl. § 48 Rn. 107). Allerdings wurde in der Vergangenheit in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zu § 281 ZPO die Ansicht vertreten, dass im Fall der greifbaren Gesetzeswidrigkeit eines Verweisungsbeschlusses eine außerordentliche Beschwerde zum Landesarbeitsgericht statthaft sei (etwa LAG Sachsen 11. März 1997 - 9 Ta 15/97 - LAGE ArbGG 1979 § 48 Nr. 13, zu II 1, m. w. N.). Dafür besteht jedenfalls seit der Einführung der Anhörungsrüge nach § 321 a ZPO (im arbeitsgerichtlichen Verfahren nunmehr § 78 a ArbGG) durch das ZPO-RG vom 27. Juli 2001 (BGBl. I/1187) kein Raum mehr (Hess. LAG 14. August 2002 - 2 Ta 404/02 - LAGE ArbGG 1979 § 48 Nr. 15, zu II 1). Der Gesetzgeber hat sich mit der Einführung der Anhörungsrüge für ein Konzept entschieden, nach dem Gehörsverletzungen allein von dem entscheidenden Gericht korrigiert werden können und gegen dessen Entscheidung über die Anhörungsrüge kein Rechtsbehelf außer der Verfassungsbeschwerde gegeben ist. Daher ist eine Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit nach der jetzigen Rechtslage ausgeschlossen (BGH 07. März 2002 - IX ZB 11/02 - BGHZ 150/133, zu II; BFH 30. November 2005 - VIII B 181/05 - NJW 2006/861, zu II 5). Bei Verweisungsbeschlüssen ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass diese für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde, nicht bindend sind, wenn sie greifbar gesetzeswidrig sind (vgl. etwa BAG 01. Juli 1992 - 5 AS 4/92 - BAGE 70/374, zu II 3 a; 19. März 2003 - 5 AS 1/03 - BAGE 105/305, zu B I 1). Dies kann auch für Verweisungsbeschlüsse gelten, die den vom Gesetzgeber mit der Einführung von § 48 Abs. 1 a ArbGG verfolgten Regelungszweck nicht berücksichtigen (Hess. LAG 09. Juni 2008 - 1 SHa 1/08 - Juris, zu A II 2 b). Der Beschwerdeführerin steht es deshalb frei, gegebenenfalls beim Arbeitsgericht Stuttgart eine Vorlage gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO anzuregen, falls tatsächlich eine greifbare Gesetzeswidrigkeit vorliegen sollte.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ein Grund zur Zulassung der Rechtsbeschwerde im Sinne der §§ 72 Abs. 2, 78 S. 2 ArbGG besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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