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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 15.07.2008
Aktenzeichen: 4 TaBV 128/08
Rechtsgebiete: BetrVG, ArbGG


Vorschriften:

BetrVG § 76
BetrVG § 111
ArbGG § 98
Tatsachenfeststellungen sind im Verfahren der Bestellung einer Einigungssstelle gemäß § 98 ArbGG auf eine Schlüssigskeitsprüfung beschränkt, in die der unstreitige Vortrag der Beteiligten einschließlich in ihrer Echtheit unstreitige Urkunden und die streitigen Tatsachenbehauptungen des Antragstellers einzubeziehen sind. Es besteht kein Raum für die Durchführung einer Beweisaufnahme.
Tenor:

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 30. April 2008 - 10 BV 3/08 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Bestellung einer Einigungsstelle.

Die zu 2 beteiligte Arbeitgeberin stellt Laborarmaturen her und vertreibt diese. Sie ist Teil eines Konzerns mit weltweit etwa 8.000 Mitarbeitern. Muttergesellschaft ist ein niederländisches Unternehmen. Die deutschen Konzerngesellschaften beschäftigen mehr als 500 Arbeitnehmer. Die Geschäftsführer der Konzerngesellschaften üben überlicherweise weitere Geschäftsführerämter in mehreren Konzerngesellschaften aus. So ist der Geschäftsführer A der Arbeitgeberin gleichzeitig Geschäftsführer der Muttergesellschaft. Die Geschäftsführer B und C sind gleichzeitig Geschäftsführer der dänischen Konzerngesellschaft D, die an der Spitze der auch die Arbeitgeberin umfassenden E-Unternehmensgruppe steht. Ein Gewinnabführungsvertrag besteht nicht. D stellt ebenfalls Laborarmaturen her und verfügt über moderne Produktionsanlagen und eine Entwicklungsabteilung. Die Produktionsanlagen der Arbeitgeberin wurden seit längerer Zeit nicht erneuert. Aufgabe der Arbeitgeberin ist neben der Produktion der Vertrieb von Produkten der dänischen Gesellschaft in Deutschland.

D entwickelte in den letzten Jahren eine neue innovative Produktionsreihe, die "Serie 25". Kein Wettbewerber verfügt über vergleichbare Produkte. Parallel dazu drangen die bisherigen Kunden der Arbeitgeberin darauf, mit Produkten von D beliefert zu werden. Vor diesem Hindergrund wurde die Produktion bei der Arbeitgeberin sukzessive eingestellt und von D fortgeführt. Anlässlich der Verlagerung der Herstellung von Mischbatterien und Abzugs- und Durchgangsarmaturen sprach die Arbeitgeberin im März 2007 vier betriebsbedingte Kündigungen zum 30. September 2007 aus. Dadurch sowie durch weitere Arbeitsvertragsbeendigungen reduzierte sich die Belegschaft der Arbeitgeberin von 28 Arbeitnehmern Anfang 2007 bis Dezember 2007 auf 19 Arbeitnehmer. Bis April 2008 senkte sie sich auf 17 Arbeitnehmer. Ob sie seit Mai 2008 wieder bei 21 Arbeitnehmern liegt, ist zwischen den Beteiligten streitig.

Am 27. Februar 2008 beschloss die Muttergesellschaft der Arbeitgeberin, die gesamte Produktion der Arbeitgeberin zum 30. September 2008 stillzulegen. Die Arbeitsverträge der neun verbliebenen Produktionsarbeiter sollen zu diesem Termin gekündigt werden. Der Betriebsrat strebte aus diesem Anlass die Bildung einer Einigungsstelle zur Verhandlung über den Abschluss eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans an. Nachdem die Arbeitgeberin dies ablehnte, verfolgt er dieses Anliegen im vorliegenden Verfahren weiter.

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands und der dort gestellten Anträge wird auf den tatbestandlichen Teil des angefochtenen Beschlusses und auf die mit diesem in Bezug genommenen Aktenteile verwiesen. Das Arbeitsgericht hat den Vizepräsidenten des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main a. D. F zum Vorsitzenden der beantragten Einigungsstelle bestellt, die Zahl der Beisitzer auf zwei pro Seite festgelegt und die Anträge des Betriebsrats im Übrigen zurückgewiesen. Die Einigungsstelle sei nicht offensichtlich unzuständig im Sinne von § 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG. Angesichts des kurzen zeitlichen Abstands zwischen den geplanten Kündigungen und den Entlassungen aus dem Jahr 2007 bestehe eine tatsächliche Vermutung, dass beide Maßnahmen auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung beruhen, zumal die Gründe der Produktionsverlagerungen jeweils gleich gewesen seien. Demzufolge sei die Betriebsgröße von Anfang 2007 maßgeblich und die Maßnahme gemäß §§ 111 ff BetrVG mitbestimmungspflichtig. Wegen der vollständigen Begründung wird auf die Ausführungen unter II. des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Die Arbeitgeberin hat gegen den am 08. Mai 2008 zugestellten Beschluss am 23. Mai 2008 (Freitag nach Fronleichnam) Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Sie rügt, das Arbeitsgericht habe maßgebliche Teile des unstreitigen Sachverhalts nicht berücksichtigt und sei verpflichtet gewesen, den streitigen Sachverhalt durch Beweiserhebung aufzuklären. Sie behauptet weiter, die Maßnahmen aus dem März 2007 und die aus Februar 2008 beruhten nicht auf einer einheitlichen Entscheidung. Zwar sei aufgrund der Überalterung der Produktionsanlagen klar gewesen, dass irgendwann die Entscheidung anstehen würde, ob die Anlagen erneuert oder stillgelegt würden. Sie hätten jedoch aufgrund ihrer nach wie vor gegebenen Rentabilität über das Jahr 2008 hinaus weiterbetrieben werden können, wie es im März 2007 auch noch geplant gewesen sei. Der Beschluss über die alsbaldige Stilllegung sei erst deshalb getroffen worden, weil sich zum Jahreswechsel 2007/2008 herausgestellt habe, dass die Serie 25 auf großes Interesse auf dem Markt stieß, was überraschend gewesen sei, und weil sich zu diesem Zeitpunkt die Zertifizierung der Serie abzeichnete. Die erst zu diesem Zeitpunkt fundierte Erwartung, mit den neuen Produkten Weltmarktführer werden zu können, habe dann den Stilllegungsbeschluss veranlasst. Nach diesem Beschluss habe die Arbeitgeberin nie mehr als 18 Arbeitnehmer beschäftigt.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags der Arbeitgeberin wird auf die Schriftsätze vom 21. Mai, 07. Juli und 14. Juli 2008 Bezug genommen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 30. April 2008 - 10 BV 3/08 - abzuändern und die Anträge zurückzuweisen.

Der Betriebsrat hält zur Begründung seines Zurückweisungsantrags an seiner Behauptung fest, dass die Stilllegung Teil einer mehrere Jahre umfassenden Planung gewesen sei. Sie sei keine Reaktion auf aktuelle Entwicklungen, sondern die Konsequenz der seit Jahren praktizierten Unternehmenspolitik gewesen, nicht mehr in die Produktion der Arbeitgeberin zu investieren und sich schrittweise auf den Vertrieb zu konzentrieren. Seit Mai 2008 beschäftige die Arbeitgeberin wieder 21 Arbeitnehmer. Zudem sei der Schwellenwert von § 111 S. 1 BetrVG konzernbezogen auszulegen, wenn ein konzernangehöriges Kleinunternehmen von der Muttergesellschaft gesteuert wird.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags des Betriebsrats wird auf die Schriftsätze vom 12. Juni und 11. Juli 2008 Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Das Arbeitsgericht hat die Einigungsstelle zu Recht gemäß §§ 76 Abs. 2 S. 2 BetrVG, 98 Abs. 1 ArbGG bestellt. Zurückzuweisen wäre der Bestellungsantrag nach § 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG nur, wenn die Einigungsstelle für den angestrebten Regelungsgegenstand offensichtlich unzuständig wäre. Dies könnte ausschließlich mit der Nichtüberschreitung der Mindestzahl von regelmäßig mehr als zwanzig im Unernehmen beschäftigten Arbeitnehmern gemäß § 111 S. 1 BetrVG begründet werden. Dass die § 111 ff gleichwohl anwendbar sind, kann jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Die Einigungsstelle ist daher nicht offensichtlich unzuständig.

Die Zurückweisung eines Bestellungsantrags wegen offensichtlicher Unzuständig setzt voraus, dass die Zuständigkeit der Einigungsstelle unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt als möglich erscheint, dass ihre Zuständigkeit also bei sachgerechter Beurteilung auf den ersten Blick unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründet ist. Das ist nicht der Fall, wenn in Rechtsprechung und Literatur Kontroversen über die für die Zuständigkeit der Einigungsstelle maßgeblichen Rechtsfragen bestehen. Das Bestellungsverfahren dient nicht der Klärung komplizierter Rechtsfragen. Dies obliegt vielmehr der Einigungsstelle und gegebenenfalls den Arbeitsgerichten in einem Beschlussverfahren über die Rechtsmäßigkeit eines Spruchs der Einigungsstelle. Diese ist nur dann nicht zu bestellen, wenn an ihrer Unzuständigkeit keine ernsthaften rechtlichen Zweifel möglich sind (ständige Rechtsprechung, etwa Hess. LAG 01. August 2006 - 4 TaBV 111/06 - NZA-RR 2007/199, zu II 2 a; 08. Mai 2007 - 4 TaBV 70/07 - NZA-RR 2007/637, zu II 2 a). Hier bestehen unter zwei Gesichtspunkten Zweifel an der fehlenden Zuständigkeit der Einigungsstelle.

a) Die Ansicht des Betriebsrats, die Kleinunternehmensklausel von § 111 S. 1 BetrVG müsse bei konzernangehörigen Kleinunternehmen verfassungskonform ausgelegt und auf die Beschäftigten des gesamten Konzerns bezogen werden, ist ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Sie kann nicht offensichtlich verneint werden. Soweit ersichtlich, wird die Ansicht des Betriebsrats in der Literatur von Däubler (in Däubler/Kittner/Klebe BetrVG 11. Aufl. § 111 Rn. 24 b) und Fischer (AiB 2001/565, 568) geteilt und im Übrigen abgelehnt (so etwa Löwisch BB 2001/1790, 1796; Annuß in Richardi BetrVG 11. Aufl. § 111 Rn. 23; GK-BetrVG-Oetker 8. Aufl. § 111 Rn. 10; Hess in Hess/Schlochauer/Worzalla/ Glock/Nicolai BetrVG 7. Aufl. § 111 Rn. 35; Rieble in Dornbusch/Fischermei- er/Löwisch Fachanwaltskommentar Arbeitsrecht § 111 BetrVG Rn. 3). Einschlägige Rechtsprechung existiert soweit ersichtlich bisher nicht.

Zweck der Regelung von § 111 S. 1 BetrVG ist nach der Gesetzbegründung allein der Schutz kleinerer Unternehmen vor wirtschaftlichen Belastungen durch Sozialpläne. Die Begründung lautet (BT-Dr. 14/5741 S. 51):

"Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Schutzzweck der Norm, kleinere Unternehmen vor zu starker finanzieller Belastung durch Sozialpläne zu schützen, auch tatsächlich nur diesen Unternehmen zugute kommt. Allein entscheidend ist die Gesamtzahl der Arbeitnehmer des Unternehmens, unabhängig davon, ob die Arbeitnehmer in einer oder mehreren Betriebeinheiten eingesetzt werden."

Diese Zwecksetzung entspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu der begrifflich auf den Betrieb abstellenden Vorgängerregelung, die nach dieser Rechtsprechung ebenfalls unternehmensbezogen auszulegen war (BAG 08. Juni 1999 - 1 AZR 831/98 - BAGE 92/11, zu II 2, 3). Wie die Vorgängerregelung bedarf auch die mit der aktuellen Fassung der Norm verbundene Differenzierung (nunmehr zwischen Arbeitnehmer in Kleinunternehmen und in größeren Unternehmen) eines sachlichen Grundes, andernfalls verstieße sie gegen den allgemeinen Gleichheitssatz von Art. 3 Abs. 1 GG (zu der entsprechenden Problematik der Vorgängerregelung BAG 08. Juni 1999 a. a. O., zu II 2 c). An der vom Gesetzgeber zum Anlass für die Differenzierung genommenen typischerweise geringeren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Kleinunternehmen fehlt es regelmäßig dann, wenn diese zwar juristisch, nicht aber wirtschaftlich selbstständig sind. Dies ist bei Konzernunternehmen jedenfalls dann der Fall, wenn sie einem herrschenden Unternehmen untergeordnet und durch einen Gewinnabführungsvertrag gebunden sind. Nicht wesentlich anders ist die Interessenlage, wenn ein Konzernunternehmen wie die Arbeitgeberin zwar nicht aufgrund eines Gewinnabführungsvertrages wirtschaftlich gebunden ist, wenn jedoch die für die Unternehmensstrategie wesentlichen wirtschaftlichen Entscheidungen nicht im Unternehmen, sondern von übergeordneten Konzernunternehmen getroffen werden. In solchen Fällen könnte ein hinreichender Differenzierungsgrund fehlen und daher eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend geboten sein, dass in solchen Fällen die Unterschreitung des Schwellenwertes im Unternehmen unbeachtlich ist.

Ob eine derartige Auslegung trotz der sich aus der Gesetzesbegründung ergebenden Absicht des Gesetzgebers, allein auf die Größe des Unternehmens abzustellen möglich ist, ist ebenfalls eine nicht einfach zu beantwortende Rechtsfrage. Immerhin lässt die Gesetzesbegründung nicht erkennen, dass sich der Gesetzgeber bei der Neuregelung der Problematik konzernangehöriger Kleinunternehmen bewusst war und diese regeln wollte. Daher könnte durchaus wie bei der Vorgängerregelung (hierzu BAG 08. Juni 1999 a. a. O., zu II 3 b) Raum für eine verfassungskonforme Auslegung bestehen. Dies sind jedoch Rechtsfragen, die nicht in einem Verfahren nach § 98 ArbGG zu beantworten sind.

b) Nicht offensichtlich ist zudem, ob für die Beurteilung der Unternehmensgröße tatsächlich der Zeitpunkt des Gesellschafterbeschlusses vom 27.02.2008 und nicht ein früherer Zeitpunkt maßgeblich ist, zu dem die Arbeitgeberin in der Regel noch mehr als zwanzig Arbeitnehmer beschäftigte. Für die Beurteilung maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem das Beteiligungsrecht entstehen würde. Dies ist im Fall einer Betriebs(teil)stilllegung der Stilllegungsbeschluss (BAG 09. Mai 1995 - 1 ABR 51/94 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 33, B II 1; 10. Dezember 1996 - 1 ABR 43/96 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 37, zu B II 1). Ein mitbestimmungspflichtiger Personalabbau im Sinne von § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG kann auch stufenweise über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden. Voraussetzung dafür ist, dass die einzelnen Teilschritte auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung des Arbeitgebers beruhen. Anknüpfungspunkt ist die unternehmerische Entscheidung, aus der sich ergibt, wie viele Arbeitnehmer voraussichtlich von der Maßnahme nachteilig betroffen werden (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 5/05 - AP BetrVG 1972, § 112 Nr. 12, zu B II 1 a aa, bb, m. w. N.).

Hier ist nicht offensichtlich auszuschließen, dass die Behauptung des Betriebsrats zutrifft, dass den betriebsbedingten Kündigungen aus dem März 2007 und den geplanten Kündigungen ein einheitliches unternehmerisches Konzept zugrunde liegt. Die konträren Sachdarstellungen beider Beteiligter sind jeweils plausibel. Angesichts des Umstands, dass in die Produktion der Arbeitgeberin bereits seit Jahren nicht mehr investiert wurde, ist es durchaus möglich, dass eine sukzessive Einstellung der Produktion bereits längerfristig und damit zu einem Zeitpunkt geplant wurde, zu dem die Arbeitgeberin noch regelmäßig mehr als zwanzig Arbeitnehmer beschäftigte. Andererseits ist gleichermaßen denkbar, dass die Entscheidung über die Einstellung der gesamten Produktion bewusst zurückgestellt wurde und dass der Gesellschafterbeschluss vom 27. Februar 2008 eine Reaktion auf kurzfristige Entwicklungen war.

Die Prüfung, welche dieser Darstellungen richtig ist, bedarf eingehender Tatsachenfeststellungen. Da diese Frage daher nicht offensichtlich ist, ist sie ebenfalls im Bestellungsverfahren nach § 98 BetrVG nicht aufzuklären. Mit ihrer gegenteiligen Ansicht verweist die Arbeitgeberin allerdings zutreffend darauf, dass in Rechtsprechung und Literatur zum Teil die Ansicht vertreten wird, der Offensichtlichkeitsmaßstab von § 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG beziehe sich nur auf die Prüfung von Rechtsfragen. Der maßgebliche Sachverhalt sei dagegen erforderlichenfalls auch durch Beweisaufnahme nach dem allgemeinen für Beschlussverfahren geltenden Maßstab von § 83 Abs. 1 ArbGG aufzuklären (LAG München 31. Januar 1985 - 9 TaBV 27/84 - LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 5, zu 1; LAG Düsseldorf 10. Dezember 1997 - 12 TaBV 61/97 - LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 31, zu II 2 a; LAG Niedersachsen 08. Juni 2007 - 1 TaBV 27/07 - LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 49, zu II 2 b; Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 6. Aufl. § 98 Rn. 19; Walker in Schwab/Weth ArbGG 2. Aufl. § 98 Rn. 24; Friedrich in Bader/Creutzfeldt/Fried- rich ArbGG 4. Aufl. § 98 Rn. 4; GK-BetrVG-Kreutz a. a. O. § 78 Rn. 68; ErfK-Eisemann 8. Aufl. § 98 ArbGG Rn. 4). Gemäß einer vermittelnden Ansicht soll eine Beweisaufnahme nur geboten sein, wenn ein eindeutiges, jeden Zweifel ausschließendes Ergebnis zu erwarten ist. Dies sei bei der Erhebung von Zeugenbeweis in der Regel nicht der Fall (LAG München 14. März 1989 - 2 TaBV 53/88 - LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 18; Berg in Däubler/Kittner/Klebe a. a. O. § 76 Rn. 52).

Nach der ständigen Rechtsprechung der erkennenden Kammer bezieht sich der Offensichtlichkeitsmaßstab dagegen auch auf die für die Bestellungsentscheidung maßgeblichen Tatsachen (etwa Hess. LAG 01. August 2006 a. a. O., zu II 2 a; 08. Mai 2007 a. a. O., zu II 2 a; im Ergebnis ebenso LAG Hamburg 02. November 1988 - 4 TaBV 6/88 - LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 16, zu 3, 4 b; LAG Baden-Württemberg 07. August 1995 - 11 TaBV 1/95 - NZA-RR 1996/53, zu 1 b; LAG Berlin 22. Juni 1998 - 9 TaBV 3/98 - LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 32, zu 3 a; LAG Köln 05. Dezember 2001 - 7 TaBV 71/01 - LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 38, zu II 3 b, c; LAG Nürnberg 05. April 2005 - 7 TaBV 7/05 - LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 44, zu II A 2 b aa; HK-ArbR-Henssen § 98 ArbGG Rn. 7; GK-ArbGG-Dörner Stand März 2008 § 98 Rn. 21; Woitaschek in Gross/Thon/Ahmad/Woitaschek BetrVG § 76 Rn. 21). Jedenfalls nach der Ausgestaltung des Verfahrens nach § 98 ArbGG durch das Job-AQTIV-Gesetz vom 10. Dezember 2001 (BGBl. I/3443) ist kein Raum für die Durchführung einer Beweisaufnahme. Zwar verweist § 98 Abs. 1 S. 3 ArbGG auf die §§ 80 bis 84 ArbGG und damit auch auf § 83 Abs. 1 ArbGG. Nach § 98 Abs. 1 S. 4 ArbGG betragen die Einlassungs- und Ladungsfristen jedoch nur 48 Stunden. Gemäß § 98 Abs. 1 S. 6 ArbGG soll der die erste Instanz abschließende Beschluss den Beteiligten innerhalb von zwei Wochen nach der Einreichung des Antrags zugestellt werden; nach dieser Norm muss dies sogar zwingend binnen vier Wochen geschehen. Diese im deutschen Zivilprozessrecht singulären, äußerst rigiden Fristen erlauben kaum eine sachgerechte Vorbereitung einer Beweisaufnahme und jedenfalls nicht deren ordnungsgemäße Durchführung. Eine Beweisaufnahme setzt eingehenden Tatsachenvortrag der Beteiligten, eine Schlüssigkeits- und Erheblichkeitsprüfung durch den Vorsitzenden, den Erlass eines Beweisbeschlusses, die Durchführung der Beweisaufnahme (also etwa die Ladung und Vernehmung von Zeugen oder die Einholung eines Sachverständigengutachtens) und die Erörterung des Ergebnisses der Beweisaufnahme mit den Beteiligten voraus. Dies ist innerhalb der vorgegebenen Fristen regelmäßig nicht durchzuführen. Es käme allenfalls eine Glaubhaftmachung wie im einstweiligen Verfügungsverfahren in Betracht. Dies ist jedoch in § 98 ArbGG nicht vorgesehen.

Mit der Ausgestaltung von § 98 ArbGG hat der Gesetzgeber der besonderen Beschleunigung des Bestellungsverfahrens eindeutig Priorität vor der materiellen Richtigkeit der Entscheidung eingeräumt. Diesem Zweck ist dadurch Rechnung zu tragen, dass der Verweis von § 98 Abs. 1 S. 3 ArbGG eingeschränkt auszulegen und die Tatsachenfeststellung im Ergebnis auf eine Schlüssigkeitsprüfung des unstreitigen Vortrags der Beteiligten und der streitigen Tatsachenbehauptungen des Antragstellers beschränkt ist. Weitere Tatsachenfeststellungen sind der Einigungsstelle beziehungsweise späteren Beschlussverfahren vorbehalten. Gestützt werden kann diese einschränkende Auslegung auf die Überlegung, dass Tatsachen, die erst durch Beweiserhebung ermittelt werden müssten, nicht offensichtlich im Sinne von § 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG sind und deshalb nicht zum Prüfungsgegenstand in diesem Verfahren gehören.

Etwas anderes gilt lediglich für Urkunden, deren Echtheit unstreitig ist. Dies folgt allerdings nicht daraus, dass insoweit eine Beweisaufnahme nach den Grundsätzen der §§ 415 ff ZPO durchzuführen wäre, sondern aus dem Umstand, dass in ihrer Echtheit unstreitige Urkunden Teil des unstreitigen Vortrags der Beteiligten sind und damit ebenfalls der Schlüssigkeitsprüfung zugrunde gelegt werden müssen.

Diese Grundsätze gelten auch für das Beschwerdeverfahren. Hier bestehen zwar keine § 98 Abs. 1 S. 6 ArbGG entsprechende Fristen. Bereits die Reduzierung der Fristen für die Einlegung und die Begründung der Beschwerde auf zwei Wochen nach Zustellung des erstinstanzlichen Beschlusses belegt jedoch, dass der Gesetzgeber das Beschwerdeverfahren ähnlich beschleunigt gestalten wollte wie das erstinstanzliche Verfahren. Es wäre auch unsinnig, wenn ein in der ersten Instanz eingetretener Zeitgewinn in zweiter Instanz durch die Notwendigkeit der Durchführung einer Beweisaufnahme wieder aufs Spiel gesetzt werden würde.

c) Da daher weder offensichtlich verneint werden kann, dass die Entscheidung vom 27. Februar 2008 aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung von § 111 S. 1 BetrVG ein Beteiligungsrecht auslösen kann, noch dass der tatsächlich maßgebliche Zeitpunkt der März 2007 ist, ist die Einigungsstelle zu bestellen. Dass unter beiden Prämissen ein Beteiligungsrecht gemäß § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG in Verbindung mit § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KSchG besteht, ist zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig. Zudem dürfte dann auch § 111 S. 3 Nr. 4 BetrVG einschlägig sein.

2. Fehler bei der Auswahl des Vorsitzenden und bei der Bestimmung der Zahl der Beisitzer sind weder gerügt noch ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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