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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 08.11.2005
Aktenzeichen: 4 TaBV 159/05
Rechtsgebiete: ArbGG, TV PV DLH, BetrVG, JAR-OPS


Vorschriften:

ArbGG § 98
TV PV DLH § 77
TV PV DLH § 87
TV PV DLH § 97
BetrVG § 51
BetrVG § 76
BetrVG § 87
BetrVG § 98
BetrVG § 117
JAR-OPS Nr. 1975
1. Eine Maßnahme der Berufsbildung im Sinne von § 98 BetrVG setzt eine Kenntnisvermittlung in systematisch-lehrplanartiger Weise voraus. Die Ausstattung von Arbeitnehmern mit aktuellen Informationen und neuem Arbeitsmaterial genügt dazu nicht.

2. Auch bei einer Einigungsstelle eines Gesamtbetriebsrats beträgt unabhängig von der Anzahl der betroffenen Betriebe die Zahl der Beisitzer regelmäßig zwei pro Arbeitgeber- und Betriebsratsseite.


Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 15. September 2005 - 12 BV 939/05 - unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen zum Teil abgeändert und folgendermaßen neu gefasst:

Der Vorsitzende Richter am Arbeitsgericht München Dr. A wird zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle zum Thema "Verhütung von Arbeitsunfällen in Zusammenhang mit Navigationskarten und CBT-Airport-Einweisungen" bestellt.

Die Zahl der Beisitzer wird auf zwei pro Seite festgesetzt.

Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Bestellung einer Einigungsstelle.

Die zu 2) beteiligte Arbeitgeberin betreibt ein Luftverkehrsunternehmen. Die Antragstellerin ist die auf der Grundlage des Tarifvertrages Personalvertretung für das Bordpersonal vom 15. November 1972 (TV PV) gebildete Gesamtvertretung der Gruppenvertretungen für das fliegende Personal der Arbeitgeberin. Gemäß Ziff. 1975 a des nach deutschem Luftverkehrsrecht für Luftverkehrsunternehmen verbindlichen internationalen Luftfahrtabkommens JAR-OPS hat ein Luftverkehrsunternehmen u. a. sicherzustellen, dass die Piloten über ausreichende Kenntnisse der anzufliegenden Flugplätze verfügen. In Umsetzung dieser Regelung stellt die Arbeitgeberin ihren Piloten Karten der Zielflughäfen in zwei Formen zur Verfügung. Im Cockpit werden Karten in Papierform vorgehalten. Zudem sind Karten als sog. "CBT-Airport-Einweisungen" im "Workpad" der Piloten, einem mobilen Computer, gespeichert. Die CBT-Einweisungen dienen der Flugvorbereitung durch die Piloten. Die dort enthaltenen Karten sind zum Teil nicht mehr aktuell. Die Arbeitgeberin plant, sie in den nächsten Monaten zu überarbeiten. Beim Öffnen der Programme werden die Piloten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im Cockpit aktuelle Karten zur Verfügung stehen und dass diese maßgeblich sind. Daneben sind im Workpad jeweils aktuelle Flughafenbeschreibungen vorhanden.

Die Beteiligten verhandelten seit März 2005 über das Thema Flughafenkarten. Mit Schreiben vom 04. Juli 2005 wies die Gesamtvertretung darauf hin, dass es in der Vergangenheit mehrfach kritische Fehler und Diskrepanzen gegeben und dass am 18. Januar 2005 eine falsche Umrechnungstabelle zu einer falschen Flughöhe geführt habe. Problematisch seien die unterschiedlichen Layoutvorgaben der von verschiedenen Herstellern stammenden CBT-Karten, deren Alter (zum Teil von 1987 und 1990) und der Umstand, dass sie verwirrende falsche Informationen enthielten. Dies könne in Notsituationen schwerwiegende Konsequenzen haben. Die Gesamtvertretung forderte die Arbeitgeberin auf, für vier besonders problematische Flughäfen binnen vier Wochen aktualisierte Einweisungsprogramme bereitzustellen. Andernfalls dürften diese Flughäfen nicht mehr angeflogen werden. Für weitere 31 Flughäfen bestehe ebenfalls dringender Aktualisierungsbedarf. Für diese sei zum Teil überhaupt keine Einweisung vorhanden. Alle übrigen Flughafeneinweisungen müssten bis Jahresende aktualisiert werden. Zudem forderte die Gesamtvertretung die Zustimmung der Arbeitgeberin zur Errichtung einer Einigungsstelle zu diesem Thema unter dem Vorsitz des Richters am Arbeitsgericht Dr. A mit drei Beisitzern pro Seite. Diese Forderungen wies die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 19. Juli 2005 zurück.

Die Gesamtvertretung hat in erster Instanz ihre Sachdarstellung aus dem Schreiben vom 04. Juli 2005 wiederholt und die Auffassung vertreten, ihr stehe ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 TV PV zu, da es sich um Maßnahmen der beruflichen Fortbildung des Cockpitpersonals handele. Ziel der Einigungsstelle sei die Vereinfachung und Aktualisierung des Lernstoffs der Piloten.

Die Gesamtvertretung hat beantragt,

1. den Vorsitzenden Richter am Arbeitsgericht München, Herrn Dr. A, zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Navigationskarten und CBT-Airport-Einweisungen" bei der Antragsgegnerin zu bestellen,

2. die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf drei festzusetzen.

Die Arbeitgeberin hat zur Begründung ihres Zurückweisungsantrags die Auffassung vertreten, die Einigungsstelle sei offensichtlich unzuständig, da es nicht um die berufliche Fortbildung, sondern um die Ausstattung der Piloten mit Arbeitsmaterial gehe.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und der Tatsachenfeststellungen des Arbeitsgerichts wird auf den tatbestandlichen Teil des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat nach den Anträgen des Betriebsrats erkannt und zur Begründung ausgeführt, die Anträge seien hinreichend bestimmt und damit zulässig. Die Materie falle in die Zuständigkeit der Gesamtvertretung, da sowohl die Kapitäne als auch die Copiloten und damit mehrere Gruppenvertretungen betroffen seien. Die Einigungsstelle sei trotz Bedenken nicht offensichtlich unzuständig, da die Mitbestimmungstatbestände der innerbetrieblichen Fortbildung und des Arbeitsschutzes bestehen könnten. Wegen der weiteren Gründe wird auf die Ausführungen unter II des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Gegen den am 22. September 2005 ohne und am 07. Oktober 2005 mit § 98 Abs. 2 Satz 2 ArbGG entsprechender Rechtsmittelbelehrung zugestellten Beschluss hat die Arbeitgeberin am 28. September 2005 Beschwerde eingelegt und diese am 06. Oktober 2005 begründet. Mit der Beschwerde hält die Arbeitgeberin an ihrer Auffassung fest, dass Mitbestimmungstatbestände offensichtlich nicht gegeben seien. Flugkarten seien nicht Mittel der beruflichen Fortbildung, sondern den Piloten zur Umsetzung der luftverkehrsrechtlichen Verpflichtung gemäß Ziff. 1975 JAR-OPS erteilte Dienstvorschriften und Betriebsanleitungen. Es fehle jede didaktisch-pädagogische Kenntnisvermittlung. Ein Mitbestimmungsrecht in Zusammenhang mit der Verhinderung von Arbeitsunfällen komme wegen der luftverkehrsrechtlichen Vorgaben nicht in Betracht. Zudem sei eine Besetzung der Einigungsstelle mit zwei Beisitzern pro Seite ausreichend.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags der Arbeitgeberin wird auf den Schriftsatz vom 06. Oktober 2005 Bezug genommen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 15. September 2005 - 12 BV 939/05 - die Anträge abzuweisen.

Die Gesamtvertretung verteidigt zur Begründung ihres Zurückweisungsantrags die arbeitsgerichtliche Entscheidung und macht geltend, drei Beisitzer seien erforderlich, da der Einigungsstelle jeweils ein Mitglied der Gruppenvertretungen der Kapitäne und der Copiloten angehören müssten und außerdem ein rechtlich geschulter Beisitzer erforderlich sei.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags der Gesamtvertretung wird auf den Schriftsatz vom 24. Oktober 2005 Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zum Teil begründet.

1. Das Verfahren richtet sich nach §§ 2 a Abs. 1 Nr. 1, 80 ff., 98 ArbGG. Zwar gelten diese Bestimmungen ihrem Wortlaut nach nicht für Vertretungen der im Flugbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer eines Luftfahrtunternehmens im Sinne von § 117 Abs. 2 BetrVG. Da aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 3 Abs. 1 GG) die Stellung der Vertretung gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG jedoch der von Betriebsräten möglichst anzunähern ist, ist das für gesetzliche Betriebsräte geltende Verfahrensrecht entsprechend anzuwenden (so im Ergebnis auch BAG 10.09.1985 - 1 ABR 28/83 - AP BetrVG 1972 § 117 Nr. 3, zu B III 1; 05.11.1985 - 1 ABR 56/83 - AP BetrVG 1972 § 117 Nr. 4, zu B II 2).

2. Die Einigungsstelle ist im Sinne von § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG offensichtlich unzuständig, soweit die Gesamtvertretung ein Mitbestimmungsrecht bei der Durchführung betrieblicher Maßnahmen der beruflichen Fortbildung (§ 87 TV PV) geltend macht. Sie ist dagegen zum Thema der Beratung von Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen zu bestellen, da ein Mitbestimmungsrecht nach § 77 Abs. 1 Nr. 5 TV PV nicht offensichtlich ausgeschlossen ist.

a) Offensichtlich unzuständig im Sinne von § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist eine Einigungsstelle, wenn ihre Zuständigkeit unter keinen rechtlichen Gesichtspunkt als möglich erscheint, wenn ihre Zuständigkeit also bei sachgerechter Beurteilung auf den ersten Blick unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründet ist. Das Bestellungsverfahren soll weder durch die Klärung komplizierter Rechtsfragen noch durch die Aufklärung streitiger Tatsachen durch Beweiserhebung belastet; diese Aufgaben sind ggf. der Einigungsstelle vorbehalten. Für deren Bestellung ist entscheidend, ob an ihrer Unzuständigkeit ernsthafte rechtliche Zweifel möglich sind oder nicht (vgl. etwa LAG Köln 13.01.1998 - 13 TaBV 60/97 - LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 33, zu II 2 b aa; LAG Berlin 22.06.1998 - 9 TaBV 3/98 - LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 32, zu 3 a; LAG Hamm 09.08.2004 - 10 TaBV 81/04 - LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 43, zu B II 1).

b) Für die Auslegung des Begriffs der innerbetrieblichen Maßnahme der beruflichen Fortbildung im Sinne von § 87 TV PV gelten gemäß § 99 TV PV die zu § 98 BetrVG entwickelten Grundsätze. Zwar verwendet der TV PV mit dem Tatbestandsmerkmal "innerbetriebliche Maßnahme der beruflichen Fortbildung" eine gegenüber § 98 BetrVG abweichende Begrifflichkeit, wo von Maßnahmen der beruflichen Fortbildung die Rede ist. Damit ist jedoch kein inhaltlicher Unterschied verbunden. Die für die Auslegung maßgeblichen Kernbegriffe ("betrieblich", "beruflich", "Berufs-" bzw. "Fortbildung") sind in ihrem Bedeutungsgehalt weitgehend synonym. Aus dem Regelungszusammenhang wird auch nicht deutlich, dass § 87 TV PV eine gegenüber § 98 BetrVG unterschiedliche Funktion haben soll. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass sein Anwendungsbereich weiter als der im Betriebsverfassungsgesetz gebrauchte, die berufliche Fortbildung im Sinne von § 1 Abs. 3 BBiG umfassende Begriff der Berufsbildung reicht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Begriff der innerbetrieblichen Maßnahme der Berufsbildung im Sinne von § 98 Abs. 1 BetrVG weit auszulegen. Er umfasst zumindest alle Maßnahmen der Berufsbildung im Sinne von § 1 BBiG und damit auch die berufliche Fortbildung (§ 1 Abs. 3 BBiG), die in § 98 Abs. 1 TV PV ausdrücklich genannt ist. Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung sind insbesondere solche, die den Arbeitnehmern die Kenntnisse und Erfahrungen verschaffen sollen, die zur Ausfüllung ihres Arbeitsplatzes und zur Erfüllung ihrer beruflichen Tätigkeit dienen (BAG 05.11.1985 - 1 ABR 49/83 - BAGE 50/85, zu B I 1; 10.02.1988 - 1 ABR 39/86 - BAGE 57/295, zu II 1 a; 23.04.1991 - 1 ABR 49/90 - AP BetrVG 1972 § 98 Nr. 7, zu B II 2 a; 18.04.2000 - 1 ABR 28/99 - BAGE 94/245, zu B I 2 a aa). Voraussetzung für die Erfüllung des Begriffs der Berufs- bzw. Fortbildung ist, dass die Kenntnisse und Erfahrungen in systematischer, lehrplanartiger Weise vermittelt werden (BAG 05.11.1985 a. a. O., zu B I 1; 18.04.2000 a. a. O., zu B I 2 a aa; 24.08.2004 - 1 ABR 28/03 - EzA BetrVG 2001 § 98 Nr. 1, zu B II 2 a). Dies unterscheidet Bildungsmaßnahmen im Sinne der §§ 98 BetrVG, 87 TV PV von Einweisungen und von der Ausübung des Direktionsrechts durch den Arbeitgeber sowie von der Unterrichtung über neue Entwicklungen im Tätigkeitsfeld des Arbeitnehmers. Derartigen Maßnahmen fehlt der systematisch-didaktische Charakter.

Die Frage, mit welchen Flugkarten die von der Gesamtvertretung repräsentierten Piloten ausgestattet sind, ist danach keine Frage der beruflichen Fortbildung. Es geht lediglich um die Frage, mit welcher Kartenausstattung die Piloten ihre Einsätze vorbereiten und durchführen können. Zutreffend ist zwar, dass mit den Karten ggf. auch neue Informationen vermittelt werden. Dies geschieht jedoch nicht im Rahmen einer Fortbildungsmaßnahme auf eine bestimmte didaktisch-lehrplanartige Weise, sondern nur durch Überlassung und ggf. Aktualisierung der den Piloten zur Verfügung stehenden Sachausstattung. Dies ist genausowenig berufliche Fortbildung wie die Zurverfügungstellung und Aktualisierung der Flugbetriebshandbücher der Arbeitgeberin (hierzu Hess. LAG 08.06. 2004 - 4 TaBV 44/04 - n. v.).

c) Das Mitbestimmungsrecht von § 77 Abs. 1 Nr. 5 TV PV ist mit Ausnahme der hier nicht interessierenden Tropenkrankheiten mit § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG wortgleich und daher gemäß § 99 TV PV entsprechend auszulegen. Für eine Regelung zur Verhinderung von Arbeitsunfällen im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Unfallverhütungsvorschriften genügt es, wenn eine vom Arbeitgeber zu befolgende öffentlichrechtliche Rahmenvorschrift mittelbar dem Gesundheitsschutz dient. Eine konkrete Gesundheitsgefahr ist jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn es sich nicht um eine umfassende Generalklausel, sondern um eine gegenständlich begrenzte Rahmenvorschrift handelt, durch die dem Arbeitgeber aus Gründen des Gesundheitsschutzes bestimmte Handlungspflichten auferlegt werden (BAG 08.06.2004 - 1 ABR 13/03 - EzA BetrVG 2001 § 87 Gesundheitsschutz Nr. 1, zu B I 2 b aa, bb (2)).

Diese Voraussetzungen treffen auf Nr. 1975 JAR-OPS zu. Das Kartenmaterial mag zwar in erster Linie der reibungslosen Durchführung von Start und Landung dienen. Es hat damit aber unmittelbare Sicherheitsrelevanz. Die Regelung von Nr. 1975 JAR-OPS dient in erster Linie nicht der verzögerungslosen Durchführung von Linienflügen, sondern der Flugsicherheit und damit gerade der Verhinderung von Arbeitsunfällen während des Flugbetriebes. Es handelt sich auch nicht um eine umfassende Generalklausel, sondern um eine einen bestimmten Aspekt des Luftverkehrs betreffende und damit begrenzte Sicherheitsbestimmungen, die die Arbeitgeberin mit dem Zurverfügungstellen des Kartenmaterials erfüllen will. Auch der Umstand, dass im Luftverkehr zahlreiche Fragen der Ausstattung und der Technik sicherheitsrelevant sein können, rechtfertigt eine einschränkende Auslegung des Mitbestimmungsrechtes nicht. Die Bedeutung bestimmter Mitbestimmungstatbestände kann in verschiedenen Branchen unterschiedlich sein. Sind sie in einer Branche besonders wichtig, kann erst recht ein sachlicher Anlass für das Mitbestimmungsrecht bestehen. Es würde den Zweck der Mitbestimmung in ihr Gegenteil verkehren, wegen der besonderen Bedeutung der Materie das Vorliegen eines Mitbestimmungsrechtes zu verneinen.

Unzutreffend ist auch die zweitinstanzliche Rüge der Arbeitgeberin, sie verfüge durch die luftverkehrsrechtlichen Vorgaben über keinen Gestaltungsspielraum. Das Vorliegen eines solchen ist allerdings Voraussetzung des Mitbestimmungsrechts in Zusammenhang mit Maßnahmen des Gesundheitsschutzes (BAG 16.06.1998 - 1 ABR 68/97 - AP BetrVG 1972 § 87 Gesundheitsschutz Nr. 7, zu B I 2, 3; 11.06.2002 - 1 ABR 44/01 - AP ZPO 1977 § 276 Nr. 70, zu B II 1; 08.06.2004 a. a. O., zu B I 2 b aa). Die allgemein gehaltene, die Ausstattung mit Kartenmaterial noch nicht einmal konkret ansprechende Regelung von Nr. 1975 JAR-OPS lässt aber erhebliche Gestaltungsspielräume für die ihr unterliegenden Luftverkehrsunternehmen.

Schließlich greift der im Beschwerdeverfahren erhobene Einwand nicht durch, über die Errichtung einer Einigungsstelle sei innerbetrieblich bisher nicht ausreichend verhandelt worden. Die Gesamtvertretung hat in dem vorprozessualen Schreiben vom 04. Juli 2005 eingehend die Sicherheitsrelevanz der Maßnahme geschildert, für die sie in Ausübung ihres Initiativrechts eine betriebliche Regelung herbeiführen will. Daraus wurde hinreichend deutlich, dass es ihr zumindest auch um die Vermeidung von Betriebs- und damit auch von Arbeitsunfällen geht. Das Verhandlungsgebot von § 67 Abs. 1 Satz 2 TV PV verlangt die Führung sachlicher Verhandlungen über streitige Fragen, nicht aber deren juristische Subsumption. Nachdem die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 19. Juli 2005 auf die Anliegen der Gesamtvertretung nicht einging, waren damit die Verhandlungen gescheitert.

Schließlich hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend angenommen, dass gemäß § 35 Abs. 1 TV PV die Gesamtvertretung für die Angelegenheit zuständig ist. Da die Kapitäne und die Copiloten betroffen sind, betrifft die Maßnahme den Zuständigkeitsbereich mehr als einer Gruppenvertretung.

3. Die Person des Einigungsstellenvorsitzenden ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

4. Die Zahl der Beisitzer ist gemäß § 97 Abs. 2 Satz 3 TV PV auf zwei pro Seite festzusetzen. Eine solche Besetzung ist im Regelfall angemessen (Hess. LAG 13.09.2005 - 4 TaBV 86/05 - z. V. v., zu II 2 c, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Sie gewährleistet einerseits die Präsenz sowohl betriebsexternen juristischen als auch betriebsinternen Sachverstands in der Einigungsstelle. Andererseits vermeidet sie eine Verkomplizierung der Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse in der Einigungsstelle sowie unverhältnismäßige Kosten durch die Heranziehung mehrerer externer Beisitzer.

Der Umstand, dass die Einigungsstelle den Zuständigkeitsbereich mehrerer Gruppenvertretungen betrifft, rechtfertigt entgegen der Ansicht der Gesamtvertretung eine Abweichung von dieser Regelbesetzung nicht. Würde dieser Ansatz konsequent durchgehalten, müssten in Einigungsstellen, die eine alle sechs Gruppenvertretungen gemäß § 5 Abs. 1 TV PV betreffen, pro Seite sechs interne und zumindest ein externer Beisitzer entsandt werden. Die Einigungsstelle würde dann aus 15 Mitgliedern bestehen. Analog wären bei zahlreiche Betriebe repräsentierenden Gesamtbetriebsräten Einigungsstellen mit dreistelliger Mitgliederzahl denkbar. Dies würde das Einigungsstellenverfahren völlig unpraktikabel machen. Aus den gesetzlichen bzw. den tarifvertraglichen Vorgaben lässt sich daher nicht ableiten, dass bei Einigungsstellen von Gesamtbetriebsräten bzw. der Gesamtvertretung jeder betroffene Einzelbetriebsrat bzw. jede betroffene Gruppenvertretung in der Einigungsstelle vertreten sein muss. Die Beisitzer des Gesamtbetriebsrats bzw. der Gruppenvertretung repräsentieren vielmehr alle Betriebe bzw. Gruppenvertretungen. Deren einzelne Interessen und Erfahrungen müssen erforderlichenfalls in das Einigungsstellenverfahren vorbereitende oder begleitende interne Beratungen eingebracht werden. Ggf. kann der Gesamtbetriebsrat bzw. die Gesamtvertretung mehrere weitere Bevollmächtigte in die Einigungsstellenverhandlung entsenden oder zur Sachaufklärung als Zeugen benennen. Diese müssen im Interesse der Praktikabilität des Verfahren jedoch nicht Beisitzer der Einigungsstelle sein.

Ende der Entscheidung

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