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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 27.05.2008
Aktenzeichen: 4 TaBV 288/07
Rechtsgebiete: BetrVG, ZPO


Vorschriften:

BetrVG § 99
BetrVG § 100
BetrVG § 101
ZPO § 888
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 06. Juli 2007 - 2/1 BV 11/07 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor zur Klarstellung folgendermaßen gefasst wird:

Der Beteiligten zu 2 wird aufgegeben, die Versetzung des Arbeitnehmers A von der Position eines "Gruppenleiters stationäre Bearbeitung" auf die Position eines Dispatchers und die Versetzung der Arbeitnehmerin B von der Position "Erste Sachbearbeiterin stationäre Bearbeitung Frankfurt" auf die Position einer Dispatcherin aufzuheben.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung zweier Versetzungen.

Die zu 2) beteiligte Arbeitgeberin betreibt einen Speditionsbetrieb mit regelmäßig weit mehr als zwanzig Arbeitnehmern, die vom antragstellenden Betriebsrat repräsentiert werden. Sie führte die im Tenor genannten Versetzungen der betroffenen Arbeitnehmer auf Dispatcherstellen zum 01. August 2005 vorläufig durch, nachdem der Betriebsrat den Maßnahmen widersprochen hatte. Das von der Arbeitgeberin darauf eingeleitete Zustimmungsersetzungsverfahren blieb in zwei Instanzen erfolglos. Die erkennende Kammer wies mit Beschluss vom 17. Oktober 2006 - 4 TaBV 42/06 - die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen die Zurückweisung ihres Antrags durch das Arbeitsgericht mit der Begründung zurück, der Widerspruch des Betriebsrats sei nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG begründet, da die Arbeitgeberin vor der Versetzung ihrer Rechtspflichten gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1, 2 SGB IX verletzt habe. Die von der Kammer zugelassene Rechtsbeschwerde ist derzeit beim Bundesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen - 1 ABR 20/07 - anhängig. Die Arbeitgeberin beschäftigte die betroffenen Arbeitnehmer auf ihren neuen Positionen als Dispatcher weiter, obwohl die Kammer mit dem Beschluss vom 17. Oktober 2006 auch den Antrag der Arbeitgeberin gemäß § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG mangels Unterrichtung des Betriebsrats im Sinne von § 100 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zurückgewiesen und insoweit die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hatte. Mit zwei Schreiben vom 08. Mai 2007 teilte die Arbeitgeberin den betroffenen Arbeitnehmern mit, dass die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu ihren Versetzungen gescheitert sei. Weiter heißt es in den Schreiben:

"... Wir sind somit leider gezwungen, Ihre vorläufige Versetzung aufzuheben; Ihr Einsatz als Dispatcher endet daher mit Ablauf des 15. Mai 2007. ... Vorbehaltlich der Zustimmung des Betriebsrats beabsichtigen wir, Sie mit Wirkung ab dem 16. Mai 2007 erneut zu versetzen und als Dispatcher zu beschäftigen. ..."

Mit Schreiben vom selben Tag unterrichtete die Arbeitgeberin den Betriebsrat über ihre Absicht, die betroffenen Arbeitnehmer von der Position "Dispatcher Service Frankfurt" auf die Position "Dispatcher Service Frankfurt" zu versetzen. Nachdem der Betriebsrat erneut widersprochen hatte, teilte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 15. Mai 2007 mit, dass sie die beiden Dispatcherstellen ab dem 16. Mai 2007 vorläufig mit den betroffenen Arbeitnehmern besetzen werde. Zur Begründung führte sie Folgendes aus:

"Zur Abdeckung der 7-Tage-Woche im 3-Schicht-System ist die Besetzung der Stelle dringend erforderlich, um die betrieblichen Abläufe aufrechtzuerhalten."

Dementsprechend beschäftigte sie die betroffenen Arbeitnehmer durchgehend auf den Dispatcherpositionen weiter. Nachdem der Betriebsrat die dringende Erforderlichkeit der vorläufigen Durchführung der Maßnahme bestritten hatte, leitete sie am 25. Mai 2007 beim Arbeitsgericht unter dem Aktenzeichen - 11 BV 13/07 - ein erneutes Zustimmungsersetzungsverfahren ein, in dem sie Anträge gemäß §§ 99 Abs. 4, 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG ankündigte. Das Verfahren ist bisher nicht abgeschlossen. Parallel dazu betrieb der Betriebsrat das vorliegende Verfahren, in dem er zunächst einen dem Wortlaut von § 101 Satz 1 BetrVG entsprechenden Antrag angekündigt hatte. Auf einen Hinweis des Arbeitsgerichts beantragte er zuletzt, der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, die am 01. August 2005 vorgenommenen Versetzungen des Arbeitnehmers A und der Arbeitnehmerin B auf die Position eines Dispatchers aufrechtzuerhalten.

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf den tatbestandlichen Teil des angefochtenen Beschlusses (Bl. 162, 163 d.A.) und auf die mit diesem in Bezug genommenen Aktenbestandteile verwiesen. Das Arbeitsgericht hat nach dem Antrag des Betriebsrats erkannt und zur Begründung ausgeführt, der als Unterlassungsantrag formulierte Antrag sei statthaft, da ein Titel nach § 101 BetrVG ein gemäß § 890 ZPO zu vollstreckender Unterlassungstitel sei, und begründet. Die Arbeitgeberin sei spätestens seit dem Eintritt der Rechtskraft der Zurückweisung des Antrags nach § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG im Vorverfahren zur Aufhebung der Maßnahmen verpflichtet gewesen. Diese Verpflichtung sei durch die Einleitung des erneuten Beteiligungsverfahrens nicht entfallen. Die Arbeitgeberin müsse vor Einleitung eines solchen Verfahrens die Versetzungen erst tatsächlich aufheben und den Zustand vor der vorläufigen Durchführung der ersten Versetzung wieder herstellen. Jedenfalls sei der betriebsverfassungswidrige Zustand durch die Einleitung des erneuten Beteiligungsverfahrens nicht beseitigt worden, da der Betriebsrat nicht ausreichend gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 BetrVG unterrichtet worden sei. Es fehlten nachvollziehbare Angaben zu den Gründen der dringenden Erforderlichkeit der vorläufigen Durchführung der Maßnahmen. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Ausführungen unter II. des angefochtenen Beschlusses (Bl. 163 - 166 d.A.) Bezug genommen.

Die Arbeitgeberin hat gegen den am 16. Oktober 2007 zugestellten Beschluss am 16. November 2007 Beschwerde eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Begründungsfrist bis 16. Januar 2008 am 16. Januar 2008 begründet. Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass sie die ersten Versetzungen zum 15. Mai 2007 auf betriebsverfassungsrechtlich beachtliche Weise aufgehoben und zum 16. Mai 2007 durch die erneute Zuweisung derselben Arbeitsbereiche neue personelle Maßnahmen durchgeführt habe. Diese seien zwar inhaltsgleich, aber rechtlich selbständig. Dazu sei eine zeitliche Unterbrechung der Arbeitsbereichszuweisung nicht erforderlich. Ob der Betriebsrat über die dringende Erforderlichkeit der erneuten Durchführung der Maßnahmen ausreichend unterrichtet worden sei, sei im vorliegenden Verfahren völlig unbeachtlich. Es bestehe daher kein Raum für eine Inzidentprüfung der Unterrichtung vom 15. Mai 2007.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags der Arbeitgeberin wird auf den Schriftsatz vom 16. Januar 2008 Bezug genommen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 06. Juli 2007 - 2/1 BV 11/07 - abzuändern und die Anträge zurückzuweisen.

Der Betriebsrat verteidigt die Würdigung des Arbeitsgerichts wie im Schriftsatz vom 31. März 2008 ersichtlich.

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig. Er ist statthaft, wenn auch auslegungsbedürftig.

a) Ein Antrag auf Aufhebung einer personellen Maßnahme gemäß § 101 Satz 1 BetrVG ist nicht auf Unterlassung, sondern auf Vornahme einer unvertretbaren Handlung durch den Arbeitgeber im Sinne von § 888 ZPO gerichtet. Allerdings leitet Matthes (DB 1989/1285, 1289; MünchArbR-Matthes 2. Aufl. § 354 Rn 17, 18; Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 85 Rn 27; im Anschluss daran Kittner/Bachner in Däubler/Kittner/Klebe BetrVG 11. Aufl. § 101 Rn 6) aus dem Umstand, dass § 101 Satz 3 BetrVG für jeden Tag der Zuwiderhandlung die Festsetzung eines Zwangsgeldes von bis zu € 250 vorsieht, ab, dass es sich bei dem Anspruch tatsächlich um einen Unterlassungsanspruch handele. Andernfalls könne der Arbeitgeber den betriebsverfassungswidrigen Zustand noch längere Zeit fortführen und eine Sanktionierung durch die nachträgliche Aufhebung der personellen Maßnahme bis zur Beitreibung des Zwangsgeldes vermeiden. Dies entwerte das ohnehin langwierige Verfahren normzweckwidrig (Matthes DB 1989/1285, 1289; MünchArbR-Matthes a. a. O. § 354 Rn 18). Die überwiegende Auffassung versteht § 101 Satz 1 BetrVG dagegen gemäß seines Wortlauts als einen auf eine unvertretbare Handlung gerichteten Anspruch, dessen Vollstreckung sich nach den allgemeinen Grundsätzen von § 888 ZPO richtet, soweit sich aus § 101 BetrVG keine Sonderregelung ergibt (Hess. LAG 25. Juni 2007 - 4 Ta 92/07 - AuR 2008/78 L, zu II 2; GK-BetrVG-Kraft/Raab 8. Aufl. § 101 Rn 14; Richardi-Thüsing BetrVG 11. Aufl. § 101 Rn 21; Fitting BetrVG 23. Aufl. § 101 Rn 11; Schlochauer in Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock/Nicolai BetrVG 7. Aufl. § 101 Rn 14; ErfK-Kania 8. Aufl. § 101 Rn 6; Ricken in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar 2. Aufl. § 101 BetrVG Rn 6; Wildschütz in Dörner/Luczak/Wildschütz Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht 6. Aufl. I Rn 1760). Dies hat die Konsequenz, dass die Zwangsgeldfestsetzung weder eine Androhung im Sinne von § 890 Abs. 2 ZPO noch ein Verschulden des Arbeitgebers voraussetzt. Ausreichend ist nach allgemeinen Grundsätzen, dass die Handlung ausschließlich vom Willen des Arbeitgebers als Schuldner abhängig ist (vgl. Musielak-Lackmann ZPO 5. Aufl. § 888 Rn 6).

Die herrschende Ansicht trifft unzweifelhaft zu, soweit das Bundesarbeitsgericht bei Ein- und Umgruppierungen dem Betriebsrat in modifizierter Anwendung von § 101 Satz 1 BetrVG einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf nachträgliche Einholung der Zustimmung des Betriebsrats bzw. auf Durchführung eines gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens einräumt (vgl. etwa BAG 22. März 1983 - 1 ABR 49/81 - BAGE 42/121, zu II 1, 3; 12. August 1997 - 1 ABR 13/97 - AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 14, zu B I). Dabei handelt es sich eindeutig um Handlungen und nicht um Unterlassungen. Nichts anderes gilt bei Versetzungen. Eine Versetzung als Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs (§ 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG) ist erst vollständig aufgehoben, wenn der Arbeitnehmer nicht nur in seinem neuen Arbeitsbereich nicht mehr beschäftigt wird, sondern wenn ihm zusätzlich auch sein alter Arbeitsbereich wieder zugewiesen wurde (LAG Köln 09. Dezember 1996 - 3 TaBV 35/96 - Juris). Dies setzt ebenfalls eine Handlung des Arbeitgebers voraus. Selbst bei Einstellungen genügt zu deren Aufhebung häufig nicht die bloße Unterlassung der Beschäftigung des Arbeitnehmers. Eine Einstellung ist die Eingliederung einer Person in den Betrieb unabhängig von dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Sie ist gekennzeichnet durch die tatsächliche Übernahme zumindest eines Teils der Arbeitgeberstellung (vgl. nur BAG 13. Dezember 2005 - 1 ABR 51/04 - EzA BetrVG 2001 § 99 Einstellung Nr. 4, zu B I 1) und die tatsächliche Beschäftigung des Arbeitnehmers (BAG 23. Januar 2008 - 1 ABR 74/06 - NZA 2008/603, zu B II 2 a dd). Zur Aufhebung einer Einstellung sind dementsprechend regelmäßig Handlungen des Arbeitgebers zur Beendigung der Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb erforderlich, etwa entsprechende Erklärungen gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer, Anweisungen an Vorgesetzte usw..

Die Einordnung des Aufhebungsanspruchs als Anspruch auf Vornahme einer unvertretbaren Handlung beeinträchtigt dessen Vollstreckbarkeit auch nicht unzumutbar. Zunächst führt sie, wie dargelegt, zum Wegfall der Vollstreckungsvoraussetzungen Androhung und Verschulden. Zudem könnte § 101 Satz 3 BetrVG als Spezialregelung zu § 888 ZPO mit der Konsequenz verstanden werden, dass der Arbeitgeber ein verwirktes Zwangsgeld nicht durch die nachträgliche Vornahme der Handlung vor der Beitreibung des Zwangsgeldes zum Wegfall bringen könnte.

b) Der vom Betriebsrat erstinstanzlich zuletzt gestellte Unterlassungsantrag kann als Aufhebungsantrag gemäß der vorstehenden Ausführungen ausgelegt werden. Auch bei der Auslegung von Prozesserklärungen kommt es nicht entscheidend auf den Wortlaut der Erklärung an, sondern auf den erkennbaren wirklichen Willen des Antragstellers. Der Antragswortlaut hat hinter dem erkennbaren Sinn und Zweck des Antrags zurückzutreten (BAG 13. März 1997 - 2 AZR 512/96 - BAGE 85/262, zu II 4 a; 03. April 2001 - 9 AZR 301/00 - BAGE 97/241, zu I 1 a). Im Zweifel gilt der Grundsatz, dass der Antragsteller das gewollt hat, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BAG 21. Juli 2005 - 6 AZR 592/04 - BAGE 115/225, zu II 1 a aa; BGH 10. Juni 2003 - VIII ZB 126/02 - NJW 2003/3418, zu II 2).

Dem Betriebsrat ging es nicht um die rechtstheoretische Klärung der Rechtsnatur des Anspruchs gemäß § 101 Satz 1 BetrVG, sondern um die tatsächliche Durchsetzung des von ihm geltendgemachten Aufhebungsanspruchs. Er hatte diesen in der Antragsschrift mit einer dem Wortlaut von § 101 Satz 1 BetrVG entsprechenden, Aufhebungshandlungen umfassenden Formulierung rechtshängig gemacht. Mit seiner Umformulierung im erstinstanzlichen Kammertermin reagierte der Betriebsrat ersichtlich allein auf die Auffassung des Arbeitsgerichts über die Rechtsnatur des Anspruchs als Unterlassungsanspruch, ohne dass es dem Betriebsrat um eine diesbezügliche Festlegung ging. Daher kann der Inhalt des Antrags gemäß dem wohlverstandenen Interesse des Betriebsrats wie im Tenor klargestellt verstanden werden.

2. Der Antrag des Betriebsrats ist auch begründet. Der Betriebsrat verlangt zu Recht gemäß § 101 Satz 1 BetrVG die Aufhebung der Versetzungen.

Nach dieser Norm hat der Arbeitgeber eine personelle Maßnahme aufzuheben, wenn er sie ohne Zustimmung des Betriebsrats durchgeführt hat oder wenn er eine vorläufige personelle Maßnahme entgegen § 100 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 BetrVG aufrechterhält. Hier verstieß die vorläufige Durchführung der Versetzungen gegen § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG. Gemäß den Feststellungen der erkennenden Kammer im Beschluss vom 17. Oktober 2006 ( 4 TaBV 42/06 -) hatte die Arbeitgeberin die betroffenen Arbeitnehmer vorläufig versetzt, ohne dem Betriebsrat gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 BetrVG die Gründe mitzuteilen, aus denen die vorläufige Durchführung nach Ansicht der Arbeitgeberin dringend erforderlich gewesen sein soll. Damit litt die vorläufige Durchführung unter einem unheilbaren Mangel. Es fehlte eine notwendige Verfahrensvoraussetzung (Hess. LAG 17. Oktober 2006 a. a. O., zu B II, m.w.N.). In diesem Fall entsteht ein Aufhebungsanspruch gemäß § 101 Satz 1 BetrVG (vgl. LAG Frankfurt am Main 16. September 1986 - 4 TaBV 134/85 - NZA 1987/645 L; Kittner/Bachner a. a. O. § 100 Rn 16; Fitting a. a. O. § 101 Rn 3; Kraft/Raab a. a. O. § 100 Rn 23; HaKo-BetrVG-Kreuder 2. Aufl. § 101 Rn 7; Schlochauer a. a. O. § 100 Rn 7; Woitaschek in Gross/Thon/Ahmad/Woitaschek BetrVG § 100 Rn 4; Kania a. a. O. § 100 Rn 3; Rieble in Dornbusch/Fischermeier/Löwisch Fachanwaltskommentar Arbeitsrecht § 100 BetrVG Rn 5).

Der Anspruch ist nicht durch die Einleitung des erneuten Beteiligungsverfahrens vom 08./15. Mai 2007 erloschen. Allerdings kann die erneute Zuweisung desselben Arbeitsbereichs zum Wegfall eines Aufhebungsanspruchs nach § 101 Satz 1 BetrVG führen, wenn es sich um eine neue Maßnahme im Sinne der §§ 99, 100 BetrVG handelt und durch diese der betriebsverfassungswidrige Zustand beseitigt wird (Hess. LAG 27. November 2007 - 4 TaBV 111/07 - BeckRS 2008/53250, zu II 2). § 101 BetrVG dient der Beseitigung aktuell bestehender Rechtsverletzungen und nicht der Sanktionierung nicht mehr vorliegender Verstöße des Arbeitgebers gegen Mitbestimmungsrechte in der Vergangenheit (BAG 26. April 1990 - 1 ABR 79/89 - BAGE 65/105, zu B II 3).

Hier hat das erneute Beteiligungsverfahren die Rechtswidrigkeit der weiteren Durchführung der Versetzungen jedoch nicht beseitigt. Mit dem Schreiben vom 15. Mai 2007 hat der Arbeitgeber den Betriebsrat erneut nicht den Anforderungen von § 100 Abs. 2 Satz 1 BetrVG entsprechend über die Gründe der dringenden Erforderlichkeit der vorläufigen Durchführung der Maßnahmen unterrichtet. Nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts, deren Vollständigkeit und Richtigkeit die Arbeitgeberin nicht in Zweifel gezogen hat und an die die erkennende Kammer daher gemäß §§ 87 Abs. 2, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 513 Abs. 1, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden ist (zur Bindungswirkung erstinstanzlicher Tatsachenfeststellungen im Beschlussverfahren vgl. Hess. LAG 21. März 2006 - 4 TaBV 114/05 - n.v., zu B II 1 b aa), hat die Arbeitgeberin dem Betriebsrat lediglich mitgeteilt, die Maßnahme sei "zur Abdeckung der 7-Tage-Woche im 3-Schicht-System dringend erforderlich, um die betrieblichen Abläufe aufrechtzuerhalten". Dies genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht. Die Unterrichtung soll den Betriebsrat in die Lage versetzen, prüfen zu können, ob die Voraussetzungen der vorläufigen Durchführung der Maßnahme erfüllt sind. Aus diesem Grund muss der Arbeitgeber ihm die sachlichen Gründe konkret nennen, die aus seiner Sicht die dringende Erforderlichkeit der Maßnahme auslösen. Nur nach einer entsprechenden Information kann der Betriebsrat die Entscheidung gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 BetrVG fundiert treffen (vgl. etwa Kraft/Raab a. a. O. § 100 Rn 23; Schlochauer a. a. O. § 100 Rn 16; Fitting a. a. O. § 100 Rn 8; Thüsing a. a. O. § 100 Rn 15; Kittner/Bachner a. a. O. § 100 Rn 15; Kania a. a. O. § 100 BetrVG Rn 3; Woitaschek a. a. O. § 100 Rn 4; Ricken a. a. O. § 100 BetrVG Rn 12; Etzel Betriebsverfassungsrecht 8. Aufl. Rn 784).

Eine derartige Beurteilung ließ die Unterrichtung vom 15. Mai 2007 nicht zu. Sie erschöpft sich im Wesentlichen in einer Wiederholung der gesetzlichen Generalklausel. Aus welchen Tatsachen sich der behauptete dringende Besetzungsbedarf ergeben soll, wird aus dem Schreiben in keiner Weise deutlich. Es ist weder ersichtlich, von welchem konkreten Personalbedarf die Arbeitgeberin ausging, noch welche Beschäftigungsvolumina zur Abdeckung des Personalbedarfs zur Verfügung standen, dass daher eine personelle Unterdeckung bestand und welche konkreten Folgen im Fall einer Unterdeckung zu befürchten waren. Die Unterrichtung blieb damit nichtssagend und konnte ihren gesetzlichen Zweck nicht erfüllen. Aufgrund der daraus folgenden Verletzung der Begründungspflicht ist die Durchführung der personellen Maßnahmen unzulässig, da eine Verfahrensvoraussetzung fehlt (vgl. Hess. LAG 17. Oktober 2006 a. a. O., zu B II).

Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin ist dieser Mangel im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigen. Da das Verfahren Arbeitsgericht Darmstadt - 11 BV 13/07 - bisher nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, können keine Rechtskraftbindungen gemäß § 322 Abs. 1 ZPO bestehen. Weiter ist die Zulässigkeit der vorläufigen Durchführung der Maßnahmen im vorliegenden Verfahren nur Vorfrage, so dass keine doppelte Rechtshängigkeit im Sinne von § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO vorliegt. Eine bloße Präjudiziabilität des Verfahrensgegenstandes eines Rechtsstreits für den eines anderen begründet keine doppelte Rechtshängigkeit (vgl. nur BAG 12. Dezember 2000 - 9 AZR 1/00 - BAGE 96/352, zu I 1 c aa, m.w.N.). Dementsprechend ist es allgemeine Ansicht, dass der Betriebsrat nach einer § 100 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht entsprechenden Unterrichtung gegen die vorläufige Durchführung der personellen Maßnahme mit einem Antrag gemäß § 101 Satz 1 BetrVG vorgehen kann (LAG Frankfurt am Main 16. September 1989 a. a. O.; Kraft/Raab a. a. O. § 100 Rn 23; Kittner/Bachner a. a. O. § 100 Rn 16; Fitting a. a. O. § 101 Rn 3; Kreuder a. a. O. § 101 Rn 7; Woitaschek a. a. O. § 100 Rn 4; Kania a. a. O. § 100 BetrVG Rn 3; Rieble a. a. O § 100 BetrVG Rn 5; Schlochauer a. a. O. § 100 Rn 7).

3. Ein Grund zur Zulassung der Rechtsbeschwerde im Sinne der §§ 72 Abs. 2, 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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