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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 13.12.2001
Aktenzeichen: 5 Sa 987/2001
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 626
KSchG § 1
Ein Verstoß gegen das vom Arbeitgeber ausgesprochene Verbot privaten E-Mailverkehrs, das dem Virenschutz dienen soll, rechtfertigt grundsätzlich erst nach vorangegangener erfolgloser Abmahnung den Ausspruch einer verhaltensbedingten außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung.
Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Urteil

Aktenzeichen: 5 Sa 987/2001

Verkündet laut Protokoll am 13.12.2001

In dem Rechtsstreit

hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 5 in Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2001 durch den Vorsitzenden Richter am LAG Prieger als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Dr. Hansen und Hackel als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 20.03.2001 - Az. 5 Ca 4459/00 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlich ausgesprochenen Kündigung gegenüber der Klägerin.

Diese ist seit dem 07.07.1999 als Rezeptionistin in der Anwaltskanzlei der Beklagten zu einem monatlichen Bruttolohn von zuletzt DM 2.900,00 beschäftigt. Auf den schriftlichen Arbeitsvertrag wird ergänzend Bezug genommen (Bl. 4-14 d.A.). Die Beklagten gehören zu einer internationalen Anwaltsfirma mit weltweit mehr als 4.500 Mitarbeitern an insgesamt 22 Standorten. Diese sind untereinander ebenso wie die etwa 100 Mitarbeiter in der Niederlassung Frankfurt am Main für den elektronischen Datenverkehr miteinander vernetzt. Ein erheblicher Teil des Schriftverkehrs - auch mit den namhaften Mandanten - wird per E-Mail abgewickelt. Im Betrieb der Beklagten ist es im Interesse des Schutzes der umfangreichen, auch die Mandanten betreffenden Datenbestände vor elektronischen Viren untersagt, private E-Mails zu empfangen, zu öffnen oder zu versenden. Im Protokoll eines Staff-Meetings vom 09.02.2000, das auch an die Klägerin übersandt wurde, heißt es:

Emails dienen hauptsächlich der geschäftlichen Informationsübermittlung. Private Emails sollten nicht versandt werden. Es gab Beschwerden von einigen Anwälten, insbesondere wies nochmals darauf hin, dass hierdurch Viren ins System gelangen könnten, eine fristlose Kündigung ist die Folge.

Am 08.06.2000 erhielt die Klägerin per E-Mail einen privaten "Kettenbrief" von ihrer Tante, den sie sowohl über das Intranet im Betrieb der Beklagten an ihre Sekretariatskolleginnen als auch darüber hinaus an eine Anzahl von Adressaten außerhalb des Datennetzes der Beklagten weitersandte. Wegen des Inhalts dieser Schreiben wird ergänzend auf Bl. 56 - 59 d.A. Bezug genommen. Mit Schreiben vom 09.06.2000 (Bl. 136 d.A.), das der Klägerin an diesem Tag ausgehändigt wurde, kündigten die Beklagten das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin "fristlos oder hilfsweise zum 15.07.2000". Die Klägerin unterzeichnete das genannte Kündigungsschreiben. Gemäß einer zur Akte gereichten Kopie (Bl. 136 d.A.) befindet sich über der Unterschrift der Klägerin handschriftlich der Zusatz: "erhalten/akzeptiert".

Die Klägerin hat gemeint, für die Kündigung der Beklagten liege weder ein wichtiger Grund vor, noch sei sie sozial gerechtfertigt. Ohne eine vorangegangene einschlägige Abmahnung könne ihre Vertragsverletzung kein hinreichender Kündigungsgrund sein.

Sie hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin weder durch die außerordentliche noch hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.06.2000, der Klägerin zugegangen am 09.06.2000, aufgelöst worden ist.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet, die Klägerin hätte durch ihre Vorgehensweise nicht nur den gesamten Datenbestand der Beklagten, sondern auch denjenigen der Mandantschaft gefährdet. Das Eindringen von Viren sei nicht nur durch das öffnen von Attachments zu befürchten, sondern gerade im Zusammenhang mit "Kettenbriefen" und dem ausgelösten Schneeballeffekt zu befürchten. Das verbotswidrige Verhalten der Klägerin habe das erforderliche Vertrauensverhältnis zu ihnen so erheblich gestört, dass es durch eine vorangehende Abmahnung nicht hätte wiederhergestellt werden können.

Mit am 20.03.2001 verkündetem Urteil hat das Arbeitsgericht Frankfurt am Main - 5 Ca 4459/00 - der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das dem Kündigungsschutzrecht inne wohnende Verhältnismäßigkeitsprinzip vor Ausspruch der verhaltensbedingten Kündigung eine Abmahnung erfordert hätte. Eine Fallkonstellation, in der dieses Erfordernis ausnahmsweise nicht bestehe, liege nicht vor. Weder könne von der Erfolglosigkeit einer solchen Abmahnung im Hinblick auf das Verhalten der Klägerin in der Zukunft ausgegangen werden, noch könne ihr Verhalten als so hartnäckig und uneinsichtig angesehen werden, dass nicht die mildere Maßnahme der Abmahnung einer Kündigung hätte vorangehen müssen. Wegen der vollständigen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 4 - 6 des Urteils (Bl. 89 - 91 d.A.) ergänzend Bezug genommen.

Gegen dieses den Beklagten am 10.05.2001 zugestellte Urteil haben sie am 31.05.2001 Berufung eingelegt und dieses Rechtsmittel innerhalb der bis zum 30. Juli 2001 verlängerten Frist am 27. Juli 2001 begründet. Sie meinen, der Klägerin sei angesichts des Protokolls vom 09 02.2000 klar gemacht worden, dass unter keinen Umständen eine Verletzung des Verbotes bezüglich privater E-Mails hingenommen werde. Deshalb sei eine der Kündigung vorangehende Abmahnung nicht mehr erforderlich gewesen. Weiter meinen die Beklagten, die angefochtene Entscheidung unterschätze die durch das Verhalten der Klägerin für den Datenbestand ausgelösten Gefährdungen. Gerade über private E-Mails würden Viren eingeschleppt, da diese Nutzer keine professionelle Virenabwehr betrieben. Gerade Kettenbriefe würden durch den bewirkten Schneeballeffekt bevorzugt zur Verbreitung von Viren missbraucht. Auch Anti-Virus-Programme ("Firewalls") könnten Schutz nur gegen bereits bekannte Viren bieten. Neuartige "Erreger" würden nicht herausgefiltert. Die Beklagten vertreten nach wie vor die Auffassung, dass durch eine Abmahnung das erforderliche Vertrauensverhältnis in die Vertragstreue der Klägerin nicht hätte wiederhergestellt werden können. Es könne nicht verlangt werden, dass erst ein "Daten-GAU" abgewartet werden müsse, ehe eine Kündigung ausgesprochen werden dürfe. Seitens der Beklagten sei alles mögliche getan worden, um den Mitarbeitern den Stellenwert der "E-Mail-Disziplin" deutlich zu machen.

Schließlich behaupten die Beklagten, die Klägerin habe darauf verzichtet, sich gegen die Kündigung zu wehren. Sie meinen nämlich, die Klägerin habe mit ihrer Unterschrift unter den Worten "erhalten/akzeptiert" die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hingenommen. Sie sei auch ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass sie mit ihrer Unterschrift die Rechtsfolgen der Kündigung billige, akzeptiere. Jedenfalls verhalte sich die Klägerin treuwidrig und widersprüchlich, wenn sie sich nun auf die Unwirksamkeit der einmal akzeptierten Kündigung berufe.

Die Beklagten beantragen,

unter Abänderung des am 20. März 2001 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main zum Az.: 5 Ca 4459/00 die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und widerspricht dem Vortrag der Beklagten hinsichtlich der Annahme der Kündigung.

Wegen des vollständigen Vertrags der Parteien im Berufungsrechtszug wird ergänzend Bezug genommen auf die Berufungsbegründung (Bl. 122 - 133 d.A.), den Beklagtenschriftsatz vom 05.12.2001 (Bl. 174 - 177 d.A.) sowie auf die Berufungsbeantwortung (Bl. 160 - 166 d.A.).

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien wurde durch die Kündigung der Beklagten vom 09.06.2000 weder fristlos noch zum 15.07.2000 aufgelöst. Die Klägerin ist nicht gehindert, gegen diese Kündigung gerichtlich vorzugehen; sie verhält sich damit auch nicht treuwidrig.

1.

Die Kündigung der Beklagten vom 09.06.2000 ist als außerordentliche Kündigung (§ 626 Abs. 1 BGB) und als fristgemäße Kündigung (§ 1 Abs. 1 KSchG) gleichermaßen schon deshalb unwirksam, weil die Beklagte die Klägerin vor ihrem Ausspruch nicht einschlägig abgemahnt hat.

Nach ständiger und zutreffender Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Kammer folgt, ist grundsätzlich ein Arbeitnehmer, der wegen eines nicht vertragsgerechten Verhaltens fristlos oder fristgemäß gekündigt werden soll, zunächst abzumahnen (ausdrückliche Bestätigung der ständigen Rechtsprechung durch Urteil vom 17.02.1994 - 2 AZR 616/93 - DB 1994, S. 1477 ff.). Zutreffend hat schon das angefochtene Urteil darauf hingewiesen, dass dieses Erfordernis sich aus dem dem Kündigungsschutzrecht inne wohnenden Verhältnismäßigkeitsprinzip herleitet. Eine solche Abmahnung hat die Beklagte unstreitig nicht ausgesprochen.

Es liegt auch keiner der Fälle vor, für die nach der genannten Rechtsprechung des BAG (a.a.O.) im Einzelfall von einer der Kündigung vorangehenden Abmahnung abgesehen werden könnte. Insbesondere geht es nicht um eine schwere Pflichtverletzung, deren Rechtswidrigkeit für den Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei der eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (so BAG, Beschluss vom 10.02.1999 - 2 ABR 31/98 - DB 1999, S. 1121 ff.). Solche Fälle sind z.B. typischerweise bei zu Lasten des Arbeitgebers begangenen Vermögensdelikten wie Diebstahl oder Unterschlagung anzunehmen.

Die konkrete Pflichtverletzung der Klägerin war nicht von vergleichbarem Gewicht. Die Kammer verkennt nicht das hervorragende Interesse der Beklagten am Schutz des bei ihr gespeicherten und über sie zugänglichen Datenbestandes. Zutreffend schildern die Beklagten die Folgen einer "Virus-Infektion" für ihren Betrieb in Frankfurt, unter Umständen auch die übrigen Standorte und im Extremfall bis hin zu den Mandanten. Es kann als zutreffend unterstellt werden, dass das Eindringen eines Computervirus die von den Beklagten befürchteten weitreichenden Folgen haben könnte. Es stimmt auch, dass ein absoluter Schutz gegen diese Gefährdung des Datenbestandes bei den Beklagten nur durch die Unterlassung jeglichen E-Mail-Verkehrs zu gewährleisten wäre. Mit dem Verbot des Empfangs, der Öffnung und des Versendens von privaten E-Mails haben die Beklagten daher einen konsequenten Schritt zur partiellen Eindämmung der geschilderten Gefahren unternommen. Solche Regeln und Verbote zur Eindämmung des Gefahrenpotentials in der modernen Arbeits- und Wirtschaftswelt bestehen auch in zahlreichen anderen Bereichen, in denen geringe Ursachen schwerste Schäden zur Folge haben können. Sicherheitsvorschriften beim Betrieb z.B. von Verkehrsmitteln, bindende Bedienungsanleitungen für die Unterhaltung gefährlicher Produktionsanlagen und auch das von den Beklagten angesprochene Rauchverbot an Tankstellen zählen hierzu. Die Verletzung solcher Verpflichtungen kann unter ungünstigen Umständen, beim Zusammentreffen mit anderen gefahrsteigernden Verhältnissen nicht nur katastrophale Sachschäden, sondern auch schwere Personenschäden zur Folge haben. Gleichwohl wird man in diesen "klassischen" Fällen einer Gefahrensteigerung durch die Verletzung von Ordnungsvorschriften nicht in jedem Fall vor Ausspruch einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung auf eine vorangehende Abmahnung verzichten.

Bei der zunehmenden Regelungsdichte, die das moderne Arbeitsleben kennzeichnet, kommt es - wie die Erfahrung zeigt - auch immer wieder zu bewussten Verstößen. Nicht jede der zahlreichen einzuhaltenden Pflichten wird von den Arbeitnehmern ernst genug genommen, weil diese Regeln oft in ihrer Zielrichtung auf Gefahrvermeidung nicht mehr erkannt werden. Deshalb muss von einem Arbeitgeber, der einen bewussten Regelverstoß der geschilderten Art ohne vorangehende Abmahnung unmittelbar zum Anlass einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung nehmen will, zumindest verlangt werden, dass er die Bedeutung und Ernsthaftigkeit des betreffenden Verbotes unmissverständlich hervorhebt.

Dies haben die Beklagten nach Ansicht der Kammer in Bezug auf das Verbot des Empfanges, der Öffnung und des Versand es privater E-Mails nicht hinreichend getan, und zwar auch nicht mit dem unstreitig auch an die Klägerin versandten Protokoll des Staff-Meetings vom 09.02.2000. Einer der darin angesprochenen 8 Tagesordnungspunkte befasst sich mit E-Mails und bringt zum Ausdruck, dass diese "hauptsächlich" der geschäftlichen Informationsübermittlung dienen. Weiter heißt es, dass private E-Mails nicht verschickt werden "sollten". Schließlich heißt es: " wies nochmals darauf hin, dass hierdurch Viren ins System gelangen könnten, eine fristlose Kündigung ist die Folge." Ein striktes Verbot jeglichen privaten E-Mail-Verkehrs ist daraus nicht zu entnehmen. Auch die abschließende Androhung der außerordentlichen Kündigung wird eher an die Folge des Eindringens von Viren in das System als bereits an den diese Gefahr eröffnenden privaten E-Mail-Verkehr geknüpft.

Die Klägerin konnte infolge dessen nicht wissen, dass die Beklagten ihr Verhalten in Bezug auf die E-Mail unter keinen Umständen hinnehmen würden. Die der Kündigung vorangehende Abmahnung war daher nicht entbehrlich. Aus den gleichen soeben dargelegten Gründen ergibt sich, dass bei einer eindeutigen, die Ernsthaftigkeit des Verbots betonenden Abmahnung das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien in dem für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderlichen Maß hätte wiederhergestellt werden können (BAG, Urteil vom 04.06.1997 - 2 AZR 526/96 - AP Nr. 137 zu § 626 BGB).

2.

Die Klägerin hat nicht auf die Geltendmachung der Unwirksamkeit der Kündigung der Beklagten verzichtet.

Auch wenn man davon ausgeht, dass sich auf der schriftlichen Kündigung der Beklagten vom 09.06.2000 bei Unterzeichnung durch die Klägerin bereits der handschriftliche Zusatz "erhalten/akzeptiert" befand, lässt sich daraus ein Klageverzicht nicht herleiten. Der dafür erforderliche Erklärungswert kommt in den beiden Worten nicht zum Ausdruck. Im Zusammenhang mit der Übergabe eines Kündigungsschreibens ist einer solchen Erklärung vielmehr ein Empfangsbekenntnis bezüglich der Urkunde zu entnehmen.

Die Behauptung der Beklagten, die Klägerin sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass sie mit ihrer Unterschrift "die Rechtsfolgen der Kündigung billige, akzeptiere", ist unerheblich. Ob eine Kündigung nämlich die Rechtsfolge der Beendigung des gekündigten Arbeitsverhältnisses hat oder nicht, hängt gerade von ihrer Wirksamkeit ab, die letztlich nur durch gerichtliche Feststellung verbindlich zu klären ist. Infolgedessen verhielt sich die Klägerin mit der anhängig gemachten Kündigungsschutzklage auch nicht widersprüchlich. Einer Vernehmung des von den Beklagten benannten Zeugen H für ihre Behauptung bedurfte es daher nicht.

Die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels der Berufung haben die Beklagten zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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