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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 05.10.2006
Aktenzeichen: 5 TaBV 39/06
Rechtsgebiete: BetrVG, ZPO, UmwG


Vorschriften:

BetrVG § 21 a
ZPO § 767 II
UmwG § 324
Die Rechtskraftwirkung gemäß § 325 ZPO entfällt, wenn die Identität des Betriebes, dessen Betriebsrat Gläubiger eines Vollstreckungstitels ist, etwa infolge einer Verschmelzung verloren gegangen ist.
Tenor:

Die Beschwerde des Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 26. Januar 2006 - 7 BV 9/05 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage (§ 85 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 767 ZPO).

Am 17. August 1989 erwirkte der für A gebildete Betriebsrat der Firma B gegen diese beim Arbeitsgericht Darmstadt - Az. 10/7 BV 22/89 - einen rechtskräftigen Beschluss, mit dem der Arbeitgeberin aufgegeben wurde, es zu unterlassen, aus betrieblichem Anlass Arbeit von Arbeitnehmern über die betriebsübliche Arbeitszeit hinaus anzuordnen oder entgegenzunehmen, ohne vorher die Zustimmung des Betriebsrats bzw. deren Ersetzung durch die Einigungsstelle zu erwirken. Ausgangspunkt jenes Verfahrens war eine zwischen deren Beteiligten am 01.07.1987 abgeschlossene "Betriebsvereinbarung Überstunden". Wegen des vollständigen Inhalts des genannten Beschlusses wird auf Bl. 1 - 6 der beigezogenen Akte des Arbeitsgerichts Darmstadt - 10/7 BV 22/89 - Bezug genommen. Aufgrund eines entsprechenden Verschmelzungsvertrages vom 29.12.2004 (Bl. 11 - 20 d.A.) wurde am 13. Januar 2005 die Verschmelzung der Schuldnerin des genannten Titels vom 17.08.1989 auf die Firma M in das Handelsregister eingetragen (Bl. 22 - 27 d.A.). Diese firmierte in die B, die Antragstellerin dieses Verfahrens um. Aufgrund eines Zuordnungstarifvertrages vom 21.12.2004 (Bl. 28 - 33 d.A.) wurde ein Betrieb Niederlassung C gebildet, zu dem die Betriebsstandorte D, E, F, G, H und I, die der Gläubiger des Beschlusses des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 17.08.1989 vertreten hatte und die Betriebsstätten J, IZ K und L, für die bei der M ein Betriebsrat gebildet worden war, zählten. Vom Zeitpunkt der Verschmelzung am 13. Januar 2005 an nahm der erstgenannte Betriebsrat ein Übergangsmandat gem. § 21 a BetrVG für den Betrieb C wahr. Vom 01. - 03.05.2005 fanden Betriebsratswahlen statt, an denen für die erstgenannten Betriebsstätten ca. 200 Arbeitnehmer und für die übrigen ca. 60 Arbeitnehmer teilnahmen und den Betriebsrat wählten, den Antragsgegner und Beteiligten zu 2. (im Folgenden: Betriebsrat).

Nachdem der Betriebsrat mehrere Anträge auf Festsetzung von Ordnungsgeldern wegen behaupteter Verstöße gegen die Verpflichtung aus dem Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 17.08.1989 gegen die Beteiligte zu 1. (im Folgenden: Arbeitgeberin) gestellt hatte, hat diese das anhängige Verfahren eingeleitet.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Vollstreckung aus dem Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt sei unzulässig, weil sie nicht Schuldnerin und der Betriebsrat nicht Gläubiger dieses Titels sei. Im Übrigen hat sie gemeint, dass sich seine Rechtskraft nicht auf sie erstrecke, da die Identität des übernommenen Betriebes nicht erhalten geblieben sei.

Sie hat beantragt,

die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 17.08.1989 zu dem Az. 10/7 BV 22/89 für unzulässig zu erklären.

Der Betriebsrat hat beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Er hat die gegenteilige Auffassung vertreten.

Mit am 26.01.2006 verkündetem Beschluss hat das Arbeitsgericht Darmstadt - 7 BV 9/05 - dem Antrag der Arbeitgeberin stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, das titulierte Recht sei infolge der neuen Betriebsstruktur aufgrund der Verschmelzung untergegangen. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts wirke nicht gem. § 325 ZPO gegenüber der Arbeitgeberin als aufnehmender Gesellschaft, da der übernommene Betrieb seine Identität verloren habe. Die Betriebsstruktur für die Niederlassung C habe sich nämlich grundlegend geändert, nachdem er aus weiteren zusätzlichen Betriebsstandorten gebildet werde. Mit den Neuwahlen zwischen dem 01. und 03. Juni 2005 habe eine andere Betriebsgemeinschaft einen anderen Betriebsrat gewählt, der nicht Rechtsnachfolger des Gläubigers aus dem Titel des arbeitsgerichtlichen Beschlusses vom 17.08.1989 sei. Der titulierte Unterlassungsanspruch sei kein Selbstzweck, sondern diene der Durchsetzung der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte eines Betriebsrats, der eine bestimmte Betriebsgemeinschaft repräsentiert. Wegen der vollständigen Gründe wird auf die S. 4 - 6 des angefochtenen Beschlusses (Bl. 54 - 56 d.A.) ergänzend Bezug genommen.

Gegen diesen dem Betriebsrat am 08.02.2006 zugestellten Beschluss hat er am 08.03.2006 Beschwerde eingelegt und dieses Rechtsmittel nach rechtzeitiger Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist am 08.05.2006 begründet. Er meint, mit der Neuwahl eines Betriebsrats möge sich dessen Zusammensetzung und Struktur ändern, mit einer Änderung der Betriebsstruktur habe dies jedoch nichts zu tun. Weiter ist er der Auffassung, das Arbeitsgericht könne sich für seine Entscheidung nicht auf den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 05.02.1991 - 1 ABR 32/90 - berufen. Ihm zufolge sei nämlich die Erstreckung der Rechtskraft nur ausgeschlossen, soweit sich der Sachverhalt wesentlich geändert habe, aus dem das Gericht die festgestellte Rechtsfolge hergeleitet hat. Die Vergrößerung des Betriebs sei aber ohne Belang dafür, dass die Arbeitszeitregelungen einzuhalten seien.

Der Betriebsrat beantragt,

1. den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 26.02.2006 abzuändern;

2. den Antrag abzuweisen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss.

Wegen des vollständigen Vortrags der Beteiligten im Beschwerderechtszug wird ergänzend auf die Beschwerdebegründung (Bl. 76 - 77 d.A.) sowie auf die Beschwerdebeantwortung (Bl. 82 - 84 d.A.) und schließlich auf die Feststellungen im Protokoll des Anhörungstermins vom 05.10.2006 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Zutreffend hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 17.08.1989 - 10/7 BV 22/89 - unzulässig ist. Die Arbeitgeberin wendet zu Recht ein, dass der durch diesen Beschluss festgestellte Anspruch aufgrund der Neustrukturierung des Betriebs C aufgrund des Zuordnungstarifvertrages vom 21.12.2004 in Verbindung mit der zum 13. Januar 2005 wirksamen Verschmelzung der B auf sie nicht mehr besteht (§ 85 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 767 Abs. 1 und 2 ZPO).

1. Mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht die Zulässigkeit des Antrags der Arbeitgeberin festgestellt. Das Beschwerdegericht folgt dieser Begründung und macht sie sich in entsprechender Anwendung von § 69 Abs. 2 ArbGG zu Eigen. Insbesondere ist die Arbeitgeberin prozessführungsbefugt, da sich gegen sie die Vollstreckungsversuche des Betriebsrats aus dem Titel vom 17.08.1989 richten (Zöller-Herget, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 767 Rn 9).

2.

Der Antrag ist auch begründet. Der im Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 17.08. 1989 titulierte Unterlassungsanspruch steht dem Betriebsrat gegenüber der Arbeitgeberin nicht zu.

a) Gemäß § 325 ZPO wirkt eine rechtskräftige Entscheidung für und gegen die Parteien und Personen, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger der Partei geworden sind. Ist im Verhältnis zwischen Betriebsrat und einem Betriebsveräußerer eine Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat rechtskräftig festgestellt worden, so wirkt nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 05.02.1991 - 1 ABR 32/90 - NZA 1991, S. 639 ff.) die Rechtskraft dieser Entscheidung gegenüber dem Betriebserwerber nur dann, wenn die Identität des übernommenen Betriebs erhalten bleibt. Entsprechendes gilt für die vorliegende Konstellation gem. § 324 UmwG.

Zwar ist der Betriebsrat Amtsnachfolger des Gläubigers aus dem hier in Frage stehenden Titel des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 17.08.1989. Auch ist die Arbeitgeberin nach Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister am 13.01.2005 gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 UmwG Rechtsnachfolgerin der Schuldnerin aus dem Beschluss vom 17.08.1989 geworden. Der Betrieb, den der Gläubiger aus dem Beschluss des Arbeitsgerichts vom 17.08.1989 vertreten hat, hat jedoch mit der Verschmelzung der B auf die M seine Identität verloren. Zum selben Zeitpunkt wurde er nämlich gem. § 2 des Zuordnungstarifvertrages vom 21.12.2004 (Bl. 28 - 33 d.A.) neu konstituiert. Er bestand seitdem nicht mehr nur aus den Betriebsstätten der B in D, E, F, G, H und I mit den darin beschäftigten Mitarbeitern, sondern auch aus den Betriebsstätten der M mit ihren Betriebsabteilungen in J, K-Flughafen und L sowie den darin tätigen Arbeitnehmern. Weitere Veränderungen ergaben sich dadurch, dass der Standort des Betriebs in G mit dem Betriebsteil in L zum 20.01.2005 und der Standort F zum 01.08.2005 mit dem Betriebsteil J zusammengelegt wurden. Dass die eingetretene Veränderung auf betrieblicher Ebene - ausgelöst durch die Unternehmensverschmelzung - nicht unerheblich war, zeigt sich im Übrigen daran, dass bei den Wahlen zum Betriebsrat für den neu konstituierten Betrieb C neben den ca. 200 Arbeitnehmern der alten Betriebsstätten der B 60 Arbeitnehmer aus den Betriebsstätten der M wahlberechtigt waren.

b) Zutreffend weist der Betriebsrat darauf hin, dass die Erstreckung der Rechtskraft im Sinn der Erörterungen oben unter 2. a) nur insoweit ausgeschlossen ist, als sich derjenige Sachverhalt wesentlich geändert hat, aus dem das Gericht die festgestellte Rechtsfolge hergeleitet hat. Entgegen seiner Auffassung liegt allerdings gerade eine solche Änderung vor.

Das Arbeitsgericht hat mit dem Tenor seines rechtskräftigen Beschlusses vom 17.08.1989 die dortige Schuldnerin verpflichtet, es zu unterlassen, "aus betrieblichem Anlass" Arbeit "über die betriebsübliche Zeit hinaus" anzuordnen oder entgegenzunehmen. Weiter hat es die tenorierte rechtliche Verpflichtung vor dem Hintergrund einer zwischen den Beteiligten jenes Rechtsstreits abgeschlossenen "Betriebsvereinbarung Überstunden" vom 01.07.1987 festgestellt. Nach Auffassung der Kammer kann daher kein Zweifel bestehen, dass das Arbeitsgericht seine Entscheidung vom 17.08.1989 aus einem auf den konkreten Betrieb bezogenen Sachverhalt hergeleitet hat.

Gegenstand des genannten Verfahrens waren behauptete Verletzungen der Mitbestimmungsrechte gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, d.h. ungenehmigte Verlängerungen der "betriebsüblichen Arbeitszeit". Unter betriebsüblicher Arbeitszeit ist die regelmäßige betriebliche Arbeitszeit zu verstehen, die im Betrieb nicht einheitlich sein muss, sondern für einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern unterschiedlich sein kann (BAG, Beschluss vom 11.12.2001 - 1 ABR 3/01 - AP Nr. 93 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit). Auch dies macht deutlich, dass die vom Arbeitsgericht festgestellte Rechtsfolge nur aufgrund des damaligen konkreten betrieblichen Geschehens festgestellt werden konnte. Da die Identität beim von der Arbeitgeberin übernommenen Betrieb nicht mehr erhalten geblieben ist (s.o. 2. a)), kommt eine Rechtskrafterstreckung ihr gegenüber nicht in Betracht.

c) Gestützt wird dieses Ergebnis durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen nach Betriebsübergängen bzw. Betriebsumwandlungen (Beschluss vom 18.09.2002 - 1 ABR 54/01 - NZA 2003, S. 670 ff., mit Hinweisen auf die vorangegangene Rechtsprechung, unter III. 2. a) bb) d.Gr.).

Danach ist davon auszugehen, dass Einzelbetriebsvereinbarungen gegenüber einem neuem Rechtsträger des Betriebs normativ fortgelten, wenn der Betrieb bei dem gesetzlichen Übergang seine Identität bewahrt hat (a.a.O., zu III. 2. b) cc)). Es ist nicht ersichtlich, weshalb für die Fortgeltung von Rechten und Pflichten aus rechtskräftigen Vollstreckungstiteln zugunsten eines Betriebsrats andere Kriterien als für die Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen durchgreifen sollen.

d) Schließlich führt der Hinweis des Betriebsrats auf das zwischen der Verschmelzung und der Neuwahl vom 01. - 03.06.2005 wahrgenommene Übergangsmandat gem. § 21 a BetrVG zu keinem anderen Ergebnis. Vielmehr macht gerade die Ausübung dieses Amts deutlich, dass von einer Wahrung der Identität des Betriebs vor und nach der Verschmelzung auf Unternehmensebene nicht ausgegangen werden kann.

Der aufgrund § 21 a Abs. 2 BetrVG zwischen dem 13.01. und 03.06.2005 tätige Betriebsrat vertrat nicht nur die von der B eingebrachten Betriebsstätten und ihre Mitarbeiter, sondern auch diejenigen, die von der M hinzu kamen. Das wahrgenommene Übergangsmandat war eine gesetzliche Ausnahme vom Prinzip der betriebsbezogenen Interessenvertretung (Fitting u.a., BetrVG, 23. Aufl. 2006, § 21 a Rn 16). Die Reichweite des Mandats gem. § 21 a BetrVG war weiter als die auf den ursprünglichen Betrieb begrenzte demokratische Legitimation. Diese Diskrepanz war nur im Hinblick auf alsbaldige Neuwahlen in der neu geschaffenen Einheit zu tolerieren (Fitting, a.a.O., Rn 18). Die genannte Diskrepanz kennzeichnet zugleich die verloren gegangene Identität zwischen altem Betrieb und der neu geschaffenen Einheit, deren Mitarbeiter den Betriebsrat als Beteiligten dieses Verfahrens gewählt haben.

Im Hinblick auf die Ausführungen oben unter 2. c) ist zu ergänzen, dass auch das Übergangsmandat nicht die Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen aus der bisherigen Einheit in derjenigen bewirkt, für die das Übergangsmandat wahrzunehmen ist. Der Geltungsbereich solcher Betriebsvereinbarungen ist vielmehr auf diejenige Einheit begrenzt, für die sie ursprünglich abgeschlossen wurden (Fitting, a.a.O., Rn 22 a).

Gegen diesen Beschluss ist gem. § 92 Abs. 1 i.V.m. § 72 Abs. 2 ArbGG die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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