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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 06.09.2001
Aktenzeichen: 5 TaBV 5/01
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 87 Abs. 1 Ziffer 1
Verlangt der Arbeitgeber von einem bestimmten Kreis seiner Arbeitnehmer, deren Krankheitszeiten innerhalb eines Bezugszeitraumes 6 Wochen überschreiten, formularmäßig die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung darüber, ob eine Fortsetzungserkrankung i.S. von § 3 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG vorliegt, so besteht für diese Verfahrensweise ein Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Zf. 1 BetrVG.
Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Beschluss

Aktenzeichen: 5 TaBV 5/01

Verkündet laut Protokoll am 06. September 2001

In dem Beschlussverfahren

hat das Hessische Landesarbeitsgericht Kammer 5 in Frankfurt am Main auf die mündliche Anhörung vom 06. September 2001 durch den Vorsitzenden Richter am LAG Prieger als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richterinnen Trunk und Mezger-Anders als Beisitzerinnen

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 6.12.2000 - Az. 3 BV 4/00 - abgeändert.

2. Der Bet. zu 2) wird aufgegeben, es zu unterlassen, privat krankenversicherte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren aufaddierte Krankheitstage sechs Wochen übersteigen, mittels eines formularmäßigen Anschreibens aufzufordern, eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen über das Bestehen oder Nichtbestehen eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen zwei oder mehreren Krankheiten, solange der Bet. zu 1) nicht zugestimmt hat bzw. eine Ersetzung der Zustimmung der Einigungsstelle vorliegt.

3. Der Bet. zu 2) wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen ihre Verpflichtung gem. Ziffer 2) des Beschlusses ein Ordnungsgeld bis zu 500.000,-- DM, ersatzweise Haft ihrer gesetzlichen Vertretungsorgane angedroht.

4. Die Rechtsbeschwerde wird für die Bet. zu 2) zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Mitbestimmungsrechte des Beteiligten zu 1. (im Folgenden: Betriebsrat) bezüglich der Art und Weise, in der die Beteiligte zu 2. (im Folgenden: Arbeitgeberin) das Vorliegen von Fortsetzungserkrankungen bei ihren Mitarbeitern feststellt.

Der Betriebsrat vertritt die etwa 40 Arbeitnehmer, die die Arbeitgeberin in ihrer Vertriebsdirektion in Wiesbaden beschäftigt. Von ihnen sind 6 privat krankenversichert. Ergeben sich bei einem dieser Mitarbeiter zusammengerechnet mehr als 6 Wochen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, so wendet die Arbeitgeberin sich mit einem Formschreiben an ihn. Darin teilt sie mit, dass sie von einem ursächlichen Zusammenhang zwischen den Erkrankungen ausgehe, weshalb ein Gehaltsanspruch nur noch bis zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehe, von dem an Krankengeld bei der Krankenversicherung zu beantragen sei. Weiter heißt es in dem Formschreiben:

Sollte ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Erkrankungen nicht vorliegen, bitten wir Sie, umgehend die unten stehende Erklärung von Ihrem Arzt einzuholen und urschriftlich der Personalabteilung zuzustellen.

Wegen des vollständigen Inhalts dieses Schreibens wird ergänzend auf Bl. 4 d.A. Bezug genommen.

Für den Bereich der Arbeitgeberin gilt eine Gesamtbetriebsvereinbarung "Verhalten bei Arbeitsverhinderung" vom 10.09.1997 (Bl. 30 d.A.).

Nachdem der Betriebsrat mit Schreiben vom 09.08.2000, auf dessen Inhalt ebenfalls ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 5 f. d.A.), die Auffassung vertreten hatte, dass die dargestellte Vorgehensweise der Arbeitgeberin gem. § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig sei und auf dieses Schreiben keine Antwort erhalten hatte, hat er das anhängige Beschlussverfahren eingeleitet und aufgrund seiner Rechtsauffassung beantragt,

1. der Antragsgegnerin aufzugeben, es zu unterlassen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufzufordern, eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen über das Bestehen oder Nichtbestehen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen zwei oder mehreren Krankheiten, solange der Betriebsrat nicht zugestimmt hat bzw. eine ersetzende Zustimmung der Einigungsstelle vorliegt;

1. der Antragsgegnerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen ihre Verpflichtung gemäß dem Antrag zu 1. ein Ordnungsgeld bis zu DM 500.000,00, ersatzweise Haft ihrer gesetzlichen Vertretungsorgane, anzudrohen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Sie meint, ihre vom Betriebsrat angesprochene Praxis beinhalte keine Regelung der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb gem. § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG, da keine Verhaltensregelung zur Sicherung des ungestörten Arbeitsablaufs oder zur Gestaltung des Zusammenlebens und des Zusammenwirkens der Arbeitnehmer im Betrieb aufgestellt werde. Vielmehr gehe es ihr allein darum, festzustellen, ob eine Fortsetzungserkrankung bestehe oder nicht, um die Entgeltfortzahlungsansprüche der Arbeitnehmer ermitteln zu können. Anders als bei den gesetzlich Krankenversicherten habe sie bei dem hier in Frage stehenden Personenkreis nicht die Möglichkeit, die Krankenkassen um eine Auskunft gem. § 69 Abs. 4 SGB X zu bitten.

Mit am 06.12.2000 verkündetem Beschluss hat das Arbeitsgericht Wiesbaden - 3 BV 4/00 - die Anträge zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Arbeitgeberin mit ihrer Verfahrensweise nicht gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verstoße. Die streitbefangene Maßnahme beziehe sich zwar nicht auf das Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer, jedoch auch nicht auf deren Ordnungsverhalten. Es stehe nämlich nicht eine Gestaltung der Arbeitsbedingungen und der Zusammenarbeit der Arbeitnehmer untereinander in Frage. Vielmehr gehe es um ein Verfahren hinsichtlich der Abrechnungs- und Auskunftspflichten zur ordnungsgemäßen Abwicklung des Anspruchs der Arbeitnehmer auf Vergütung bzw. Entgeltfortzahlung (§ 611 BGB, § 3 Abs. 1 EFZG), bei dem kein Regelungsspielraum für eine betriebliche Gestaltung durch die Beteiligten bestehe. Wegen des vollständigen Inhalts der Gründe des Beschlusses wird ergänzend auf Bl. 51 - 58 d.A. Bezug genommen.

Gegen diesen ihm am 08.12.2000 zugestellten Beschluss hat der Betriebsrat am 08.01.2001 Beschwerde eingelegt und dieses Rechtsmittel nach rechtzeitiger Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 08.03.2001 an diesem Tag begründet. Er meint, der angefochtene Beschluss habe die streitbefangene Maßnahme der Arbeitgeberin zwar zutreffend nicht dem mitbestimmungsfreien Arbeitsverhalten zugeordnet, aber unzutreffenderweise nicht die zwingende Konsequenz gezogen, dann eine mitbestimmungspflichtige Regelung des Ordnungsverhaltens anzunehmen. Die Arbeitgeberin habe mit ihrer Verfahrensweise eine Regel für bestimmte Arbeitnehmer aufgestellt, die von diesen zu beachten sei, also ein Ordnungsproblem gelöst. Auch wenn dies zwecks korrekten Gesetzesvollzugs geschehen sei, schließe das nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 21.01.1997 - 1 ABR 53/96 - NZA 1997, S. 585 ff.) die Annahme eines Mitbestimmungsrechts gem. § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG nicht aus. Auch der dafür erforderliche Regelungsspielraum sei gegeben. Sowohl für ein Verfahren zur Ermittlung der objektiven Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung als auch für die Art und Weise der Mitwirkung der Arbeitnehmer zur Klärung dieser Frage gebe es Gestaltungsspielraum.

Der Betriebsrat beantragt,

1. den Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 06.12.2000, 3 BV 4/000, abzuändern;

2. der Antragsgegnerin aufzugeben, es zu unterlassen, privat krankenversicherte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren aufaddierte Krankheitstage sechs Wochen übersteigen, mittels eines formularmäßigen Anschreibens aufzufordern, eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen über das Bestehen oder Nichtbestehen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen zwei oder mehreren Krankheiten, solange der Betriebsrat nicht zugestimmt hat bzw. eine ersetzende Zustimmung der Einigungsstelle vorliegt;

3. der Antragsgegnerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen ihre Verpflichtung gemäß dem Antrag zu 2. ein Ordnungsgeld bis zu DM 500.000,00, ersatzweise Haft ihrer gesetzlichen Vertretungsorgane, anzudrohen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie meint, ihr Auskunftsverlangen sei auf der Ebene der individualvertraglichen Mitwirkungsverpflichtung des privat krankenversicherten Arbeitnehmers angesiedelt. Sie korrespondiere der Entgeltfortzahlungsverpflichtung der Arbeitgeberin als Hauptleistungspflicht aus dem Arbeitsvertrag. Nicht die Arbeitgeberin greife mit ihrer Maßnahme in ein Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer ein, dessen Schutz § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG bezwecke, sondern die Arbeitnehmer schafften mit ihrer geschuldeten Auskunft die Anspruchsvoraussetzungen für die Zahlungspflicht des Arbeitgebers. Hier gebe es keinen Regelungsspielraum für die Arbeitgeberin, der durch die Ausübung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats zu begrenzen wäre. Es gehe ausschließlich um die Frage, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliege. Von der Antwort hänge die ordnungsgemäße Gehaltsabrechnung seitens der Arbeitgeberin in Abgrenzung zu den Leistungsverpflichtungen der Krankenkassen ab.

Wegen des vollständigen Vertrags der Beteiligten im Beschwerderechtszug wird ergänzend auf die Beschwerdebegründung (Bl. 84 - 90 d.A.) sowie auf die Beschwerdebeantwortung (Bl. 96 - 106 d.A.) Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Betriebsrats ist zulässig und begründet. Er kann von der Arbeitgeberin verlangen, dass sie es unterlässt, privat krankenversicherte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren aufaddierte Krankheitstage 6 Wochen übersteigen, mittels eines formularmäßigen Anschreibens aufzufordern, eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen über das Bestehen oder Nichtbestehen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen zwei oder mehreren Krankheiten, solange er nicht zugestimmt hat bzw. eine ersetzende Zustimmung der Einigungsstelle vorliegt. Mit dem entgegengesetzten Verhalten verletzt die Arbeitgeberin das dem Betriebsrat gem. § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG zustehende Mitbestimmungsrecht. Er hat daher einen entsprechenden Unterlassungsanspruch (BAG, Beschluss vom 03.05.1994 - 1 ABR 24/93 - AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972).

1.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Abgrenzung des Mitbestimmungstatbestandes des § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG, der die Kammer folgt, ist zwischen dem mitbestimmungsfreien Arbeitsverhalten und dem mitbestimmungspflichtigen Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer zu unterscheiden (aus jüngerer Zeit: Beschluss vom 25.01.2000 - 1 ABR 3/99 - BB 2000, S. 1195 ff.). Ersteres betrifft alle Weisungen, die bei der Erbringung der Arbeitsleistung selbst zu beachten sind und die der Arbeitgeber kraft seiner Organisations- und Leitungsmacht gibt. Mit diesen Weisungen wird die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert. Hierauf ist die von der Arbeitgeberin im vorliegenden Fall getroffene Regelung, wie auch das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, nicht gerichtet. Die unter den genannten näheren Voraussetzungen an die privat krankenversicherten Arbeitnehmer gerichteten Aufforderungen der Arbeitgeberin, eine bestimmte ärztliche Bescheinigung einzuholen und "urschriftlich der Personalabteilung zuzustellen", betrifft nicht die Arbeitsleistung der Adressaten.

Vielmehr begründet diese Verfahrensweise der Arbeitgeberin eine betriebliche Regelung und verlangt den betroffenen Arbeitnehmern ein bestimmtes regelgerechtes Verhalten ab. Die Arbeitgeberin verlangt ihrer durchgängigen diesbezüglichen Verfahrensweise nach, dass die privat krankenversicherten Arbeitnehmer bei Überschreiten einer bestimmten Dauer der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ärztliche Bescheinigungen mit bestimmter Aussagekraft einreichen, Diese im Wege eines Formschreibens an den definierten Personenkreis gerichtete Aufforderung zu einem bestimmten Verhalten zielt danach auf ein regelhaftes und regelgerechtes Verhalten der Arbeitnehmer außerhalb der unmittelbaren Arbeitspflicht und betrifft folglich deren Ordnungsverhalten.

2.

Die Arbeitgeberin beschränkt sich mit ihrer Vorgehensweise nicht auf die Geltendmachung ihrer Rechte im Einzelfall bezogen auf das jeweils betroffene Arbeitsverhältnis eines erkrankten privat versicherten Arbeitnehmers.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 19.03.1986 - 5 AZR 86/85 - DB 1986, S. 1877 f. bezüglich § 1 LFZG a.F.) trifft für das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung im Zusammenhang mit der Anwendung des § 3 EFZG den Arbeitgeber die Beweislast. Nach dieser Rechtsprechung gelten jedoch angesichts der dem Arbeitgeber naturgemäß fehlenden Kenntnis der entsprechenden Umstände sehr differenzierte von der Lage des Falls abhängige Informations- und Auskunftspflichten der Arbeitnehmer bzw. Fragerechte des Arbeitgebers. Wenn es für den Arbeitnehmer eindeutig erkennbar ist, hat er danach den Arbeitgeber von sich aus über das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung zu informieren. Ist ein solcher eher seltener Fall nicht gegeben, soll den Arbeitgeber bei Vorliegen objektiver Anhaltspunkte für eine Fortsetzungserkrankung eine Erkundigungspflicht treffen. Dem Arbeitnehmer wiederum obliegt für diesen Fall eine Pflicht zur Mitwirkung an der Aufklärung, insbesondere zur Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht.

Das von der Arbeitgeberin im vorliegenden Fall gewählte Verfahren, generell eine vom Arbeitnehmer einzuholende ärztliche Bescheinigung zu verlangen, bewegt sich nicht mehr im Rahmen einer auf den Einzelfall abstellenden Ausübung ihrer Rechte. Die Arbeitgeberin "begnügt ... sich gerade nicht mit der schuldrechtlichen Lage ..." (BAG, Beschluss vom 21.01.1997 - 1 ABR 53/96 - NZA 1997, S. 785 ff. zu I 2 d.Gr.). Vielmehr geht sie generell nach einem einheitlichen Muster vor und praktiziert von ihr einseitig aufgestellte Verfahrensregeln.

Der Arbeitgeberin kann daher nicht gefolgt werden, wenn sie meint (S. 9 f. der Beschwerdebeantwortung vom 14.03.2001, Bl. 104 f. d.A.), sie verlangte vom Arbeitnehmer nur die Erfüllung seiner Auskunftspflichten als Äquivalent zu der arbeitgeberseitigen Zahlungspflicht als Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis. Sie macht mit ihrer Praxis eben nicht im Einzelfall ganz unterschiedliche Rechte auf Auskunft oder Mitwirkung geltend, sondern behandelt den betroffenen Personenkreis generalisierend und verlangt in jedem Fall die weitestreichende ärztlich bescheinigte Auskunft, auch wenn diese unter Umständen völlig überflüssig ist. Es sind zahlreiche Fallgestaltungen denkbar, in denen ein Fortsetzungszusammenhang zwischen verschiedenen Erkrankungen völlig ausgeschlossen oder aber offenkundig ist, so dass die Frage zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages unstreitig sein dürfte. Wenn die Arbeitgeberin dennoch auch in solchen Fällen auf der Einhaltung der von ihr einseitig vorgegebenen Regelung besteht und die Vorlage ärztlicher Bescheinigungen verlangt, so wird deutlich, dass das auf den Schutz des Persönlichkeitsrechts gerichtete Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG durchaus seine Funktion hat.

3.

Auch der von der Arbeitgeberin vermisste Gestaltungsspielraum für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats ist durchaus gegeben. Dies belegt sein Vortrag aus der Beschwerdebegründung (S. 5 f. des Schriftsatzes vom 08.03.2001, Bl. 88 f. d.A.).

Der Spielraum für eine kollektive Regelung besteht sowohl hinsichtlich der Frage, in welchen Fällen überhaupt ein formalisiertes Erkundigungsverfahren der Arbeitgeberin stattfinden soll, als auch in Bezug auf die Bestimmung der Umstände, unter denen über die Auskunft der Arbeitnehmer hinaus eine ärztliche Bescheinigung erforderlich sein soll. Einleuchtend hat der Vorsitzende des Betriebsrats im Anhörungstermin vom 06.09.2001 geschildert, dass bei Vorliegen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der Ärzte ganz unterschiedlicher Fachrichtung - etwa eines Hals-Nasen-Ohren-Arztes und eines Urologen - Fortsetzungserkrankungen nahezu ausgeschlossen sein können. Auch wird ein befragter Arzt unter Umständen nicht in jedem Fall bescheinigen können, ob eine von ihm diagnostizierte Erkrankung mit einer früheren, von ihm gar nicht behandelten im Zusammenhang steht oder nicht. Diese Beispiele machen deutlich, wie vielfältig die denkbaren Regelungen einer entsprechenden Betriebsvereinbarung etwa gestaltet werden können.

Da ein kollektiver Bezug der Maßnahme der Arbeitgeberin unzweifelhaft vorliegt und weder eine gesetzliche noch eine tarifliche Regelung entgegensteht, ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Ziff. 1 BetrVG bezogen auf die hier streitige Verfahrensweise zu bejahen. Der Betriebsrat hat daher den Anspruch aus § 87 Abs. 1 i.V.m. § 2 BetrVG auf Unterlassung der seine oben dargelegten Rechte verletzenden Praxis der Arbeitgeberin (BAG, Beschluss vom 03.05.1994, a.a.O.).

Die beantragte Androhung von Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft ist als Voraussetzung für eine etwaige Zwangsvollstreckung auszusprechen (§ 85 Abs. 1 Satz 3 ArbGG i.V.m. § 890 ZPO). Der Androhung auch von Ordnungshaft steht § 85 Abs. 1 Satz 3 letzter Fall ArbGG nicht entgegen, da die Unterlassungsverpflichtung im vorliegenden Fall nicht auf § 23 Abs. 3 BetrVG gestützt ist.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der aufgeworfenen Fragestellung ist für die unterlegene Arbeitgeberin die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 92 Abs. 1 i.V.m. § 72 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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