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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 05.07.2001
Aktenzeichen: 5 TaBv 153/00
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 94 Abs. 1
Auch bei einer von der im Ausland ansässigen Konzernmutter durchgeführten und gesteuerten Befragungsaktion per E-mail oder Intranet besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gem. § 94 Abs. 1 BetrVG gegenüber dem im Inland ansässigen Arbeitgeber, dessen Arbeitnehmer davon betroffen sind.
Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes! Beschluss

Aktenzeichen: 5 TaBV 153/00

Verkündet laut Protokoll am 05. Juli 2001

In dem Beschlussverfahren

hat das Hessische Landesarbeitsgericht Kammer 5 in Frankfurt am Main auf die mündliche Anhörung vom 05. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter am LAG Prieger als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Schmidt und Meil als Beisitzer

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 25.7.2000 - Az. 5 BV 718/99 - hinsichtlich seiner Ziffer 1) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, die Mitarbeiterbefragung "Organizational Culture Survey" ohne vorherige Zustimmung des Beteiligten zu 1) oder Ersetzung dieser Zustimmung durch die Einigungsstelle zu unterlassen.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Arbeitgeberin die Unterlassung einer elektronischen Befragung ihrer Mitarbeiter i. S. von § 94 Abs. 1 BetrVG, die zentral von ihrer Konzernmutter aus den USA veranlasst und gesteuert wird, aufgegeben werden kann.

Wegen des unstreitigen Sachverhaltes und des Vertrags der Beteiligten im ersten Rechtszug wird auf die Gründe zu 1. des Beschlusses des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 25. Juli 2000 - 5 BV 718/99 - (Bl. 79 bis 83 d. A.) Bezug genommen (§ 543 ZPO in entsprechender Anwendung; BAG AP Nr. 2 zu § 92 ArbGG 1979).

Mit diesem Beschluss hat das Arbeitsgericht der Arbeitgeberin aufgegeben, die Mitarbeiterbefragung "Organizational Culture Survey" ohne vorherige Genehmigung des Gesamtbetriebsrates zu unterlassen und für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 20,000,00 DM angedroht. Das weitergehende Begehren des Gesamtbetriebsrates auf Information hat das Arbeitsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat es festgestellt, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Fragenkatalog um Personalfragebögen i. S. des § 94 Abs. 1 BetrVG handele, deren Verwendung im Unternehmen dem Mitbestimmungsrecht des Gesamtbetriebsrates unterliege. Mit der Durchführung der Fragebogenaktion im September/Oktober 1999 trotz verweigerter Zustimmung seitens des Gesamtbetriebsrates habe die Arbeitgeberin eine grobe Pflichtverletzung i. S. des § 23 Abs. 3 BetrVG begangen. Dieser Verstoß sei der Arbeitgeberin auch zuzurechnen, obwohl die Fragebogenaktion durch die amerikanische Konzernmutter mit Sitz in Ohio durchgeführt worden sei. Für die von der Arbeitgeberin unterhaltenen Betriebe in der Bundesrepublik Deutschland gelte das Betriebsverfassungsgesetz, für dessen Einhaltung nur sie und nicht die amerikanische Konzernmutter in Anspruch genommen werden könne. Wegen des vollständigen Inhalts der Begründung des Beschlusses wird ergänzend auf seine S. 6 bis 8 (Bl. 83 bis 85 d. A.) ergänzend Bezug genommen.

Gegen diesen der Arbeitgeberin am 26.10.2000 zugestellten Beschluss hat diese am Montag, dem 27.11.2000, Beschwerde eingelegt und dieses Rechtsmittel nach rechtzeitiger Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 29.01.2001 auch an diesem Tag begründet.

Sie meint, dass eine Verletzung des § 94 Abs. 1 BetrVG durch sie nicht vorliegen könne, da ihrerseits kein Tun oder Unterlassen in Bezug auf die Fragebogenaktion festzustellen sei. Sie sei weder in der Lage, die seitens der Muttergesellschaft ins konzerninterne Intranet gestellten bzw. per E-Mail verschickten Fragen in Bezug auf die deutschen Betriebe herauszufiltern noch könne sie die Entscheidungen der amerikanischen Muttergesellschaft dahingehend beeinflussen, dass die entsprechende Fragebogenaktion unterbleibe. Angesichts dieser tatsächlichen und rechtlichen Unmöglichkeit könne von ihr gem. § 94 Abs. 1 BetrVG nur verlangt werden, dass sie mit ihren Möglichkeiten auf die ausländische Konzernspitze einwirke und die Mitarbeiter darüber informiere, dass die Teilnahme an der Fragebogenaktion freiwillig ist. Dies sei geschehen. Zwar gelte das Betriebsverfassungsgesetz für alle innerhalb der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Betriebe. Seine Nichtanwendbarkeit auf die ausländische Konzernmutter dürfe jedoch nicht dazu führen, dass "ersatzweise" auf sie als deutsche Tochtergesellschaft zugegriffen werde. Eine entsprechende Zurechnungsnorm sei mit den §§ 278 bzw. 831 BGB nicht gegeben. Sie beantragt:

Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 25.07.2000 (5 BV 718/99) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Anträge zu 1) und 2) werden zurückgewiesen.

Der Gesamtbetriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen;

hilfsweise,

der Arbeitgeberin aufzugeben, den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Anweisung zu erteilen, die Mitarbeiterbefragung "Organizational Culture Survey" nicht zu beantworten, wenn diese Umfrage nicht zuvor durch den Gesamtbetriebsrat oder einer Einigungsstelle zugelassen wurde.

Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss und behauptet, dass die mit der Fragebogenaktion erhobenen Daten entschlüsselt und den einzelnen Mitarbeitern bzw. Vorgesetzten zugeordnet werden könnten (Beweis: Sachverständigengutachten). Auch sei es - wie die Arbeitgeberin selbst im ersten Rechtszug eingeräumt habe - technisch möglich, die vom Gesamtbetriebsrat vertretenen deutschen Betriebe aus der Befragung herauszunehmen (Beweis: Sachverständigengutachten). Das Abhängigkeitsverhältnis der Arbeitgeberin von der amerikanischen Konzernspitze ändere nichts an ihrer Verantwortlichkeit für die Einhaltung deutscher Gesetze. Der Hinweis auf die Zurechnungsnormen der §§ 278 bzw. 831 BGB gehe fehl, da der Unterlassungsanspruch gem. § 23 Abs. 3 BetrVG kein Verschulden voraussetze.

Wegen des vollständigen Vorbringens der Beteiligten im Beschwerderechtszug wird ergänzend auf die gesamte Beschwerdebegründung (Bl. 120 bis 129 d. A.) sowie auf die Beschwerdebeantwortung (Bl. 134 bis 138 d. A.) Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist im Wesentlichen unbegründet. Mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht den Anspruch des Gesamtbetriebsrates auf Unterlassung der Mitarbeiterbefragung "Organizational Culture Survey" ohne vorherige Zustimmung des Gesamtbetriebsrates festgestellt (§ 23 Abs. 3 i. V. m. § 94 Abs. 1 BetrVG).

Einzuschränken ist der Tenor entsprechend der gesetzlichen Regelung des § 94 Abs. 1 S. 2 BetrVG lediglich dahin, dass als weitere Ausnahme von der Unterlassungsverpflichtung auch die Zustimmung der Einigungsstelle gilt.

Das Beschwerdegericht folgt den Ausführungen des Arbeitsgerichts - mit Ausnahme der Hinweise auf die "faktischen Gesichtspunkte" auf Seite 7/8 der Gründe zu 2. - und macht sie sich zu Eigen (§ 543 Abs. 1 ZPO in entsprechender Anwendung).

Im Hinblick auf den Vortrag der Arbeitgeberin in der Beschwerde ist Folgendes zu ergänzen:

1.)

Der streitgegenständliche Unterlassungsanspruch scheitert nicht daran, dass die Arbeitgeberin im Zusammenhang mit der Befragung nichts tut, was sie unterlassen könnte, weil sie selbst über das konzerninterne Kommunikationssystem keine Fragebögen verschickt. Diese Sichtweise der Arbeitgeberin greift zu kurz.

Sie betreibt im Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ein Unternehmen und hat hierzu Arbeitsplätze eingerichtet, die sie mit PCs ausgestattet hat. Über diese EDV-Ausrüstung sind die von der Arbeitgeberin dort beschäftigten Arbeitnehmer an das konzerninterne Intranet angeschlossen und per E-Mail erreichbar. Damit hat die Arbeitgeberin ihre Arbeitnehmer für die Übermittlung von elektronischen Daten zugänglich gemacht. Sie trägt als Unternehmerin die Verantwortung dafür, dass die von ihr beschäftigten Arbeitnehmer über die von ihr erworbene und unterhaltene EDV-Ausrüstung elektronisch ansprechbar sind.

Es geht also durchaus auf ein Verhalten der Arbeitgeberin zurück, wenn ihre Arbeitnehmer auf dem geschilderten Wege den streitgegenständlichen periodischen Fragebogenaktionen ausgesetzt sind, auch wenn die Fragestellungen nicht von ihr veranlasst und gesteuert werden.

2.)

Es trifft nicht zu, dass der Arbeitgeberin mit der tenorierten Untersagung etwas rechtlich und tatsächlich Unmögliches aufgegeben wird.

Wenn die Arbeitgeberin behauptet, sie habe keine Entscheidungskompetenz darüber, wer welche Inhalte in das konzerninterne Intranet stellt bzw., wer welche E-Mails verschickt, so mag dies für sich genommen zutreffen. Soweit sie weiterhin behauptet, es sei ihr auch nicht möglich, mitbestimmungsrelevante Informationen aus dem Intranet bzw. entsprechenden E-Mails in Bezug auf ihre Betriebe "herauszufiltern", so widerspricht dies zunächst ihrem Vortrag aus dem ersten Rechtszug. Auf S. 6 letzter Absatz ihres Schriftsatzes vom 30.03.2000 (Bl. 69 d. A.) hatte sie noch ausgeführt, dass es aufgrund einer datentechnischen Änderung "für künftige OCS-Aktionen jetzt möglich" sei, "die Mitarbeiter in den Werken herauszufiltern".

Selbst wenn dies nicht mehr gelten sollte, steht keineswegs fest, dass der Arbeitgeberin mit der tenorierten Unterlassungspflicht ein ihr unmögliches Verhalten aufgegeben würde. Die Unterlassungspflicht trifft sie nur, solange nicht der Gesamtbetriebsrat oder die Einigungsstelle der Fragebogenaktion zugestimmt haben. Es bleibt der Arbeitgeberin also vorbehalten, eine Verständigung mit dem Gesamtbetriebsrat zu suchen und für den Fall des Scheiterns die Einigungsstelle anzurufen, deren Entscheidung abzuwarten wäre. Es trifft wohl zu, dass die Arbeitgeberin nicht die Position hat, der amerikanischen Konzernspitze eine Weisung zur Unterlassung der Fragebogenaktion zu erteilen. Vielmehr trifft es zu, dass sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zur amerikanischen Muttergesellschaft steht, wie es auf S. 7 der Beschwerdebegründung (Bl. 126 d. A.) heißt. Die Arbeitgeberin steht aber auch in einem Abhängigkeitsverhältnis zur deutschen Rechtsordnung. Unter Hinweis auf diesen Umstand wird sie von der Konzernspitze den Inhalt der beabsichtigten Fragestellung für die nächste Fragebogensequenz zu ermitteln haben und erforderlichenfalls in der Einigungsstelle zur Abstimmung bringen. Die Einigungsstelle hat ihre Entscheidung unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebes und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen zu treffen (§ 76 Abs. 5 S. 3 BetrVG). Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die deutschen Betriebe Teile eines weltweit tätigen Konzerns sind. Die Einigungsstelle wird die sich aus der konzernbezogenen Geltung der Fragebogenaktion ergebenden Implikationen zu berücksichtigen haben (vgl. Fischer, BB 2000, S. 562 ff., 564). Dabei wird sie gegebenenfalls auch feststellen müssen, ob ein "Herausfiltern der deutschen Mitarbeiter aus der Fragebogenaktion technisch möglich ist oder nicht".

Für das hier zu entscheidende Beschlussverfahren jedenfalls kann festgestellt werden, dass der Arbeitgeberin mit der tenorierten Unterlassungspflicht nicht definitiv etwas Unmögliches aufgegeben wird.

3.)

Mit der festgestellten Unterlassungsverpflichtung wird die Arbeitgeberin nicht in eine "Ersatzhaftung" für die amerikanische Mutter genommen. Ebensowenig müssen die §§ 278, 831 BGB als Zurechnungsnormen bemüht werden.

Zutreffend weist der Gesamtbetriebsrat insoweit darauf hin, dass der Unterlassungsanspruch gem. § 23 Abs. 3 BetrVG kein Verschulden voraussetzt.

Es ist anerkannt, dass die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes für die in seinem Geltungsbereich verwirklichten Tatbestände anzuwenden sind, auch wenn über die Auslösung dieser Tatbestände im Ausland entschieden wird (BAG, Beschl. v. 09.02.1993 - 1 ABR 33/92 - NZA 1993, S. 906 ff, 909). Es wird der Arbeitgeberin nicht mehr zugemutet, als sich an die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu halten, die dort gelten, wo sie sich entschieden hat, unternehmerisch tätig zu werden. Durch die Geltungsbeschränkung des Betriebsverfassungsgesetzes auf das Inland ist gewährleistet, dass nur die im Unternehmen der Arbeitgeberin im Inland beschäftigten Arbeitnehmer geschützt werden können, aber auch geschützt werden sollen. Dies bedeutet umgekehrt, dass die Schutzfunktion des Gesetzes nicht daran scheitern kann und darf, dass die Unternehmensleitung vom Ausland aus erfolgt (BAG, Beschl. v. 01.10.1974 - 1 ABR 77/73 -DB 1975, S. 453 f.).

Die Entscheidung ergeht kostenfrei (§ 12 Abs. 5 ArbGG).

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht ersichtlich (§ 92 Abs. 1 i. V. m. § 72 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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