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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 25.04.2005
Aktenzeichen: 7 Sa 1416/04
Rechtsgebiete: BGB, San-TV


Vorschriften:

BGB § 133
San-TV
Nach der fehlgeschlagenen Sanierung der P. AG haben die Arbeitnehmer aus dem Sanierungstarifvertrag keinen Anspruch auf Vergütung der geleisteten "Sanierungsstunden", da in § 3 San-TV das Erreichen eines Jahresüberschusses als Voraussetzung für den Ausgleich des "Sanierungsarbeitszeitkontos" festgelegt worden war.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 03. Juni 2004 - 3 Ca 12376/03 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Feststellung einer Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle.

Der Kläger war seit dem 03. Februar 1967 bei der Insolvenzschuldnerin, der P. AG beschäftigt.

Zur Abwendung der damals bereits drohenden Insolvenz schlossen die Insolvenzschuldnerin und die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt am 10. April 2000 einen "Tarifvertrag aus Anlass der Sanierung des P.-Konzerns", im Folgenden Sanierungs-TV (SanTV) genannt. Darin wurden die Arbeitnehmer verpflichtet, über die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit hinaus zusätzliche fünf wöchentliche Arbeitsstunden, die so genannten Sanierungsstunden, zu erbringen, die zunächst nicht vergütet, sondern einem so genannten Sanierungsarbeitszeitkonto gutgeschrieben werden sollten.

Der Ausgleich dieses Sanierungsarbeitszeitkontos wurde in § 3 geregelt. Er sollte "vom 01. Januar 2002 an durch Gewährung von bezahlten arbeitsfreien Tagen oder Stunden ausgeglichen werden, wenn der Jahresabschluss der P. Aktiengesellschaft für das vorausgegangene Geschäftsjahr ohne Berücksichtigung der möglichen Aufwendungen für Ausgleichsverpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmern aus den Sanierungsarbeitszeitkonten (hypothetischer Jahresabschluss) einen Überschuss (hypothetischer Jahresüberschuss) ausweist".

Wegen des Inhalts des Sanierungs-TV im Übrigen wird auf Bl. 13 - 18 d.A. verwiesen.

Am 01. Juni 2002 wurde über das Vermögen der P. AG das Insolvenzverfahren eröffnet, der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt (Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main Bl. 4 d.A.).

Der Kläger fordert vom Beklagten die Vergütung der Sanierungsstunden und hat die entsprechende Forderung mit Schreiben vom 28. Juni 2002 (Bl. 5 d.A.) zur Insolvenztabelle angemeldet. Der Beklagte hat die Forderung im Prüfungstermin am 13. November 2003 bestritten (Bl. 6 d.A.).

Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhalts im Übrigen, des Vorbringens der Parteien und ihrer Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 47 - 51 d.A.) verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Gegen dieses Urteil vom 03. Juni 2004, auf dessen Inhalt zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung des Klägers.

Der Kläger ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe den Sanierungs-TV falsch ausgelegt. Aus der Gesamtschau des Tarifvertrags ergebe sich, dass den Arbeitnehmern auf jeden Fall für die geleistete Sanierungsarbeitszeit ein Vergütungsanspruch zustehen solle. Dies folge insbesondere aus § 2 Abs. 1 und 7 SanTV. Danach sei jede Sanierungsstunde als Mehrarbeitsstunde zu bewerten und mindestens mit dem Mindestlohn zu vergüten. Die Voraussetzungen des Verfalls der entsprechenden Vergütungsforderung seien ausschließlich in § 3 Abs. 4 SanTV geregelt, die hier aber nicht vorlägen. Hätten die Tarifvertragsparteien gewollt, dass die Sanierungsstunden unter bestimmten Voraussetzungen überhaupt nicht vergütet werden sollen, dann hätten sie dies auch ausdrücklich vereinbart. Da dies aber nicht geschehen ist, könne von einem Verfall nicht ausgegangen werden.

Dagegen spräche auch nicht § 3 SanTV, der nur den Ausgleich des Sanierungsarbeitszeitkontos ab dem 01. Januar 2002 regele. Darin sei gerade nicht geregelt, dass den Arbeitnehmern bei Verfehlung der Umsatzziele kein Anspruch zustehe.

Schließlich rügt der Kläger, dass das Arbeitsgericht seinem Beweisangebot nicht nachgegangen sei. Die Arbeitnehmer hätten von der IG BAU die Auskunft erhalten, jede geleistete Mehrarbeitsstunde werde vergütet. Ohne diese Zusage hätten sie die Sanierungsarbeitszeit nicht geleistet.

Der Kläger beantragt

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 03. Juni 2004 - Az. 3 Ca 12376/03 - festzustellen, dass dem Kläger in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. AG, eine Forderung in Höhe von 4.232,87 € zusteht.

Der Beklagte beantragt

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags.

Entscheidungsgründe:

Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers ist zulässig.

Die Berufung ist jedoch in der Sache unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Das Berufungsgericht schließt sich dem angefochtenen Urteil im Ergebnis und in der Begründung an (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Der Inhalt der Berufungsbegründung gibt Anlass zu folgenden Ergänzungen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Wortlaut zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 31.07.2002 - 10 AZR 578/01 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Wohnungswirtschaft Nr. 3 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 167 mwN).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Arbeitsgericht den Sanierungs-TV nicht falsch ausgelegt.

Insbesondere ergibt die gebotene systematische Auslegung des Sanierungs-TV keinen unbedingten Zahlungsanspruch hinsichtlich der geleisteten Sanierungsstunden. Während § 2 SanTV unter der Überschrift "Sanierungsarbeitszeitkonto" die Regelungen enthält, nach denen die Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin zur Ableistung von zusätzlichen Arbeitsstunden, eben den Sanierungsstunden verpflichtet waren und wie sowie in welchem Umfang diese einem Sanierungsarbeitszeitkonto gutgeschrieben werden sollten, regelt allein § 3 SanTV den Ausgleich dieses Kontos.

Daraus folgt, dass § 2 Abs. 7 SanTV eine Aussage dahin gehend enthält, dass dem Arbeitnehmer für die geleisteten Stunden unabhängig von evtl. bestehenden individualvertraglichen Ansprüchen jedenfalls der Mindestlohn nach dem TVMindestlohn auf dem Sanierungsarbeitszeitkonto gutgeschrieben wird.

Demgegenüber regelt § 3 SanTV das gesamte Verfahren einschließlich der dafür erforderlichen Voraussetzungen eines Ausgleichs dieses Kontos. Und dieser Ausgleich sollte nur erfolgen "wenn der Jahresabschluss ... einen Überschuss ausweist". Dieser Konditionalsatz definiert in unmissverständlicher Weise die Bedingung, unter der allein ein Ausgleich des Sanierungsarbeitszeitkontos erfolgen sollte und die trotz der Anstrengungen der Beteiligten nicht eingetreten ist. Zu Recht weist das Arbeitsgericht auch darauf hin, dass ein Ausgleich in Geld nach § 3 Abs. 2 SanTV ebenfalls nur unter dieser Voraussetzung und nur dann erfolgen sollte, wenn die Gewährung arbeitsfreier Tage nicht möglich ist.

Die Argumentation des Klägers verfängt demgegenüber nicht. Insbesondere enthält § 3 Abs. 4 SanTV keine abschließende Verfallklausel, die andere Arten des Verfalls von Ansprüchen ausschließt. Vielmehr regelt diese Vorschrift ausschließlich den Sonderfall, dass der hypothetische Jahresüberschuss des Jahres 2006 nicht ausreicht, um die gutgeschriebenen Stunden zu vergüten. Auch diese Vorschrift zeigt im Übrigen, dass die Tarifvertragsparteien stets das Bestehen eines Überschusses im Sinne des § 3 Abs. 1 SanTV als Voraussetzung des Kontoausgleichs vorausgesetzt haben. Denn zum Ausgleich der geleisteten Sanierungsarbeitszeit sollten ausschließlich die in § 3 Abs. 1 SanTV aufgeführten Anteile des hypothetischen Jahresüberschusses der jeweiligen Kalenderjahre herangezogen werden. Daraus folgt umgekehrt, dass im Falle eines fehlenden Jahresüberschusses kein Ausgleich erfolgen sollte.

Darüber hinaus hat das Arbeitsgericht auch die Risikolage, wie sie sich zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sanierungs-TV darstellte, zutreffend gewürdigt. Das Ausbleiben eines für den Kontoausgleich nutzbaren Jahresüberschusses war eine von den Tarifvertragsparteien zwar nicht erwünschte, aber doch in der damaligen Situation ernsthaft in Betracht gezogene Möglichkeit. Ansonsten wäre diese Bedingung für den Ausgleich des Arbeitszeitkontos in § 3 Abs. 1 SanTV nicht so definiert worden. Dieses Risiko war somit gerade Geschäftsgrundlage des Tarifvertrags. Sein Eintritt kann deshalb nicht zu einer Vertragsanpassung unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage führen.

Schließlich bestand auch keine Veranlassung, über Behauptungen des Klägers Beweis zu erheben. Denn ein Tarifvertrag ist nach dem in seinem Wortlaut zum Ausdruck kommenden Willen der Parteien auszulegen (BAG a.a.O.). Auf etwaige Auskünfte, die die betroffenen Arbeitnehmer von Vertretern der tarifschließenden Gewerkschaft bekommen haben, kann es dabei nicht ankommen, denn die tarifliche Regelung ist - wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat - hinsichtlich der Ausgleichsmodalitäten eindeutig und abschließend.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO

Für die Zulassung des Rechtsmittels der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG bestand keine gesetzlich begründbare Veranlassung.



Ende der Entscheidung

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