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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 13.09.2006
Aktenzeichen: 8 Sa 167/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 623
Die Geltendmachung des Fortbestandes eines Arbeitsverhältnisses durch einen Arbeitnehmer, der wegen eines Unfalls über 4 Jahre die geschuldete Arbeit nicht ausführen konnte ist nach dieser Zeit nicht verwirkt, wenn der Arbeitgeber nicht darlegt, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ihm nach Treu und Glauben nicht zumutbar ist.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts in Kassel vom 09. Januar 2006 - 2 Ca 118/05 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass der Kläger zur Beklagten in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen noch ein Arbeitsverhältnis besteht.

Die Beklagte betreibt ein Bauunternehmen mit ca. 50 Beschäftigten. Der 1960 geborene, verheiratete Kläger war seit Mai 1985 als Maurer bei der Beklagten beschäftigt. Im September 1999 hatte der Kläger auf einer Baustelle in X durch einen Sturz von einem Gerüst einen schweren Arbeitsunfall. In den Jahren 2000 und 2001 versuchte der Kläger erfolglos bei der Beklagten seine Arbeit auszuführen. Im November 2000 kam die Bauberufsgenossenschaft zu dem Ergebnis, dass der Kläger die Tätigkeit eines Maurers nicht mehr wettbewerbsfähig ausüben könne.

Im Februar 2001 stellte die Beklagte dem Kläger auf dessen Wunsch ein Zeugnis aus, wonach er bis zu diesem Zeitpunkt in ihrem Unternehmen als Maurer tätig gewesen sei (Anlage 2 zur Klageschrift, Bl. 19 d.A.). Das zweite Halbjahr 2002 war der Kläger im Rahmen einer Teilzeitqualifizierungsmaßnahme bei einer Beschäftigungsgesellschaft teilzeitbeschäftigt. Vom 01. April 2003 bis 31. März 2004 stand der Kläger als Gemeindearbeiter im Rahmen einer Strukturanpassungsmaßnahme befristet in den Diensten einer Gemeinde.

Der Kläger hatte ein sozialgerichtliches Verfahren auf Anerkennung einer Verletztenrente gegen die Bauberufsgenossenschaft eingeleitet. Auf Bitten des Klägers erstellte die Beklagte unter dem 18. Februar 2004 eine Beurteilung des Arbeitsverhältnisses, in der sie u.a. angab, sie habe den Kläger durch den Arbeitsunfall vom 17. September 1999 als Mitarbeiter verloren (Anlage 5 zur Klageschrift, Bl. 26 d.A.). Das Sozialgericht wies die Klage im Februar 2004 ab, die Berufung des Klägers wies das Landessozialgericht im April 2005 zurück.

Schriftlich verlangte der Kläger unter dem 27. April 2005 von der Beklagten wieder beschäftigt zu werden und bot seine Arbeitskraft an (Anlage zur Berufungsbegründung vom 04. April 2006, Bl. 85 d.A.).

Nach Vermittlung der Gewerkschaft des Klägers schloss der Kläger mit einem Berufsförderungswerk als Bildungsträger und der Beklagten als Praktikumsbetrieb einen Praktikumsvertrag über ein 3-wöchiges Praktikum in der Zeit vom 17. Mai 2005 bis 09. Juni 2005 (Anlage 7 zur Klageerwiderung vom 11. August 2005, Bl. 29 f. d.A.). In einer Beurteilung wurden dem Kläger in jeder Hinsicht mindestens befriedigende Leistungen bestätigt.

Mit seiner Klage macht der Kläger geltend, dass sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten fortbestehe. Er könne vollzeitig seine Tätigkeit als Maurer ausüben, wie sich auch durch das 3-wöchige Praktikum bei der Beklagten herausgestellt habe. Die Beklagte könne sich auch nicht auf Verwirkung berufen. Er habe nur so lange seine Beschäftigung als Maurer nicht gefordert, wie seine Leistungsfähigkeit tatsächlich eingeschränkt war. Er sei gegenüber dem Arbeitsamt verpflichtet gewesen Beschäftigungen anzunehmen. Das Praktikum sei von der Agentur für Arbeit veranlasst worden. Damit habe festgestellt werden sollen, ob er seine Arbeit als Maurer wieder aufnehmen könne.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass er zu der Beklagten in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe mehrfach zu verstehen gegeben, dass er am Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht festhalte und davon ausgehe, dass es beendet sei. Das ergebe sich aus dem Verlangen nach einem Zeugnis und einer Bescheinigung für das sozialgerichtliche Verfahren sowie der Aufnahme von befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Der Kläger habe auch bis Anfang 2005 zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt, dass er wieder als Maurer arbeiten könne. Auch anlässlich des Praktikums habe der Kläger nicht geltend gemacht, dass er noch von einem Bestehen des Arbeitsverhältnisses ausgehe. Der Kläger habe einen Anspruch, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen, verwirkt. Sein Verlangen sei aufgrund langjähriger gegensätzlicher Behauptungen rechtsmissbräuchlich.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen mit Urteil vom 14. Dezember 2005, auf das verwiesen wird.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers. Wegen der für die Zulässigkeit der Berufung erheblichen Daten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 13. September 2006 verwiesen.

Der Kläger vertritt die Auffassung, er habe sein Recht, das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten geltend zu machen, nicht verwirkt. Zwischen den Parteien sei nie die Rede davon gewesen, dass der Kläger niemals zurückkehren würde. Er habe stets deutlich gemacht, dass er das laufende sozialgerichtliche Verfahren abwarten müsse. Dies habe am 11. April 2005 mit der Zurückweisung der Berufung des Klägers geendet. Aufgrund dieses Urteils habe nunmehr rechtskräftig festgestanden, dass der Kläger durchaus noch vollschichtig in seinem erlernten Beruf als Maurer arbeiten könne. Der Praktikumsvertrag sei zustande gekommen, weil der zuständige Gewerkschaftssekretär vor einer klageweisen Durchsetzung der Beschäftigung des Klägers versucht habe, die Angelegenheit gütlich zu regeln, indem eine Arbeitserprobung durchgeführt wird. Mit dem Praktikumsvertrag sei nicht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbart worden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kassel vom 09. Januar 2006 - 2 Ca 118/05 - festzustellen, dass der Kläger zu der Beklagten in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Der Kläger habe nach dem Unfall über Jahre hin zu verstehen gegeben, nicht mehr bei der Beklagten arbeiten zu können. Auf das Praktikum habe sich die Beklagte eingelassen, um dem Kläger zu helfen. Ein Praktikumsvertrag sei nicht mit einem bestehenden Arbeitsverhältnis zu vereinbaren. Soweit der Kläger seit August 2005 im Rahmen einer Prozessbeschäftigung arbeite, sei dies nicht kostendeckend.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Zwischen den Parteien besteht das 1985 begründete Arbeitsverhältnis fort.

1.

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist das Arbeitsverhältnis weder durch eine Kündigung noch durch Aufhebungsvertrag beendet worden. Den Ausspruch einer Kündigung behauptet die Beklagte nicht. Eine vertragliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist jedenfalls nicht wirksam zustande gekommen.

a) Es kann dahinstehen, ob in dem Verlangen des Klägers nach dem Zeugnis vom 07. Februar 2004 oder der widerspruchslosen Hinnahme der darin enthaltenen Aussage über sein Ausscheiden aus dem Unternehmen eine konkludente Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gesehen werden könnte. Dieser fehlte es jedenfalls an der nach § 623 BGB erforderlichen Schriftform. Eine schriftliche Erklärung des Klägers hinsichtlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fehlt hier jedenfalls. Das Schreiben der Ehefrau des Klägers vom 14.02.2004 bezieht sich lediglich auf den Sozialgerichtsprozess und bittet um eine "Stellungnahme/Arbeitnehmerprofil". Auch die darauf erfolgte "Beurteilung des Arbeitsverhältnisses" durch die Beklagte vom 18.02.2004 kann nicht als Erklärung verstanden werden, dass mit ihr das Arbeitsverhältnis vertraglich aufgelöst werden soll. Allenfalls scheint darin die Auffassung durch, dass das Arbeitsverhältnis schon beendet ist. Ein Aufhebungsvertrag kann in diesen Erklärungen jedenfalls nicht gesehen werden.

b) Der Praktikumsvertrag vom 10. Mai 2005 enthält keine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien. Er regelt lediglich, und zwar zwischen der Beklagten und dem Berufsförderungswerk als Bildungsträger, dass der Kläger, der als Praktikant den Vertrag ebenfalls unterschrieben hat, an einem Praktikum als Maurer bei der Beklagten als Praktikumsbetrieb teilnimmt. Er bezieht sich mit keinem Wort auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien. Nachdem der Kläger zuvor der Beklagten seine Arbeitskraft angeboten und seine Weiterbeschäftigung geltend gemacht und die Beklagte dies abgelehnt hatte, kann in dem Praktikumsvertrag auch nicht die konkludente Erklärung gesehen werden, dass die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien auf eine neue Basis gestellt werden sollten und das Arbeitsverhältnis aufgelöst werden soll. Es stand vor Abschluss des Praktikumsvertrags fest, dass die Parteien hinsichtlich eines Fortbestandes und eines Anspruchs auf Weiterbeschäftigung unterschiedliche Auffassungen vertraten und die Beklagte insbesondere geltend machte, dass der Kläger seine Arbeit körperlich nicht mehr ausführen könnte. Wenn die Parteien dann ein Praktikumsvertrag schließen, kann darin keine Bestätigung der Auffassung einer Seite durch die andere Seite gesehen werden, sondern allenfalls der Versuch, die zwischen den Parteien streitige Frage der körperlichen Leistungsfähigkeit des Klägers zu klären.

Jedenfalls würde eine konkludente Erklärung, sich über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses einig zu sein, nicht dem Schriftformerfordernis des § 623 BGB genügen.

2.

Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Arbeitsgerichts hat der Kläger auch nicht das Recht verwirkt, den Bestand seines Arbeitsverhältnisses geltend zu machen. Ein Recht kann verwirkt werden, wenn der Rechtsträger das Recht längere Zeit nicht ausgeübt hat, der Gegner darauf vertraut hat, er werde nicht mehr in Anspruch genommen und ihm die Erfüllung unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben auch nicht mehr zuzumuten ist (BAG vom 20.05.1988, AP Nr. 5 zu § 242 BGB Prozessverwirkung; vom 11.12.1996, AP Nr. 35 zu § 242 BGB Unzulässige Rechtsausübung - Verwirkung; ErfK zum Arbeitsrecht, 5. Aufl., § 611 BGB Rz 593, m.w.N.). Bei der Verwirkung handelt es sich um einen Fall der unzulässigen Rechtsausübung, die aus der Unzulässigkeit des gegensätzlichen Verhaltens folgt.

a) Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass der Kläger wenigstens seit Anfang 2001 bis zum April 2005 gegenüber der Beklagten nicht mehr geltend gemacht hat, in einem Arbeitsverhältnis zu ihr zu stehen und Rechte daraus herleiten zu können. Es kann weiter davon ausgegangen werden, dass damit das für eine Verwirkung erforderliche Zeitmoment erfüllt ist. Dieses Zeitmoment indiziert allerdings nicht das sog. Umstandsmoment (vgl. BAG vom 20.05.1988, a. a. O.). Durch das Zuwarten muss weiterhin beim Gegner die Ansicht hervorgerufen worden sein, der Anspruch werde nicht mehr geltend gemacht und er muss sich darauf eingestellt haben. Das erscheint hier zumindest zweifelhaft. Wohl geht aus dem Zeugnis vom 07.02.2001 hervor, dass die Beklagte das "Ausscheiden aus unserem Unternehmen" bedauert und in ihrer Beurteilung vom 18.02. schreibt sie, dass sie im Kläger "einen hervorragenden Mitarbeiter verloren" hat. Aus dem Zusammenhang ergibt sich aber, dass die Beklagte damit zum Ausdruck bringt, dass sie rein tatsächlich davon ausgeht, dass der Kläger durch den Arbeitsunfall bedingt seine Tätigkeit nicht mehr ausüben können würde. Es ist also nicht die Untätigkeit des Klägers, die die Beklagte darauf vertrauen lässt, dass Rechte aus dem Arbeitsverhältnis nicht mehr geltend gemacht werden, sondern die Einschätzung der tatsächlichen Verhältnisse hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit des Klägers. Die Beklagte mag zwar durch die Klage des Klägers vor dem Sozialgericht auf Verletztenrente in dieser Einschätzung bestärkt worden sein. Daraus, dass die Berufsgenossenschaft eine Berufsunfähigkeit des Klägers nicht anerkannte und ein Rechtsstreit anhängig blieb, konnte die Beklagte andererseits entnehmen, dass eine ständige Unfähigkeit den Beruf eines Maurers auszuüben zumindest zweifelhaft war. Auch aus den missglückten Arbeitsversuchen im Jahr 2000 und der Aufnahme anderer Tätigkeiten konnte die Beklagte nur entnehmen, dass der Kläger zu dieser Zeit nicht in der Lage war als Maurer zu arbeiten. Darauf, dass der Kläger unabhängig von seiner körperlichen Leistungsfähigkeit nicht mehr bei der Beklagten arbeiten wollte, konnte sie gerade nicht vertrauen.

b) Entscheidend fehlt es an der Voraussetzung für eine Verwirkung, dass dem Schuldner gegenwärtig die Erfüllung des Anspruchs unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben nicht mehr zuzumuten ist (vgl. dazu BAG vom 04.02.1981 - 5 AZR 979/78 - zu I. 3. d.Gr.; BAG vom 14.11.1978, AP Nr. 39 zu § 242 BGB Verwirkung). Dazu hat die Beklagte aber nichts vorgetragen. Auch die Nachfrage in der mündlichen Verhandlung hat lediglich ergeben, dass der Kläger "nicht kostendeckend" arbeite. Sie hat weder im Rahmen des Praktikums noch danach Konkretes dazu vorgetragen, wieso es ihr unzumutbar sein sollte, den Kläger zu beschäftigen. Es kann deshalb nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden, wenn der Kläger geltend macht, dass sein Arbeitsverhältnis fortbesteht.

Als unterlegene Partei hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Für die Zulassung der Revision besteht kein Grund.

Ende der Entscheidung

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