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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 30.11.2005
Aktenzeichen: 8 Sa 898/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 611
Die Leiterin eines Fachgeschäfts für Erotikartikel, die nicht verpflichtet ist, selbst die Dienste zu erbringen und Hilfskräfte einsetzen kann und einsetzt, ist keine Arbeitnehmerin, auch wenn sie ansonsten keinen unternehmerischen Spielraum hinsichtlich des Geschäftsbetriebs hat (im Anschluss an Hess. LAG v. 26.01.2005 - 2 Sa 1241/04).
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts in Gießen vom 01.03.2005 - 5 Ca 505/04 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im Rahmen einer Kündigungsschutzklage darüber, ob die Klägerin Arbeitnehmerin der Beklagten war, als sie deren Ladengeschäft in X führte.

Die Beklagte betreibt einen Fachhandel für Erotikartikel, die sie in mehr als 130 Ladengeschäften vertreibt.

Aufgrund eines schriftlichen "Handelsvertretervertrages" vom 24. Februar 2004 mit der Beklagten, führte die Klägerin für die Beklagte auf deren Rechnung eines von deren Fachgeschäften in X. Nach diesem Vertrag macht die Beklagte eine Reihe von Vorgaben hinsichtlich der typischen Verkaufsartikel, des typischen Betriebsablaufs sowie Werbung und Präsentation. Die Miete der Geschäftsräume sollte die Beklagte tragen, die verschiedenen Nebenkosten die Klägerin. Als Vergütung für den Betrieb des Fachgeschäfts war eine Bruttoumsatzprovision einschließlich Mehrwertsteuer von 13,5% vorgesehen.

Nach § 3 des Vertrages bestand ausdrücklich keine Verpflichtung, im Geschäft selbst anwesend zu sein, sondern dem Handelsvertreter sollte frei stehen, von ihm beauftragte Mitarbeiter einzusetzen. In § 9 des Vertrages ist geregelt, dass der Handelsvertreter die Verpflichtung aus dem Vertragsverhältnis nicht höchstpersönlich erfüllen muss und er seine Anwesenheit und Arbeitszeit grundsätzlich frei bestimmen und er mit den von ihm vorzuhaltenden Personal Arbeitsverträge, die ihn als Arbeitgeber ausweisen und die ihn allein berechtigen und verpflichten, abschließen kann. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vertrages wird auf dessen Kopie verwiesen (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 25. Januar 2005 - Bl. 69 - 76 d.A.).

Die Klägerin stellte in den Monaten Juni bis November 2004 Provisionen zwischen € 4.112,00 und € 4.857,00 netto (ohne MWSt.) monatlich in Rechnung. Nach Abzug einer Kautionszahlung von € 750,00 monatlich, die zugunsten der Klägerin auf einem Sparbuch angelegt wurden, und Abzug von Nebenkosten von knapp € 400,00 monatlich, erhielt die Klägerin in diesem Zeitraum durchschnittlich € 4.171,20 monatlich ausgezahlt. In den Monaten März bis Mai lagen die Auszahlungen zwischen € 3.116,00 und € 3.645,00 monatlich.

Die Klägerin beschäftigte seit 19. April 2004 bis 30. November 2004 eine Mitarbeiterin, und zwar bis 31. Juli 2004 mit 18 Wochenstunden und danach mit 27 Wochenstunden bei einer Vergütung von zunächst € 400,00, sodann € 660,00. Die Kosten dafür betrugen einschließlich Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung insgesamt € 5.163,96.

Die Beklagte hat das Vertragsverhältnis Ende Oktober 2004 zum 30. November 2004 gekündigt. Gegen diese Kündigung wendet sich die Klägerin mit ihrer Kündigungsschutzklage. Sie trägt vor, dass sie Arbeitnehmerin der Beklagten gewesen sei. Ihre persönliche Abhängigkeit ergebe sich aus der Art der Vertragsdurchführung. Sie sei tatsächlich nicht selbständig sondern von der Beklagten persönlich abhängig gewesen. Sie sei wie eine angestellte Filialleiterin beschäftigt worden und habe keinen unternehmerischen Freiraum gehabt. Sowohl die Ausstattung des Ladens, das Präsentationsmaterial und das Sortiment wie auch die Preise der Waren, die Werbung und die Schaufensterdekoration seien von der Beklagten vorgegeben, in deren Namen und Rechnung der Verkauf erfolge. Auch die Ladenöffnungszeiten von 62 Wochenstunden seien durch die Beklagte vorgegeben. Wirtschaftlich sei es zwingend gewesen, dass die Klägerin selbst den Laden führt und dort arbeitet.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nur die Kündigung der Beklagten vom 25./26. Oktober 2004 nicht zum 30. November 2004 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, die Klägerin sei nicht Arbeitnehmerin sondern selbständige Handelsvertreterin gewesen. Sie habe insbesondere die vertraglichen Leistungen durch Dritte erbringen lassen können und selbst eine Arbeitnehmerin angestellt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen mit Urteil vom 01. März 2005, auf das insbesondere zur näheren Darstellung des Sachverhalts verwiesen wird.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Wegen der für die Zulässigkeit der Berufung erheblichen Daten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 30.11.2005 verwiesen.

Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie vertritt die Auffassung, die Zulässigkeit zur Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtung selbst Arbeitnehmer zu beschäftigen spreche nicht dagegen, dass die Klägerin selbst Arbeitnehmerin ist. Dies könne nur dann der Fall sein, wenn die Beschäftigung von Drittpersonal eine wirtschaftlich vorteilhafte Alternative darstelle. Dies sei bereits dann nicht der Fall, wenn das Ladengeschäft bei der vollständigen Führung durch angestelltes Personal nur mit Verlust zu betreiben wäre. Das gelte auch dann, wenn die nur teilweise Beschäftigung angestellten Personals bei vorgegebenen Ladenöffnungszeiten die wirtschaftliche Situation der Filialleiterin verschlechtere. Die Klägerin selbst habe die vorgeschriebene 62-stündige wöchentliche Ladenöffnungszeit überhaupt nicht selbst abdecken können. Zu diesen Ladenöffnungszeiten seien noch die Vorbereitungszeiten und Nachbereitungszeiten sowie anfallende Verwaltungsarbeiten hinzuzurechnen. Bei einer vollständigen Führung des Ladens durch Drittpersonal hätten die monatlichen Gesamtpersonalkosten die Nettoprovisionseinnahmen abzüglich Sachkosten überstiegen. Auch bei teilweisem Einsatz von Drittpersonal hätte sich die wirtschaftliche Situation gegenüber einer Abdeckung der Ladenöffnungszeiten durch die eigene Person verschlechtert.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 01. März 2005 - 5 Ca 505/04 - abzuändern und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 25./26. Oktober 2004 nicht zum 30.11.2004 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und tritt der Rechtsauffassung der Klägerin sowie ihren Ausführungen zur Wirtschaftlichkeit des Einsatzes von Arbeitnehmern entgegen.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Berufungsgericht folgt den zutreffenden Gründen des Arbeitsgerichts. Weiter wird Bezug genommen auf das den Prozessbevollmächtigten der Parteien bekannte Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 26. Januar 2005 (2 Sa 1241/04) in einem gleich gelagerten Verfahren gegen die Beklagte. Auf die in der Berufung vorgebrachte Argumentation ist festzuhalten:

Die Klägerin will sich für ihre Auffassung insbesondere auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14.12.2002 (5 AZR 667/01 - NZA 2003, S. 1112) stützen. In diesem Urteil hat das Bundesarbeitsgericht jedoch nochmals bekräftigt, dass die Möglichkeit der Leistungserbringung durch Dritte ein wesentliches Merkmal selbständigen Tätigwerdens ist, das mit dem Status eines Arbeitnehmers grundsätzlich nicht zu vereinbaren ist. Es hat hervorgehoben, dass es regelmäßig gegen ein Arbeitsverhältnis spricht, wenn der zur Dienstleistung Verpflichtete nach den tatsächlichen Umständen nicht in der Lage ist, seine Leistungspflichten allein zu erfüllen, sondern auf Hilfskräfte angewiesen und vertraglich berechtigt ist, seine Leistung durch Dritte erbringen zu lassen. So liegt der Fall hier. Die Klägerin trägt selbst vor, dass sie angesichts einer Ladensöffnungszeit von 62 Wochenstunden, deren Notwendigkeit von vorbereitenden Tätigkeiten vor Ladenöffnung und Nachbereitungen nach Ladenschluss und zusätzlicher Verwaltungsarbeiten gar nicht in der Lage war, ohne Hilfskräfte ihre Leistungspflicht zu erbringen. Die Klägerin hat auch tatsächlich eine Hilfskraft zunächst mit 18 Wochenstunden beschäftigt und diese Beschäftigung ab August 2004 um 50% auf 27 Stunden wöchentlich erhöht. Zudem hat der Lebensgefährte der Klägerin jedenfalls in Notfällen vertretungsweise für wenige Stunden mitgeholfen. Unter diesen Umständen kann die Klägerin sich auch nicht darauf berufen, dass sie den Laden praktisch persönlich hätte führen müssen und so keine Freiheit in der Gestaltung ihrer Tätigkeit und Arbeitszeit mehr gehabt habe. Die vertragliche Bestimmung, wonach die Klägerin nicht zur persönlichen Tätigkeit verpflichtet war und ihre gestattet war Dritte einzusetzen, war damit keine nur abstrakte und unrealistische Möglichkeit. Es kam nicht nur in Betracht Dritte einzusetzen, sondern die Klägerin hat es tatsächlich getan. Das Bundesarbeitsgericht hat im angeführten Urteil keineswegs den von der Klägerin behaupteten Grundsatz aufgestellt, dass es eine wirtschaftlich sinnvolle Alternative sein müsse, die Leistung vollständig durch Dritte erbringen zu lassen oder dass sich durch den Einsatz von Personal die wirtschaftliche Situation nicht verschlechtern dürfe. Vielmehr hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung unter II. 2. ausdrücklich das Argument, die Beschäftigung von Verkaufspersonal sei unwirtschaftlich, als zu kurz greifend bezeichnet. Es hat auch nicht als Argument gegen die Selbständigkeit genügen lassen, dass aufgrund langer Ladenöffnungszeiten, der notwendigen Vorbereitungszeiten vor der Ladenöffnung sowie der geringen Einnahmen der Kläger selbst in erheblichem Maß persönliche Arbeitsleistungen zu erbringen hatte, um die anfallenden Kosten zu decken. Nur dann, wenn die Beschäftigung einer oder mehrerer ggf. geringfügig beschäftigter Angestellter mit kürzerer Arbeitszeit überhaupt nicht in Betracht gekommen wäre, hätte die praktische Durchführung des Vertrags der Selbständigkeit entgegengestanden. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin eine Aushilfsperson beschäftigt und diese Beschäftigung sogar ausgeweitet. Dass sich dadurch ihre Einnahmen vermindert haben ist zwangsläufig und für die Frage der Selbständigkeit unerheblich. Es ist banal, dass Kosten den Überschuss bei einer wirtschaftlichen Betätigung verringern.

Selbst wenn man die Beschäftigung von Aushilfspersonal darauf überprüfen wollte, ob sie wirtschaftlich sinnvoll ist, könnte dies der Klägerin nicht helfen: Sie hat monatlich zwischen mindestens gut € 3.000,00 und über € 4.500,00 Provisionseinnahmen ohne MWSt. erzielt, von denen nach ihren Berechnungen lediglich etwa € 400,00 von ihr zu tragende Nebenkosten abgingen. Bei diesen Einnahmen wäre auch die Beschäftigung von 2 Aushilfskräften zu € 600,00 monatlich durchaus realistisch. Soweit die Klägerin Einnahmen von € 1.868,00 monatlich nach Kosten, d.h. auch nach Kosten für Aushilfslöhne, errechnet, ist diese Einnahmen-/Ausgaben-Überschussrechnung (Anlage K 21 zum Schriftsatz vom 25. Januar 2005) weitgehend nicht nachzuvollziehen. So sind bei den Einnahmen offensichtlich nur die Einnahmen nach Abzug von Nebenkosten und Kaution berücksichtigt, andererseits tauchen bei den Ausgaben die Positionen Miete, Umlagen und Telefon auf. Die Position Fahrtkosten entbehrt jeder Erläuterung und die Vorsteuer ist als Ausgaben gebucht. Selbst nach dieser Berechnung verbleiben der Klägerin nach Bezahlung einer Aushilfskraft noch über € 1.800,00 monatlich. Selbst bei diesem Betrag hat es die Klägerin in der Hand, durch weitere Beschäftigung von Aushilfskräften noch gewinnbringend tätig zu bleiben oder ihre Arbeitskraft insoweit anderweitig einzusetzen.

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen, da sie erfolglos blieb.

Für die Zulassung der Revision besteht kein Grund.

Ende der Entscheidung

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