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Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 03.03.2005
Aktenzeichen: 9 SaGa 2286/04
Rechtsgebiete: BetrVG, BGB, ArbGG, ZPO


Vorschriften:

BetrVG § 37 Abs. 2
BetrVG § 2 Abs. 1
BGB § 626
ArbGG § 8 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 66 Abs. 1
ZPO § 511
ZPO § 517
ZPO § 519
ZPO § 520
ZPO § 936
ZPO § 929 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes ! Urteil

Aktenzeichen: 9 SaGa 2286/04

Verkündet laut Protokoll am 03. März 2005

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 9, in Frankfurt am Main auf die mündliche Verhandlung vom 27.01.2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht

als Vorsitzenden und den ehrenamtlicher Richter und den ehrenamtlicher Richter als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 3. Dezember 2004 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren um die Weiterbeschäftigung des Verfügungsklägers.

Die Verfügungsbeklagte unterhält einen Rettungsdienst in D mit mehreren Rettungswachen. Der Verfügungskläger ist seit dem 1. Mai 1994 bei der Verfügungsbeklagten als Rettungsassistent zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 2.885,65 EUR beschäftigt. Er ist Mitglied des bei der Verfügungsbeklagten gebildeten Betriebsrates. Bis zum 6. Juli 2004 war er dessen Vorsitzender. Als Vorsitzender war der Verfügungskläger für seine Betriebsratstätigkeit zu 75%, d.h. von montags bis donnerstags freigestellt. Nachdem er vom Vorsitz des Gremiums abberufen worden war, beschloss der Betriebsrat auf seinen Wunsch, ihn nicht länger freizustellen.

Die Verfügungsbeklagte bat den Betriebsrat am 24. Mai und 3. November 2004 um Zustimmung zur fristlosen Kündigung des Verfügungsklägers. Diese sollte erfolgen, weil der Verfügungskläger am Freitag, den 21. Mai 2004 seine Arbeit verweigert habe. An diesem Tag war er dienstplanmäßig für den Einsatz in der Rettungswache D auf einem Rettungsfahrzeug eingeteilt. Er trat seinen Dienst jedoch nicht an, sondern leitete am Verwaltungssitz der Verfügungsbeklagten in D eine Betriebsratssitzung. Er hatte diese einberufen, um über die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglieds K zu beraten. Diese hatte die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 13. Mai 2004, das den Eingangsstempel des Betriebsrates vom 17. Mai 2004 trägt, beantragt. Die Personalleiterin der Verfügungsbeklagten erklärte dem Verfügungskläger, dass sie für vier Betriebsratsmitglieder keine Ersatzkraft finden könne, und bot an, die Dreitages-Frist für die Stellungnahme des Betriebsrates bis zum 26. Mai 2004 zu verlängern. Der Verfügungskläger bestand jedoch auf dem Termin auch, nachdem ihm Personalleiterin mitgeteilt hatte, dass für ihn und zwei weitere der insgesamt neun Betriebsratsmitglieder noch kein Ersatz gefunden worden sei und deshalb diese Personen nicht freigestellt werden könnten. Vor Beginn der Betriebsratssitzung forderte der Rettungsdienstleiter, Herr G, den Verfügungskläger auf, sich auf seine Arbeitsstelle zur Rettungswache nach D zu begeben. Seit diesem Vorfall setzte die Verfügungsbeklagte den Verfügungskläger nicht mehr als Rettungsassistent ein und stellte ihn von der Arbeitsleistung frei. Gegen diese Freistellung beantragte der Verfügungskläger eine einstweilige Verfügung beim Arbeitsgericht Darmstadt - 4 Ga 12/04 - und verlangte den weiteren Einsatz als Rettungsassistent. Das Arbeitsgericht wies den Antrag zurück, weil kein Verfügungsgrund vorliege.

Den Antrag der Verfügungsbeklagten vom 24. Mai 2004 auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Verfügungsklägers wegen Arbeitsverweigerung wies der Betriebsrat zurück. Ein Zustimmungsersetzungsantrag der Verfügungsbeklagten hatte beim Arbeitsgericht Darmstadt (4 BV 7/04) keinen Erfolg. Die Verfügungsbeklagte legte hiergegen Beschwerde ein und teilte dem Betriebsrat am 3. November 2004 mit, sie halte an dem Zustimmungsantrag vom 24. Mai 2004 fest. Der Betriebsrat stimmte daraufhin am 9. November 2004 der fristlosen Kündigung des Verfügungsklägers zu. Mit Schreiben vom 10. November 2004, dem Verfügungskläger am 11. November 2004 zugegangen, kündigte die Verfügungsbeklagte das Arbeitsverhältnis diesem gegenüber wegen des Vorfalles am 21. Mai 2004 und sprach ein Hausverbot für sämtliche Räumlichkeiten der D aus. Seiner Kündigungsschutz- und Weiterbeschäftigungsklage gab das Arbeitsgericht Darmstadt am 25. Jan. 2005 statt (4 Ca 452/04 ).

Der Verfügungskläger forderte mit Schreiben vom 12. November 2004 die Verfügungsbeklagte auf, ihn als Rettungsassistent weiterzubeschäftigen. Die Verfügungsbeklagte reagierte nicht. Daraufhin hat er im vorliegenden Verfahren erneut eine einstweilige Verfügung beantragt. Er ist der Ansicht gewesen, die Kündigung sei offensichtlich unwirksam sei. Es liege eine Trotzkündigung vor. Nachdem die Verfügungsbeklagte das Zustimmungsersetzungsverfahren verloren habe, versuche sie nun, das Arbeitsverhältnis unter Zugrundelegung derselben Kündigungsgründe erneut zu beenden.

Der Verfügungskläger hat beantragt,

die Verfügungsbeklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Rettungsassistent weiter zu beschäftigen.

Die Verfügungsbeklagte hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte ist der Ansicht gewesen, die fristlose Kündigung sei nicht offensichtlich unwirksam. Sie sei durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt, weil sich der Verfügungskläger beharrlich geweigert habe, seine Arbeitsleistung zu erbringen und dadurch die Unfallversorgung gefährdet habe. Die bei der Prüfung der Erforderlichkeit i.S.d. § 37 Abs. 2 BetrVG vorzunehmende Abwägung zwischen den betrieblichen Belangen einerseits und den Belangen der Belegschaft andererseits führe zu dem Ergebnis, dass die betrieblichen Interessen überwogen hätten. Es fehle auch an einem Verfügungsgrund, weil sich der Verfügungskläger schädigend ihr gegenüber verhalten und weil das Gericht bereits im einstweiligen Verfügungsverfahren 4 Ga 12/04 die Eilbedürftigkeit für eine Weiterbeschäftigung verneint habe.

Wegen des Weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Darmstadt hat dem Antrag durch Urteil vom 3. Dez. 2004 - 12 Ga 4/04 - stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die fristlose Kündigung vom 10. Nov. 2004 sei offensichtlich unwirksam. Das Vorliegen eines Verfügungsanspruchs indiziere auch einen Verfügungsgrund. Ohne die Anordnung der Beschäftigung im Eilverfahren drohe hinsichtlich des Beschäftigungsanspruchs ein endgültiger Rechtsverlust.

Gegen dieses ihr am 9. Dez. 2004 zugestellte Urteil hat die Verfügungsbeklagte am 24. Dez. 2002 Berufung eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Die Verfügungsbeklagte ist unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens der Auffassung, das Arbeitsgericht gehe zu Unrecht von einem Verfügungsanspruch und von einer offensichtlich unwirksamen Kündigung aus. Es sei nicht ohne jeden vernünftigen Zweifel erkennbar, dass kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB vorliege. Das Gericht habe außer Acht gelassen, dass die Verfügungsbeklagte die streitgegenständliche Kündigung darauf stütze, dass dem Verfügungskläger bewusst gewesen sei, dass die Betriebsratssitzung an dem fraglichen Tag ebenso wenig erforderlich gewesen sei wie die Teilnahme seiner Person und er mehrfach zur Aufnahme seines Dienstes aufgefordert worden sei. Danach sei kein Raum für einen Irrtum über einen vermeintlichen Rechtfertigungsgrund für sein Fernbleiben von der Arbeit gegeben gewesen.

Darüber hinaus habe das Arbeitsgericht nicht beachtet, dass die Verfügungsbeklagte ihre Kündigung auch darauf gestützt habe, dass der Verfügungskläger den Betriebsfrieden gestört habe, indem er Sachverhalte in der Öffentlichkeit dargestellt habe, die nicht den Tatsachen entsprochen hätten. Dazu gehörten insbesondere die Schreiben, die er ohne Genehmigung der Geschäftsführung als offene Briefe an seine Kollegen verfasst und im Betrieb veröffentlicht hätte und die geeignet seien, den Betriebsfrieden zu stören. Die Störung des Betriebsfriedens liege darin, dass Konflikte geschürt würden und das Unternehmen weiter gespalten würde. Seine Behauptung, die Lage des Unternehmens hätte sich nicht wesentlich gebessert, habe nicht der Wahrheit entsprochen. Die Unternehmensleitung hätte in mehreren Sitzungen des Wirtschaftsausschusses - an der auch der Verfügungskläger teilgenommen hätte - von der positiven Entwicklung des Unternehmens berichtet und dies auch mit entsprechenden Monatsabschlüssen belegt. Der Verfügungskläger hätte sich überdies an die Presse und Fernsehen (H, H und R) gewandt und unrichtige Behauptungen in die Öffentlichkeit lanciert. Er hätte behauptet, die Verfügungsbeklagte würde einfach einem Mitarbeiter kündigen, weil er schwerbehindert und Betriebsratsmitglied sei und dazu noch dem Betriebsratsvorsitzenden, der sich für seinen Kollegen eingesetzt hätte. Diese unwahren Aussagen schadeten ihr erheblich. Dies führte zu Mitgliederaustritten aus den Kreisverbänden der Verfügungsbeklagten.

Auch sein Schreiben vom 30. Okt. 2004 zeuge von dem zerrütteten Verhältnis zwischen den Parteien. In diesem Schreiben hätte er den gesetzlichen Vertreter der Verfügungsbeklagten aufgefordert, deren Rechtsauffassung zur Kündigung des Verfügungsklägers öffentlich zu widerrufen. In einem als "Giftliste" bezeichneten Schreiben des Verfügungsklägers, welches im Unternehmen der Beklagten verteilt worden sei, hätte er massive Arbeitsplatzängste bei den Beschäftigen des Unternehmens ausgelöst und damit Unfrieden im Unternehmen gestiftet.

Von einem zerrütteten Verhältnis zwischen den Parteien zeugten auch die immer wieder in die Betriebsöffentlichkeit gelangten falschen Behauptungen über Unternehmensleitung oder Vertreter des Unternehmens. Im Schreiben vom 19. Mai 2004 spreche er der Verfügungsbeklagten einen Sanierungswillen ab. In einer von ihm verfassten Mitarbeiterinformation vom 11. Nov. 2003 werde der Aufsichtsratsvorsitzende der Gesellschaft verunglimpft. In gleicher Weise werde der Aufsichtsratsvorsitzende im Betriebsratsbüro vom Verfügungskläger als "Räuber Hotzenplotz" verunglimpft.

Es mangele darüber hinaus an einem Verfügungsgrund in Gestalt der besonderen Eilbedürftigkeit der beantragten Weiterbeschäftigung. Die Auffassung des Arbeitsgerichts laufe im Ergebnis darauf hinaus, dass jeder Anspruch im Wege einer einstweiligen Verfügung gesichert werden könnte. Ein wesentlicher Nachteil für den Verfügungskläger liege nicht vor. Der Verfügungskläger sei bereits seit Mai 2004 von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt. Das einstweilige Verfügungsverfahren 4 Ga 12/04 sei mangels Eilbedürftigkeit erfolglos geblieben. Wie nun eine andere Rechtfertigung der zeitlichen Komponente zu begründen sei, gehe aus der angegriffenen Entscheidung nicht hervor. Dort sei lediglich der Hinweis enthalten, dass der Kläger sich bereits sieben Tage nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung auf seinen Weiterbeschäftigungsanspruch im Wege des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung berufen habe. Dies reiche zur Begründung jedoch nicht aus.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 3. Dez. 2004 - 12 Ga 4104 -abzuändern und den Antrag des Klägers vom 19. Nov. 2004 zurückzuweisen.

Der Verfügungskläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Verfügungskläger verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Ergänzend trägt er vor, das Schreiben vom 30. Okt. 2004 sei von seiner Seite aus nicht in die Öffentlichkeit gelangt. Die Erklärungen, die er als Betriebsratsvorsitzender abgegeben habe, beruhten auf Beschlüssen des Gremiums und seien ihm nicht persönlich zuzurechnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsschriftsätze und den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 27. Jan. 2005 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft, §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 511 ZPO, und begegnet hinsichtlich des Wertes des Beschwerdegegenstandes keinen Bedenken, § 64 Abs.2 ArbGG. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs.1 ArbGG, 517, 519, 520 ZPO und damit insgesamt zulässig. Die einstweilige Verfügung wurde binnen einen Monats nach Verkündung des Urteils gemäß §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO vollzogen. Der Verfügungskläger hat mit am 17. Dez. 2004 beim Arbeitsgericht eingegangenem Antrag die Verhängung eines Zwangsgeldes beantragt.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig. Ihm fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Verfügungskläger im Hauptsacheverfahren am 25. Jan. 2005 einen auf Weiterbeschäftigung gerichteten Titel erlangt hat. Die Verurteilung im vorliegenden Verfahren ist auf seine Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache gerichtet. Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt erst dann, wenn ein mit der einstweiligen Verfügung übereinstimmendes Urteil in der Hauptsache zur Rechtskraft gelangt, nicht jedoch bereits bei einem nur vorläufig vollstreckbaren Titel (vgl. KG Berlin Urteil vom 23. Juli 1993 - 5 U 24/93 - Juris; OLG Hamm Urteil vom 12. Dez. 1991 - 4 U 257/91 - Juris; OLG Hamm Urteil vom 12. Nov. 1987 - 4 U 131/87 - Juris; OLG München Urteil vom 27. Febr. 1987 - 14 U 762/86 - NJW-RR 1987, 761 = Juris; OLG Hamburg Urteil vom 28. Sept. 1978 - 3 U 107/78 - Juris). Erst von da an gäbe es kein Rechtsschutzbedürfnis am formalen Fortbestand des vorläufigen Titels neben dem Hauptsachetitel mehr. Das gilt erst recht, wenn wie hier noch ein Zwangsmittelverfahren anhängig ist, dem Vorfälle zugrunde liegen, die vor dem Erlass des Hauptsachetitels geschehen sind (OLG Düsseldorf Urteil vom 3. Mai 1990 - 2 U 10/90 - Juris).

Dem Antrag steht auch nicht entgegen, dass das Arbeitsgericht Darmstadt den Antrag des Verfügungsklägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, ihn als Rettungsassistenten einzusetzen, durch Beschluss vom 31. Aug. 2004 - 4 Ga 12/04 - mangels Eilgrundes zurückgewiesen hat. Der Rechtskrafteinwand kann angebracht sein, wenn es sich lediglich um eine Wiederholung eines identischen Gesuchs auf gleicher Tatsachengrundlage handelt. Haben sich jedoch inzwischen neue Umstände eingestellt, die zu einer abweichenden Beurteilung führen, ist die Wiederholung des Antrages zulässig (ebenso etwa LAG Sachsen Urteil vom 14. April 2000 - 3 Sa 298/00 - LAGE § 935 ZPO Nr. 13). Hier stellt das stattgebende Urteil im Kündigungsschutzverfahren vom 25. Jan. 2005 hinsichtlich des Verfügungsanspruchs und in der Folge auch des Verfügungsgrundes einen neuen Umstand dar, wobei der maßgebende Zeitpunkt, zu dem die Klage zulässig sein muss, der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung ist (vgl. Thomas/Putzo/Reinhold ZPO, 26. Aufl., Vorbem. § 253 Rz. 11). Dies war der 27. Jan. 2005.

Ein Verfügungsanspruch steht außer Zweifel, nachdem im Kündigungsschutzprozess am 25. Jan. 2005 ein die Instanz abschließendes Urteil ergangen ist, das die Unwirksamkeit der Kündigung und damit den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses feststellt. Dadurch hat sich die Interessenlage geändert. Durch ein solches noch nicht rechtskräftiges Urteil wird zwar keine endgültige Klarheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geschaffen. Aber die Parteien hatten Gelegenheit, dem Gericht in einem ordentlichen Prozessverfahren die zur rechtlichen Beurteilung der Kündigung aus ihrer Sicht erforderlichen Tatsachen vorzutragen, dafür Beweis anzutreten und ihre Rechtsauffassungen darzustellen. Wenn ein Gericht daraufhin eine die Instanz abschließende Entscheidung trifft und die Unwirksamkeit der Kündigung feststellt, so ist damit zumindest eine erste Klärung der Rechtslage im Sinne des klagenden Arbeitnehmers eingetreten (BAG Großer Senat Urteil vom 27. Februar 1985 - GS 1/84 - EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9). Ein vom Arbeitnehmer im Kündigungsprozess erstrittenes Feststellungsurteil muss trotz der Ungewissheit, ob es im Rechtsmittelverfahren bestätigt wird, bei der notwendigen Abwägung der widerstreitenden Interessen der Arbeitsvertragsparteien hinsichtlich des Beschäftigungsanspruchs erheblich ins Gewicht fallen. Es wirkt sich, solange es besteht, dahin aus, dass nunmehr die Ungewissheit des endgültigen Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen kann.

Liegt ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Instanzurteil vor, so müssen zu der Ungewissheit des Prozessausgangs zusätzliche Umstände hinzukommen, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen (BAG Großer Senat Urteil vom 27. Februar 1985 - GS 1/84 - EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9). Zu denken ist hierbei etwa an solche Umstände, die auch im streitlos bestehenden Arbeitsverhältnis den Arbeitgeber zur vorläufigen Suspendierung des Arbeitnehmers berechtigen, z. B. der Verdacht des Verrats von Betriebsgeheimnissen und andere Fälle eines strafbaren oder schädigenden Verhaltens des Arbeitnehmers. Solche Umstände sind nicht im Inhalt des vorgelegten Schriftwechsels zu sehen, der auch dem Arbeitsgericht nicht als Kündigungsgrund ausgereicht hat. Die Schreiben vom 23. Juli 2003, 19. Mai und 5. Okt. 2004 sowie die Infos vom 7., 8. und 11. Okt. 2003 und vom 11. Nov. 2003 hat der Verfügungskläger als Betriebsratsvorsitzender verfasst, welches Amt er nicht mehr innehat. Sie können im Hinblick auf eine evtl. Verletzung des Gebots zur vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG gewürdigt werden, stehen aber individualrechtlich dem Weiterbeschäftigungsanspruch nicht entgegen. Mit Schreiben vom 30. Okt. 2004 an die Verfügungsbeklagte stellt der Verfügungskläger verschiedene Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis, ohne dass ein beleidigender Inhalt oder unsachlicher Tonfall ersichtlich würde. Nichts anderes gilt für das Schreiben vom 9. Nov. 2004 an die Verfügungsbeklagte, mit dem er bemängelt, dass ein wirksamer Betriebsratsbeschluss über die Zustimmung zur ihm gegenüber beabsichtigten Kündigung nicht zustande gekommen sei. In welcher Funktion und mit welchem konkreten Inhalt der Verfügungskläger sich gegenüber Rundfunk und Fernsehen geäußert habe, geht aus der Beschwerdebegründung (Seite 6, mittlerer Absatz) nicht hinreichend deutlich hervor. Um die Aussagen im Gesamtzusammenhang würdigen zu können, muss der vollständige Inhalt der Erklärungen vorgetragen werden. Der Verweis auf Videoaufnahmen hilft nichts. Im einstweiligen Verfügungsverfahren müssen alle Beweismittel von den Parteien in der mündlichen Verhandlung gestellt werden (§§ 62 Abs. 2 ArbGG, 936, 920 Abs. 2, 294 Abs. 2 ZPO).

Ein Verfügungsgrund für eine Beschäftigungsverfügung ist regelmäßig gegeben, wenn der Beschäftigungsanspruch im Hauptsacheverfahren anerkannt worden ist und daher derzeit - bis zu einer evtl. abändernden Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht - zweifelsfrei besteht. Die Nichterfüllung des erstinstanzlich zuerkannten Beschäftigungsanspruch führte zu einem irreversiblen Rechtsverlust (Hess. LAG Urteil vom 10. Juli 2002 - 8 SaGa 781/02 - Juris; LAG München Urteil vom 10. Febr. 1994 - 5 Sa 969/93 -LAGE BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 32; LAG München Urteil vom 19. Aug. 1992 - 5 Ta 185/92 - LAGE BetrVG § 102 Beschäftigungspflicht Nr. 14;). Ist der Beschäftigungsanspruch nach erstinstanzlicher Entscheidung im Kündigungsschutzprozess zweifelsfrei gegeben, ist mit Rücksicht auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes regelmäßig auch der für den Erlass einer Beschäftigungsverfügung erforderliche Verfügungsgrund gegeben. Angesichts des grundrechtlich abgeleiteten Beschäftigungsanspruchs (§§ 611, 242 BGB, Art. 1 und 2 GG) bedarf es eines Nachteils, der über den anderenfalls eintretenden Rechtsverlust hinausgeht, dann nicht mehr (Hess. LAG Urteil vom 10. Juli 2002 - 8 SaGa 781/02 - Juris).

Die Kosten ihrer erfolglosen Berufung trägt nach § 97 Abs. 1 ZPO die Verfügungsbeklagte.

Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist nicht gegeben, § 72 Abs. 4 ArbGG.



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