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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 28.08.2003
Aktenzeichen: 9 TaBV 47/03
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 47 Abs. 2
Die Entsendung eines nur vorübergehend in den Betriebsrat nachgerückten Ersatzmitglieds als Ersatzmitglied in den Gesamtbetriebsrat ist nicht zulässig.
Hessisches Landesarbeitsgericht Im Namen des Volkes ! Beschluss

Aktenzeichen: 9 TaBV 47/03

Verkündet laut Protokoll am 28. August 2003

In dem Beschlussverfahren

hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 9, in Frankfurt am Main auf die mündliche Anhörung vom 28. August 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Bram als Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richter Illing und den ehrenamtlichen Richter Hahn als Beisitzer

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 04. Dezember 2002 - 9 BV 409/02 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betriebsrat berechtigt ist, ein vorübergehend nachgerücktes Mitglied als Ersatzmitglied in den Gesamtbetriebsrat zu entsenden.

Die Arbeitgeberin beschäftigt in ihrer Hauptniederlassung in F etwa 220 Beschäftigte. Die Belegschaft setzt sich zu etwa einem Drittel aus männlichen und zu zwei Dritteln aus weiblichen Personen zusammen. Der Betriebsrat besteht aus neun Mitgliedern, zwei weiblichen und sieben männlichen. Im Unternehmen ist ein Gesamtbetriebsrat gebildet.

Der Betriebsrat bestellte je ein männliches und ein weibliches Mitglied als Mitglieder des Gesamtbetriebsrates. Als Ersatzmitglied für das männliche Gesamtbetriebsratsmitglied bestellte er zwei männliche Betriebsratsmitglieder, als Ersatzmitglied für das weibliche Betriebsratsmitglied ein weibliches Ersatzmitglied.

Am 12. / 13. Aug. 2002 war eine Gesamtbetriebsratssitzung bei P anberaumt. Sowohl das weibliche Mitglied als auch das weibliche Ersatzmitglied waren an der Teilnahme verhindert. Der Betriebsrat benannte sein vorübergehend nachgerücktes Ersatzmitglied Frau C. als weibliche Vertreterin und meldete sie bei der Arbeitgeberin zur Teilnahme an der Gesamtbetriebsratssitzung an. Mit Schreiben vom 7. Aug. 2002 verweigerte die Arbeitgeberin die Freistellung mit der Begründung, Frau C. gehöre dem Gremium Betriebsrat zum Zeitpunkt der Gesamtbetriebsratssitzung nicht mehr an.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, ein zeitweilig nachgerücktes Ersatzmitglied des Betriebsrates zum Ersatzmitglied des Gesamtbetriebsrates bestellen zu können, weil für die Zeit des Nachrückens das nachgerückte Betriebsratsmitglied als ordentliches Betriebsratsmitglied zu behandeln sei. Die Vorschrift des § 47 Abs. 3 BetrVG wolle lediglich ausschließen, dass der Betriebsrat von vornherein auf eines seiner Ersatzmitglieder zurückgreife.

Der Betriebsrat hat beantragt,

festzustellen, dass er berechtigt ist, ein nur vorübergehend nachgerücktes Betriebsratsmitglied in den Gesamtbetriebsrat zu entsenden.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Arbeitgeberin ist der Auffassung gewesen, der Betriebsrat könne weitere Ersatzmitglieder nur aus dem Kreis seiner ordentlichen Mitglieder bestellen, weil nur diese dem Gremium des Betriebsrates zum Zeitpunkt der Sitzung des Gesamtbetriebsrates voraussichtlich noch angehörten. Auch dem Wortlaut des § 47 Abs. 2 BetrVG sei zu entnehmen, dass die Gesamtbetriebsratsmitglieder und die Reihenfolge ihres Nachrückens im Voraus und nicht im Einzelfall zu bestimmen seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird auf die Sachdarstellung des angefochtenen Beschlusses verwiesen.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat den Antrag durch Beschluss vom 4. Dez. 2002 zurückgewiesen. Es hat angenommen, ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 ZPO sei gegeben, da der Betriebsrat nicht lediglich eine abstrakte Rechtsfrage geklärt wissen wolle. Vielmehr könne damit gerechnet werden, dass die vorliegende Konstellation in Zukunft wieder auftrete.

Der Antrag sei jedoch unbegründet. Die Bestellung von Mitgliedern des Gesamtbetriebsrates und der Ersatzmitglieder habe aus der Mitte des Betriebsrates zu erfolgen. Dieses Erfordernis sei bei nur vorübergehend nachgerückten Ersatzmitgliedern nicht gegeben. Vielmehr sei bei diesen damit zu rechnen, dass sie zum Zeitpunkt der späteren Sitzungen des Gesamtbetriebsrates dem entsendenden Betriebsrat nicht mehr angehörten. Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sei der Gesamtbetriebsrat zudem zuständig für Angelegenheiten, die von einzelnen Betriebsräten nicht innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden könnten, weil sie überbetrieblichen Bezug hätten. Eine sinnvolle Mitarbeit im Gremium des Gesamtbetriebsrates sei deshalb nur ordentlichen Mitgliedern möglich. Nur diese seien mit den tatsächlichen Verhältnissen wie auch den aktuellen Fragestellungen im Betrieb wie auch mit den betriebsratsinternen Diskussionen und Beschlusslagen vertraut. Ein beispielsweise nur für einen einzigen Tag nachgerücktes Betriebsratsmitglied könne naturgemäß nur mit einer sehr reduzierten Sachkunde an der Arbeit des Gesamtbetriebsrates teilnehmen. Gegen dieses Ergebnis spreche auch nicht § 47 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Diese Vorschrift sei anders als § 15 Abs. 2 BetrVG keine zwingende Vorschrift. Zudem sei das Minderheitengeschlecht vorliegend nicht unterrepräsentiert, weil sich die Belegschaft zu etwa zwei Dritteln aus Frauen zusammensetze und folglich die Männer das Minderheitengeschlecht darstellten. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die arbeitsgerichtlichen Beschlussgründe verwiesen.

Gegen diesen ihm am 27. Febr. 2003 zugestellten Beschluss hat der Betriebsrat am 27. März 2003 Beschwerde eingelegt und diese am 28. April 2003, einem Montag, begründet.

Der Betriebsrat ist der Auffassung, § 47 Abs. 2 und 3 BetrVG bedürften keiner beschränkenden Auslegung. Die praktischen Überlegungen des Arbeitsgerichts, mit denen es diese Auslegung rechtfertige, seien unzutreffend.

Maßgeblich sei § 47 Abs. 2 BetrVG, wonach jeder Betriebsrat "eines seiner Mitglieder" bzw. "zwei seiner Mitglieder" in den Gesamtbetriebsrat entsende. Dies könne auch ein nur vorübergehend nachgerücktes Ersatzmitglied sein. Es unterliege keinem Zweifel und werde auch - soweit ersichtlich - nirgendwo ernsthaft bestritten, dass das Ersatzmitglied auch im Falle der vorübergehenden Verhinderung eines ordentlichen Mitglieds für dieses verhinderte Mitglied als vollwertiges Mitglied mit allen sich aus dieser Stellung ergebenden Rechten und Pflichten in den Betriebsrat nachrücke. Solange ein Ersatzmitglied nachgerückt sei, sei es folglich auch Betriebsratsmitglied im Sinne der Vorschriften des § 47 Abs. 2 BetrVG und könne ohne weiteres in den Gesamtbetriebsrat entsendet werden. An wie vielen Sitzungen des Gesamtbetriebsrats das vorübergehend nachgerückte Mitglied teilnehmen könne, dürfe für die hier zu beantwortende Rechtsfrage nicht ausschlaggebend sein, zumal die Zeitspannen des Nachrückens unterschiedlich lang seien und es denkbar sei, dass ein Mitglied für mehrere Monate oder gar Jahre vorübergehend nachrücke. Das gleiche gelte für die Überlegungen des Arbeitsgerichts hinsichtlich der eventuellen Sachkunde des entsandten Mitglieds. Die diesbezüglichen Überlegungen des Arbeitsgerichts seien spekulativ und rechtlich nicht ausschlaggebend.

Der Betriebsrat beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 04. Dez. 2002 - 9 BV 409/02 - abzuändern und festzustellen, dass der Betriebsrat berechtigt ist, ein nur vorübergehend nachgerücktes Betriebsratsmitglied in den Gesamtbetriebsrat zu entsenden.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, es sei zwar zutreffend, dass ein Ersatzmitglied auch im Falle der vorübergehenden Verhinderung eines ordentlichen Mitglieds als vollwertiges Mitglied mit allen sich aus dieser Stellung ergebenden Rechten und Pflichten in den Betriebsrat nachrücke, allerdings trete das Ersatzmitglied nur in den Betriebsrat ein. Es übernehme nicht Kraft Gesetzes auch etwaige Funktionen des ausgeschiedenen oder verhinderten Betriebsrats. Eine Bestellung des vorübergehend nachgerückten Betriebsratesmitglieds zum Mitglied im Gesamtbetriebsrat wäre zu diesem Zeitpunkt der Aktivierung zwar theoretisch denkbar, würde jedoch dem Sinn und Zweck des § 47 BetrVG völlig zuwider laufen. Die Regelung in § 47 Abs. 2 und 3 BetrVG mache deutlich, dass der Gesetzgeber mit dem Gesamtbetriebsrat ein Gremium vor Augen gehabt hätte, das möglichst kontinuierlich arbeiten können solle. Zu diesem Zweck entsende jeder Betriebsrat ein bzw. zwei seiner Mitglieder in den Gesamtbetriebsrat als Gremium und nicht etwa zu einer einzelnen Gesamtbetriebsratssitzung. Für jedes dieser Mitglieder solle der Betriebsrat mindestens ein Ersatzmitglied bestellen, um gerade eine gewisse Kontinuität sicher zu stellen. Hierfür spreche auch das Gebot, die Reihenfolge des Nachrückens festzulegen. Bliebe dies dem Betriebsrat überlassen, so könne dieser z. B. auch ein rotierendes System des Nachrückens erwägen, was der Gesetzgeber jedoch offensichtlich habe verhindern wollen. Dieser beabsichtigten Kontinuität laufe es zuwider, wenn der Betriebsrat, wann immer ein Mitglied verhindert sei, andere Personen in den Betriebsrat entsende.

Vorliegend habe der Betriebsrat auch nicht etwa auf andere Betriebsratsmitglieder zurückgegriffen (obgleich vorhanden), vielmehr habe er sogleich ein Ersatzmitglied, das zum Zeitpunkt der geplanten GBR-Sitzung vorübergehend in den Betriebsrat habe nachrücken sollen, zum Ersatzmitglied für den GBR bestellt. Die Tatsache, dass der Betriebsrat in seinem ursprünglichen Entsendungsbeschluss nicht ausreichend Ersatzmitglieder für den Gesamtbetriebsrat bestellt habe, berechtige ihn nicht, in Ermangelung eines Ersatzmitgliedes aus den Reihen der ordentlichen Betriebsratsmitglieder ein vorübergehend nachgerücktes Ersatzmitglied in den Gesamtbetriebsrat zu entsenden.

Im übrigen würde die Vorschrift des § 47 Abs. 3 BetrVG, wonach der Betriebsrat verpflichtet sei, die Reihenfolge des Nachrückens festzulegen, völlig konterkariert werden, wenn der Betriebsrat in jedem Verhinderungsfall in Ermangelung einer ausreichenden Anzahl von Nachrückern willkürlich ein Betriebsrats- oder Ersatzbetriebsratsmitglied in den Gesamtbetriebsrat entsenden könnte. Für diese Fälle solle ja gerade vorher eine ausreichende Anzahl an Ersatzmitgliedern aus der Mitte des Betriebsrates bestellt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschwerdevorbringens wird auf die Beschwerdeschriftsätze und den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 28. Aug. 2003 verwiesen.

Die Beschwerde ist statthaft und zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Antrag ist nicht begründet. Eine Entsendung eines nur vorübergehend in den Betriebsrat nachgerückten Ersatzmitglieds in den Gesamtbetriebsrat ist nicht zulässig, weil dies nicht mit § 47 Abs. 2 BetrVG in Einklang steht. Ein Ersatzmitglied des Betriebsrats, das für einen zeitweise verhindertes Betriebsratsmitglied vorübergehend in den Betriebsrat nachgerückt ist, kann nicht nur kurzfristig für zeitweise verhinderte Gesamtbetriebsratsmitglieder bzw. Ersatzmitglieder in den Gesamtbetriebsrat entsandt werden. Nach § 47 Abs. 2 BetrVG entsendet der Betriebsrat eines oder zwei "seiner Mitglieder" in den Gesamtbetriebsrat. Das zeitweise nachgerückte Ersatzmitglied ist kein Mitglied im Sinne des § 47 Abs. 2 BetrVG. Nur ein Ersatzmitglied des Betriebsrats, das nach § 25 Abs. 1 Satz 1 BetrVG für ein ausgeschiedenes Betriebsratsmitglied für den Rest der Amtszeit in den Betriebsrat nachgerückt ist, ist ein vollwertiges Betriebsratsmitglied, das als Ersatzmitglied in den Gesamtbetriebsrat entsandt werden kann. Ein nur für die Dauer eines verhinderten Betriebsratsmitglieds zeitweise nachgerücktes Ersatzmitglied hat zwar alle Rechte und Pflichten eines Betriebsratsmitglieds einschließlich des Schutzes nach § 15 KSchG, das verhinderte Betriebsratsmitglied behält jedoch sein Amt im Betriebsrat (ebenso etwa Däubler/Kittner/Klebe-Buschmann, BetrVG, 7. Aufl., § 25 Rz. 14). Das vorübergehend nachgerückte Ersatzmitglied bleibt Stellvertreter des zeitweilig verhinderten Betriebsratsmitglieds (Däubler/Kittner/Klebe-Buschmann, BetrVG, 7. Aufl., § 25 Rz. 3, 14). Dies entspricht der Funktion des Gesamtbetriebsrats. Dieser ist eine Dauereinrichtung (vgl. Richardi/Annuß, BetrVG, 8. Aufl., § 47 Rz. 26). Die Mitgliedschaft im Gesamtbetriebsrat ist dementsprechend auf Dauer angelegt. Dies macht § 49 BetrVG deutlich. Nach dieser Vorschrift endet die Mitgliedschaft im Gesamtbetriebsrat mit Erlöschen der Mitgliedschaft im Betriebsrat, durch Amtsniederlegung, durch Ausschluss oder Abberufung durch den Betriebsrat. Der Betriebsrat kann zwar durch eine entsprechende Beschlussfassung Betriebsratsmitglieder als Mitglieder des Gesamtbetriebsrats oder Ersatzmitglieder abberufen und neue entsenden. Eine lediglich kurzfristige und befristete Entsendung stünde jedoch in Widerspruch zu § 49 BetrVG (so ausdrücklich Däubler/Kittner/Klebe-Trittin, BetrVG, 7. Aufl., § 47 Rz. 39). Dies wird auch überwiegend für die Ausschussmitglieder nach § 27 BetrVG so gesehen, die ebenfalls aus der Mitte des Betriebsrats zu wählen sind. GK-BetrVG-Wiese (6. Aufl., § 27 Rz. 40; ebenso FEHKS, BetrVG, 21. Aufl., § 27 Rz. 22) vertritt überzeugend, dass die Ausschussmitglieder Betriebsratsmitglieder sein müssten und Ersatzmitglieder von Betriebsratsmitgliedern nur im Falle des § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG bei Ausscheiden eines Betriebsratsmitglieds, dagegen nicht im Falle des § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG bei zeitweiliger Verhinderung des Betriebsrats- und Ausschussmitglieds in den Ausschuss kämen. Dies entspricht auch der Sachlage bei der Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Gesamtbetriebsrat. Ergänzend wird auf die arbeitsgerichtlichen Beschlussgründe Bezug genommen.

Eine Kostenentscheidung ergeht nach § 12 Abs. 5 ArbGG nicht.

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, da die zu entscheidende Rechtsfrage zur Auslegung des § 47 Abs. 2 BetrVG grundsätzliche Bedeutung im Sinne der §§ 92 Abs. 1, 72 ArbGG hat.

Ende der Entscheidung

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