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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 12.09.2005
Aktenzeichen: (3) 1 HEs 147/05 (52/05)
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 121 Abs. 1 Satz 1
Zur Bewertung "derselben Tat" bei Vorwurf der Begehung von Teilakten einer Serienstraftat.
Geschäftsnummer: (3) 1 HEs 147/05 (52/05)

In der Strafsache gegen

den gelernten Schlosser und Tischler zur Zeit in Untersuchungshaft in der

wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes u. a.

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 12. September 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Untersuchungshaft des Angeschuldigten dauert fort.

Bis zum Urteil, längstens bis zum 11. Dezember 2005, wird die Haftprüfung dem Landgericht Berlin übertragen.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Berlin legt dem Angeschuldigten mit der am 28. Juli 2005 vor dem Landgericht Berlin erhobenen Anklage vier in der Zeit vom 23. Dezember 2004 bis zum 3. März 2005 begangene gemeinschaftliche bewaffnete Raubüberfälle auf Ladengeschäfte in Berlin zur Last, darunter (Fall 4 der Anklage) den auf die Filiale der Drogeriemarktkette Schlecker in 13189 Berlin, Neumannstraße 70, am 3. März 2005, der beim Versuch verblieben ist, einhergehend mit einer gefährlichen Körperverletzung. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anklageschrift vom 26. Juli 2005 Bezug genommen.

Der Angeschuldigte befindet sich in dieser Sache im Anschluss an seine Festnahme am Vortage seit dem 4. März 2005 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Deren Grundlage bildete zunächst ein an diesem Tage wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr ergangener Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin - 353 Gs 1213/05 -. Er stützte sich allein auf den Vorwurf des versuchten Raubüberfalls auf die Schlecker-Filiale vom 3. März 2005. An seine Stelle ist inzwischen der nur noch auf Fluchtgefahr gegründete Haftbefehl des Landgerichts Berlin vom 19. August 2005 getreten, der übereinstimmend mit der Anklage in den Tatvorwürfen erweitert ist. Das Landgericht hält die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus für erforderlich und hat die Akten daher dem Senat durch die Staatsanwaltschaft zur Entscheidung nach § 122 Abs. 1 StPO vorgelegt. Die Haftfortdauer ist anzuordnen.

1. Die Voraussetzungen für die Haftprüfung nach den §§ 121, 122 StPO liegen vor. Der Vollzug der Untersuchungshaft hat die Dauer von sechs Monaten erreicht und dies "wegen derselben Tat" im Sinne des § 121 Abs. 1 Satz 1 StPO. Die weiteren Tatvorwürfe, die hinzugetreten sind, haben der Inhaftierung zu einer verbreiterten Grundlage verholfen, ohne dabei eine Änderung zu bewirken, aufgrund derer ein hinausgeschobener Neubeginn der Sechsmonatsfrist anzusetzen wäre. Hier kommt der Rechtsprechungsgrundsatz zum Zuge, dass sich der Zeitpunkt des Fristbeginns gemäß § 121 Abs. 1 StPO nicht dadurch verschiebt, dass sich im Laufe eines Ermittlungsverfahrens der gegen einen Beschuldigten bestehende Tatverdacht, weitere Straftaten eines zusammengehörenden Komplexes ("Serientaten") begangen zu haben, zu unterschiedlichen Zeiten zum dringenden Tatverdacht erhärtet (vgl. Kammergericht, Beschlüsse vom 16. März 2005 - [4] 1 HEs 34/05 [18/05] -, 28. Februar 2005 - [5] 1 HEs 11/05 [3/05] -, und 30. August 1999 - [4] 1 HEs 146/99 [92/99] - Juris). Dieser Grundsatz ist orientiert an dem Schutzzweck, dem der durch die §§ 121, 122 StPO geschaffene Überwachungsmechanismus dient, nämlich die Untersuchungshaft zeitlich zu begrenzen und zugleich die Strafverfolgungsbehörden dazu anzuhalten, die Ermittlungen und das weitere Verfahren zu beschleunigen (vgl. Boujong in KK, StPO 5. Aufl., § 121 Rdn. 1).

Es ist hier berechtigt, den Angeschuldigten als von vornherein der Serientäterschaft verdächtig zu behandeln, mit der Folge des Eintretens der Schutzwirkung nach Maßgabe des diesbezüglichen Rechtsprechungsgrundsatzes. Zwar war er, als er inhaftiert wurde, durch den Haftbefehl als ein Beschuldigter gekennzeichnet, der nicht mehr als nur einer einzigen Straftat dringend verdächtig war. Tatsächlich war seine Lage mit derjenigen eines von vornherein durch den Haftbefehl als Serientäter ausgewiesenen Beschuldigten aber in so hohem Maße vergleichbar, dass es gerechtfertigt ist, ihn diesem in der Handhabung der Sechsmonatsfrist gleichzustellen. Er hatte durch die Festnahme im Zusammenhang mit dem Überfall auf den Schlecker-Markt am 3. März 2005 den Ansatz geliefert, ihn mit einer Reihe unaufgeklärter weiterer Taten aus jüngster Zeit mit entsprechendem Ablaufprofil in Verbindung zu bringen. Es drängte sich sogleich geradezu auf, dass er als serientätermäßig Beteiligter auch an einer oder mehreren dieser anderen Taten in Frage kam und es nur eine Frage der Zeit sein werde, bis dahingehend die bislang fehlenden Beweismittel gegen ihn zur Verfügung stünden und die Annahme eines dringenden Tatverdachts erlauben würden. So hatten die Ermittlungsbehörden denn auch noch im April 2005 eine Übersicht über die bis dahin begangenen gleichgelagerten Raubüberfälle erstellt, die u. a. schon zwei weitere Fälle enthielt, die dann später in die vorliegende Anklageschrift eingegangen sind (Fälle 2 und 3).

Ist danach die Haftprüfung zeitlich angesagt, ermangelt es auch nicht der Voraussetzungen für die Haftfortdauer.

2. Der Angeschuldigte ist der ihm in dem Haftbefehl zur Last gelegten Taten dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO). Das ergibt sich aus den in dem Haftbefehl und der Anklageschrift aufgeführten Beweismitteln, insbesondere den geständigen Angaben des gesondert verfolgten Y., der dringend verdächtig ist, als Mittäter jeweils die aktiv handelnde Rolle im Verkaufsraum ausgefüllt zu haben. Er hat den Angeschuldigten auch wegen der Tat vom 3. März 2005 (Schlecker Neumannstraße) belastet.

3. Es besteht Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Sie ergibt sich aus der einen erheblichen Fluchtanreiz begründenden Höhe der Straferwartung. Der Angeschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit der Verhängung einer langjährigen Gesamtfreiheitsstrafe zu rechnen, deren Vollstreckung schon der Höhe wegen nach dem Gesetz nicht mehr wird zur Vollstreckung ausgesetzt werden könnte. Die Straferwartung wird noch durch die Aussicht darauf verschärft, dass sich gemäß Ankündigung der Staatsanwaltschaft Berlin die Anzahl der Vorwürfe in Kürze durch eine weitere Anklage um vier weitere Fälle des gemeinschaftlichen schweren Raubes erhöhen wird.

Dem durch die hohe Straferwartung begründeten Fluchtanreiz stehen keine sozialen Bindungen gegenüber, die ihn erheblich herabsetzen könnten. Der Angeschuldigte ist weder beruflich noch familiär verankert. Er ist arbeitslos, seine Ehe ist geschieden. Vor diesem Hintergrund sind auch weniger einschneidende Maßnahmen als der Vollzug der Untersuchungshaft (§ 116 StPO) nicht geeignet, deren Ziel zu erreichen.

4. Wichtige Gründe haben das Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO).

Es waren hier nach der Verhaftung noch weiterführende Ermittlungen anzustellen und galt schließlich, umfangreich angewachsenen Tatsachenstoff zu erfassen. Wegen des Seriencharakters der Taten und der gemeinschaftlichen Ausführungsweise musste den Verzweigungen und Verflechtungen nachgegangen werden. Der Angeschuldigte hat die sich daraus ergebenden zeitlichen Belastungen als sachbezogen hinzunehmen. Ebensowenig wie am Vorgehen der Staatsanwaltschaft ein Verstoß gegen das Gebot beschleunigter Sachbehandlung in Haftsachen zu ersehen ist, kommt ein solcher im Bereich des Landgerichts in Betracht. Dort steht die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens unmittelbar bevor und ist für den Fall der Eröffnung der Beginn der Hauptverhandlung für den 20. Oktober 2005 vorgesehen. Bei dem Umfang der Sache versteht sich von selbst, dass gewisse Zeit für die Einarbeitung und die Vorbereitung der Hauptverhandlung benötigt wird.

5. Die Fortdauer der Untersuchungshaft steht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

6. Die befristete Übertragung der Haftprüfung auf das Landgericht beruht auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.

Ende der Entscheidung

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