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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 23.03.2007
Aktenzeichen: (4) 1 Ss 186/05 (94/05)
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 266
Beabsichtigt ein Rechtsanwalt, gegen den Anspruch seines Mandanten auf Herausgabe in Empfang genommener Gelder mit eigenen Ansprüchen aufzurechnen, versäumt jedoch die Erklärung der Aufrechnung, kann er sich wegen Untreue strafbar machen.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: (4) 1 Ss 186/05 (94/05)

In der Strafsache

wegen Untreue

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin in der Sitzung vom 23. März 2007, an der teilgenommen haben:

Vorsitzende Richterin am Kammergericht xxx als Vorsitzende,

Richter am Kammergericht xxx, Richterin am Kammergericht xxx als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwalt xxx als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft Berlin,

Rechtsanwalt xxx als Verteidiger,

Justizangestellte xxx als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. Januar 2005 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen Untreue zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 80 Euro verurteilt. Auf seine Berufung hat ihn das Landgericht freigesprochen. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat bereits mit der in zulässiger Form erhobenen Verfahrensrüge (vorläufig) Erfolg.

1. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte, ein Rechtsanwalt, nach einem erfolgreich durchgeführten Rechtsstreit eine Forderung für seine Mandantin, die Zeugin Xxx, eingezogen und schuldete ihr nach Herausgabe eines Teils des empfangenen Geldes noch einen Restbetrag von 35.947,00 DM. Ihrem Verlangen vom 14. November 1995 nach Auszahlung dieses Betrages kam er nicht nach. Er "entschloss sich sofort nach Freiwerden des Geldes gegen den Herausgabeanspruch mit eigenen Honorar-, Vorschuss- und Auslagenansprüchen aufzurechnen" und "behielt die 35.947,00 DM für sich". Erst acht Monate nach dem Herausgabeverlangen erteilte er eine Gesamtgebührenabrechnung über verschiedene anwaltliche Leistungen in Höhe von 39.215,79 DM und erklärte damit die Aufrechnung gegen den der Zeugin zustehenden Restbetrag. Die Höhe der einzelnen Gebührenforderungen des Angeklagten sowie der von der Zeugin Xxx hierauf geleisteten Vorschusszahlungen ist zwischen ihnen streitig geblieben. Nach den Feststellungen des Landgerichts stand dem Angeklagten eine aufrechenbare Gesamtforderung von 35.441,97 DM - mithin ein gegenüber dem Anspruch der Zeugin um 505,03 DM geringerer Betrag - zu. Das Landgericht hat den Freispruch im Wesentlichen damit begründet, dass der Angeklagte nicht vorsätzlich in Bezug auf einen Vermögensnachteil seiner Mandantin gehandelt habe, weil er vom Bestehen eigener aufrechnungsfähiger Ansprüche mindestens in Höhe des von seiner Mandantin geforderten Betrages ausgegangen sei.

2. Die Staatsanwaltschaft hatte für den Fall, dass das Landgericht eine bestimmte, in der Gesamtgebührenabrechnung nicht berücksichtigte Vorschusszahlung der Zeugin in Höhe von 3.000 DM für nicht erwiesen ansehen sollte, beantragt, deren Sohn als Zeugen zu vernehmen; auf eine Entscheidung über den Antrag vor Abschluss der Urteilsberatung hat sie ausdrücklich nicht verzichtet. Das Landgericht hat ausweislich der Urteilsgründe die Zahlung als nicht erwiesen angesehen. Es ist dem Beweisantrag nicht nachgegangen und hat ihn auch nicht abgelehnt. Das ist rechtsfehlerhaft. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Urteil auf der Nichterhebung des Beweises bzw. auf dem Fehlen eines begründeten Ablehnungsbeschlusses beruht.

Das Urteil war daher aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückzuverweisen.

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Nach ganz überwiegender Rechtsprechung (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 54; wistra 1988, 191 f; BGHSt 15, 342, 344; RGSt 73, 283, 284 f; OLG Karlsruhe NStZ 1990, 82, 83), der der Senat folgt, macht sich ein Rechtsanwalt, der Gelder für einen Mandanten in Empfang nimmt und nicht einem Anderkonto zuführt, sondern anderweitig verwendet, grundsätzlich wegen Untreue (Treubruchtatbestand) strafbar, weil jeder Verstoß gegen das zivilrechtliche Gebot auf Auskehrung des empfangenen Geldes (§§ 667, 675 BGB) zugleich einen Verstoß gegen die aus dem Anwaltsvertrag resultierende Treuepflicht im Sinne des § 266 StGB bedeutet. Ein solches Verhalten stellt nur dann keinen Verstoß gegen die Treuepflicht dar und führt nur dann nicht zu einem Nachteil i.S. des § 266 StGB, wenn der Anwalt uneingeschränkt bereit und jederzeit fähig ist, einen entsprechenden Betrag aus eigenen flüssigen Mitteln vollständig auszukehren. Von dieser Rechtsprechung abweichend soll zwar nach der Entscheidung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 30. Oktober 1985 (NStZ 1986, 361; kritisch OLG Karlsruhe NStZ 1990, 82, 83 f) der Verstoß eines Rechtsanwalts gegen seine Verpflichtung, für einen Mandanten empfangenes Geld rechtzeitig herauszugeben, nur als zivilrechtlicher Vertragsbruch und nicht als Verletzung einer spezifischen Untreuepflicht im Sinne des § 266 StGB zu qualifizieren sein. Auch nach dieser Entscheidung hätte sich der Angeklagte jedoch wegen Untreue strafbar gemacht, wenn er das Mandantengeld "angegriffen oder dessen Bestand im Tatzeitraum konkret gefährdet hätte" (vgl. BGH aaO).

Das Landgericht hat keine näheren Feststellungen über den Verbleib des einbehaltenen Geldes und die finanzielle Situation des Angeklagten im Tatzeitraum getroffen. Ungeklärt ist daher, ob der Angeklagte das Geld zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen verwandt, sonst zu eigenen Zwecken genutzt oder dem drohenden Zugriff seiner Gläubiger ausgesetzt hat - was für eine Untreue spräche (vgl. Feuerich/Weyland, BRAO 6. Aufl., § 43 a Rdn. 90) - oder ob er zum Ausgleich des einbehaltenen Betrages jederzeit bereitstehende Mittel zur Verfügung gehabt hat, was einen Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB entfallen ließe (vgl. Feuerich, BRAK-Mitt 1988, 167, 173). Dies wird der neue Tatrichter aufzuklären haben. Er wird außerdem zu berücksichtigen haben, dass eine konkrete Gefährdung der einbehaltenen Mandantengelder auch in einer die Geltendmachung von Herausgabeansprüchen erschwerenden unordentlichen, lückenhaften oder falschen Abrechnung liegen kann (vgl. BGHSt 20, 304; Feuerich, BRAK-Mitt 1988, 167, 173). Anhaltspunkte hierfür ergeben sich aus dem Umstand, dass nach den Feststellungen die Gesamtgebührenabrechnung des Angeklagten Vorschusszahlungen der Zeugin Xxx von mehr als 2.000 DM nicht berücksichtigt hat.

b) Sofern in der neuen Hauptverhandlung eine Gefährdung des Herausgabeanspruchs nach Maßgabe der unter a) dargelegten Grundsätze festgestellt wird, wäre der hierdurch zugefügte Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB - entgegen dem angefochtenen Urteil - nicht dadurch entfallen, dass dem Angeklagten aufrechenbare Gegenansprüche zustanden.

aa) Eine Forderung, mit der aufgerechnet werden soll, muss nicht nur fällig, sondern auch klagbar sein (vgl. Münchener Kommentar/Schlüter, BGB 4. Aufl., § 387 Rdn. 37; Palandt/Grüneberg, BGB 66. Aufl., § 387 Rdn. 11). Ein Rechtsanwalt kann daher mit einer Gebührenforderung nur aufrechnen, wenn er zuvor gemäß den gesetzlichen Anforderungen - d.h. dem hier zur Tatzeit geltenden § 18 BRAGO, jetzt § 10 RVG - Rechnung gelegt hat (vgl. BGH AnwBl 1985, 257, 258; KG AnwBl 1982, 71, 72; Hartmann, Kostengesetze 33. Aufl., § 18 BRAGO Rdn. 24, 37. Aufl., § 10 RVG Rdn. 24 m.w.Nachw.). Zivilrechtlich erlischt somit die Herausgabeforderung des Mandanten, gegen die aufgerechnet wird, nicht rückwirkend, sondern erst nach erfolgter Rechnungslegung und zeitlich zugleich mit der Aufrechnungserklärung.

Im Ergebnis nicht anders verhält es sich mit Ansprüchen auf einen Vorschuss. Der Rechtsanwalt kann zwar gemäß § 17 BRAGO (jetzt § 9 RVG) für die entstandenen und die voraussichtlich entstehenden Gebühren und Auslagen einen angemessenen Vorschuss fordern. Das Vorschussrecht entsteht mit dem Anwaltsvertrag (vgl. BGH AnwBl. 1989, 227, 228; Hartmann, Kostengesetze 33. Aufl., § 17 BRAGO Rdn. 7, 37. Aufl., § 9 RVG Rdn. 7). Nach dem klaren Gesetzeswortlaut muss jedoch eine Vorschuss-"Forderung" des Anwalts hinzutreten (vgl. Hartmann, ebenda). Diese muss zwar nicht in der Form des § 18 BRAGO/§ 9 RVG erfolgen, setzt aber zumindest voraus, dass der Anwalt seinem Mandanten die Höhe des zu zahlenden Vorschusses mitteilt (vgl. Gerold/Schmidt/Madert, RVG 17. Aufl., § 9 Rdn. 2; ferner Hartmann aaO: Aufgliederung ratsam; Bischof/Mathias, RVG, § 9 Rdn. 37: empfehlenswert, die Höhe des Vorschusses durch eine Berechnung plausibel zu machen). Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte eine derartige Mitteilung nicht gemacht. Sein Schweigen auf das wiederholte Herausgabeverlangen seiner Mandantin kann nicht als konkludente Geltendmachung von Vorschussansprüchen und dementsprechend auch nicht als wirksame Aufrechnungserklärung gewertet werden.

bb) Strafrechtlich bedeutet dies, dass ein dem Mandanten zugefügter Vermögensschaden erst in dem Zeitpunkt beseitigt und die Tat im Sinne des § 78 a StGB beendet wird, wenn der Rechtsanwalt die Aufrechnung tatsächlich erklärt. Das Bestehen aufrechenbarer Gegenansprüche kann sich somit lediglich bei der Strafzumessung auswirken (vgl. BGH LM Nr. 35 zu § 266 StGB; OLG Köln AnwBl 1999, 608; Senat, Beschluss vom 29. November 1996 - (4) 1 Ss 272/96 (116/96) -; Leipziger Kommentar/Hübner, StGB 10. Aufl., § 266 Rdn. 100). Für die Erfüllung des Untreuetatbestandes ist es daher auch unerheblich, dass dem Angeklagten nach den Feststellungen des Urteils eine weitere in der Gesamtgebührenabrechnung nicht berücksichtigte Honorarforderung in Höhe von 7.668,20 DM zugestanden hat; auch dies könnte nur bei der Strafzumessung berücksichtigt werden.

c) Aus dem Vorstehenden ergibt sich auch, dass die Einlassung des Angeklagten, er habe geglaubt, aus seiner anwaltlichen Tätigkeit für die Zeugin Gegenforderungen mindestens in Höhe des von ihr beanspruchten Geldbetrages gehabt zu haben, allenfalls für einen möglichen Verbotsirrtum (§ 17 StGB), nicht aber den Vorsatz (§ 16 StGB) erheblich sein kann. Denn dem Angeklagten war bewusst, dass er seiner Mandantin das ihr zustehende Geld vorenthielt. Die von ihm seit dem Herausgabeverlangen beabsichtigte Aufrechnung mit eigenen Forderungen aus anwaltlicher Tätigkeit setzte, wie dargelegt, voraus, dass er eine Abrechnung erteilte bzw. eine Vorschussforderung geltend machte, und sie konnte die Forderung seiner Mandantin nicht rückwirkend, sondern nur ab dem Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung zum Erlöschen bringen. Dass der Angeklagte über diese - eindeutige - Rechtslage geirrt habe, hat er selbst nicht behauptet. Sofern er geglaubt haben sollte, das Geld bis zur Aufrechnung zurückbehalten zu dürfen, wäre er einem vermeidbaren Verbotsirrtum erlegen gewesen.

d) Im Falle eines erneuten Schuldspruchs wird bei der Strafzumessung die Regelung des § 13 Abs. 2 StGB zu beachten sein (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 357).

Vor allem aber wird bei der Rechtsfolgenbestimmung die außergewöhnlich lange Dauer des Verfahrens zu berücksichtigen sein. Ein extremer Fall, der eine Verfahrenseinstellung geböte (vgl. dazu Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl., § 46 Rdn. 63 m.Nachw.) liegt derzeit noch nicht vor. Sollte es, insbesondere aufgrund der noch erforderlichen Aufklärung des Sachverhalts, zu nicht mehr vertretbaren Verzögerungen kommen, wird sich allerdings die Frage nach einer Einstellung des Verfahrens gemäß den §§ 153 Abs. 2, 153 a Abs. 2, gegebenenfalls auch § 260 Abs. 3 StPO aufdrängen.

Ende der Entscheidung

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