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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 21.09.2005
Aktenzeichen: (4) 1 Ss 421/04 (191/04)
Rechtsgebiete: AufenthG, AuslG


Vorschriften:

AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 6a
AuslG § 92 Abs. 1 Nr. 3
Zur Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 6a AufenthG bzw. § 92 Abs. 1 Nr. 3 AuslG wg. Teilnahme am "Hütchenspiel".
(4) 1 Ss 421/04 (191/04)

In der Strafsache gegen

wegen Vergehens gegen das Ausländergesetz

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 21. September 2005 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. Juli 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen eines Vergehens gegen das Ausländergesetz gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 3 AuslG (Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Auflage nach § 14 Abs. 2 Satz 2 AuslG) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und den Verfall von neun bei ihm sichergestellten Fünfzig-Euro-Scheinen angeordnet. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten verworfen. Seine Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Nachdem das Ausländergesetz mit Wirkung vom 1. Januar 2005 aufgehoben und durch das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ersetzt worden ist, beurteilt sich die Strafbarkeit des Angeklagten nach § 95 Abs. 1 Nr. 6 a AufenthG. Diese Vorschrift ist gegenüber dem zur Tatzeit (6. April 2003) geltenden und vom Landgericht der Verurteilung zugrunde gelegten § 92 Abs. 1 Nr. 3 AuslG das mildere Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB, weil sie anders als jene Norm einen wiederholten Verstoß gegen eine aufenthaltsrechtliche Auflage voraussetzt. Das Landgericht hat einen solchen nicht festgestellt. Das Urteil war daher gemäß § 354 a StPO aufzuheben.

2. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen auch nicht die Verurteilung des Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen das zur Tatzeit geltende Ausländergesetz.

Sie weisen zwar aus, dass die dem Angeklagten erteilte befristete Aufenthaltserlaubnis mit der Auflage versehen worden war, keine selbständige oder vergleichbare unselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben (UA S. 5). Die Feststellungen lassen jedoch nicht erkennen, dass der Angeklagte dieser Auflage zuwider gehandelt hat. Aus ihnen ergibt sich nicht, dass die Mitwirkung des Angeklagten am so genannten Hütchenspiel eine ihm untersagte selbständige Erwerbstätigkeit darstellt. Hierzu müsste dem Angeklagten die Rolle eines Veranstalters, mithin eine eigene unternehmerische Betätigung nachgewiesen worden sein (vgl. Senat, Beschluss vom 8. Januar 1998 - (4) 1 Ss 127/97 (121/97) - <juris>). Es fehlen insoweit bereits Feststellungen dazu, dass es sich um eine fortgesetzte, in Wiederholungsabsicht ausgeübte Tätigkeit handelte. Das Landgericht hat auch nicht festgestellt, ob der Angeklagte die Tätigkeit als gleichberechtigter Partner der übrigen unbekannten Mitspieler, die als Scheinspieler auftraten (UA S. 5), ausübte und an Gewinn und Verlust gleichermaßen beteiligt war. Einen generellen Erfahrungssatz, dass der Teilnehmer an einem Hütchenspiel damit stets eine selbständige Tätigkeit ausübt, gibt es nicht; dies gilt umso mehr, wenn es sich - wie hier - um eine einmalige Teilnahme handelt (vgl. Senat aaO). Rückschlüsse aus den den Vorverurteilungen wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz zugrunde liegenden Taten sind bereits deshalb nicht möglich, weil das Landgericht nicht mitteilt, was im Einzelnen Gegenstand der Verurteilungen war. Soweit die Urteilsgründe im Rahmen der Beweiswürdigung anführen (UA S. 6), die kurz vor dem 6. April 2003 verbüßte Freiheitsstrafe sei ebenfalls wegen Hütchenspielens verhängt worden, ist nicht festgestellt, ob jenem Urteil auch ein Verstoß gegen eine Auflage des Verbots der selbständigen Erwerbstätigkeit zugrunde lag oder dem Angeklagten damals jegliche Erwerbstätigkeit verboten war. Das Urteil, welches am 26. Mai 1998 erging (UA S. 4), liegt im Übrigen - ebenso wie die weitere Verurteilung vom 13. Dezember 2001 (UA S. 4) - mehrere Jahre zurück.

Die Feststellungen belegen auch nicht, dass der Angeklagte eine ihm der selbständigen vergleichbare unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, die ihm durch eine Auflage untersagt worden war. Die Auflage, einer vergleichbaren unselbständigen Erwerbstätigkeit nicht nachzugehen, soll die Umgehung des Verbots der selbständigen Erwerbstätigkeit durch unternehmerische Scheinstrukturen unterbinden. Verhindert werden sollen die Betätigung eines Ausländers in einer Gesellschaft sowie das Vorschieben befugter Personen in einer Gesellschaft oder eines Strohmannes, der im Innenverhältnis dem durch Auflage gebundenen Ausländer die Ausübung des Gewerbes in eigener Verantwortung oder auf eigene Rechung überlässt (vgl. Senat aaO). Dass der Angeklagte hinter einer derartigen Tarnperson wiederholt selbständig das Hütchenspiel veranstaltet hat, hat das Landgericht nicht festgestellt.

3. Nach den Feststellungen erscheint es zwar ausgeschlossen, dass das Landgericht in einer neuen Hauptverhandlung zur selbständigen Erwerbstätigkeit des Angeklagten weitere Feststellungen treffen könnte, zumal nach neuem Recht, wie dargelegt, ein wiederholter Verstoß gegen die aufenthaltsrechtliche Auflage festgestellt werden müsste. Ein Freispruch kommt jedoch bereits deshalb nicht in Betracht, weil das Verhalten des Angeklagten den Tatbestand einer - nicht verjährten (§ 32 Abs. 2 OWiG) - Ordnungswidrigkeit nach § 51 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 1 des Hessischen Straßengesetzes erfüllt haben könnte (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Januar 1998 aaO und 8. Februar 1993 - (4) 1 Ss 168/92 (64/92) -). Zwar handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit nach hessischem Landesrecht. Das grundsätzlich geltende Recht des Tatortes kann jedoch auch von dem Gericht eines anderen Landes angewendet werden (vgl. BGHSt. 11, 365, 366; Göhler, OWiG 13. Aufl., § 5 Rdn. 13).

Der Senat kann den Schuldspruch nicht berichtigen, da noch weitere Feststellungen zu der möglichen Ordnungswidrigkeit zu treffen sind und der Angeklagte bisher noch nicht gemäß § 265 StPO auf die Möglichkeit einer entsprechenden Verurteilung hingewiesen worden ist. Das angefochtene Urteil war daher mit den Feststellungen aufzuheben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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