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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 31.03.2004
Aktenzeichen: (4) 1 Ss 476/03 (218/03)
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 329 Abs. 1
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2
StPO § 354 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
(4) 1 Ss 476/03 (218/03)

In der Strafsache

wegen räuberischen Diebstahls u.a.

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 31. März 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. Juli 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Schöffengerichts Tiergarten vom 6. März 2003 mit der angefochtenen Entscheidung nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen.

Die Revision des Angeklagten beanstandet das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge Erfolg, so daß die Sachrüge keiner Erörterung bedarf.

1. Der Senat kann offen lassen, ob der Angeklagte überhaupt - wie es § 329 Abs. 1 StPO voraussetzt - ordnungsgemäß zur Berufungshauptverhandlung geladen worden war. Dem angefochtenen Urteil ist dazu zu entnehmen, daß die Ladung am 24. Juni 2003 unter der von dem Angeklagten "ausdrücklich als zutreffend versicherten Anschrift" (UA S. 3) zugestellt worden ist, sein Verteidiger aber (in der Hauptverhandlung) vorgetragen hat, der Angeklagte sei bereits seit dem 30. April 2003 in Budapest inhaftiert. Der Senat brauchte hierzu keine eigenen Ermittlungen anzustellen, da eine Rüge der fehlerhaften Ladung jedenfalls nicht in der nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Form erhoben ist. Denn danach hätte der Beschwerdeführer alle hierfür maßgeblichen Tatsachen vortragen müssen (vgl. OLG Karlsruhe NZV 1996, 164). Dazu hätte neben Angaben zu den näheren Umständen und der voraussichtlichen Dauer der Freiheitsentziehung hier insbesondere auch die Erklärung gehört, daß dem Angeklagten die Terminsladung nicht auf andere Weise mit der Folge einer Heilung des Zustellungsmangels (§ 189 ZPO) zugegangen ist. Daran fehlt es hier. Im übrigen führen Fehler bei der Terminsladung nur dann zur Aufhebung eines auf § 329 Abs. 1 StPO gestützten Urteils, wenn sie verhindert haben, daß der erscheinungswillige Angeklagte an der Berufungsverhandlung teilnehmen konnte (vgl. Senat, Beschluß vom 10. Januar 2002 - (4) 1 Ss 238/01 (169/01) -). Die Revision macht insoweit jedoch lediglich geltend, das Ausbleiben des Angeklagten beruhe auf seiner Freiheitsentziehung.

2. Der Angeklagte rügt aber mit Erfolg, daß das Landgericht den Rechtsbegriff der "genügenden Entschuldigung" in § 329 Abs. 1 StPO verkannt und insoweit seiner Aufklärungspflicht nicht nachgekommen ist.

Das Landgericht geht offensichtlich selbst davon aus, daß eine Inhaftierung des Angeklagten sein Ausbleiben hätte entschuldigen können. Es hat das Vorbringen des Verteidigers jedoch als "unglaubhaft" (UA S. 3) und als nicht "überprüfbar" (UA S. 4) abgetan sowie zur Begründung der angefochtenen Entscheidung ferner ausgeführt, daß der Angeklagte seine angebliche Verhinderung nicht (rechtzeitig) mitgeteilt habe (UA S. 4).

Diese Begründung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts ist nicht entscheidend, ob ein Angeklagter sich entschuldigt hat, sondern ob er tatsächlich entschuldigt war (vgl. Senat, Beschluß vom 15. Februar 1993 - (4) 1 Ss 187/92 (3/93) -). Eine Mitwirkungspflicht bei der Feststellung von Entschuldigungsgründen trifft ihn nicht. Er ist weder zur Glaubhaftmachung noch zum Nachweis der behaupteten Verhinderung verpflichtet (vgl. Senat aaO). Zweifel an der Richtigkeit des Vertrags oder die nicht mit Tatsachen belegte Vermutung des Landgerichts, der Angeklagte wolle nur die Rechtskraft seiner Verurteilung hinauszögern (UA S. 4), rechtfertigen die Verwerfung der Berufung jedenfalls nicht. Bestehen nämlich Anhaltspunkte dafür, daß das Ausbleiben des Angeklagten genügend entschuldigt sein kann, so ist das Gericht gehalten, solche Entschuldigungsgründe von Amts wegen im Freibeweisverfahren nachzuprüfen (vgl. BGHSt 17, 391; Senat, Beschluß vom 11. Oktober 2000 - (4) 1 Ss 256/00 (133/00) -). Das bedeutet allerdings nicht, daß umfangreiche und zeitaufwendige Nachforschungen notwendig sind. Das Gericht ist nur zur Erhebung von solchen Beweisen verpflichtet, die sofort zur Verfügung stehen und eine Entscheidung noch in derselben Hauptverhandlung zulassen (vgl. BayObLG NStZ-RR 2003, 87). Denn Ermittlungen, die zu erheblichen Verzögerungen führen, würden dem Zweck des § 329 Abs. 1 StPO zuwider laufen, der eine schnelle Erledigung des Berufungsverfahrens ermöglichen soll (vgl. LR-Gössel, StPO, 25. Aufl., Rdn. 24 zu § 329). Das Landgericht hätte hier aber, wenn schon nicht durch eine Nachfrage bei den Justizbehörden in Budapest, wie es der Verteidiger verlangt hat, so doch durch einen Anruf bei der dortigen Deutschen Botschaft oder dem Verbindungsbeamten des BKA ohne größeren Aufwand zu klären versuchen können, ob das Vorbringen des Revisionsführers zutrifft und - gegebenenfalls - die Inhaftierung und damit das Ausbleiben des Angeklagten in der Berufungsverhandlung auf seinem Verschulden beruht (vgl. dazu OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 144). Gründe, die das Landgericht an derartigen Erkundigungen gehindert haben könnten oder keine Aussicht auf Erfolg versprachen, sind der angefochtenen Entscheidung jedenfalls nicht zu entnehmen.

3. Der Senat hebt daher das Urteil auf und verweist die Sache nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.

Ende der Entscheidung

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