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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 25.08.2009
Aktenzeichen: (4) 1 Ss 86/09 (159/09)
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 302
Der durch eine Prozessvollmacht im Adhäsionsverfahren beauftragte Verteidiger ist auch berechtigt, die Berufung hinsichtlich des Adhäsionsausspruchs zurückzunehmen. Er bedarf keiner Ermächtigung iSv § 302 StPO. Er kann das Rechtsmittel sogar gegen die Weisung seines Auftraggebers zurücknehmen.
KAMMERGERICHT

Beschluss

Geschäftsnummer: (4) 1 Ss 86/09 (159/09)

In der Strafsache gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 25. August 2009 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. November 2008 im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit dem vorsätzlichen unerlaubten Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe schuldig ist.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen einer halbautomatischen Schusswaffe zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es den Angeklagten als Adhäsionsbeklagten aufgrund seines Anerkenntnisses in der Hauptverhandlung verurteilt, an den Adhäsionskläger (und Nebenkläger) einen Betrag von 3.000,00 € nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 3. April 2008 zu zahlen und das Anerkenntnisurteil für vorläufig vollstreckbar erklärt. Auf die - auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte - Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil dahin abgeändert, dass es den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt hat. Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht verworfen.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel zu 1) ersichtlichen Umfange Erfolg. Im Übrigen ist es aus den Gründen der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 29. Juni 2009 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, ohne dass die Ausführungen des Verteidigers in der Revisionsbegründungsschrift vom 23. Dezember 2008 sowie in den Schriftsätzen vom 9. Januar 2009 und vom 20. August 2009 daran etwas zu ändern vermögen.

1. Zu der aus der Beschlussformel zu 2) ersichtlichen Schuldspruchberichtigung sah sich der Senat mit Blick auf das Erfordernis einer genauen Bezeichnung der verwirklichten Straftatbestände im Urteilstenor veranlasst. Gemäß den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hinsichtlich Aufbau und Funktionsweise der verwendeten Waffe hat sich der Angeklagte insoweit - wie das Amts- und das Landgericht ausweislich der Urteilsgründe jeweils rechtlich zutreffend gewürdigt haben - (in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) des vorsätzlichen unerlaubten Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2b WaffG in Verbindung mit Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 1.1. und 2.1., Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 Nr. 2.3., 2.6. zu § 1 Abs. 2 WaffG schuldig gemacht (vgl. zur Tenorierung etwa: BGHR WaffG § 52 Konkurrenzen 1; Steindorf, WaffG 8. Aufl., § 52 Rdnr. 12).

2. Das Landgericht ist bei der Strafzumessung von einem Strafrahmen von Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu 15 Jahren ausgegangen, der sich aus § 52 Abs. 1 WaffG ergeben habe. Damit hat es bei seiner Entscheidung einen falschen Strafrahmen zugrunde gelegt. Denn zum einen sieht § 52 Abs. 1 WaffG sowohl in der zur Tatzeit geltenden Fassung als auch in der aktuellen, sich aus Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften (WaffGuaÄndG) vom 26. März 2008 ergebenden Fassung die Verhängung einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vor. Zum anderen ist selbst dieser Strafrahmen hier nahe liegend nicht maßgeblich. Denn der Angeklagte hat sich tateinheitlich mit dem Verstoß gegen das WaffG auch einer gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht, bei der gemäß dem sich aus § 224 Abs. 1 StGB ergebenden Regelstrafrahmen eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu verhängen ist. Im Hinblick auf § 52 Abs. 2 StGB wäre demnach dieser Strafrahmen bei der Strafzumessung zugrunde zu legen gewesen. Allein wenn die Strafkammer - wofür allerdings aus Sicht des Senats angesichts der (rechtsfehlerfrei festgestellten) Strafzumessungstatsachen trotz der Zahlung des Schmerzensgeldes wenig spricht - dazu gekommen wäre, es habe sich bei der Tat um einen minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB gehandelt, der die Verhängung einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht, wäre die Strafe dem oben benannten Strafrahmen des § 52 Abs. 1 WaffG zu entnehmen gewesen.

Überdies hat die Kammer nicht erkennbar erwogen, ob die Voraussetzungen des Täter-Opfer-Ausgleichs nach § 46a StGB vorgelegen haben und deshalb eine Strafrahmenverschiebung in Betracht gekommen wäre. Anlass zu einer solchen Erörterung in den Urteilsgründen bestand angesichts des erklärten Anerkenntnisses des Angeklagten im Adhäsionsverfahren, der darauf beruhenden nachfolgenden Zahlung des Schmerzensgeldes an den Geschädigten und dessen ausweislich der Urteilsgründe abgegebener Erklärung, er wolle mit dem Geschehen abschließen und habe die Entschuldigung des Angeklagten angenommen. Dies spricht dafür, dass er die Zahlung des Angeklagten als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert hat (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl., § 46a, Rdnr. 10d m.w.Nachw.). Bei einer derartigen Sachlage die Zahlung des Angeklagten allein - wie geschehen - im Rahmen des § 46 StGB allgemein strafmildernd zu berücksichtigen, genügt nicht (vgl. BGHR StGB § 46a Nr. 1 Ausgleich 3; Fischer, a.a.O., Rdnr. 12 m.w.Nachw.).

Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die dargestellten Rechtsfehler auf die Höhe der verhängten Strafe ausgewirkt haben. Da die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts zur Strafzumessung jedoch rechtsfehlerfrei getroffen worden sind, können sie bestehen bleiben; ergänzende Feststellungen, die hierzu nicht im Widerspruch stehen, sind zulässig.

Das Urteil war hiernach im Strafausspruch aufzuheben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

3. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft beantragt hat, auf die Revision des Angeklagten das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als seine Berufung gegen die Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld an den Geschädigten verworfen worden sei und von der Entscheidung hierüber abzusehen, kommt dies nicht in Betracht.

Der Adhäsionsausspruch war zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens. Der Angeklagte hat zwar durch seinen ihm gemäß § 140 StPO beigeordneten Verteidiger, der ihm - als Adhäsionsbeklagtem - im Zuge der erstinstanzlichen Hauptverhandlung unter Gewährung von Prozesskostenhilfe auch als Verteidiger im Adhäsionsverfahren beigeordnet worden war (§ 404 Abs. 5 StPO), Berufung eingelegt, mit der er das Urteil des Amtsgerichts mangels erkennbarer Einschränkung zunächst umfassend auch bezogen auf den bürgerlich-rechtlichen Teil angegriffen hat (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl., § 406a Rdnr. 5). Soweit das Rechtsmittel ursprünglich auch den Adhäsionsausspruch umfasst hatte, hat er es jedoch über seinen Verteidiger mit dessen Schriftsatz vom 14. Juli 2008 wirksam zurückgenommen. Voraussetzung für die Wirksamkeit einer solchen Rücknahmeerklärung ist, dass der hierauf gerichtete Wille in dieser Erklärung eindeutig und zweifelsfrei zum Ausdruck kommt. Dass die Worte "Rücknahme" bzw. "Teilrücknahme" oder "Beschränkung der Berufung" nicht verwendet werden, ist insoweit in der Regel unschädlich (vgl. Paul in KK, StPO 6. Aufl., § 302 Rdnr. 11 m.w.N.; Meyer-Goßner, a.a.O., § 302 Rdnr. 7). Im Schriftsatz vom 14. Juli 2008 hat der Verteidiger für den Adhäsionsbeklagten (und Angeklagten) zum einen ausgeführt, dass dieser den mit dem Anerkenntnisurteil festgesetzten Betrag von 3.000,00 € an den Adhäsionskläger (und Nebenkläger) gezahlt hat. Diese Zahlung verbunden mit der im selben Schriftsatz enthaltenen Erklärung, "zur Berufungseinlegung vom 9. April 2008 werde nunmehr darauf hingewiesen, dass die Berufung lediglich im Hinblick auf das Strafmaß durchgeführt werden solle", ist sachgerecht - mit Blick auf den objektiven, dem Empfänger der Erklärung vernünftigerweise erkennbaren Sinn (Greger in Zöller, ZPO 27. Aufl., vor § 128 Rdnr. 25) - eindeutig und zweifelfrei dahingehend auszulegen, dass der Adhäsionsausspruch mit der Berufung des Angeklagten nicht mehr angegriffen werden soll, also die Berufung insoweit zurückgenommen wird. Der Wirksamkeit dieser Rücknahmeerklärung steht nicht entgegen, dass der Verteidiger des Adhäsionsbeklagten dazu nicht im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO ausdrücklich ermächtigt war. Diese Regelung betrifft nur strafprozessuale Rechtsmittel, nicht jedoch Fälle, in denen - wie hier - die Rücknahme eines Rechtsmittels allein gegen den bürgerlichrechtlichen Teil eines Urteils in Rede steht. Bei einer derartigen Konstellation sind maßgebend zivilprozessuale Grundsätze in den Blick zu nehmen, schon da die Frage der Wirksamkeit einer Berufungsrücknahme nur hinsichtlich des Adhäsionsausspruchs allein die Verfolgung eines zivilrechtlichen Anspruchs betrifft und deshalb eine Würdigung nach strafprozessualen Regelungen fehl ginge. Im Zivilprozess ist eine durch den Prozessbevollmächtigten erklärte Berufungsrücknahme selbst dann wirksam und dem Gegner bzw. dem Gericht gegenüber bindend, wenn diese Erklärung nicht den Weisungen der vertretenen Partei entspricht. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang allein, dass am Fortbestehen der Prozessvollmacht kein Zweifel besteht (vgl. BGH FamRZ 1988, 496; Vollkommer in Zöller, a.a.O., § 81 Rdnr. 3). Dies ist vorliegend der Fall. Der Angeklagte hat bereits während des Ermittlungsverfahrens seinem Verteidiger eine umfassende, nicht nur auf den strafrechtlichen Teil des Verfahrens beschränkte Vollmacht erteilt, die bei sachgerechter Auslegung die Vollmacht umfasst hat, ihn im Rahmen des Strafprozesses gegebenenfalls auch als Adhäsionsbeklagten zu vertreten. Dafür spricht überdies, dass der Angeklagte weder in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung noch zu einem späteren Zeitpunkt Einwände gegen die Beiordnung seines Verteidigers für das Adhäsionsverfahren erhoben hat. Zwar konnte dieser die Berufung bezogen auf den Adhäsionsausspruch in seiner Funktion als beigeordneter Verteidiger im Adhäsionsverfahren nicht wirksam zurücknehmen. Denn diese Beiordnung wirkte gemäß § 404 Abs. 5 StPO in Verbindung mit § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur für den erstinstanzlichen Rechtszug. Da der Begriff des Rechtszugs kostenrechtlich zu verstehen ist (Zöller, a.a.O., § 119 Rdnr. 1), erstreckte sich die durch das Amtsgericht beschlossene Beiordnung nach § 404 Abs. 5 StPO - § 19 Abs. 1 Nr. 10 RVG berücksichtigend - auf die Einlegung der Berufung, nicht aber auf weitere Verfahrensabschnitte. Der Verteidiger war jedoch - trotz des Ausbleibens einer erneuten Beiordnung gemäß § 404 Abs. 5 StPO im Berufungsverfahren - schon als vom Adhäsionsbeklagten beauftragter Prozessbevollmächtigter befugt, die Berufung insoweit zurückzunehmen. Anhaltspunkte, die dazu Veranlassung hätten geben können, am Fortbestand dieser Prozessvollmacht im Berufungsverfahren zu zweifeln, haben sich nicht ergeben. In dieser Funktion hat der Verteidiger des Adhäsionsbeklagten, unabhängig von einer entsprechenden ausdrücklichen Ermächtigung, die Berufung, soweit sie den bürgerlichrechtlichen Teil des Urteils des Amtsgerichts betraf, wirksam zurückgenommen.

Da der Adhäsionsausspruch somit nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens war, hat das Landgericht folgerichtig in dem angefochtenen Urteil darüber auch nicht mehr entschieden. Der Senat ist mithin auch nicht zu der von der Generalstaatsanwaltschaft beantragten Entscheidung aufgerufen. Er weist jedoch darauf hin, dass das Landgericht die Entscheidung über die Kosten und notwendigen Auslagen der Beteiligten nachzuholen hat, die dadurch entstanden sind, dass die Berufung ursprünglich auch betreffend den Adhäsionsausspruch eingelegt worden war.



Ende der Entscheidung

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