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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 19.03.2009
Aktenzeichen: (4) 1 Ss 98/09 (59/09)
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 154 Abs. 2
Mit der Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO durch Gerichtsbeschluss entsteht ein in jeder Lage des Verfahrens zu beachtendes Verfahrenshindernis, das nur durch einen förmlichen Wiederaufnahmebeschluss beseitigt werden kann. Ein Wiederaufnahmebeschluss ist unwirksam und beseitigt das Verfahrenshindernis nicht, wenn die materiellen Voraussetzungen für die Wiederaufnahme nicht vorliegen.
KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: (4) 1 Ss 98/09 (59/09)

In der Strafsache gegen

wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 19. März 2009 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 16. Dezember 2008 aufgehoben.

Das Verfahren wird eingestellt.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz am 27. Juni 2007 im Strafbefehlsverfahren zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 20,00 € verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte form- und fristgerecht Einspruch eingelegt. Mit Beschluss vom 26. Oktober 2007 hat das Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO "vorläufig" eingestellt mit der Begründung, dass die Strafe, zu der die Verfolgung führen könne, neben der Strafe, die der Angeklagte in den Verfahren 261a Ds 38/06 und 282 Ds 162/06 zu erwarten habe, nicht ins Gewicht falle. In dem Verfahren des Amtsgerichts Tiergarten zum Geschäftszeichen 261a Ds 284/05, zu dem das Verfahren 261a Ds 38/06 hinzuverbunden worden ist, ist der Angeklagte am 13. Dezember 2007 rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt worden. Weiterhin befindet sich in der Akte, offensichtlich durch den Vorsitzenden selbst aus dem justizinternen Informationssystem "Aulak" entnommen, Rubrum und Tenor eines Urteils des Amtsgerichts Tiergarten im Verfahren 282 Ds 162/06, aus dem sich ergibt, dass der Angeklagte in diesem Verfahren am 18. April 2008 freigesprochen worden ist. Nach Anhörung der Staatsanwaltschaft, die sich gegen eine "endgültige" Verfahrenseinstellung ausgesprochen hat, da die verhängte Geldstrafe von 150 Tagessätzen keine Grundlage hierfür bilde, aber ohne Anhörung des Angeklagten hat der Vorsitzende am 10. Juni 2008 ohne weitere Begründung verfügt, dass das Verfahren wieder aufgenommen wird; zugleich hat er Termin zur Hauptverhandlung bestimmt. Die Wiederaufnahme ist dem Angeklagten nicht ausdrücklich bekannt gemacht worden. Aufgrund eines Hinweises des Verteidigers hat sich sodann im September 2008 herausgestellt, dass in dem Verfahren 282 Ds 162/06 tatsächlich nicht der Angeklagte, sondern der dort Mitangeklagte Albrecht rechtskräftig freigesprochen worden ist; soweit sich dieses Verfahren gegen den Angeklagten richtet, ist es weiterhin anhängig. Gleichwohl ist am 16. Dezember 2008 gegen den Angeklagten das angefochtene Urteil ergangen, mit dem die gegen den Angeklagten verhängte Geldstrafe auf 50 Tagessätzen zu je 15,00 € herabgesetzt worden ist.

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Einstellung des Verfahrens.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 26. Oktober 2007 das Verfahren wirksam gemäß §§ 154 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO eingestellt im Hinblick darauf, dass die Strafe, zu der die Verfolgung führen kann, neben den Strafen, die der Angeklagte in den Verfahren 261a Ds 38/06 und 282 Ds 162/06 zu erwarten habe, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt. Der gerichtliche Einstellungsbeschluss nach § 154 Abs. 2 StPO hat eine beschränkte materielle Rechtskraft (vgl. BGH NJW 1957, 637, 638; Meyer-Goßner, StPO 51. A., § 154 Rdnr. 17; Beulke in Löwe-Rosenberg, StPO 26. A., § 154 Rdnr. 42; Weßlau in Systematischer Kommentar, StPO, § 154 Rdnr. 37) und beendet die gerichtliche Anhängigkeit (vgl. BGH a.a.O; OLG Frankfurt NStZ 1985, 39; OLG Celle NStZ 1985, 218; Meyer-Goßner, a.a.O.). Mit der Einstellung durch Gerichtsbeschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO entsteht ein auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis, das nur durch einen förmlichen Wiederaufnahmebeschluss nach § 154 Abs. 5 StPO beseitigt werden kann (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 83; NStZ 2007, 476; BGH, Beschluss vom 9. November 2004 - 3 StR 382/04; BGH GA 1981, 36; Beulke, a.a.O., Rdnr. 52; Weßlau, a.a.O.; Schoreit in Karlsruher Kommentar, StPO 6. A., § 154 Rdnr. 28).

Entgegen der Ansicht der Revision hat das Amtsgericht der Sache nach einen Wiederaufnahmebeschluss gefasst, indem der hierzu allein zuständige Vorsitzende am 10. August 2008 vermerkt hat, das Verfahren werde wieder aufgenommen, auch wenn - obwohl dies erforderlich gewesen wäre (vgl. Beulke a.a.O., Rdnr. 69; Weßlau, a.a.O., Rdnr. 46) - der Angeklagte nicht zuvor gemäß § 33 Abs. 3 StPO angehört und der Beschluss dem Angeklagten nicht bekannt gemacht worden ist.

Da die Wiederaufnahme nur zulässig ist, wenn die Grundlage des Einstellungsbeschlusses nachträglich wegfällt (vgl. Beulke, a.a.O., Rdnr. 75 und JR 1986, 50, 51) und das Gesetz die Wiederaufnahme des Verfahrens grundsätzlich nur unter den in § 154 Abs. 4 StPO genannten Voraussetzungen zulässt, wird trotz Vorliegens eines Wiederaufnahmebeschlusses das Verfahrenshindernis nicht beseitigt, wenn die materiellen Voraussetzungen für die Wiederaufnahme nicht vorliegen (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 83; Rieß GA 1981, 37;). So ist es hier. Zwar ist anerkannt, dass § 154 Abs. 4 StPO die zur Wiederaufnahme führenden Gründe nicht abschließend enthält (vgl. BGH NStZ 1986, 36 m. Anm. Rieß; Beulke in LR, a.a.O., Rdnr. 73, 75 und JR 1986, 50, 51; Weßlau, a.a.O., Rdnr. 43 f.) und dass sowohl Einstellung als auch Wiederaufnahme jeweils eine Ermessensentscheidung des mit der Sache befassten Gerichts darstellt und sich daher hinsichtlich ihrer konkreten Grundlagen naturgemäß weitgehend einer gerichtlichen Überprüfung entziehen (vgl. OLG Frankfurt NStZ 1985, 39). Auch wenn der Wiederaufnahmebeschluss vom 10. August 2008 keine Begründung enthält, ergibt sich aus dem Verfahrensgang zweifelsfrei, dass das Gericht die Wiederaufnahme des Verfahrens beschlossen hat, weil der Angeklagte in dem Verfahren 261a Ds 284/05, zu dem das Verfahren 261a Ds 38/06 hinzuverbunden worden ist, lediglich zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt und im Verfahren 282 Ds 162/06 - scheinbar - freigesprochen worden ist und sich damit die der Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO zugrunde liegende Straferwartung in den Bezugsverfahren nicht erfüllt hat. Tatsächlich traf diese Annahme des Amtsgerichts aber nicht zu, da das Verfahren 261a Ds 38/06 hinsichtlich des Angeklagten nicht mit einem Freispruch abgeschlossen worden ist, sondern noch immer anhängig ist. Die materielle Voraussetzung für die Wiederaufnahme, nämlich die Widerlegung der Annahme, dass die im hiesigen Verfahren zu erwartende Strafe neben der Strafe, die der Angeklagte u.a. in dem Verfahren 261a Ds 38/06 zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt, liegt, da in dieser Sache noch keine abschließende Entscheidung ergangen ist, somit (noch) nicht vor. Daher konnte der Wiederaufnahmebeschluss das sich aus der gerichtlichen Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO ergebende Verfahrenshindernis nicht beseitigen.

Da das Verfahrenshindernis bereits vor Erlass des angefochtenen Urteils eingetreten war, sodass das Amtsgericht nach § 260 Abs. 3 StPO hätte verfahren müssen, war gemäß § 349 Abs. 4 StPO das Urteil aufzuheben und das Verfahren gemäß § 354 Abs. 1 StPO einzustellen (vgl. OLG Celle NStZ 2008, 118; Meyer-Goßner, a.a.O., § 206a Rdnr. 6, jeweils m.w.N. auch zur Gegenmeinung, die - ohne Urteilsaufhebung - allein § 206a StPO anwendet).

Ende der Entscheidung

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