Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 28.03.2007
Aktenzeichen: (4) Ausl.A. 343/07 (70/07)
Rechtsgebiete: IRG


Vorschriften:

IRG § 10
IRG § 15 Abs. 1
IRG § 83 a Abs. 1
IRG § 83 a Abs. 2
Liegt lediglich ein - über Interpol übermitteltes - Festnahmeersuchen, nicht aber ein Europäischer Haftbefehl oder eine Ausschreibung nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen vor und sind auch keine Unterlagen nach § 10 IRG übermittelt worden, ist die Anordnung der Auslieferungshaft nach § 15 Abs. 1 IRG nicht zulässig. Denn es fehlt an Auslieferungsunterlagen im Sinne von § 83 a Abs. 1 oder 2 IRG. Das gilt auch dann, wenn in dem Festnahmeersuchen auf einen Europäischen Haftbefehl Bezug genommen wird.
KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: (4) Ausl.A. 343/07 (70/07)

In der Auslieferungssache

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 28. März 2007 beschlossen:

Tenor:

Gegen den Verfolgten wird die vorläufige Auslieferungshaft angeordnet.

Gründe:

Die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (Interpol) Warschau hat über Interpol Wiesbaden um die Festnahme des Verfolgten zum Zwecke der Auslieferung ersucht. Dem Ersuchen liegt der Europäische Haftbefehl des Bezirksgerichts in G. W. vom 5. Juli 2006 zugrunde, der bislang nicht übermittelt worden ist. Der Verfolgte ist am 22. März 2007 vorläufig festgenommen worden. Bei seiner richterlichen Vernehmung gemäß § 22 IRG am darauf folgenden Tag hat er sich mit der vereinfachten Auslieferung (§ 41 IRG) nicht einverstanden erklärt. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Berlin ordnet der Senat die vorläufige Auslieferungshaft des Verfolgten an.

1. Die Anordnung der Auslieferungshaft gemäß § 15 Abs. 1 IRG kam hier nicht in Betracht. Bislang haben die polnischen Behörden keine Auslieferungsunterlagen im Sinne der §§ 10, 83 a Abs. 1 IRG übermittelt. Es liegen weder der Europäische Haftbefehl des Bezirksgerichts in G. W. vom 5. Juli 2006 - (...) -, auf den in dem Festnahmeersuchen Bezug genommen wird, noch eine Ausschreibung zur Festnahme zwecks Auslieferung nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen vor, die gemäß § 83 a Abs. 2 IRG als Europäischer Haftbefehl gelten könnte. Der Senat hat deshalb gemäß den §§ 16 Abs. 1, 15 Abs. 1 Nr. 1, 1 Abs. 3 und 4 Satz 3 IRG i.V. mit Art. 16 Abs. 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (EuAlÜbk) vom 13. Dezember 1957 (BGBl. 1964 II S. 1369; 1976 II S. 1778) die vorläufige Auslieferungshaft angeordnet.

2. Das über Interpol übermittelte Ersuchen um vorläufige Festnahme entspricht in Form und Inhalt sowie hinsichtlich des Übermittlungsweges den Anforderungen des Art. 16 Abs. 2 und 3 EuAlÜbk. Es wird mitgeteilt, dass gegen den Verfolgten der Europäische Haftbefehl des Bezirksgerichts in G. W. vom 5. Juli 2006 - (...) - besteht und er durch das in seiner Abwesenheit erlassene Urteil des Landgerichts in S. vom 11. April 2001 - (...) - wegen Erpressung, Freiheitsberaubung, Raubes und Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden ist. Nach den übermittelten Feststellungen nahmen der Verfolgte und seine Mittäter am 20./21. Dezember 1999 in R./Polen das Tatopfer gefangen und zwangen es nach Schlägen und Tritten, eine Erklärung über die Rückgabe oder Bezahlung eines Fahrzeugs VW Passat, das anderenfalls in das Eigentum einer anderen Person übergehen würde, zu unterschreiben. Des Weiteren schlug der Verfolgte dasselbe Tatopfer am 20. Dezember 1999 und brachte dessen Reisepass, Führerschein sowie Geld im Nennwert von 50 NLG, 150 DM und 300 PLN an sich.

2. Die Auslieferung des Verfolgten erscheint nicht von vornherein unzulässig (§ 15 Abs. 2 IRG). Bei den in dem Ersuchen wiedergegebenen Taten handelt es sich um auslieferungsfähige strafbare Handlungen im Sinne von Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk. Sie sind sowohl nach dem polnischen Recht (Art. 280 § 1, 275 § 1, 191 § 1, 189 § 1, 11 § 2 polnisches Strafgesetzbuch) als auch nach deutschem Recht (§§ 249, 253, 255, 242, 239, 223, 224, 52, 53, 25 StGB) strafbar. Die noch zu vollstreckende Freiheitsstrafe überschreitet das Mindestmaß von vier Monaten.

Hindernisse, die der Auslieferung des Verfolgten endgültig entgegenstehen, sind derzeit nicht ersichtlich. Zur Prüfung der Voraussetzungen des § 83 Nr. 3 IRG wird den polnischen Behörden Gelegenheit zu geben sein, Auskunft über die Umstände zu erteilen, die zu dem Erlass des Urteils des Landgerichts in S. vom 11. April 2001 in Abwesenheit des Verfolgten geführt haben, oder eine Erklärung abzugeben, dass dem Verfolgten nach seiner Überstellung das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend überprüft wird, und auf Anwesenheit bei der Gerichtsverhandlung eingeräumt wird.

3. Die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft ist erforderlich, weil die Gefahr besteht, dass sich der Verfolgte, sollte er auf freien Fuß gelangen, dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung entziehen würde (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Der Verfolgte verfügt zwar über eine Wohnung in Berlin, ist aber ledig, geht keiner legalen beruflichen Tätigkeit nach und hat pauschal Einwendungen gegen seine Auslieferung erhoben. Angesichts dieser Umstände und der von ihm in Polen zu verbüßenden mehrjährigen Freiheitsstrafe ist zu befürchten, dass er sich nicht davon abhalten lassen wird, sich dem hiesigen Verfahren durch Flucht zu entziehen. Der Zweck der Auslieferungshaft kann nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen nach § 25 IRG erreicht werden.

Ende der Entscheidung

Zurück