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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 02.02.2005
Aktenzeichen: (5) 1 HEs 17/05 (4/05)
Rechtsgebiete: StPO, StGB, AuslG, AufenthG, GVG


Vorschriften:

StPO § 116
StPO § 121
StPO § 122
StPO § 122 Abs. 1
StPO § 122 Abs. 3 Satz 3
StPO § 202
StPO § 270
StGB § 2 Abs. 1
StGB § 2 Abs. 3
AuslG § 92 a
AuslG § 92 b
AuslG § 92 b Abs. 1
AuslG § 92 b Abs. 2
AufenthG § 97 Abs. 2
AufenthG § 97 Abs. 3
GVG § 25
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
(5) 1 HEs 17/05 (4/05)

In der Strafsache gegen

wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 2. Februar 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Untersuchungshaft des Angeklagten dauert fort.

Bis zum Urteil, längstens bis zum 1. April 2005, wird die Haftprüfung dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin übertragen.

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den die Fortdauer der Untersuchungshaft anordnenden Beschluß des Amtsgerichts Tiergarten vom 11. Januar 2005 ist gegenstandslos.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft legt dem aus Vietnam stammenden Angeklagten, dessen Geburtstag und Geburtsort unbekannt sind, der aber nach einem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Charité vom 9. September 2004 mindestens 21 Jahre, wahrscheinlich 25 Jahre oder älter ist, das gewerbs- und bandenmäßige Einschleusen von Ausländern (§ 92 b Abs. 1 AuslG) zur Last. Der Angeklagte soll als Mitglied einer großen, mit der Schleusung von Ausländern nach Deutschland befaßten Organisation am 28. Juli 2004 zwei chinesischen Staatsangehörigen, die über Rußland und Polen ohne Erlaubnis nach Deutschland eingereist waren, in Berlin eine Übernachtungsmöglichkeit verschafft und ihnen am folgenden Tag eine Fahrkarte zur Weiterreise nach Frankfurt am Main gekauft haben. Wegen der Einzelheiten des Vorwurfs wird auf die Anklageschrift vom 14. Oktober 2004 Bezug genommen. Das Amtsgericht hat die zum Schöffengericht erhobene Anklage am 23. Dezember 2004 zur Hauptverhandlung vor dem Strafrichter zugelassen, die am 11. Januar 2005 begonnene Hauptverhandlung aber am gleichen Tage ausgesetzt und das Verfahren gemäß § 270 StPO an das Schöffengericht verwiesen. Ein neuer Hauptverhandlungstermin ist noch nicht anberaumt.

Der am 29. Juli 2004 festgenommene Angeklagte befindet sich seit dem 30. Juli 2004 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin von diesem Tage - 382 Gs 416/04 -, der den Vorwurf aus der Anklageschrift enthält und auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt ist, in Untersuchungshaft. Das Amtsgericht hält deren Fortdauer für erforderlich und hat daher die Akten gemäß § 122 Abs. 1 StPO dem Senat vorgelegt.

Die Untersuchungshaft ist aufrechtzuerhalten.

1. Der Angeklagte ist der ihm zur Last gelegten Straftat aufgrund der in der Anklageschrift bezeichneten Beweismittel dringend verdächtig. Ob für die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren oder für das Amtsgericht nach § 202 StPO ein Anlaß für eine weitergehende Aufklärung der Sache bestanden hat, prüft der Senat im Verfahren nach §§ 121, 122 StPO nicht nach. Es versteht sich aber von selbst, daß der Vorsitzende des Schöffengerichts bei der Vorbereitung der neuen Hauptverhandlung das Vorbringen der Verteidigerin in ihrem Schriftsatz vom 25. Januar 2005 berücksichtigt, um dafür Sorge zu tragen, daß eine nochmalige Aussetzung der Hauptverhandlung nicht erforderlich wird.

Gemäß § 2 Abs. 1 StGB bestimmt sich bei einem Schuldspruch die gegen den Angeklagten festzusetzende Strafe weiterhin nach § 92 b Abs. 1 AuslG, obgleich das Ausländergesetz am 1. Januar 2005 außer Kraft getreten ist (Art. 15 Abs. 3 Nr. 1 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 - BGBl. I S. 1950). § 2 Abs. 3 StGB findet keine Anwendung, da § 97 Abs. 2 des Aufenthaltgesetzes - AufenthG -, das als Art. 1 des Zuwanderungsgesetzes an die Stelle des Ausländergesetzes getreten ist, mit § 92 b Abs. 1 AuslG wörtlich übereinstimmt und daher kein milderes Gesetz darstellt. Sollte ein minder schwerer Fall anzunehmen sein, wäre die Strafe ebenfalls dem Ausländergesetz zu entnehmen, da dessen § 92 b Abs. 2 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vorgesehen hat, während § 97 Abs. 3 AufenthG den hier in Betracht kommenden minder schweren Fall des Absatzes 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht.

2. Es besteht Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Bei einem Schuldspruch muß der Angeklagte mit der Verhängung einer empfindlichen Freiheitsstrafe rechnen. Gründe für die Annahme, daß das Schöffengericht einen minder schweren Fall bejahen oder die Strafe dem untersten Bereich des in § 92 b Abs. 1 AuslG festgesetzten Strafrahmens entnehmen wird, sind derzeit nicht zu erkennen. Die Straferwartung gibt dem Angeklagten einen starken Anreiz, sich dem Fortgang des Verfahrens und der ihm anschließend drohenden Strafvollstreckung zu entziehen. Dies fiele ihm um so leichter, als er nach den Ermittlungen über gute Kontakte zu im Ausland lebenden Mittätern verfügt. Familiäre oder soziale Beziehungen, die dem Fluchtanreiz entgegenwirken könnten, besitzt er hier nicht. Angesichts dessen ist auch eine Haftverschonung nach § 116 StPO nicht zu verantworten.

3. Der Verteidigerin ist zuzugeben, daß das Verfahren nicht immer mit der gebotenen Beschleunigung geführt worden ist. Die Anklageschrift vom 14. Oktober 2004 ging am 26. Oktober 2004 bei dem Amtsgericht Tiergarten ein. Noch am selben Tag veranlaßte der Amtsrichter mit Recht die Verlegung des Angeschuldigten aus der Jugendstrafanstalt in die Justizvollzugsanstalt Moabit, weil das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin ergeben hatte, daß der Angeschuldigte mindestens 21 Jahre alt ist. Gleichwohl verfügte der Amtsrichter am 12. November 2004 die Zustellung der Anklage in der Jugendstrafanstalt, aus der der Angeschuldigte inzwischen verlegt worden war. Infolgedessen verzögerte sich die Zustellung bis Mitte Dezember 2004. Sodann ließ der Amtsrichter die Anklage entgegen dem in ihr gestellten Antrag am 23. Dezember 2004 nicht vor dem Schöffengericht, sondern vor dem Strafrichter zur Hauptverhandlung zu. Hierbei übersah er, daß der Anklagesatz dem Angeklagten ein Verbrechen nach § 92 b AuslG zur Last legt - wenngleich in der Liste der angewendeten Vorschriften versehentlich § 92 a AuslG aufgeführt ist -, so daß eine Zuständigkeit des Strafrichters nach § 25 GVG ausscheidet. Schließlich ist die Ladungsverfügung des Vorsitzenden vom 23. Dezember 2004 ungeachtet des Vermerks "sofort, noch heute" erst am 5. Januar 2005 ausgeführt worden.

Dem stehen aber nicht in den Verantwortungsbereich der Justiz fallende Umstände gegenüber, die bei einer Gesamtwürdigung für eine Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nach §§ 121, 122 StPO sprechen. Bereits die Staatsanwaltschaft war gezwungen, zum Alter des Angeklagten ein wissenschaftliches Gutachten einzuholen, da der Angeklagte zu seinem Geburtsdatum offenkundig falsche Angaben gemacht hatte. Dennoch erhob sie, da es sich um eine Haftsache handelte, bereits etwa zweieinhalb Monate nach der Festnahme des Angeklagten die Anklage. Das Amtsgericht hat sich alsdann darum bemüht, seine Versäumnisse bei der Zustellung der Anklage dadurch wettzumachen, daß es bei der Eröffnung des Hauptverfahrens einen nahen Verhandlungstermin anberaumt hat. Die Aussetzung der Hauptverhandlung am 11. Januar 2005 ist nicht nur durch die fehlerhafte Eröffnung der Sache vor dem Strafrichter, sondern auch durch das Ausbleiben des Hauptbelastungszeugen N. veranlaßt worden. Ob der Zeuge erschienen wäre, wenn die Ladungsverfügung des Vorsitzenden ohne Verzögerungen ausgeführt worden wäre, ist ungewiß.

Da Haftsachen um so zügiger zu bearbeiten sind, je länger die Untersuchungshaft dauert (vgl. BVerfG NStZ 2000, 153), ist bei der ersten Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO die Anlegung eines weniger strengen Maßstabes geboten (ständige Rechtsprechung des Kammergerichts; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl., § 121 Rdn. 19 m. Rsprnachw.). Im Hinblick hierauf erscheint es bei Würdigung aller Umstände des Verfahrens angezeigt, die Fortdauer der Haft anzuordnen. Der Senat überträgt die weitere Haftprüfung nach § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO dem Amtsgericht allerdings nur für die Dauer von zwei Monaten. Mit einer nochmaligen Verlängerung ist, sofern nicht gänzlich unvorhersehbare Hindernisse eintreten, nicht mehr zu rechnen.

4. Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluß des Amtsgerichts vom 11. Januar 2005 wird durch die Entscheidung des Senats gegenstandslos.

Ende der Entscheidung

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