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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 14.03.2005
Aktenzeichen: 1 AR 1211/04 - 5 Ws 585/04
Rechtsgebiete: StPO, FGG


Vorschriften:

StPO § 304 Abs. 1
StPO § 205 Satz 1
StPO § 307 Abs. 2
StPO § 290 Abs. 1
StPO § 290 Abs. 2
StPO § 465 Abs. 1 Satz 1
FGG § 35
FGG § 39
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
1 AR 1211/04 - 5 Ws 585/04

In der Strafsache

wegen Anstiftung zum versuchten Mord

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 14. März 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin wird der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 31. August 2004 aufgehoben.

Die Beschlagnahme des in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen Vermögens des Angeklagten dauert fort.

Der Angeklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Berlin legt dem Angeklagten in ihrer zum Landgericht Berlin - Schwurgericht - erhobenen Anklageschrift vom 5. September 2001 zur Last, im März 2000 vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat, einem versuchten Mord, bestimmt zu haben (§§ 211, 22, 23, 26 StGB). Wegen dieses Vorwurfes befand sich der Angeklagte aufgrund des gleichlautenden Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 19. Juli 2001 - 353 Gs 3985/01 - seit dem 3. August 2001 in Untersuchungshaft. Die Anklageschrift geht im wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Der Angeklagte soll die - bereits gesondert verurteilten - Zeugen Ya. und Ka. im März 2000 aus persönlichen Motiven den Auftrag gegeben haben, den Zeugen Öz. gegen Zahlung von 20.000,- DM zu töten. Am 22. März 2000 sollen Ka. und Ya. gegen 00.20 Uhr den ahnungslosen und wehrlosen Öz. unter einem Vorwand in ein Waldgebiet in Berlin-Wannsee gelockt haben, um ihn dort mit einer von Ka. mitgeführten, mit einem Schalldämpfer versehenen Maschinenpistole zu erschießen. Nachdem Ka. zwei Schüsse in Tötungsabsicht auf den fliehenden Öz. abgegeben hätte, soll ein Defekt an der Waffe die Flucht des unverletzt gebliebenen Öz. ermöglicht haben. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Anklageschrift verwiesen.

Das Schwurgericht würdigte den angeklagten Sachverhalt lediglich als Anstiftung zur gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Bedrohung und eröffnete das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht Tiergarten. Zugleich hob es den Haftbefehl auf. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob der Senat den Eröffnungsbeschluß auf, ließ die Anklage der Staatsanwaltschaft zur Hauptverhandlung zu, eröffnete das Hauptverfahren vor einer anderen Schwurgerichtskammer des Landgerichts und setzte den Haftbefehl des Amtsgerichts wieder in Vollzug (Senat, Beschluß vom 1. Februar 2002 - 5 Ws 7/01 -). Der Angeklagte war unterdessen nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft aus der Bundesrepublik Deutschland ausgereist, so daß Versuche, den Haftbefehl zu vollstrecken, erfolglos blieben. Der Angeklagte hält sich zur Zeit in der Türkei auf.

Mit Beschluß vom 23. April 2002 ordnete das Landgericht gegen den Angeklagten gemäß § 290 Abs. 1 StPO die Beschlagnahme seines in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen Vermögens an. Nach dem Wirksamwerden der Beschlagnahme leitete das nach §§ 35, 39 FGG zuständige Vormundschaftsgericht bei dem Amtsgericht Charlottenburg eine Abwesenheitspflegschaft ein (§ 292 Abs. 2 Satz 2 StPO) und bestellte Rechtsanwalt Mi. mit dem Wirkungskreis Ermittlung, Sicherstellung und Verwaltung des Vermögens zum Abwesenheitspfleger. Angesichts der andauernden Abwesenheit des Angeklagten stellte das Landgericht das Verfahren am 23. Mai 2002 nach § 205 Satz 1 StPO vorläufig ein. Auf Antrag des Verteidigers hat es mit Beschluß vom 31. August 2004 die Vermögensbeschlagnahme aufgehoben. Der dagegen gerichteten Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat es nicht abgeholfen, aber die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses nach § 307 Abs. 2 StPO ausgesetzt. Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde ist begründet. Die Voraussetzungen der Vermögensbeschlagnahme liegen weiterhin vor. Der Senat hebt daher den angefochtenen Beschluß auf und ordnet die Fortdauer der Beschlagnahme des Inlandsvermögens des Angeklagten an.

1. Der Angeklagte ist der Anstiftung zum versuchten Mord nach wie vor dringend verdächtig (vgl. Senat a.a.O.). Daß das Verfahren zur Zeit nach § 205 Satz 1 StPO vorläufig eingestellt ist, steht der Beschlagnahme nicht entgegen (vgl. Gollwitzer in LR, StPO, 25. Aufl. § 290 Rdn. 6; Schlüchter in SK, StPO, § 290 Rdn. 3).

2. Gründe, die zur Unzulässigkeit der Fortdauer der Vermögensbeschlagnahme führen, liegen derzeit nicht vor. Die Beschlagnahme ist unzulässig und aufzuheben (§ 293 Abs. 1 StPO), wenn ihr Zweck, die Gestellung des Abwesenden und damit die Durchführung der Hauptverhandlung zu erzwingen, nicht oder nicht mehr erreichbar ist. Dies ist der Fall, wenn feststeht, daß die Beschlagnahme die Gestellung nicht bewirken kann. Unzulässig ist die Beschlagnahme ferner, wenn das Inlandsvermögen ersichtlich so gering und bedeutungslos für den Abwesenden ist, daß nach den Umständen nicht erwartet werden kann, die Beschlagnahme werde seine Bereitschaft, sich dem Strafverfahren zu stellen, fördern. Schließlich ist für die Vermögensbeschlagnahme - über die in § 290 Abs. 2 StPO bezeichneten Fälle geringen Gewichts hinaus - auch dann kein Raum, wenn sie und die von ihr zu erwartenden Auswirkungen außer Verhältnis zu den Rechtsfolgen stehen, die der Angeklagte im Falle seiner Verurteilung zu gewärtigen hat.

Keiner dieser Gründe ist hier gegeben.

a) Entgegen der Einschätzung des Schwurgerichts und der Verteidigung fehlt bislang eine verläßliche Beurteilungsgrundlage, die die Annahme rechtfertigte, die Beschlagnahme könne den Angeklagten - endgültig - nicht veranlassen, sich dem hiesigen Strafverfahren zu stellen. Insbesondere ist das Vorbringen der Verteidigung, der Angeklagte beabsichtige nicht mehr, nach Deutschland zurückkehren, nicht geeignet, eine solche Feststellung zu tragen. Denn es ist naheliegend, daß derartige Absichtserklärungen von verfahrenstaktischen Überlegungen geleitet sind und nicht die wirklichen Absichten des Angeklagten widerspiegeln. Selbst wenn eine solche Erklärung im Augenblick ernst gemeint sein sollte, kann sich die ihr zugrundeliegende Einstellung im weiteren Verlaufe wieder ändern. Bei der Beurteilung der Motivlage ist auch zu bedenken, daß weiterhin Angehörige des Angeklagten in Berlin leben. Einen Erfahrungssatz, nach dem die Furcht vor Inhaftierung und hoher Bestrafung die Wiedereinreise eines flüchtigen Angeklagten stets ausschlösse, gibt es im übrigen nicht. Wie aus § 290 Abs. 2 StPO folgt, hat der Gesetzgeber das Zwangsmittel der Vermögensbeschlagnahme gerade für Straftaten von größerem Gewicht vorgesehen; da diese in der Regel hohe Strafen nach sich ziehen und eine entsprechende Straferwartung auslösen, wäre es sinnwidrig, auf die Vermögensbeschlagnahme gerade in Fällen schwerer Kriminalität mit der Begründung zu verzichten, der Abwesende habe im Falle seiner Rückkehr mit seiner Inhaftierung und der Verhängung einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Vielmehr handelt es sich dabei um den Regelfall, den der Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorschriften über die Vermögensbeschlagnahme im Blick hatte.

Was der Angeklagte zu seinen gegenwärtigen wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen in der Türkei vortragen läßt, ändert an der Beurteilung im Ergebnis nichts. Das Vorbringen ist für den Senat nicht überprüfbar, dessen Beweiswert mithin nicht verläßlich einzuschätzen. Dies gilt auch für die von dem Verteidiger zuletzt eingereichten, den Angeklagten als Gehaltsempfänger bezeichnenden Lohn- und Gehaltslisten zweier türkischer Unternehmen jeweils für den Monat Dezember 2004 sowie für die von dem Angeklagten gegenüber einem Buchhalter in der Türkei abgegebene - undatierte - Erklärung zu seinen Einkommensverhältnissen, deren Übersetzung die in Berlin ansässige Dolmetscherin allerdings jeweils bereits am 1. Dezember 2004 fertiggestellt hatte.

Von der fehlenden Überprüfbarkeit abgesehen, läßt sich aus der Erklärung des Angeklagten, in der Türkei monatliche Nettoeinkünfte von umgerechnet insgesamt 7.100,- EUR zu beziehen, auch nicht folgern, daß aufgrund dieser Einkommenssituation, über deren Dauerhaftigkeit nichts bekannt ist, seine in Deutschland befindlichen Vermögenswerte für ihn bedeutungslos geworden wären. Daß diese nach wie vor erhebliche Bedeutung für ihn haben, zeigt nicht zuletzt das Engagement, mit dem er seinen Verteidiger dagegen hat streiten lassen, daß die dem Abwesenheitspfleger zustehende Aufwandsentschädigung aus dem beschlagnahmten Vermögen erstattet wird.

Der von dem Verteidiger angeführte Beschluß des Oberlandesgerichts Hamburg vom 8. Mai 1935 (OLG Hamburg HRR 1935, Nr. 1572) betraf einen anders gelagerten Lebenssachverhalt und wurde vor einem anderen zeitgeschichtlichen Hintergrund erlassen. Er läßt sich deshalb auf den vorliegenden Fall nicht übertragen. Dem Beschluß des OLG Hamburg lag ein gegen einen jüdischen Kaufmann geführtes Strafverfahren zugrunde. Das OLG Hamburg traf seinerzeit die Feststellung, daß der angeschuldigte Kaufmann, dessen Inlandsvermögen beschlagnahmt worden war, nach Palästina ausgewandert war, schloß aus, daß er jemals wieder nach Deutschland zurückkehren würde und entschied, daß unter diesen Umständen kein Raum für die Fortdauer der Vermögensbeschlagnahme sei. Daß das OLG Hamburg bei seiner Entscheidung die damalige politische Situation in Deutschland mitbedacht und seine Annahme, der Angeschuldigte werde nicht zurückkehren, jedenfalls auch auf diese Lage gegründet hat, steht für den Senat außer Frage. Es ist offenkundig, daß vorliegend derartige Überlegungen nicht anzustellen sind.

b) Das Inlandsvermögen des Angeklagten ist nach den Feststellungen des Abwesenheitspflegers und den Angaben des von dem Angeklagten beauftragten Wirtschaftsprüfers Dr. K. nach wie vor keineswegs so gering, daß es bei vernünftiger Betrachtung für den Angeklagten bedeutungslos wäre. Der Abwesenheitspfleger hat unter Berücksichtigung eines mit einem winterfesten Rohbau bebauten Grundstücks in Berlin-Dahlem, ..., mit einer Fläche von 1.589 qm, eines Miteigentumsanteils (verbunden mit Sondereigentum - Wohnungseigentum -) an dem in Berlin-Charlottenburg gelegenen Grundstück ... 11/13, ferner der dem Angeklagten als alleinigem Anteilseigner gehörenden Handelsgesellschaften (Y. ... GmbH, K. ...GmbH, B. ... GmbH und M ... GmbH), verschiedener Kontoguthaben und des Rückkaufswertes diverser Versicherungen ein Aktivvermögen von insgesamt annähernd 4,3 Millionen EUR errechnet und Passiva, insbesondere eine Grundschuld zugunsten einer Versicherung betreffend das Baugrundstück in Berlin-Dahlem in Höhe von etwa 2 Millionen EUR, in einer Gesamthöhe von etwa 2,5 Millionen EUR ermittelt. Den Unternehmenswert hat er in Anlehnung an eine gegenüber der Berliner Bank AG am 6. September 2000 abgegebene Selbstauskunft des Angeklagten - nicht näher spezifiziert - auf 2,5 Millionen EUR veranschlagt. Der von dem Angeklagten beauftragte Wirtschaftsprüfer Dr. K. hat den aktuellen Ertragswert der Unternehmensgruppe des Angeklagten, fußend auf den Jahresabschlüssen allein für 2003, mit 0,- EUR bewertet und ihr - ebenfalls ohne nähere Spezifizierung - einen aktuellen Substanzwert von lediglich etwa 250.000,- EUR zugeschrieben.

Eine präzise Bestimmung des gegenwärtigen Vermögensumfanges ist danach zwar nicht möglich; sie ist für die Beurteilung der Zulässigkeit der Aufrechterhaltung der Vermögensbeschlagnahme hier aber auch nicht erforderlich. Denn den Ermittlungen des Abwesenheitspflegers ist jedenfalls zu entnehmen, daß dem Angeklagten nach wie vor erhebliche Vermögenspositionen zuzurechnen sind, deren Wert nicht zwangsläufig nur Schwankungen zum Nachteil des Angeklagten unterliegen muß. Auch der von dem Angeklagten beauftragte Wirtschaftsprüfer Dr. K. gelangt in seinem an den Verteidiger gerichteten Schriftsatz vom 10. Januar 2005 zu der Einschätzung, daß für den dem Angeklagten gehörenden Miteigentumsanteil an dem Grundstück ... gegenwärtig ein Marktpreis von etwa 200.000,- EUR erzielbar sei.

Da der Angeklagte sein Inlandsvermögen in der Vergangenheit gerade durch den Betrieb seiner Handelsgesellschaften erwirtschaftet hat, besteht auch keine zwingende Veranlassung zu der Annahme, daß eine Verbesserung der zur Zeit ungünstigen Ertragslage nicht möglich sei. Mit dieser in die Zukunft gerichteten Betrachtung kann auch dem Umstand Rechnung getragen werden, daß Gegenstand der Vermögensbeschlagnahme nicht nur das aktuelle, sondern auch das künftige Vermögen des Abwesenden ist (vgl. Gollwitzer in LR, StPO, 25. Aufl. § 290 Rdn. 14; Haizmann in KMR, StPO, § 290 Rdn. 1), und die Maßnahme durch die Gesamtheit ihrer Wirkungen zur Gestellung veranlassen soll, wozu auch die Sorge um den Fortbestand des Inlandsvermögens gehört.

c) Die Vermögensbeschlagnahme steht auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung des Tatvorwurfes und der im Verurteilungsfall zu erwartenden erheblichen Freiheitsstrafe. Nach den obigen Ausführungen ist gegenwärtig nicht davon auszugehen, daß die Beschlagnahme, die als Maßnahme mit aggravierender Langzeitwirkung (vgl. Gollwitzer in KK, StPO, 5. Aufl., § 290 Rdn. 2) gedacht ist, nicht mehr geeignet wäre, die Willensbildung des Angeklagten im Hinblick auf eine mögliche Gestellung zu beeinflussen. Eine übermäßige, nicht mehr zumutbare Belastung des Angeklagten ist nicht ersichtlich.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 465 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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