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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 10.07.2008
Aktenzeichen: 1 VAs 33/08
Rechtsgebiete: StPO, GVGEG, StVollstrO


Vorschriften:

StPO § 456a
GVGEG §§ 23 ff.
StVollstrO § 21
Hat die Staatsanwaltschaft einen im Ermessen der Vollstreckungsbehörde stehenden Antrag - hier nach § 456 a StPO - abgelehnt und hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Beschwerdebescheid lediglich überprüft, ob die Staatsanwaltschaft ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat, liegt ein Ermessensausfall vor, der zur Aufhebung des Bescheides führt. Die Generalstaatsanwaltschaft muss eine eigene Entscheidung treffen.
KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Zs 803/08 - 1 VAs 33/08

In der Justizverwaltungssache betreffend

wegen Absehens von Vollstreckung nach § 456a StPO

hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 10. Juli 2008 beschlossen:

Tenor:

1. Auf den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung wird der Bescheid der Staatsanwaltschaft Berlin vom 16. Oktober 2007 in der Gestalt des Bescheides der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 11. April 2008 aufgehoben.

2. Die Vollstreckungsbehörde wird verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut über den Antrag des Verurteilten auf Absehen von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 2. November 1999 - (538) 70 Js 138/98 KLs (17/99) - zu entscheiden.

Gründe:

Das Landgericht Berlin hat den Betroffenen am 2. November 1999 wegen Vergewaltigung in neun Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit einer weiteren Vergewaltigung, in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und in einem Fall in Tateinheit mit sexuellen Missbrauch Jugendlicher, sowie wegen sexueller Nötigung, wegen versuchter sexueller Nötigung in vier Fällen und wegen Nötigung in Tateinheit mit einer exhibitionistischen Handlung und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 (dreizehn) Jahren verurteilt. Der Betroffene hat am 9. August 2007 unter Hinweis darauf, dass am 2. Oktober 2007 Zweidrittel seiner Strafe verbüßt sein würden, das Absehen von einer weiteren Vollstreckung bei gleichzeitiger Ausweisung beantragt. Diesen Antrag hat die Staatsanwaltschaft Berlin mit Bescheid vom 16. Oktober 2007 abgelehnt. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, dass von einer Notwendigkeit der Vollstreckung weiter ausgegangen werden müsse, weil der mögliche Therapieerfolg der gerade durchgeführten externen Therapie nicht durch eine Abschiebung gefährdet werden dürfe. Die gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 3. Dezember 2007 eingelegte Beschwerde hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin mit Bescheid vom 11. April 2008 zurückgewiesen. Der dagegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 16. Mai 2008 hat in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

1. § 456a Abs. 1 StPO räumt der Staatsanwaltschaft für die Entscheidung über das Absehen von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe ein Ermessen ein, das gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG nur dahin überprüfbar ist, ob der Betroffene in seinem subjektiv-öffentlichen Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung verletzt ist, ob also Willkür oder Missbrauch des Ermessens vorliegt (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 28 EGGVG Rdnr. 8). Hier liegt ein Ermessensausfall vor, weil die Generalstaatsanwaltschaft Berlin in ihrem Bescheid lediglich überprüft hat, ob die Staatsanwaltschaft Berlin ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat. Sie hat somit verkannt, dass sie eine eigene Entscheidung zu treffen hatte.

a) Eine Behörde muss in den zu überprüfenden Bescheiden für das Gericht ersichtlich machen, welche Überlegungen sie bei der Abwägung des Für und Wider angestellt hat und aus welchen Gründen sie sich für eine Ablehnung entschieden hat (KG GA 73, 180; OLG Frankfurt NJW 66, 465). Dies gilt aber nicht nur für den Bescheid der Staatsanwaltschaft beim Landgericht, sondern auch für die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft. Es handelt sich nämlich hier um ein zweistufiges Verfahren (OLG Oldenburg NdsRpfl 1991, 181), in welchem von der in § 21 StVollstrO bezeichneten Behörde, also der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, eine abschließende Entscheidung zu treffen ist. Daher wird in den Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG auch der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er im Vorschaltverfahren (§ 24 Abs. 2 GVG) gefunden hat (OLG Hamburg StV 99, 105), angefochten. Die Generalstaatsanwaltschaft kann oder muss also je nach Lage des Einzelfalls, wie in jedem anderem Beschwerdeverfahren, selbst Ermittlungen anstellen oder veranlassen und der Einwendung sodann ganz oder teilweise abhelfen oder sie zurückweisen (Pohlmann/Jabel/Wolf, Strafvollstreckungsordnung 8. Auflage, § 21 Rdnr. 9).

b) Dies hat die Generalstaatsanwaltschaft verkannt und keine eigene Entscheidung getroffen, sondern nur die Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft beim Landgericht überprüft. Dies ergibt sich eindeutig aus in dem Bescheid vom 11. April 2008 enthaltenen Formulierungen wie

"Vorliegend sind durchgreifende Rechtsfehler bei der Ermessensausübung der Staatsanwaltschaft nicht ersichtlich"

und

"Daher kann hier nur eine Überprüfung dahingehend stattfinden, ob die Staatsanwaltschaft zu Ihrem Nachteil Gesichtspunkte berücksichtigt hat, die nach Sinn und Zweck des Gesetzes keine Rolle spielen dürften, ob sie maßgebliche Gesichtspunkte falsch bewertet oder wissentlich Gesichtspunkte, die bei der Ermessensentscheidung von Belang sein könnten, außer Acht gelassen hat."

Es liegt somit ein Ermessensausfall vor (vgl. Kopp/Schenke, VwGO 15. Auflage, § 114 Rdnr. 14; Sodan/Ziekow, VwGO 2. Auflage, § 114 Rdnr. 85 f.).

2. Da kein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, war der Bescheid aufzuheben und die Generalstaatsanwaltschaft zu verpflichten, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (§ 28 Abs. 2 EGGVG). Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass vor einer erneuten Entscheidung eine weitere Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt x zum Verlauf der externen Therapie einzuholen sein wird, deren Ergebnis die Vollstreckungsbehörde als maßgeblich erachtet hat.

3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; für eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Betroffenen aus Billigkeitsgründen (§ 30 Abs. 2 EGGVG) besteht wegen des nur vorläufigen Erfolges seines Antrags kein Anlass.

Ende der Entscheidung

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