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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 31.07.2007
Aktenzeichen: 1 VAs 38/07
Rechtsgebiete: EGGVG, IRG, StGB


Vorschriften:

EGGVG §§ 23 ff
EGGVG § 28 Abs. 3
IRG § 71 Abs. 1 Satz 1
StGB § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Resozialisierungsbelange ausländischer Verurteilter müssen zurückstehen, wenn eine in Deutschland gesetzlich vorgeschriebene oder nach den Umständen gebotene längerfristige Vollstreckung im Heimatstaat des Gefangenen nicht zu erwarten ist.
KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: 1 VAs 38/07

In der Justizverwaltungssache betreffend

wegen Überstellung zur Strafvollstreckung im Ausland

hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 31. Juli 2007 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und Beiordnung der Rechtsanwältin Dr. I. V. für einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid des Bundesministeriums der Justiz vom 16. Mai 2007 wird zurückgewiesen.

Gründe:

Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger und verbüßt zur Zeit in der JVA Fuhlsbüttel eine lebenslange Freiheitsstrafe, die das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg mit Urteil vom 2. Januar 2002 gegen ihn wegen Mordes verhängt hat. Seinen Antrag, bei der Bewilligungsbehörde ein Ersuchen an die Republik Türkei auf Übernahme der weiteren Strafvollstreckung anzuregen, hat der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof als zuständige Vollstreckungsbehörde abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Bundesministerium der Justiz durch Bescheid vom 16. Mai 2007 zurückgewiesen. Der Betroffene begehrt für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und die Beiordnung der Rechtsanwältin Dr. I.V. Der Antrag ist unbegründet.

Die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts kommt nur dann in Betracht, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 29 Abs. 3 EGGVG, 114 ZPO). Das ist hier nicht der Fall.

Zwar kann die Weigerung der Vollstreckungsbehörde, die Überstellung eines Strafgefangenen in sein Heimatland anzuregen, gemäß den §§ 23 ff EGGVG mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung angefochten werden (vgl. BVerfG NJW 1997, 3013; KG, Beschluß vom 28. Juni 2004 - 4 VAs 33/04 - mwN); die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Betroffenen ist hier aber in der Sache ohne Aussicht auf Erfolg.

Die nach den §§ 71 Abs. 1 Satz 1 IRG, 28 Abs. 3 EGGVG auf die ordnungsgemäße Ermessensausübung beschränkte Überprüfung der angegriffenen Bescheide deckt keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf.

Der Generalbundesanwalt hat nicht außer Acht gelassen, daß der Antragsteller, dessen Familie in der Türkei lebt und der im Inland offenbar über keine sozialen Kontakte zu Personen außerhalb der Haftanstalt verfügt, durch die Strafvollstreckung in Deutschland psychisch erheblich belastet ist. Die Voll-streckungsbehörde hat auch bedacht, daß eine gesellschaftliche Wiedereingliederung des Betroffenen bei seiner Überstellung in die Türkei wesentlich gefördert werden könnte. Mit den behaupteten Erschwernissen des Antragstellers infolge seiner angeblich unzureichenden Sprachkenntnisse, mußte sich der Generalbundesanwalt hingegen nicht näher auseinandersetzen. Denn Sprachbarrieren, die für einen ausländischen Gefangenen im Strafvollzug eine besondere Härte bedeuten und seine Resozialisierung erheblich behindern können (vgl. OLG Zweibrücken ZfStrVo 2000, 313), bestehen bei dem Betroffenen ersichtlich nicht. Nach den Feststellungen des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg in dem vorbezeichneten Urteil hatte der Betroffene sich bei seinem ersten Aufenthalt in Deutschland bereits Ende 1980 durch seine Tätigkeit in der Gastronomie gute deutsche Sprachkenntnisse angeeignet (UA S. 4). Dem Vollstrek-kungsheft ist ferner zu entnehmen, daß er in der Haftanstalt anderen Gefangenen bei Verständigungsschwierigkeiten als Übersetzer zur Seite steht (Einstufungsbogen vom 17. November 2004). Seine Eingaben und Anträge zeigen zudem, daß er auch die deutsche Schriftsprache weitgehend beherrscht.

Nicht zu beanstanden ist, daß der Generalbundesanwalt zum gegenwärtigen Zeitpunkt dem öffentlichen Interesse an einer nachhaltigen Vollstreckung der Strafe den Vorrang vor den Belangen des Betroffenen einräumt, um den inländischen Straf-zwecken und dem Gleichbehandlungsgebot ausreichend Geltung zu verschaffen. Die durch einen anderen Staat übernommene Strafvollstreckung ist Rechtshilfe und dient damit maßgeblich auch der Verwirklichung des innerstaatlichen Strafanspruches (vgl. BGH NStZ 1986, 77). Dem trägt Art. 10 Abs. 1 des Überstellungsübereinkommens (ÜberstÜbk) vom 21. März 1983 (BGBl. 1991 II, S. 1006; 1992 II, S. 98) dadurch Rechnung, daß der Vollstreckungsstaat (Art. 1d ÜberstÜbk) an die rechtliche Art und Dauer der verhängten Sanktion gebunden ist. Allerdings richtet sich deren Vollstreckung nach dem Recht des Vollstreckungsstaates (Art. 9 Abs. 3 ÜberstÜbk). Das hat zur Folge, daß ungeachtet von Art und Dauer der in Deutschland verhängten Strafe bei der Prüfung der Voraussetzungen einer vorzeitigen (bedingten) Entlassung des Strafgefangenen allein die Bestimmungen des aufnehmenden Landes anzuwenden sind. Um dennoch den Erfordernissen deutscher Rechtspflege zu genügen, müssen deshalb Resozialisierungsbelange ausländischer Verurteilter immer dann zurückstehen, wenn eine in Deutschland gesetzlich vorgeschriebene oder nach den Umständen gebotene längerfristige Vollstreckung im Heimatstaat des Gefangenen nicht zu erwarten ist.

Der Generalbundesanwalt durfte daher berücksichtigen, daß der Betroffene im Falle seiner Überstellung nach türkischem Recht (Übergangsartikel 1 des Gesetzes Nr. 3713) bereits nach acht Jahren (vgl. Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG 4. Aufl., Rdn. 14f zu § 71), also im September 2008, mit einer Haftentlassung rechnen könnte, während gemäß § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung frühestens nach 15 Jahren im September 2015 in Betracht kommt. Der Antragsteller würde damit bei einer Fortsetzung der Strafvoll-streckung in der Türkei gegenüber anderen Verurteilten, die ihre Strafe im Inland verbüßen müssen, eine nicht gerechtfertige Besserstellung erfahren.

Danach ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Vollstrek-kungsbehörde im Ergebnis ihrer Abwägungen dem öffentlichen Interesse an einer längerfristigen Strafvollstreckung hier ein größeres Gewicht als den persönlichen Belangen des Antragstellers beigemessen hat, deren Beeinträchtigung ohnehin in erster Linie die von ihm selbst verschuldete Folge seiner schwerwiegenden Straftat ist.

Weitere Erkenntnisse, die dem Begehren des Verurteilten zum Erfolg verhelfen könnten, sind auch durch die Einschaltung eines Rechtsbeistandes nicht zu erwarten. Der Senat lehnt daher den Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und Beiordnung der Rechtsanwältin Dr. I.V. ab.

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