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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 11.12.2007
Aktenzeichen: 1 W 125/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1896
BGB § 1903
Neigt der Betroffene krankheitsbedingt dazu, eine Vielzahl von behördlichen oder gerichtlichen Verfahren zu betreiben, kommt die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für den gesonderten, von sonstigen Aufgabenkreisen unabhängigen Aufgabenkreis "Vertretung gegenüber Institutionen, Sozialleistungsträgern, Behörden und Gerichten" nur dann in Betracht, wenn diese Verfahren zu einer Gefährdung des Vermögens des Betroffenen führen können. Das ist nicht der Fall, wenn es sich um Verfahren handelt, bei denen Gebühren nicht erhoben werden. Fortführung von Senat, Beschlüsse vom 9. Januar 2007 - 1 W 60/06 -, FGPrax 2007, 220 = BtPrax 2007, 84 = OLG-Report 2007, 562, und vom 27. November 2007 - 1 W 243/07.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 125/06

11.12.2007

In der Betreuungssache betreffend

hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 6. April 2006 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 16. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Sieveking, die Richterin am Kammergericht Dr. Rasch und den Richter am Kammergericht Müller am 11. Dezember 2007 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 16. März 2006 - 83 T 127/06 - wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Betroffene machte in einem gegen die Lnnnnnnnnnnnnn Bnnnnn vor dem Landessozialgericht für das Land Brandenburg geführten Rechtsstreit einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation geltend. Das Landessozialgericht bestellte dem Betroffenen mit Beschluss vom 4. August 2004 bis zum Eintritt eines Betreuers einen besonderen Vertreter nach § 72 Abs. 1 SGG und teilte dies dem Vormundschaftsgericht mit.

Das Vormundschaftsgericht hat nach Einholung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Bnnn und persönlicher Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 23. Februar 2006 den Beteiligten zu 1 zum Betreuer mit dem Aufgabenkreis "Vertretung gegenüber Institutionen, Sozialleistungsträgern, Behörden und Gerichten" bestellt und insofern einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Der Betroffene hat gegen die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts sofortige Beschwerde eingelegt, die das Landgericht mit Beschluss vom 16. März 2006 zurückgewiesen hat. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der durch seine Verfahrensbevollmächtigte erhobenen sofortigen weiteren Beschwerde vom 6. April 2006.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden, §§ 29 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 und 4, 22 Abs. 1 FGG. In der Sache führt das Rechtsmittel zu einem vorläufigen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer Verletzung des Rechts, §§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO.

1. Das Landgericht hat ausgeführt, der Betroffene leide an einer seit 1981 bekannten medikamentös unbehandelten paranoiden Schizophrenie. Er sei aufgrund seiner psychischen Krankheit nicht in der Lage, sachangemessene Einsicht in seine zu regelnden Angelegenheiten zu haben, was dazu führe, dass er Anträge und Klagen verfolge, die seinem Wohl, vor allem in finanzieller Hinsicht erheblich zuwider liefen, wie sein unsinniges Begehren nach einer Berufsunfähigkeitsrente, die niedriger sein würde als die ihm bereits gewährte Erwerbsunfähigkeitsrente, deutlich mache. Auch sein Verhalten im bisherigen Betreuungsverfahren hinsichtlich der erfolglos gebliebenen Beschwerden und weiteren Beschwerden verdeutliche dies offensichtlich.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Allerdings hat das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend seiner Entscheidung die für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts maßgeblichen Vorschriften zugrunde gelegt. Soweit dies zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist, ordnet das Vormundschaftsgericht an, dass der Betreute zu einer Willenserklärung, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung bedarf, § 1903 Abs. 1 S. 1 BGB. Von einer erheblichen Gefahr ist dann auszugehen, wenn festgestellt wird, dass der Betreute am Rechtsverkehr teilnimmt und er hierbei Willenserklärungen abgibt, die ihm nachteilig sind (Jürgens, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 1903, Rdn. 2). Die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts setzt weiter voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann (BayObLG, FamRZ 1998, 454).

Das Landgericht hat jedoch übersehen, dass die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts nur dann in Betracht kommt, wenn für den Betroffenen ein Betreuer bestellt worden ist oder zugleich mit dem Einwilligungsvorbehalt bestellt wird. Denn nur dann, wenn zu Recht eine Betreuung besteht, kann auch ein Einwilligungsvorbehalt rechtmäßig sein. Dies folgt aus der strengen Akzessorietät des Einwilligungsvorbehalts, der nur für Willenserklärungen angeordnet werden kann, die den Aufgabenkreis eines Betreuers betreffen, § 1903 Abs. 1 S. 1 BGB. Deshalb ist bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Einwilligungsvorbehalts auch die Berechtigung der Betreuung zu prüfen (BayObLG, OLG-Report 2004, 435; Jurgeleit/Deusing, Betreuungsrecht, § 1903 BGB, Rdn. 7). Ausdrücklich hat das Landgericht die Berechtigung der Betreuung nicht angesprochen. Eine am 30. Juli 2006 durch den Betroffenen gegen die Betreuerbestellung erhobene Beschwerde hat das Landgericht bislang nicht beschieden. Die von dem Landgericht getroffenen Feststellungen rechtfertigen auch keine eigene Sachentscheidung durch den Senat, weil hierzu weitere Ermittlungen erforderlich sind und die Sache deshalb nicht zur Endentscheidung reif ist, §§ 27 Abs. 1 FGG, 563 Abs. 3 ZPO.

a) Gemäß § 1896 Abs. 1 S. 1 BGB bestellt das Vormundschaftsgericht für einen Betroffenen einen Betreuer, wenn dieser auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Ein Betreuer darf nur für die Angelegenheiten bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist, d.h. in denen der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen (BayObLG, FamRZ 2001, 1244 f.).

Hier hat das Landgericht zwar auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Bnnn , vgl. § 68b FGG, festgestellt, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten zu regeln, weil ihm krankheitsbedingt die dazu erforderliche Einsicht fehlt. Es fehlen aber ausreichende Feststellungen zur Erforderlichkeit der Bestellung eines Betreuers für den von dem Vormundschaftsgericht bestimmten Aufgabenkreis. Da der Betreuer den Betroffenen von Gesetzes wegen in dem ihm zugewiesenen Aufgabenkreis gerichtlich und außergerichtlich vertritt, § 1902 BGB, bedarf es der Bestimmung der "Vertretung vor Behörden und Gerichten" oder, wie vorliegend, "Vertretung gegenüber Institutionen, Sozialleistungsträgern, Behörden und Gerichten" als gesonderten, nicht nur klarstellend im Zusammenhang mit anderen Aufgabenkreisen stehend gemeinten Aufgabenkreises regelmäßig nicht. Einem solchen Aufgabenkreis fehlte es letztlich an der übertragenen Aufgabe, d.h. es ist nicht eindeutig, in welchem Rahmen der Betreuer zur Vertretung berufen sein soll (vgl. Bienwald, BtPrax 2003, 71; ders., in: Staudinger, BGB, 2006, § 1896, Rdn 76; Schwab, in: MüKo, BGB, 4. Aufl., § 1896, Rdn. 106). Anders ist dies, wenn der Betreuer zur Vertretung des Betroffenen in bestimmt bezeichneten behördlichen oder gerichtlichen Verfahren bestellt werden soll und diese Verfahren bei der Bestellung des Betreuers konkret genannt werden. Das ist nur dann nicht erforderlich, wenn der Betroffene krankheitsbedingt dazu neigt, eine Vielzahl solcher Verfahren zu betreiben, und sich dadurch schädigt (Senat, Beschlüsse vom 9. Januar 2007 - 1 W 60/06 -, FGPrax 2007, 220, 222, und vom 27. November 2007 - 1 W 243/07 - zur Veröffentlichung vorgesehen; Jurgeleit, Betreuungsrecht, § 1896 BGB, Rdn. 138). Ob dies hier der Fall ist, lässt sich den Feststellungen des Landgerichts nicht entnehmen. Das Landgericht hat sich lediglich auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. Bnnn bezogen, der wiederum nur das im Verfahren vor dem Sozialgericht eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dr. Pnnnnn referierte. Danach verfolge der Betroffene die Umbewertung der ihm gewährten Erwerbsunfähigkeitsrente in eine Berufsunfähigkeitsrente und halte dieses Anliegen (neben anderen Anliegen, z.B. dem nach beruflicher Rehabilitation) durch Widersprüche und Klagen über Jahre aufrecht. Sofern darin überhaupt ein selbstschädigendes Verhalten des Betroffenen zu erkennen sein sollte, könnte dies allenfalls eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Vertretung gegenüber Sozialleistungsträgern rechtfertigen, denn es ist nicht ersichtlich, dass der Betroffene auch Verfahren vor anderen Institutionen oder Behörden betreibt. Auch müsste zusätzlich aufgeklärt werden, ob die in den Gutachten angesprochenen sozialbehördlichen und -gerichtlichen Verfahren zwischenzeitlich nicht bereits abgeschlossen sind. So gab der Betroffenen bei seiner Anhörung durch das Vormundschaftsgericht an, dass "alles abgeschlossen, definitiv abgeschlossen" sei.

b) Fehlte es damit an ausreichenden Feststellungen zur Rechtmäßigkeit der Betreuerbestellung, tragen auch die weiteren Feststellungen des Landgerichts die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts nicht.

Allerdings hat der Senat bereits entschieden, dass die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für Behördenangelegenheiten und gerichtliche Auseinandersetzungen in Betracht kommen kann, wenn ein solcher Einwilligungsvorbehalt geeignet ist, eine erhebliche Gefährdung des Vermögens des Betroffenen abzuwenden, da dessen Verfahrenshandlungen infolge des Einwilligungsvorbehalts von vornherein unwirksam sind und gerichtliche Gebühren nicht entstehen oder erhoben werden, weil Anträge eines Prozessunfähigen keine Haftung begründen (Senat, FGPrax 2007, 220, 222). Im dortigen Verfahren ging es um die Abwendung von massenhaft durch den Betroffenen erhobenen aussichtslosen Klagen vor den Zivilgerichten. Im vorliegenden Fall betreibt der Betroffene dagegen hauptsächlich Verfahren vor den Sozialbehörden und -gerichten. Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit sind für den Betroffenen als Leistungsempfänger aber kostenfrei, § 183 S. 1 SGG. Das Gleiche gilt für Verwaltungsverfahren vor den Sozialbehörden, § 64 Abs. 1 SGB X. Soweit das Landgericht eine erhebliche Gefährdung des Vermögens des Betroffenen bereits mit seinem "unsinnigen" Begehren nach einer Berufsunfähigkeitsrente begründet hat, die niedriger als eine Erwerbsunfähgkeitsrente sei, kann dem ohne weiteres nicht gefolgt werden. Zum einen fehlt es an Feststellungen, dass die angestrebte Rente tatsächlich in sämtlichen ihrer Rechtsfolgen gegenüber der Erwerbsunfähigkeitsrente für den Betroffenen nachteilig wäre; zum anderen dürften "unsinnige" Anträge für den Betroffenen auch kaum schädlich sein, weil sie letztlich abgelehnt werden müssten. Eine mögliche Selbstschädigung durch Fristversäumung oder Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten kann ohnehin nicht durch einen Einwilligungsvorbehalt vermieden werden. Das Gleiche gilt für die von dem Sachverständigen Dr. Bnnnn angesprochenen Verhaltensweisen in Strafverfahren bzw. gegenüber Ermittlungsbehörden. Auch dort kann der Betroffene durch einen Einwilligungsvorbehalt nicht geschützt werden.

Ende der Entscheidung

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