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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 16.05.2006
Aktenzeichen: 1 W 143/04
Rechtsgebiete: GG, ZPO, BGB


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
ZPO § 203
BGB § 132 Abs. 1
BGB § 242
BGB § 2294
1) In Fällen, in denen die Gewährung rechtlichen Gehörs nicht in Betracht kommt - hier: Widerruf eines Erbvertrags -, gelten die Grundsätze der Rechtsprechung über die Wirksamkeit einer öffentlichen Zustellung ohne Einschränkung. Danach kommt es nur darauf an, ob das Gericht bei der Bewilligung hätte erkennen können, dass die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung nicht vorlagen (BGHZ 149, 311ff.).

2) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine öffentliche Zustellung erschlichen worden ist, kommt es ausschließlich auf die Kenntnis des Erklärenden an. Bessere Kenntnis Dritter, deren er sich für die Nachforschungen bedient, ist ihm nicht als eigene Kenntnis zuzurechnen. Die Kenntnis eines möglichen Aufenthalts reicht nicht, wenn der Erklärende davon ausgehen darf, dass dort ein nachweisbarer Zugang nicht möglich ist.


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 143/04

In der Erbscheinssache

hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 9. März 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Sieveking, den Richter am Amtsgericht Müller und den Richter am Kammergericht Dr. Müther in der Sitzung am 16. Mai 2006 beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde wird nach einem Wert von bis zu 4.000 EUR zurückgewiesen.

Gründe:

A.

Der Beteiligte zu 2) ist ein Sohn des am 23. Oktober 1998 verstorbenen Erblassers aus zweiter Ehe, die Beteiligte zu 1) ist seine dritte Ehefrau. Im Rahmen des zwischen dem Erblasser und seiner zweiten Ehefrau vor dem Landgericht Berlin wegen der Scheidung geführten Rechtsstreits schloss der Erblasser am 2. April 1962 zu Protokoll des Gerichts einen Erbvertrag mit seiner zweiten Ehefrau, die zugleich den Beteiligten zu 2) vertrat. Mit einer notariell beurkundeten Erklärung vom 5. April 1994 trat der Erblasser dann von diesem Erbvertrag zurück. Die Ausfertigung dieser Urkunde wurde dem Beteiligten zu 2) nach einer entsprechenden Bewilligung durch das Amtsgericht Charlottenburg mit Beschluss vom 15. August 1994, Az. 70 II 366/94, mit Wirkung vom 6. September 1994 öffentlich zugestellt. Am 22. April 1994 errichtete der Erblasser gemeinsam mit der Beteiligten zu 1) ein privatschriftliches Testament, in dem sich die Ehegatten jeweils zu alleinigen Erben einsetzten. Zugleich entzog der Erblasser dem Beteiligten zu 2) seinen Pflichtteil. Am 3. Dezember 1998 beantragte der Beteiligte zu 2) die Erteilung eines ihn als Miterben zu 1/8 ausweisenden Erbscheins. Mit einem Erbscheinsantrag vom 4. Januar 1999 begehrte die Beteiligte zu 1) die Erteilung eines sie als Alleinerbin aufgrund testamentarischer Anordnung ausweisenden Erbscheins. Mit Vorbescheid vom 28. November 2000 hat das Amtsgericht Schöneberg die Erteilung eines dem Antrag des Beteiligten zu 2) entsprechenden Erbscheins angekündigt, zugleich hat es den Antrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) vom 17. Januar 2001 hat das Landgericht mit Beschluss vom 9. März 2004 den Vorbescheid vom 28. November 2000 aufgehoben und das Amtsgericht angewiesen, der Beteiligten zu 1) den von ihr beantragten Erbschein zu erteilen. Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 2) mit seiner weiteren Beschwerde vom 23. März 2004, die mit Anwaltsschriftsatz vom 31. März 2006 näher begründet worden ist. Am 6. Dezember 2004 hat das Amtsgericht Schöneberg auf einen Antrag der zweiten Ehefrau des Erblassers hin, einen die Beteiligte zu 1) als Erbin zu 7/8 ausweisenden Teilerbschein erteilt.

B.

Die weitere Beschwerde vom 23. März 2004 ist zulässig. Der Beteiligte zu 2) wird durch den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 9. März 2004, mit dem der Vorbescheid des Amtsgerichts Schöneberg vom 28. November 2000 aufgehoben wird, beschwert. Die Beschwer ergibt sich daraus, dass das Landgericht das Amtsgericht angewiesen hat, dem Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1), der die von dem Beteiligten zu 2) für sich in Anspruch genommene Erbenstellung nicht berücksichtigt, stattzugeben.

II. Die weitere Beschwerde hat aber keinen Erfolg. Der Beschluss des Landgerichts beruht nicht auf einer Verletzung des Rechts, auf die die weitere Beschwerde allein mit Erfolg gestützt werden kann (§ 27 Absatz 1 Satz 2 FGG in Verbindung mit §§ 546f. ZPO). Das Landgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass sich die Erbfolge nach dem Erblasser allein nach dem Testament vom 22. April 1994 und nicht nach dem Erbvertrag vom 2. April 1962 richtet.

1. Das Landgericht hat insoweit ausgeführt: Eine Bindung des Nachlassgerichts sei nicht durch das zwischen den Beteiligten ergangene Urteil des Amtsgerichts Schöneberg, Az.: 102 C 41/99, eingetreten, mit dem die Beteiligte zu 1) verurteilt worden ist, dem Beteiligten zu 2) Auskunft über den Bestand des Nachlasses zu erteilen. Auch sei der Erbvertrag vom 2. April 1962 wirksam unter Beteiligung des Beteiligten zu 2) als Vertragspartner abgeschlossen worden. Der Erbvertrag entfalte jedoch keine Wirkungen, so dass sich die Erbfolge nach dem privatschriftlichen Testament vom 22. April 1994 richte, weil der Erblasser von dem Erbvertrag wirksam zurückgetreten sei. Durch die öffentliche Zustellung der Rücktrittserklärung vom 5. April 1994 an den Beteiligten zu 2) sei die Zugangsfiktion nach § 132 Absatz 2 BGB eingetreten. Denn die öffentliche Zustellung sei unabhängig von einem etwaigen Erschleichen dieser Zustellung durch den Erblasser wirksam. Die Beteiligte zu 1) sei auch nicht daran gehindert, sich auf die Wirksamkeit der Zustellung zu berufen. Denn die Bewilligung der Zustellung sei nicht rechtsmissbräuchlich erschlichen worden, weil aufgrund der getroffenen Feststellungen davon auszugehen sei, dass der Erblasser nicht gewusst habe, dass sich der Beteiligte zu 2) zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich unter der Anschrift nnnnnnnnnn aufgehalten habe und unter dieser Anschrift eine Zustellung der Ausfertigung der Rücktrittserklärung möglich gewesen wäre. Der Erblasser sei auch zu einem Rücktritt von dem Erbvertrag nach §§ 2294, 2333 Nr. 3 BGB berechtigt gewesen. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahmen und nach dem Verhalten des Beteiligten zu 2) im Verfahren sei davon auszugehen, dass dieser den Erblasser und seine dritte Ehefrau, die Beteiligte zu 1), wiederholt grob beleidigt sowie Bedrohungen (§ 241 StGB) gegen sie ausgestoßen habe.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.

a) Das Landgericht ist zutreffend von einer fehlenden Bindungswirkung des zwischen den Parteien ergangenen Urteils des Amtsgerichts Schöneberg vom 28. Januar 2002 ausgegangen. Denn durch dieses Urteil wird die Erbenstellung nur inzident und damit ohne Rechtskraft zwischen den Parteien festgestellt (vgl. dazu Palandt/Edenhofer, BGB, 65. Aufl., Überbl vor § 2353 Rn. 6).

Rechtsfehler der landgerichtlichen Entscheidung ergeben sich auch nicht hinsichtlich der Annahme der grundsätzlichen Wirksamkeit des Erbvertrages vom 2. April 1962 und der formgültigen Errichtung des Testaments vom 22. April 1994.

b) Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 2) ist es auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht von einem wirksam erklärten Rücktritt von dem Erbvertrag ausgegangen ist. Nach § 2296 Absatz 2 Satz 1BGB erfolgt der Rücktritt von einem Erbvertrag gegenüber dem oder den anderen Vertragsteilen. Nach § 130 Absatz 1 Satz 1 BGB wird eine einem anderen gegenüber abzugebende Willenserklärung, wenn dieser abwesend ist, erst dann wirksam, wenn sie ihm zugeht. Zugegangen ist die Willenserklärung dabei dann, wenn sie so in seinen Machtbereich gelangt, dass dieser nach den normalen Verhältnissen von ihr Kenntnis nehmen kann (vgl. BGHZ 67, 271, 275 = NJW 1977, 194; Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 130 Rn. 5). Ein derartiger Zugang kann nach § 132 Absatz 1 BGB dadurch ersetzt werden, dass die Willenserklärung nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Zustellung vorgenommen wird. Ist der Aufenthalt der Person, der zugestellt werden soll, unbekannt, so kann die Zustellung nach § 132 Absatz 2 Satz 1 BGB nach den für die öffentliche Zustellung einer Ladung geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung erfolgen. Diese Voraussetzungen hat das Landgericht zu Recht für gegeben erachtet.

Die Rücktrittserklärung vom 5. April 1994 ist der zweiten Ehefrau, die den Erbvertrag selbst und zugleich für den Beteiligten zu 2) abgeschlossen hat, nach den Feststellungen des Landgerichts, die von der weiteren Beschwerde nicht angegriffen werden, unter ihrer Wohnanschrift in der nnnnnnn . zugestellt worden. Die Zustellung an den Beteiligten zu 2) als weiterem Vertragsschließenden ist aufgrund eines Bewilligungsbeschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 15. August 1994 durch Aushang an der Gerichtstafel mit Wirkung vom 6. September 1994 erfolgt. Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Zustellung bestehen entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 2) nicht. Die öffentliche Zustellung setzt zwar für ihre Wirksamkeit voraus, dass der Aufenthalt des Zustelladressaten allgemein unbekannt ist (vgl. BGHZ 149, 311, 314 = NJW 2002, 827; Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 185 Rn. 2). Eine wirksame Zustellung ist trotz Fehlens dieser Voraussetzung gleichwohl anzunehmen, wenn das die Zustellung bewilligende Gericht von dem Vorliegen dieser Voraussetzungen ausgehen durfte und auch zur Durchführung weiterer Ermittlungen keinen Anlass sehen musste. So liegt der Fall hier. Dem Antrag auf Bewilligung der öffentlichen Zustellung vom 16. Juni 1994 war neben den Unterlagen, die eine fehlgeschlagene Zustellung durch den Gerichtsvollzieher unter der letzten bekannten Wohnanschrift in dernnnnnnnn ergeben, eine Auskunft des Einwohnermeldeamtes vom 20. Mai 1994 beigefügt, aus der sich ergab, dass der Beteiligte zu 2) mit unbekanntem Verbleib verzogen war. Dann aber bestand aus Sicht des den Antrag bearbeitenden Amtsgerichts Charlottenburg weder Veranlassung zu weiteren Nachfragen noch ein Ansatzpunkt für eigene Ermittlungen hinsichtlich des Aufenthaltes des Beteiligten zu 2). Von diesen Umständen ist erkennbar auch das Landgericht ausgegangen, dem die Akte des Amtsgerichts Charlottenburg - Az.: 70 II 366/94 - bei seiner Entscheidung vorlag. Soweit in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten wird, dass eine öffentliche Zustellung unwirksam sei, wenn deren Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Bewilligung nicht vorgelegen hätten, handelt es sich um Fälle, in denen das bewilligende Gericht aus den vorgelegten Unterlagen hätte erkennen können, dass der Zustellungsadressat nicht unbekannten Aufenthalts war (vgl. BVerfG NJW 1988, 2361; BGHZ 149, 311 = NJW 2002, 827; vgl. auch BGHZ 153, 189 = NJW 2003, 1326), oder jedenfalls aufgrund dem Gericht bekannter konkreter Umstände weitere Nachforschungen hinsichtlich des Aufenthalts in Betracht gekommen wären (vgl. dazu BayObLG NJW-RR 2000, 1452). Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Insoweit ergeben sich auch unter Berücksichtigung des Art. 103 Absatz 1 GG keine Bedenken gegen die Annahme einer Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung. Nach Art. 103 Absatz 1 GG muss einem Beteiligten grundsätzlich Gelegenheit gegeben werden, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor deren Erlaß zu äußern (vgl. BVerfG NJW 1988, 2361). Eine Verletzung dieser Vorschrift kommt daher dann nicht zum Tragen, wenn die Gewährung rechtlichen Gehörs wegen der besonderen Gestaltung des gerichtlichen Verfahrens nicht in Betracht kommt, wie dies etwa bei der Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses der Fall ist, weil eine Anhörung vor Erlass nicht vorgesehen ist (vgl. BGH NJW 2003, 1530), oder wenn - wie hier - ein gerichtliches Verfahren mit der Einräumung von Anhörungsrechten durch die Zustellung nicht eingeleitet wurde.

b) Das Landgericht hat weiter rechtsfehlerfrei eine Unwirksamkeit des Rücktritts aufgrund eines dem Erblasser vorzuwerfenden Rechtsmissbrauchs in Bezug auf die öffentliche Zustellung gegenüber dem Beteiligten zu 2) verneint.

Ein Verstoß gegen Treu und Glauben, der die Annahme eines Rechtsmissbrauchs rechtfertigt und damit unter Anwendung des § 242 BGB - entgegen der Auffassung des Landgerichts auch im Erbscheinsverfahren (vgl. BGHZ 64, 5, 8 = NJW 1975, 827) - der Wirksamkeit des vom Erblasser erklärten Rücktritts vom Erbvertrag entgegenstehen würde, läge dann vor, wenn der Erblasser trotz seiner Kenntnis von dem Aufenthalt des Beteiligten zu 2) die öffentliche Zustellung hätte ausführen lassen. Als Aufenthalt ist dabei nur das Verweilen an einem Ort von gewisser Dauer oder Regelmäßigkeit anzusehen (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 7 Rn. 2), die ausreichen muss, um einen sicheren Zugang unter Abwesenden (§ 130 Absatz 1 Satz 1 BGB) zu ermöglichen. Der Kenntnis ist der Fall gleichzustellen, dass der Erblasser sich einer möglichen Erkenntnis über den Aufenthaltsort des Beteiligten zu 2) bewusst verschlossen hätte. Dabei ist auf den Zeitpunkt der Bewilligung der öffentlichen Zustellung am 15. August 1994 abzustellen (vgl. BGHZ 64, 5, 9/10 = NJW 1975, 827). Bei der Beurteilung der Frage, ob das Verhalten des Erblassers als treuwidrig anzusehen ist, ist zu berücksichtigen, dass allein die Kenntnis vom tatsächlichen oder nahe liegenden Aufenthalt des Beteiligten nicht ausreicht. Hinzukommen muss die Möglichkeit, dass mit Hilfe dieser Kenntnis der nachweisbare Zugang der Rücktrittserklärung möglich gewesen ist, weil nur dann von einem Erschleichen der Wirkungen einer öffentlichen Zustellung ausgegangen werden kann.

Die Frage, ob der Erblasser Kenntnis von dem Aufenthaltsort des Beteiligten zu 2) hatte oder sich einer solchen Erkenntnis bewusst verschlossen hat, liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Die Tatsachenwürdigung des Landgerichts kann daher im Verfahren der weiteren Beschwerde nur darauf hin überprüft werden, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt ist (§ 12 FGG), bei der Erörterung des Beweisstoffes wesentliche Umstände berücksichtigt sind (§ 25 FGG) und hierbei nicht gegen gesetzliche Beweisregeln oder Denkgesetze und feststehende Erfahrungssätze verstoßen worden ist oder zu hohe oder zu niedrige Beweisanforderungen gestellt worden sind (vgl. Keidel/Meyer-Holtz, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Auflage, § 27 Rn. 42). Darauf, ob die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung die einzig mögliche oder zwingend ist, kommt es nicht an (Jansen, FGG, 2. Aufl., § 27 Rn. 19). Diesen Anforderungen genügen die Feststellungen des Landgerichts trotz der von dem Beteiligten zu 2) erhobenen Bedenken, sie sind damit für den Senat bindend, § 559 ZPO.

Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht angenommen hat, dass dem Erblasser vor der Bewilligung der öffentlichen Zustellung die Anschrift des Beteiligten zu 2) in der nnnnnnnnnn bekannt gewesen ist, gleichwohl aber die Voraussetzungen des § 242 BGB verneint hat. Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass allein die Kenntnis der Anschrift nicht den Schluss auf ein Erschleichen der öffentlichen Zustellung rechtfertigt. Denn dem Erblasser musste die Anschrift in der Weise bekannt sein, dass über diese ein nachweisbarer Zugang der Rücktrittserklärung möglich war. Eine solche Kenntnis hat das Landgericht aufgrund der Würdigung der Aussagen der vom Amtsgericht Schöneberg in dem zwischen den Parteien geführten Zivilprozess vernommenen Zeugen und aufgrund der in dem hier zugrunde liegenden Erbscheinsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme ohne Rechtsfehler verneint. Dies ist nicht zu beanstanden. Denn nach diesen Angaben hat sich der Erblasser gerade auch mit der Anschrift in der nnnnnnnnnn beschäftigt und seine Söhne nnnn und nnnnnn mit weiteren Ermittlungen hinsichtlich dieser Anschrift beauftragt. Diese haben in dem vor dem Amtsgericht Schöneberg durchgeführten Zivilprozess als Zeugen bekundet, dass sie die Anschrift aufgesucht und keine Hinweise auf eine Wohnanschrift des Beteiligten zu 2) gefunden haben. Weiter haben sie angegeben, über aus dem Telefonbuch und die Auskunft ermittelte Telefonnummern ohne Erfolg versucht zu haben, den Kontakt aufzunehmen. Im Gegensatz zur Auffassung der weiteren Beschwerde kommt es bei der Würdigung, ob ein Rechtsmissbrauch vorliegt, nicht auf das Bekanntsein überhaupt einer Anschrift an, sondern darauf ob dort auch eine Zustellung nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung möglich war. Dies setzte, soweit nicht der Zeitpunkt des tatsächlichen Aufenthalts des Zustellungsadressaten bekannt war, jedenfalls die Möglichkeit einer Ersatzzustellung voraus. Eine solche erforderte aber die Gewissheit über das Vorhandensein einer Wohnung, vgl. § 181 ZPO a.F., oder eines besonderen Geschäftslokals im Sinn des § 183 ZPO a.F. In diesem Zusammenhang war die fehlende polizeiliche Meldung des Beteiligten zu 2) unter der Anschrift nnnnnnnn n ebenso von Bedeutung wie die Angabe der beiden Söhne, Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer Wohnung oder eines Geschäftslokals hätten sich bei ihrem Besuch nicht finden lassen. Dass die Söhne annahmen, der Beteiligte zu 2) könnte sich unter der Anschrift nnnnnnnnnn aufhalten - weswegen sie die Begegnung mit ihm zu vermeiden suchten - , ist nicht entscheidend, weil dies nicht besagte, dass dieser sich unter der Anschrift auch tatsächlich so aufhielt, dass dort Zustellungen möglich waren. Der Augenschein sprach nach ihren Ermittlungen jedenfalls dagegen. Ob die Söhne insoweit gründlich und sachgerecht vorgegangen sind, ob sie tatsächlich und deutlich vorhandene Anhaltspunkte für eine Zustellungsmöglichkeit unter der Anschrift nnnnnnnnnn übersehen oder gar dem Erblasser verschwiegen haben, brauchte das Landgericht nicht zu erörtern. Denn den Missbrauchsvorwurf gegen den Erblasser würde dies nicht begründen. Soweit der Beteiligte zu 2) in seinen eigenen Stellungnahmen zu den Zeugenaussage den Vorwurf der Falschaussagen erhebt und zu einer anderen Würdigung des Beweisergebnisses gelangt, setzt er überdies in unzulässiger Weise seine eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Landgerichts.

c) Der Erblasser ist mit der Erklärung vom 5. April 1994 wirksam von dem Erbvertrag vom 2. April 1962 zurückgetreten, so dass sich die Erbfolge nunmehr allein nach dem am 22. April 1994 gemeinschaftlich mit der Beteiligten zu 1) errichteten Testament richtet.

Nach § 2294 BGB kann der Erblasser von einer vertragsmäßigen Verfügung zurücktreten, wenn sich der Bedachte einer Verfehlung schuldig gemacht hat, die den Erblasser zur Entziehung des Pflichtteils berechtigt. Nach § 2333 Nr. 3 BGB kann der Erblasser einem Abkömmling den Pflichtteil entziehen, wenn dieser sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegenüber dem Erblasser oder dessen Ehegatten schuldig gemacht hat. Die Straftaten müssen dabei schuldhaft begangen sein (vgl. Münchener Kommentar/Lange, BGB, 4. Aufl., § 2333 Rn 3; Staudinger/Olshausen, BGB, 1998, Vorbem §§ 2333 Rn. 4). Eine Beschränkung auf bestimmte Rechtsgüter ist nicht vorgesehen. Ob ein schweres Vergehen vorliegt, ist nicht nach dem abstrakten Strafrahmen, sondern nach den Umständen des einzelnen Falles zu beurteilen (vgl. Münchener Kommentar/Lange, aaO, § 2333 Rn. 12; Staudinger/Olshausen, aaO, § 2333 Rn. 12). Einer strafrechtlichen Verurteilung oder überhaupt Verfolgung bedarf es nicht (vgl. Münchener Kommentar/Lange, aaO, § 2333 Rn. 12; Staudinger/Olshausen, aaO, § 2333 Rn. 14). Danach sind als schwere Vergehen auch nicht nur vereinzelt gebliebene Beleidigungen anzusehen, weil und soweit sie eine grobe Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses zum Audruck bringen und deswegen eine besondere Kränkung des Erblassers bedeuten (vgl. BGH NJW 1974, 1084; Palandt/Edenhofer, BGB, 65. Aufl., § 2333 Rn. 5; Münchener Kommentar/Lange, BGB, 4. Aufl., § 2333 Rn 12; Staudinger/Olshausen, BGB, 1998, § 2333 Rn. 12).

Derartige schwere vorsätzliche Vergehen hat das Landgericht festgestellt, weil es die in der Rücktrittserklärung mitgeteilten Ereignisse als erwiesen angesehen hat. Rechtsfehler ergeben sich hieraus nicht. Das Landgericht durfte und musste seine Würdigung aufgrund der gesamten Feststellungen und auch aufgrund des Verhaltens des Beteiligten zu 2) in dem Verfahren treffen (vgl. dazu Jansen, FGG, 2. Aufl., § 12 Rn. 80; Keidel/Schmidt, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl., § 12 Rn. 207 mwN). Dabei durfte es auch berücksichtigen, dass sich der Beteiligte zu 2) gegenüber den erhobenen Vorwürfen lediglich beschwichtigend und ausweichend geäußert hatte. Soweit er die Vorfälle nunmehr bestreiten will, ist dies im Rahmen der weiteren Beschwerde, die sich auf eine rechtliche Überprüfung zu beschränken hat, nicht mehr zu berücksichtigen, § 559 ZPO. Die danach festgestellten Vorkommnisse erfüllen auch unabhängig davon die Voraussetzungen des § 2333 Nr. 3 BGB, ob sich der Erblasser selbst beleidigt gefühlt hat. Denn nach der genannten Vorschrift sind gerade auch Straftaten gegenüber dem Ehegatten ausreichend. Dass der Erblasser das Verhalten des Beteiligten zu 2) jedenfalls nicht sanktionslos hinnehmen wollte, folgt bereits aus dem erklärten Rücktritt; im Übrigen aber auch aus dem Schreiben vom 20. November 1983, in dem er dem Beteiligten zu 2) Hausverbot erteilt. Schließlich ist es auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht in dem Verhalten schwere Vergehen gesehen hat. Das ergibt sich aus Art und Umfang der festgestellten Beleidigungen, die der Erblasser als äußerst kränkend und als fortwährende Bedrohung empfunden hat. Der Einwand des Beteiligten zu 2), aus seinem Verhalten habe sich ergeben, dass mit weitergehenden Beeinträchtigungen nicht zu rechnen gewesen sei, schließlich habe er seine Drohungen auch nicht in die Tat umgesetzt, bagatellisiert den Sachverhalt in unzutreffender Weise.

Es ist schließlich auch davon auszugehen, dass der Beteiligte zu 2) bei der Begehung der ihm vorgeworfenen Taten schuldhaft gehandelt hat. Dem entgegenstehende Anhaltspunkte sind vom Landgericht nicht festgestellt worden und werden vom Beteiligten zu 2) auch nicht vorgetragen. Soweit dieser nunmehr geltend macht, er habe in einem seine freie Willenbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit gehandelt, fehlt es an Tatsachen, die auf eine solche Störung hinweisen, so dass auch keine Ermittlungspflicht des Landgerichts bestand. Allein daraus, dass der Beteiligte zu 2) die festgestellten Handlungen begangen hat, lässt sich dies nicht schließen.

Für einen Verzicht des Erblassers auf sein Rücktrittsrecht nach § 2296 BGB enthält der Erbvertrag keine Anhaltspunkte. Auch für eine Verzeihung, § 2343 BGB, sind Anhaltspunkte nicht gegeben.

III. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Die Beteiligte zu 1) ist im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht aufgetreten. Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf §§ 131 Absatz 2, 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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