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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 27.06.2006
Aktenzeichen: 1 W 177/06
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1908d
FGG § 12
FGG § 68b
FGG § 69i Abs. 4
Wird die Bestellung eines Betreuers von dem Sozialpsychiatrischen Dienst unter Beifügung einer ärztlichen Stellungnahme angeregt und erklärt sich der Betroffene mit der Bestellung des Betreuers einverstanden, so ist, wenn er später die Aufhebung der Betreuung begehrt, in entsprechend § 69i Abs. 4 FGG die Begutachtung des Betroffenen nachzuholen, wenn die Aufhebung der Betreuung erstmals abgelehnt werden soll. Die Einfügung von § 68b Abs. 1a FGG durch das Zweite Betreuungsrechtsänderungs- gesetz hat nichts daran geändert, dass das Vormundschaftsgericht die Erstattung eines Gutachtens im Sinne des § 68 Abs. 1 FGG grundsätzlich selbst zu veranlassen hat (Fortführung von Senat, Beschluss vom 20. Dezember 1994 - 1 W 6687/94, FamRZ 1995, 1279 = KGR Berlin, 1995, 248).
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 177/06

27.06.2006

In der Betreuungssache betreffend

hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts auf die weitere Beschwerde des Betroffenen vom 14. Juni 2006 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 27. März 2006 - 83 T 76/06 - durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Sieveking, die Richterin am Kammergericht Dr. Rasch und den Richter am Amtsgericht Müller am 27. Juni 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschlüsse des Landgerichts Berlin vom 27. März 2006 - 83 T 76/06 - sowie des Amtsgerichts Wedding vom 13. Juni 2005 und vom 17. August 2005 - 50 XVII 4590 - werden aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Vormundschaftsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I. Die weitere Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie, nachdem der Betroffene sein Rechtsmittel zu Protokoll der Rechtsantragstelle des Vormundschaftsgerichts eingelegt hat, formgerecht erhoben worden, § 29 Abs. 1 S. 1 FGG.

II. Die weitere Beschwerde ist auch begründet. Die angefochtenen Entscheidungen des Landgerichts und des Vormundschaftsgerichts beruhen auf einer Verletzung des Rechts, §§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG, 546 ZPO.

Voraussetzung für die Bestellung eines Betreuers ist, dass ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann, § 1896 Abs. 1 S. 1 BGB. Fallen diese Voraussetzungen weg, ist die Betreuung aufzuheben, § 1908d Abs. 1 S. 1 FGG. Im Gegensatz zur Bestellung eines Betreuers bestehen bei der Prüfung über die Aufhebung der Betreuung grundsätzlich keine besonderen verfahrensrechtlichen Vorschriften. Soweit in § 69i Abs. 3 FGG solche enthalten sind, gelten diese nur dann, wenn das Vormundschaftsgericht die Betreuung tatsächlich auch aufhebt, nicht jedoch, wenn es einem darauf gerichteten Antrag, der als Anregung aufzufassen ist, von Amts wegen tätig zu werden, wie im vorliegenden Fall nicht entspricht (BayObLG, FamRZ 1994, 1602 = Juris, Rdn. 7; FamRZ 1998, 323 = Juris, Rdn. 6). Deshalb gilt für den Umfang der von dem Tatsachenrichter zu treffenden Ermittlungen die Vorschrift des § 12 FGG. Danach hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu veranstalten und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen. Hiergegen haben die Vorinstanzen verstoßen. Sie hätten die Aufhebung der Betreuung nicht ohne Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen über die Notwendigkeit der Betreuung des Betroffenen ablehnen dürfen.

Allerdings hat das Vormundschaftsgericht bei der Entscheidung über die Aufhebung der Betreuung nicht in jedem Fall ein Gutachten einzuholen. Hierzu ist es von Gesetzes wegen nur dann ohne weiteres verpflichtet, wenn die Bestellung des Betreuers auf Antrag des Betroffenen erfolgte, insoweit ausnahmsweise ein ärztliches Zeugnis ausreichend war, § 68b Abs. 1 S. 2 FGG, und ein Antrag des Betroffenen auf Aufhebung der Betreuung erstmals abgelehnt werden soll, § 69i Abs. 4 FGG. Mit der Vorschrift soll sichergestellt werden, dass der Betroffene, der zunächst auf seine Begutachtung verzichtet hat, durch das spätere Begehren auf Aufhebung der Betreuung nicht schlechter gestellt wird, als wenn er von vornherein auf die Begutachtung bestanden hätte (BT-Drs. 11/4528, S. 180). Diese Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall zu übertragen, in dem der Betroffene zwar keinen Antrag gestellt, sich jedoch mit der Betreuung einverstanden erklärt hatte.

Ein Betreuer darf erst bestellt werden, nachdem das Gutachten eines Sachverständigen über die Notwendigkeit der Betreuung eingeholt worden ist, § 68b Abs. 1 S. 1 FGG. Hier wurde die Berufsbetreuerin für den Betroffenen bestellt, ohne dass ein solches Gutachten eingeholt worden wäre. Insbesondere handelte es sich bei dem von dem Sozialpsychiatrischen Dienst des Bnnnnn Rnnnnnn von Berlin selbst nur als ärztliche Stellungnahme bezeichneten Schreiben vom 3. Dezember 2003 nicht um ein solches Gutachten. Der Verwertung dieser Stellungnahme als Gutachten im Sinne von § 68b Abs. 1 S. 1 FGG steht bereits entgegen, dass sie das Gericht entgegen dem Wortlaut der Vorschrift nicht "eingeholt" und eigens in Auftrag gegeben hat (Senat, Beschluss vom 20. Dezember 1994 - 1 W 6687/94 -, FamRZ 1995, 1379 = Juris, Rdn. 9). Sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Sinn der genannten Vorschrift ist es grundsätzlich erforderlich, dass das Gericht die Erstattung des Gutachtens veranlasst, dabei die Tatsachen bezeichnet, auf deren Feststellung es für die Beurteilung der Notwendigkeit der Betreuerbestellung nach § 1896 BGB maßgeblich ankommt, sowie den Gutachter nach pflichtgemäßem Ermessen selbst auswählt und dem Betroffenen vor der Gutachtenerstellung bekanntgibt. Nur so ist im Regelfall gewährleistet, dass der Sachverständige ein Gutachten erstattet, das den in Rechtsprechung und im Schrifttum entwickelten Anforderungen entspricht und das rechtliche Gehör des Betroffenen auch zu der ihn betreffenden Begutachtung (§ 68 Abs. 5 FGG, siehe auch §§ 15 Abs. 1 FGG, 406 ZPO) gewährt wird.

Diese Anforderungen bestehen trotz der durch Art. 1 Nr. 7 des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes vom 21. April 2005 (BGBl. I, S. 1073) seit dem 1. Juli 2005 geschaffenen Möglichkeit, unter bestimmten Umständen gemäß § 68b Abs. 1a FGG von der Einholung eines Gutachtens abzusehen, fort. Die neu geschaffene Vorschrift dient in erster Linie dazu, dem Vormundschaftsgericht in einem möglichst frühen Stadium des Betreuungsverfahrens Kenntnisse über die Erkrankung des Betroffenen zu verschaffen, um so die Ermittlungen über die Voraussetzungen der Betreuerbestellung von vornherein effektiver gestalten zu können (BT-Drs. 15/4874, S. 29). Der Gesetzgeber ging davon aus, dass die Auswahl des Sachverständigen und die konkrete Umschreibung seines Gutachtenauftrags davon bestimmt würde, welche Behinderung bei dem Betroffenen vorliege. Dies setze voraus, dass das Gericht bereits aus anderen Quellen in Erfahrung gebracht habe, welche Art von Krankheit oder Behinderung (voraussichtlich) vorliege. (BT-Drs. 15/2494, S. 41). An dem Erfordernis der Einholung des Gutachtens eines von dem Gericht zu bestellenden Sachverständigen, § 68b Abs. 1 S. 1 FGG, hat die Vorschrift im Übrigen nichts geändert. Von der weiteren Begutachtung kann nur abgesehen werden, "soweit" festgestellt werden kann, inwieweit bei dem Betroffenen krankheitsbedingt die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers vorliegen, § 68b Abs. 1a S. 1 FGG. Nur ausnahmsweise kann auf die Begutachtung ganz verzichtet werden, wenn die sonstigen Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers aufgrund des zulässigerweise verwendeten Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung nach § 18 SGB XI zweifellos festgestellt werden können, § 68b Abs. 1a S. 7 FGG.

Die formularmäßige Mitteilung des Vormundschaftsgerichts im Einleitungsschreiben vom 4. Dezember 2003, ihm liege "ein Gutachten vor", wonach die Bestellung eines Betreuers für erforderlich erachtet werde - gemeint war das ärztliche Zeugnis des Sozialpsychiatrischen Dienstes vom 3. Dezember 2003 -, kann die Einholung eines Gutachtens gemäß § 68b Abs. 1 S. 1 FGG ebensowenig ersetzen wie der Vermerk im Protokoll der Anhörung vom 23. März 2004 über die Erläuterung von Inhalt und Ergebnis "des ärztlichen Gutachtens der Frau nnn vom 03.12.2003".

Der Inhalt der ärztlichen Stellungnahme vom 3. Dezember 2003 genügt auch nicht den qualitativen Anforderungen, die an ein Sachverständigengutachten in einem Betreuungsverfahren zu stellen sind. Anhand des medizinischen Gutachtens muss der Vormundschaftsrichter die aktuelle Ausprägung der Erkrankung oder Behinderung des Betroffenen erfassen und die derzeit bestehende Notwendigkeit seiner Betreuung nachvollziehen können. Hierzu ist erforderlich, dass der Sachverständige ein deutliches Bild der derzeitigen Verfassung des Betroffenen vermittelt, indem er die durchgeführte Untersuchung oder Befragung darstellt sowie die aus den Befundtatsachen gezogenen Schlussfolgerungen im Einzelnen begründet (Senat, a.a.O. = Juris, Rdn. 6). Entsprechendes ist der ärztlichen Stellungnahme vom 3. Dezember 2003 nicht zu entnehmen. Sie beschränkt sich vielmehr im Wesentlichen auf die Darstellung der Lebensumstände des Betroffenen und seine unübersichtlichen finanziellen Verhältnisse. Die Durchführung einer ärztlichen Untersuchung ergibt sich aus der Stellungnahme nicht. Die Vorgeschichte der Erkrankung wird nicht dargestellt und gutachterlich gewürdigt, sondern lediglich aus den Angaben des Betroffenen zu früheren Hirnoperationen gefolgert, er sei "trotz guter Intelligenz nicht in der Lage, aufgrund von möglicherweise hirnorganisch bedingten Wahrnehmungsdefiziten seine Situation realitätsgerecht wahrzunehmen". Ohne Hinweis auf ärztliche Befunde wird schließlich festgestellt, dass der Betroffene "an hirnorganisch bedingten schweren Wahrnehmungsstörungen neben hirnorganisch bedingten Einschränkungen der Kritikfähigkeit, die im Rahmen einer hirnorganisch bedingten Persönlichkeits- und Verhaltensstörung zu sehen sind (ICD 10 F 07.9)", leide.

III. Da bereits die erstinstanzlichen Entscheidungen auf der gleichen Rechtsverletzung beruhen, waren die angefochtenen Beschlüsse des Landgerichts und des Vormundschaftsgerichts aufzuheben und die Sache an das Vormundschaftsgericht zurückzuverweisen (Meyer-Holz, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 27, Rdn. 61).

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass dem Betroffenen das nunmehr einzuholende Gutachten auszuhändigen sein wird, soweit nach Einschätzung des Sachverständigen hiervon keine erheblichen Nachteile für die Gesundheit des Betroffenen zu besorgen sind, Art. 103 Abs. 1 GG (OLG Düsseldorf, FamRZ 1997, 1361; BayObLG, FamRZ 1994, 1059 = Juris, Rdn. 13). Da bislang mangels Vorliegens eines Gutachtens ein solches mit dem Betroffenen nicht mündlich hat erörtert werden können, vgl. § 68 Abs. 5 FGG, wird das Vormundschaftsgericht auch dies nachzuholen haben.



Ende der Entscheidung

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