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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 13.03.2007
Aktenzeichen: 1 W 257/06
Rechtsgebiete: ZPO, JVEG


Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 1 Satz 2
JVEG § 20
JVEG § 22 Satz 1
Für die notwendige Wahrnehmung eines Termins durch einen ihrer Mitarbeiter erhält eine Handelsgesellschaft in der Regel eine Entschädigung für den Verdienstausfall nach § 22 Satz 1 JVEG auch ohne konkreten Nachweis. Die frühere Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 21. Mai 1985, 1 W 5495/84, MDR 1985, 851 = VersR 1985, 1072), die unter Geltung des ZSEG nur die Mindestvergütung nach § 2 Abs. 3 ZSEG (jetzt: § 20 JVEG) gewährte, wird aufgegeben.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 257/06

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts auf die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss das Landgerichts Berlin vom 9. Juni 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Sieveking und die Richter am Kammergericht Müller und Dr. Müther in der Sitzung am 13. März 2007 beschlossen:

Tenor:

In Abänderung der angefochtenen Entscheidung werden die von den Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten auf insgesamt 664,19 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Februar 2006 festgesetzt. Die weitergehende sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beklagten haben der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Wert von 382,89 EUR zu erstatten.

Gründe:

A.

Die Klägerin hat in dem zugrunde liegenden Rechtsstreit gegen die Beklagten Werklohn geltend gemacht. Aufgrund eines zwischen den Parteien geschlossenen Zwischenvergleichs beauftragten die Parteien einen Sachverständigen zur Mängelfeststellung. Das Verfahren kam in der Folge zum Erliegen. Es wurde dann im Jahre 2003 wieder aufgenommen und in erster Instanz durch Urteil beendet. Auf die Berufung der Klägerin haben sich die Parteien vor dem Berufungsgericht verglichen. Nach dem Vergleich hatte die Klägerin 55% der erstinstanzlichen und 60% der Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. In dem anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren hat die Klägerin für Zeitversäumnis ihrer Mitarbeiter, die zu den Gerichtsterminen und dem Ortstermin des aufgrund des Zwischenvergleichs beauftragten Sachverständigen erschienen waren, insgesamt 885,68 EUR geltend gemacht, die in dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 9. Juni 2006 nicht berücksichtigt wurden. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der sofortigen Beschwerde.

B.

I. Die sofortige Beschwerde vom 28. Juni 2006 ist statthaft, §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere innerhalb der Frist von zwei Wochen nach § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingelegt. Denn der Kostenfestsetzungsbeschluss ist am 26. Juni 2006 zugestellt worden und das Rechtsmittel am 30. Juni 2006 beim Landgericht Berlin eingegangen. Über das Rechtsmittel hat der Senat in der Besetzung nach dem Gerichtsverfassungsgesetz zu entscheiden, nachdem ihm die Entscheidung mit dem Beschluss vom 2. November 2006 durch den Einzelrichter nach § 568 ZPO übertragen worden ist.

II. Die sofortige Beschwerde ist auch im Wesentlichen begründet. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sind zugunsten der Klägerin bei der Kostenausgleichung für Zeitversäumnis wegen notwendiger Reisen und zur notwendigen Wahrnehmung von Terminen insgesamt 809 EUR zu berücksichtigen.

1. Nach § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO sind die in einem Rechtsstreit wegen notwendiger Reisen und zur notwendigen Wahrnehmung von Terminen entstandenen Zeitversäumnisse nach den für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften zu entschädigen. Dies führt hier wegen der Einleitung des Klageverfahrens und dessen Fortsetzung vor dem 1. Juli 2004 für die erste Instanz zur Anwendung des ZSEG und für die Berufung, die durch die Berufungsschrift vom 10. Mai 2005 eingeleitet wurde, zur Anwendung des JVEG, § 25 JVEG. Danach stehen der Klägerin als Entschädigung für die erste Instanz insgesamt 639 EUR und für die Berufungsinstanz 170 EUR zu.

a) Wie die Klägerin zu Recht geltend macht, findet § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO entgegen früherer Auffassung nicht nur dann Anwendung, wenn es um die Zeitversäumnis einer Partei geht, die eine natürliche Person ist, sondern auch bei der Zeitversäumnis einer juristischen Person oder - wie dies hier der Fall ist - einer Personenhandelsgesellschaft (vgl. Senat, MDR 1985, 851 = VersR 1985, 1072; OLG Rostock OLGR 2000, 237; OLG Stuttgart OLGR 2001, 391 = Justiz 2001, 361 = JurBüro 2001, 484; OLG Hamm NJW-RR 1997, 767; Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl., § 91 Rn. 13 Stichwort " Zeitversäumnis"). Dabei ist es auch nicht erforderlich, dass die Zeitversäumnis bei dem Organ oder gesetzlichen Vertreter selbst eintritt, es reicht aus, dass der Termin durch einen Mitarbeiter wahrgenommen wird (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl., § 91 Rn. 13 Stichwort " Zeitversäumnis"; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 65. Aufl., § 91 Rn. 294; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 27. Aufl., § 91 Rn. 15).

Eine Entschädigung scheidet hier nicht deshalb aus, weil der Klägerin ersichtlich keine Nachteile durch die Terminwahrnehmungen entstanden wären (vgl. dazu §§ 2 Abs. 3 Satz 5 ZSEG, § 20 JVEG). Die Klägerin ist als Personenhandelsgesellschaft, die sich nicht allein mit der Verwaltung eigenen Vermögens beschäftigt, notwendiger Weise gewerblich tätig (§ 1 Abs. 2 HGB), so dass eine Gewinnerzielungsabsicht für die Geschäftstätigkeit unterstellt werden kann. Für die Wahrnehmung der Termine hat sie angestelltes und von ihr bezahltes Personal eingesetzt, so dass von einer nicht nur immateriellen Beeinträchtigung durch die Terminwahrnehmung ausgegangen werden kann und eine Entschädigung für die Zeitversäumnis zugesprochen werden muss.

Die Entschädigung ist entsprechend den Vorschriften über den Vergütungsausfall nach § 2 Abs. 2 Satz 1 ZSEG bzw. § 22 Satz 1 JVEG zu berechnen. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin einen konkreten eigenen Verdienst- oder Gewinnausfall aufgrund des Einsatzes ihrer Mitarbeiter zur Terminswahrnehmung nicht darlegen konnte. Denn es reicht - wie die Klägerin mit der Beschwerde zu Recht geltend macht - zur Anwendung der Vorschriften aus, dass die Lebensstellung des Betroffenen und seine regelmäßige Erwerbstätigkeit die Vermutung rechtfertigen, dass er überhaupt einen Verdienst- oder Gewinnausfall erlitten habe (vgl. OLG Stuttgart OLGR 2001, 391 = Justiz 2001, 361 = JurBüro 2001, 484; OLG Köln OLGR 2000, 61; JurBüro 2000, 84; OLG Rostock OLGR 2000, 237; OLG Karlsruhe OLGR 2005, 776; ebenso Senat, AnwBl Berlin 1992, 394 zum Selbständigen). Die Höhe der Entschädigung ist dann unter Berücksichtigung aller Umstände gegebenenfalls zu schätzen (vgl. OLG Köln OLGR 2000, 61 = JurBüro 2000, 84; OLG Rostock OLGR 2000, 237). Eine Beschränkung der Entschädigung wegen des Fehlens eines konkreten Nachweises über den zeitbedingten Verdienst-, Gewinn- oder Erwerbsausfall ist nicht gerechtfertigt (so aber Senat, MDR 1985, 851 = VersR 1985, 1072; ebenso wohl OLG Hamm NJW-RR 1997, 767 allerdings zu fiktiv zu berechnenden Kosten einer Informationsreise; von Eicken/Hellstab/Mathias, Die Kostenfestsetzung, 19. Aufl., B 455). Dies folgt daraus, dass die Erstattungsvorschriften keinen besonderen Nachweis eines Verdienstausfalles vorsehen (eingehend: Meyer/Höver/Bach, Die Vergütung und Entschädigung von Sachverständigen, Zeugen, Dritten und von ehrenamtlichen Richtern nach dem JVEG,. 23. Aufl., § 22 Rn. 22.3; Zimmermann, JVEG, 2005, § 22 Rn. 4). Eine Entschädigung scheidet nach der gesetzlichen Konzeption nur dann aus, wenn überhaupt kein Nachteil ersichtlich ist (vgl. §§ 2 Abs. 3 Satz 5 ZSEG, § 20 JVEG), wobei als Nachteil jede Beeinträchtigung anzusehen ist. Nur dann, wenn ein Verdienstausfall nicht eingetreten ist, und nicht schon dann, wenn dieser nicht konkret nachgewiesen werden kann, ist bei bestehender Beeinträchtigung nur eine Entschädigung nach § 2 Abs. 3 ZSEG, § 20 JVEG zu gewähren, wie sich auch aus dem Wortlaut dieser Vorschriften ergibt.

Ist danach - wie hier bei einem gewerblichen Unternehmen, das zur Terminswahrnehmung Angestellte einsetzt - ein Verdienstausfall anzunehmen, ist dieser nach den §§ 2 Abs. 2 Satz 1 ZSEG, 22 JVEG zu bemessen. Soweit der Senat in der Entscheidung vom 7. Mai 1985 (MDR 1985, 851) eine andere Auffassung vertreten hat, wird daran nicht mehr festgehalten.

b) Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs sind auf Seiten der Klägerin für die erste Instanz insgesamt 639 EUR, nämlich 50 Stunden á 12,78 EUR (= 25 DM), nach § 2 Abs. 2 Satz 1 ZSEG anzusetzen.

Die Wahrnehmung der Ortstermine vom 5. August 1999, 13. Oktober 1999 und 24. Mai 2000 ist ebenso als notwendig anzusehen, wie die Wahrnehmung der Gerichtstermine am 12. März 2004 und 21. Juli 2004. Dass die Termine 1999 und 2000 Ortstermine darstellten und der Erstellung eines Gutachtens durch den nicht vom Gericht bestellten Sachverständigen nnn dienten, ändert an einer Notwendigkeit der Terminswahrnehmung und der Reisen hierzu nichts. Denn die Gutachtenerstellung war von den Parteien in dem gerichtlichen Zwischenvergleich vom 30. Juni 1999 vereinbart worden, so dass die Prozessbezogenheit der hierauf bezogenen Handlungen gegeben ist. Es bedurfte auch keiner weiteren Nachweise darüber, dass die Mitarbeiter der Klägerin für die Anreise zu den Terminen und zu ihrer Wahrnehmung jeweils 10 Stunden aufgewandt haben. Denn dieser Aufwand ist von den Beklagten nicht bestritten worden, er liegt aufgrund der Anreise aus der Nähe von Stuttgart auch nahe. Für die Wahrnehmung des Termins am 5. August 1999 stehen der Klägerin allerdings nicht zweimal acht Stunden, sondern insgesamt nur 10 Stunden zu. Soweit diese meint, die Anreise ihres Mitarbeiters am Vortrag sei erforderlich gewesen, ergibt sich dies aus den eingereichten Unterlagen gerade nicht. Der von dem Mitarbeiter nn am 6. August 1999 erstellte Zeitnachweis weist vielmehr aus, dass der Mitarbeiter am 4. August 1999 bis um 22 Uhr wegen eines anderen Verfahrens vor dem LG Frankfurt/Oder beschäftigt war. Soweit die Klägerin geltend macht, jedenfalls am 5. August 1999 sei ein Zeitaufwand von 17 Stunden angefallen, kommt nach § 2 Abs. 5 Satz 1 ZSEG nur eine Erstattung von 10 Stunden in Betracht.

Die Höhe der Vergütung ist an den von der Klägerin für die Bezahlung ihrer Mitarbeiter aufgewandten Beträgen auszurichten, weil insoweit davon auszugehen ist, dass die Klägerin ihre Mitarbeiter andernfalls gewinnbringend eingesetzt hätte, so dass die Lohnbeträge dem Gewinnausfall entsprechen (vgl. OLG Rostock OLGR 2000, 237; OLG Karlsruhe LGR 2005, 776, jeweils mwN). Danach war jeweils der Höchstsatz von 12,78 EUR (= 25 DM) anzusetzen.

c) Nach alldem steht der Klägerin zur Wahrnehmung des Termins am 14. Dezember 2005 vor dem Berufungsgericht ein Betrag von 170 EUR zu. Auch insoweit hat die Klägerin nachvollziehbar dargelegt, dass die Aufwendungen für das Gehalt der Mitarbeiterin über dem Höchstsatz nach § 22 JVEG liegen. Auch der angesetzte Stundenumfang ist plausibel gemacht.

2. Bei der Kostenausgleichung sind daher für die erste Instanz nicht nur 10.621,99 EUR, sondern 11.260,99 EUR an außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu berücksichtigen. Von den damit entstandenen Gesamtkosten von 19.127,44 EUR hat die Klägerin 56% (= 10.711,36 EUR) zu tragen, so dass die Beklagten der Klägerin insoweit 549,63 EUR zzgl. Gerichtskosten von 565,92 EUR insgesamt also 1.115,55 EUR zu erstatten haben. Für die zweite Instanz ergeben sich außergerichtliche Kosten bei der Klägerin in Höhe von 3.015,93 EUR und damit Gesamtkosten von 6.132,15 EUR, von denen die Klägerin 3.679,29 EUR zu tragen hat. Als Erstattungsbetrag zu Gunsten der Beklagten ergeben sich damit 663,36 EUR von denen noch die zu erstattenden Gerichtskosten in Höhe von 212 EUR abzuziehen sind. Dies ergibt einen Betrag von 451,36 EUR. Dieser Erstattungsbetrag der Beklagten ist mit dem Erstattungsbetrag der Klägerin auszugleichen, so dass sich ein Erstattungsbetrag zu Gunsten der Klägerin von 664,19 EUR ergibt (= 1.115,55 EUR - 451,36 EUR).

II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 92 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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