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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 28.11.2006
Aktenzeichen: 1 W 279/06
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 70e
Holt das Vormundschaftsgericht nach § 70e Abs. 1 FGG ein Gutachten ein, hat es zuvor den Betroffenen hierüber sowie über die Person des Sachverständigen in Kenntnis zu setzen. Wird der behandelnde Arzt als Sachverständiger bestellt, sind bei der Behandlung erhobene Befunde nur dann verwertbar, wenn der Betroffene den Sachverständigen von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden hat.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 279/06

28.11.2006

In der Unterbringungssache

hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts auf die sofortige weitere Beschwerde der Betroffenen vom 30. Juni 2006 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 8. Juni 2006 - 83 T 254/06 - durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Sieveking, die Richterin am Kammergericht Dr. Rasch und den Richter am Kammergericht Müller am 28. November 2006 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 8. Juni 2006 wird abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die durch das Amtsgericht Wedding mit Beschluss vom 15. Mai 2005 erfolgte Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen rechtswidrig war.

Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

Die sofortige weitere Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe im Beschwerdeverfahren wird als unzulässig verworfen.

Gründe:

Die Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung ihrer Unterbringung vom 15. Mai 2006 bis zum 23. Juni 2006 (dazu unter A.) und gegen die Versagung der Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht Berlin (dazu unter B.).

A.

I. Die mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der mit Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 15. Mai 2006 erfolgten Genehmigung der Unterbringung eingelegte sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, §§ 70 Abs. 1 S. 2 Nr. 1b), 70g Abs. 3, 70m Abs. 1 S. 1, 22, 27, 29 FGG. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Das Rechtsschutzinteresse der Betroffenen ist nicht durch ihre zwischenzeitliche Entlassung entfallen. Die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Unterbringungsmaßnahme ist möglich. Art. 19 Abs. 4 GG gebietet die Annahme eines Rechtsschutzinteresses in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe, in denen sich eine direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Verfahrensordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Eine Unterbringungsmaßnahme ist ein tief greifender Grundrechtseingriff (BVerfG, NJW 1998, 2432 ff; BVerfGE 104, 220 ff). Aufgrund der bis zum 10. Juli 2006 genehmigten Unterbringung konnte die Betroffene auch keine Entscheidung in den von der Verfahrensordnung vorgegebenen Instanzen erreichen (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Mai 2000 - 1 W 2749/00, FGPrax 2000, 213f.), zumal sie bereits am 23. Juni 2006 entlassen worden war.

II. Das Feststellungsbegehren hat auch in der Sache Erfolg.

Nach § 1906 Abs. 2 S. 1 BGB bedarf die mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die Unterbringung zum Wohl des Betroffenen erforderlich ist, weil auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB oder eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann, § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB.

Das Landgericht hat ausgeführt: Aufgrund der gutachterlichen Stellungnahme der Klinikärzte vom 15. Mai 2006, welche Bestätigung in dem ebenfalls zeitnah erstatteten Gutachten des Sachverständigen Dr. Knnn sowie weiteren in den Akten befindlichen fachärztlichen Gutachten und Stellungnahmen finde, stehe fest, dass die Betroffene an einer akuten paranoiden Schizophrenie leide, die dringend einer medikamentösen Behandlung bedürfe, um ganz erhebliche eigengefährdende Fehlhandlungen seitens der Betroffenen bis hin zum Suizid sowie eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes verbunden mit erheblichem Leidensdruck für die Betroffene abzuwehren. Mangels jeglicher Krankheits- und Behandlungseinsicht könne die dringend erforderliche konsequente neuroleptische Behandlung der Betroffenen derzeit nur stationär und nur im Wege der Unterbringung erfolgen.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand, §§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO, weil sie auf einer verfahrensfehlerhaft erfolgten Ermittlung des Sachverhalts beruhen, § 12 FGG.

Vor einer Unterbringungsmaßnahme hat das Gericht das Gutachten eines Sachverständigen einzuholen, der den Betroffenen persönlich zu untersuchen oder zu befragen hat, § 70e Abs. 1 S. 1 FGG. Vorliegend hat das Vormundschaftsgericht den die Betroffene bereits seit dem 7. Mai 2006 behandelnden Stationsarzt Dr. Enn -Snnnn um die Erstellung eines Gutachtens gemäß § 70e FGG gebeten, der am 15. Mai 2006 das "Ärztliche Attest zur Unterbringung" dem Gericht überreicht hat, das mit dem bereits vorliegenden "Ärztlichen Attest zur Unterbringung" vom 12. Mai 2006 übereinstimmte und lediglich um die kurze Mitteilung eines Gesprächs mit der Betroffenen am 15. Mai 2006 ergänzt war. Das Vormundschaftsgericht hatte zuvor die Betroffene weder über die Person des Gutachters noch überhaupt über seine Prüfbitte unterrichtet. Das war verfahrensfehlerhaft und hinderte an der Verwertung als Gutachten. Das Landgericht konnte seine Entscheidung deshalb nicht auf ein vom Vormundschaftsgericht eingeholtes Gutachten stützen, §§ 70m Abs. 3, 69g Abs. 5 S. 4 FGG, sondern hätte selbst ein Gutachten einholen müssen, § 12 FGG.

Die Person des Sachverständigen hat das Gericht vor der Begutachtung dem Betroffenen bekannt zu geben, weil nach §§ 15 Abs. 1 FGG, 406 ZPO eine Ablehnung des Sachverständigen in Betracht kommt (Senat, Beschluss vom 20. Dezember 1994 - 1 W 6687/94 -, FamRZ 1995, 1379 = KG-Report 1995, 248). Das Gericht hat den Betroffenen aber auch überhaupt darüber in Kenntnis zu setzen, dass eine Begutachtung angeordnet worden ist. Aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG, folgt das Recht der Beteiligten, an einer Beweisaufnahme teilzunehmen (Schmidt, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 15, Rdn. 13; Jansen, FGG, 2. Aufl., § 15, Rdn. 8). Dieses Recht kann naturgemäß nur dann wahrgenommen werden, wenn die Beteiligten Kenntnis von einer Beweisaufnahme haben. Dies muss um so mehr gelten, wenn das Gericht ein ärztliches Gutachten über einen Beteiligten einholt. Dessen Rechtsstellung als Verfahrenssubjekt erfordert es zwingend, dass ihm vor der Begutachtung der Zweck der ärztlichen Untersuchung durch das Gericht eröffnet wird. Vorliegend kommt hinzu, dass die Betroffene überhaupt nicht damit rechnen konnte, dass der Stationsarzt, in dessen Behandlung sie sich zunächst freiwillig begeben hatte, im Auftrag des Vormundschaftsgerichts ein Gutachten über sie erstellen sollte. Sie konnte daher auch nicht - was für die Verwertbarkeit der bei der Behandlung erhobenen Befunde im Rahmen des Gutachtens erforderlich gewesen wäre - den Sachverständigen von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden (vgl. Marschner, in: Jürgens, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 70e FGG, Rdn. 4; Knittel, Betreuungsgesetz, Loseblatt 14. Ergänzungslieferung, § 70e, Rdn. 11; Sonnenfeld, in: Jansen, FGG, 3. Aufl., § 70e, Rdn. 6; Wigge, MedR 1996, 291, 297). Nach all dem kann offenbleiben, ob das von Dr. Enn -nnnn überreichte ärztliche Attest nach seinem eigenen Verständnis überhaupt als Gutachten im Sinne des § 70e FGG anzusehen war. Das dort wiedergegebene Gespräch mit der Betroffenen am 15. Mai 2006 ist als Darstellung einer persönlichen Untersuchung und Befragung durch den Sachverständigen jedenfalls völlig unzureichend.

Auf diesem Verfahrensfehler beruht die Entscheidung des Beschwerdegerichts. Das Vormundschaftsgericht hat ein verwertbares Gutachten nicht eingeholt. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. Knnn vom 9. Mai 2006 ersetzte ein eigenes Gutachten im Unterbringungsverfahren nicht (vgl. Kayser, in: Keidel/Kuntze/Winkler, a.a.O., § 70e, Rdn. 2). Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. Knnn in diesem Gutachten bezogen sich lediglich auf die Erforderlichkeit der Verlängerung der Betreuung. Aussagen zur gegenwärtigen Erforderlichkeit der Unterbringung enthält es nicht, da sich die Betroffene zum Zeitpunkt der Untersuchung noch freiwillig im nnnnnnnn -Klinikum aufhielt. Das Landgericht hätte danach ein eigenes Gutachten einholen müssen. Auf in erster Instanz eingeholte Gutachten konnte sich das Landgericht nur dann beziehen, wenn diese eine hinreichende Tatsachengrundlage bildeten, §§ 70m Abs. 3, 69g Abs. 5 S. 4 FGG (OLG Köln, OLG-Report 2000, 396, 397).

Die Begutachtung kann nach Beendigung der Unterbringungsmaßnahme nicht mehr nachgeholt werden. § 70e FGG ist Teil der Bestimmungen, durch die der Gesetzgeber gewährleisten wollte, dass die für eine Unterbringung erforderlichen Ermittlungen durchgeführt werden (BT-Drs. 11/4528, S. 93 re.Sp.). Das Gleiche gilt für §§ 70m Abs. 3, 69g Abs. 5 FGG, wonach ggf. dem Vormundschaftsgericht unterlaufene Verfahrensfehler durch Nachholung in der Beschwerdeinstanz geheilt werden können. Die Heilung kommt aber nur dann in Betracht, wenn Verfahrensgegenstand des Beschwerdeverfahrens nicht nur die in der Vergangenheit erfolgte Anordnung der Unterbringungsmaßnahme, sondern auch noch deren Aufrechterhaltung bzw. Beendigung ist (vgl. Senat, bislang unveröffentlichter Beschluss vom 11. Juli 2006 - 1 W 400/02 -; OLG Schleswig, FamRZ 1994, 781; Jansen, a.a.O., § 12, Rdn. 103). Das folgt im Übrigen auch aus dem Wortlaut des § 70e Abs. 1 S. 1 FGG, wonach das Gutachten eines Sachverständigen vor einer Unterbringungsmaßnahme einzuholen ist.

Ein Verstoß gegen § 70e FGG stellt einen Verfahrensfehler dar, der das Rechtsbeschwerdegericht in aller Regel zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung nötigt (Bienwald, Betreuungsrecht, 4. Aufl., § 70e FGG, Rdn. 14). Kommt die Begutachtung wie hier nicht mehr in Betracht, ist auf Antrag des Betroffenen die Rechtswidrigkeit der Unterbringungsmaßnahme festzustellen, weil das Feststellungsinteresse des Betroffenen nicht auf die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Unterbringungsmaßnahme beschränkt ist, sondern auch die Einhaltung der Verfahrensvorschriften umfasst.

III. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, § 128b KostO. Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf § 13a Abs. 2 S. 1 FGG. Eine Wertfestsetzung erscheint nicht erforderlich, weil sich die Anwaltskosten nach § 2 Abs. 2 S. 1 RVG in Verbindung mit RVG-VV Nr. 6300 richten.

B.

Das als sofortige weitere Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe durch das Landgericht auszulegende Rechtsmittel (Zimmermann, in: Keidel/Kuntze/Winkler, a.a.O., § 14, Rdn. 34) ist unzulässig. Gemäß § 14 FGG finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechende Anwendung. Von der Verweisung werden auch diejenigen Vorschriften der ZPO erfasst, welche die Statthaftigkeit der Rechtsmittel im Prozesskostenhilfeverfahren regeln (BGH, NJW-RR 2004, 1077; KG, FGPrax 2003, 252; BayObLG, NJW 2002, 2573; BayObLG, BayObLG-Report 1992, 48, 49; Senat, Beschluss vom 15. Dezember 1972 - 1 W 1584/72, FamRZ 1973, 330). Das führt dazu, dass die Entscheidung des Landgerichts über die Versagung von Prozesskostenhilfe im Beschwerdeverfahren nur dann mit der sofortigen weiteren Beschwerde angefochten werden kann, wenn das Landgericht das Rechtsmittel zugelassen hat, §§ 14 FGG, 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO (BGH, a.a.O.; KG a.a.O., BayObLG, NJW 2002, 2573; Demharter, NZM 2002, 233, 235; Zimmermann, a.a.O.; Bumiller/Winkler, FGG, 8. Aufl., § 14, Rdn. 20f). Da das Landgericht das Rechtsmittel vorliegend nicht zugelassen hat, war es als unzulässig zu verwerfen, §§ 14 FGG, 577 Abs. 1 S. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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