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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 29.11.2005
Aktenzeichen: 1 W 348/04
Rechtsgebiete: GKG-KV, ZPO


Vorschriften:

GKG-KV Nr. 1211
ZPO § 330
Eine Ermäßigung der Verfahrensgebühr nach KV Nr. 1211 c der Anlage 1 zu § 11 Abs. 1 GKG a. F. tritt nicht ein, wenn vor der Verfahrensbeendigung durch Abschluss eines Prozessvergleichs bereits ein Versäumnisurteil gegen den Kläger ergangen ist.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 348/04

In dem Kostenfestsetzungsverfahren

Der 1. Zivilsenat des Kammergerichts hat auf die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 10. Juli 2004 in der Sitzung vom 29. November 2005 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Beklagten nach einem Wert von 242 EUR zurückgewiesen.

Gründe:

I. Gegen die Klägerin war im Termin zur Verkündung einer Entscheidung ein Versäumnisurteil ergangen, nachdem sie im vorangegangenen Verhandlungstermin einen Vergleich mit Widerrufsvorbehalt geschlossen, aber keinen Antrag zur Sache gestellt und später den Vergleich fristgerecht widerrufen hatte. Auf den Einspruch der Klägerin hin wurde Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung anberaumt, in dem sich die Parteien erneut verglichen. Nach jenem nicht mehr widerrufenen Prozessvergleich vom 30. Juni 2004 hat die Beklagte die Kosten des Vergleichs zu tragen, die Kosten des Rechtsstreits wurden gegeneinander aufgehoben.

In dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14. Juli 2004 hat das Landgericht die von der Klägerin verauslagte volle gerichtliche Verfahrensgebühr gemäß Nr. 1210 KV zum GKG in den Kostenausgleich einbezogen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit dem Einwand, durch den Abschluss des Vergleichs vom 30. Juni 2004 sei nach Nr. 1211 KV eine Ermäßigung der Verfahrensgebühr von dem 3,0fachen Satz auf den 1,0fachen Satz eingetreten.

II. Das Rechtsmittel ist gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 ZPO zulässig, aber unbegründet.

Der von der Beklagten gegenüber dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14. Juli 2004 erhobene Einwand, die festgesetzten Gerichtskosten seien nur in geringerer Höhe entstanden, ist zwar im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigten (Senat, KG-Report 1997, 151 m. w. N.). Er greift jedoch nicht durch. Zu Recht hat das Landgericht Gerichtskosten in Höhe einer vollen Verfahrensgebühr von 726 EUR bei der Kostenfestsetzung nach §§ 103 ff. ZPO berücksichtigt.

Die Gerichtskosten richten sich im vorliegenden Rechtstreit aus dem Jahr 2003 gemäß § 72 GKG nach dem Gerichtskostengesetz in der bis zum 30. Juni 2004 gültigen Fassung. Nach Nr. 1210 des Kostenverzeichnisses zum GKG a. F. (im Folgenden: KV ) betragen die allgemeinen Verfahrenskosten für das Prozessverfahren in erster Instanz das 3,0fache der einfachen Gebühr. Eine Ermäßigung auf den 1,0fachen Satz tritt bei einer endgültigen Beendigung des gesamten Verfahrens durch die Parteien ein, wobei die einzelnen gebührenrechtlich begünstigten Erledigungstatbestände in Nr. 1211 KV benannt sind. So erfolgt eine Gebührenermäßigung bei Klagerücknahme unter bestimmten Voraussetzungen (Nr. 1211a KV), bei Erlass eines Anerkenntnis- oder Verzichtsurteils und eines Urteils nach § 313a Abs. 2 ZPO (Nr. 1211b KV) oder bei Abschluss eines Vergleichs vor Gericht (Nr. 1211c KV), wenn in all diesen Fällen nicht bereits ein sonstiges Urteil vorausgegangen ist (Nr. 1211c, 2. HS KV ist auf alle Fälle der Nr. 1211 a bis c KV zu beziehen, vgl. Hartmann, Kostengesetze, 33. Aufl., KV 1211 Rn. 10 bis 15). Eine solche Ermäßigung der Verfahrensgebühr ist hier nicht eingetreten. Das Verfahren ist zwar durch den Prozessvergleich der Parteien vom 30. Juni 2004 beendet worden. Zuvor ist jedoch ein klageabweisendes Versäumnisurteil gegen die Klägerin erlassen worden, was einer Gebührenermäßigung entgegensteht. Denn unter einem "sonstigen Urteil" im Sinne von Nr. 1211 KV ist auch ein Versäumnisurteil zu verstehen, wobei es keine Rolle spielt, ob sich das Urteil gegen den Kläger oder gegen den Beklagten richtet (LG Bonn, JurBüro 2001,595; wohl auch Hartmann, a. a. O., KV 1211 Rn. 15, s. aber Rn. 10; a. A.; LG Koblenz, JurBüro 2004,92; AG Neuwied, JurBüro 2003, 430; LG Köln, JurBüro 2001, 260; AG Siegburg, JurBüro 2000, 424; Oestreich/Winter/Hellstab, GKG, Bd. 2, Nr. 1211, Rn. 5; Meyer, GKG, 6. Aufl., KV 1211 Rn. 32).

Bereits der Wortlaut des Gesetzes spricht für diese Auslegung. Der Begriff "sonstiges Urteil" ist als Abgrenzung gegenüber den Urteilen zu verstehen, die nach Nr. 1211 b KV gebührenrechtlich privilegiert sind, d. h. dem Anerkenntnis- oder Verzichtsurteil und einem Urteil nach § 313a Abs. 2 ZPO. Ein Versäumnisurteil fällt nicht unter diese Bestimmung. Die Regelung in Nr. 1211 b KV ist auf den Fall der Beendigung des gesamten Verfahrens durch Versäumnisurteil auch nicht entsprechend anwendbar ist (Senat, JurBüro 1999, 152; in diesem Sinn auch BVerfG, JurBüro 2000, 146). Die entsprechende Anwendung einer Ausnahmevorschrift kommt nur in Betracht, wenn das dem Ausnahmesatz zugrunde liegende Prinzip es gebietet, über den Wortlaut hinaus bestimmte Fallgruppen zu erfassen (BGH, NJW-RR 2004, 1578). Versäumnisurteile sollen nach dem Willen des Gesetzgebers aber gebührenrechtlich nicht begünstigt sein. Das zeigt Nr. 1211 a KV (letzte Alternative), wonach der Erlass eines Versäumnisurteils im schriftlichen Vorverfahren der gebührenmäßigen Privilegierung einer Klagerücknahme nur dann nicht entgegensteht, wenn dieses der Geschäftsstelle noch nicht übergeben wurde. Zudem lässt die amtliche Begründung zum Kostenrechtsänderungsgesetz vom 24.6.1994 erkennen, dass der Gesetzgeber Versäumnisurteile bewusst von der Gebührenermäßigung nach Nr. 1211 KV ausgespart hat. Durch die spürbare Ermäßigung der Verfahrensgebühr sollte den Parteien ein Anreiz zur vollständigen Erledigung des Verfahrens ohne Urteil gegeben werden (BT-Drucks. 12/ 6962 S. 52). Dementsprechend wurde die Ermäßigung nach Nr. 1211 KV auf Tatbestände beschränkt, bei denen die Instanz jeweils durch aktives Handeln der Parteien endgültig beendet wird (BT-Drucks. 12/ 6962 S. 70). Damit sind aber Versäumnisurteile, deren verfahrensbeendende Wirkung davon abhängt, ob die säumige Partei Einspruch einlegt, von der Gebührenermäßigung ausgenommen. Es entspricht daher auch dem Sinn und Zweck der Regelung in Nr. 1211 c, 2. Hs., dass ein zuvor ergangenes Versäumnisurteil bei späterer Verwirklichung eines der Ermäßigungstatbestände nach Nr. 1211 KV eine Gebührenermäßigung generell ausschließt (OLG Nürnberg MDR 2003, 416; OLG Düsseldorf JurBüro 2001, 316; Hans. OLG Hamburg JurBüro 2001, 317 und MDR 1998,625).

Nach der Zielsetzung des Gesetzgebers ist aber auch eine gebührenrechtliche Differenzierung zwischen Versäumnisurteilen, die nach § 331 ZPO gegen den Beklagten, und solchen, die nach § 330 ZPO gegen den Kläger ergehen, sachlich nicht gerechtfertigt. Es trifft zwar zu, dass der Erlass eines Versäumnisurteils gegen den Beklagten eine Schlüssigkeitsprüfung der Klage voraussetzt, also einen Arbeitsschritt des Gerichts erfordert, der beim Versäumnisurteil gegen den Kläger entbehrlich ist. Doch kann auch das Versäumnisurteil gegen den Kläger regelmäßig nicht ohne Arbeitsaufwand des Gerichts ergehen. Stellt nämlich der Kläger - wie im vorliegenden Fall - im Termin zur mündlichen Verhandlung keinen Antrag und wird daraufhin gemäß §§ 333,330 ZPO Versäumnisurteil erlassen, so geht dem der Arbeitsaufwand der Terminsvorbereitung und einer Güteverhandlung (§ 278 Abs. 2 ZPO) mit Erörterung voraus. Dies konnte der Gesetzgeber bei seiner pauschalisierenden Regelung berücksichtigen (BVerfG, JurBüro 2000, 146). Bei der Ermäßigung der pauschalen Verfahrensgebühr hat der Gesetzgeber aber nicht nur auf den mit dem jeweiligen Beendigungstatbestand verbundenen gerichtlichen Arbeitsaufwand abgestellt, sondern in zulässiger Weise auch eine begrenzte Verhaltenssteuerung der Parteien erreichen wollen (BVerfG, a. a. O). Dabei stand der Aspekt einer von den Parteien herbeigeführten abschließenden Verfahrensbeendigung im Vordergrund (BT-Drucks. 12/ 6962 S. 70). Eine solche ist aber weder durch ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten noch durch ein solches gegen den Kläger garantiert. Beide Urteile bieten vielmehr der jeweils säumigen Partei die Möglichkeit, aus prozesstaktischen Gründen die Beendigung der Instanz zunächst zu vermeiden und den Rechtsstreit nach Einlegung des Einspruchs weiterzuführen. Durch die Einlegung des Einspruchs wird für das Gericht aber in gleicher Weise ein Mehraufwand begründet, dem der Anreiz der Gebührenermäßigung entgegenwirken soll.

Die Auffassung, dass auch das Versäumnisurteil gegen den Kläger gemäß § 330 ZPO ein "sonstiges" Urteil im Sinne von Nr. 1211 KV ist, wird im Übrigen bestätigt durch die heute gültige Gesetzesfassung, die diese Bestimmung durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 5. Mai 2004 (BGBl. 718) erhalten hat. Die Regelung Nr. 1211 KV zum GKG n. F. bezeichnet das vorausgegangene, jede Gebührenermäßigung ausschließende Urteil nicht mehr nur als "sonstiges Urteil", sondern klarstellend als "ein anderes als eines der in Nummer 2 genannten Urteile", nämlich Anerkenntnisurteil, Verzichtsurteil oder Urteil nach § 331 Abs. 3 ZPO (BT-Drucks. 15/1971, S. 159).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht nach § 574 Abs. 2 ZPO zugelassen. Zwar folgt ein Großteil der Literatur der oben zitierten land- und amtsgerichtlichen Rechtsprechung, wonach ein Versäumnisurteil gegen den Kläger kein "sonstiges Urteil" nach Nr. 1211 KV ist. Die Fragestellung erscheint aber nach der Neufassung des Gesetzestextes überholt.

Ende der Entscheidung

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