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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 09.03.2007
Aktenzeichen: 1 W 378/05
Rechtsgebiete: RVG VV, ZPO


Vorschriften:

RVG VV Nr. 3101
RVG VV Nr. 3100
ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 91 Abs. 2 Satz 1
Nimmt der Kläger nach der von ihm beantragter Abgabe des Mahnverfahrens an das Streitgericht die Klage vor Anspruchsbegründung zurück, so ist die dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten erwachsene Verfahrensgebühr nach VV Nr. 3101 erstattungsfähig. Stellt der Prozessbevollmächtigte des Beklagten einen Antrag nach § 269 Abs. 4 ZPO, ist zusätzlich eine nach dem Kostenwert bemessene Verfahrensgebühr gemäß VV Nr. 3100 in den Grenzen des § 15 Abs. 3 RVG zu erstatten. (Aufgabe der früheren Rspr. JurBüro 2002, 641)
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 378/05 82 AR 122/05

9.03.2007

In Sachen

hat der 1. Zivilsenat des Kammergerichts auf die sofortige Beschwerde der Beklagten und auf die Erinnerung der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 21. Juni 2005 durch die Richterin am Kammergericht Dr. Rasch als Einzelrichterin am 9. März 2007 beschlossen:

Tenor:

In Änderung des angefochtenen Beschlusses werden die nach dem Beschluss des Landgerichts Berlin vom 13.4.2005 von der Klägerin an die Beklagte zu erstattenden Kosten über den bereits festgesetzten Betrag hinaus in Höhe weiterer 255,43 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 18.4.2005 festgesetzt.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Beklagten zurückgewiesen.

Die Erinnerung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren wird auf 25 EUR ermäßigt.

Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerde- und Erinnerungs-verfahrens haben nach einem Wert bis zu 600 EUR die Klägerin zu 88 %, die Beklagte zu 12 % zu tragen.

Gründe:

I. Die am 12. Juli 2005 bei Gericht eingegangene sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den ihr am 28. Juni 2005 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 21. Juni 2005 ist gemäß § 11 Abs. 1 RpflG in Verbindung mit § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt. Der Beschwerdewert übersteigt 200 EUR (§ 567 Abs. 2 ZPO).

Auch die am 2. Juli 2005 bei Gericht eingegangene Erinnerung der Klägerin gegen denselben, ihr am 23. Juni 2005 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 21. Juni 2005 ist fristgerecht eingelegt und zu Recht zusammen mit der sofortigen Beschwerde der Beklagten dem Kammergericht als eine Angelegenheit zur Entscheidung vorgelegt worden (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl., § 16 Rn. 99).

II. In der Sache ist die sofortige Beschwerde der Beklagten teilweise begründet, die Erinnerung der Klägerin jedoch unbegründet. Der Beklagten sind an Kosten für ihre anwaltliche Vertretung im Mahnverfahren und nach Abgabe im Streitverfahren vor dem Landgericht Berlin eine nach einem Streitwert von 12.357,32 EUR bemessene 0,8 Verfahrensgebühr gemäß VV Nr. 3101 in Höhe von 420,80 EUR und eine nach einem Streitwert von bis 2.000 EUR bemessene 1,3 Verfahrensgebühr gemäß VV Nr. 3100 in Höhe 172,90 EUR zuzüglich Auslagenpauschalen und Mehrwertsteuer als notwendige Kosten der Rechtsverteidigung gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu erstatten.

1. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist dem Prozessbevollmächtigen der Beklagten nicht nur eine Verfahrensgebühr von 0,5 nach VV Nr. 3307 für den Widerspruch gegen den Mahnbescheid des Amtsgerichts nnn erwachsen, sondern auch Verfahrensgebühren für den nachfolgenden Rechtsstreit angefallen, in denen die Widerspruchsgebühr aufgeht. Nachdem das Mahnverfahren aufgrund des eingelegten Widerspruchs antragsgemäß an das Landgericht Berlin abgegeben worden ist, ist dort die Streitsache mit dem Eingang der Akten am 28. Januar 2005 gemäß § 696 Abs. 1 Satz 4 ZPO anhängig geworden und damit in das Streitverfahren übergeleitet worden. In diesem Rechtsstreit ist dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten für seine bis zur Klagerücknahme am 11. März 2005 entwickelte Tätigkeit eine nach dem Streitwert der Hauptsache bemessene 0,8 Verfahrensgebühr gemäß VV Nr. 3101 angefallen. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat glaubhaft gemacht (§ 104 Abs. 2 ZPO), dass sein Mandat nicht auf die Erhebung des Widerspruchs gegen den Mahnbescheid beschränkt war, sondern dass er - wie das in aller Regel der Fall ist - von der Beklagten sogleich mit der Prozessführung beauftragt worden ist. Im vorliegenden Fall kann auch unbedenklich angenommen werden, dass der Prozessbevollmächtigte im streitigen Verfahren für die Beklagte tätig geworden ist. Hierzu genügte bereits die Entgegennahme der Nachricht des Gerichts vom 23. Februar 2005 über den Akteneingang und die der Klägerin erteilte befristete Auflage, weil als glaubhaft gemacht angesehen werden kann, dass der Anwalt anschließend pflichtgemäß geprüft hat, ob etwas für seine Mandantin zu veranlassen ist. Die Einreichung eines Schriftsatzes ist nicht erforderlich (BGH, Beschluss vom 6.4.2005 - V ZB 25/04, NJW 2005,2233). Allerdings ist die Verfahrensgebühr nicht in voller Höhe entstanden, weil der Prozessbevollmächtigte der Beklagten vor Rücknahme der Klage keinen Sachantrag gestellt hat.

Der nach Rücknahme der Klage gemäß § 269 Abs. 4 ZPO gestellte Antrag, die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin aufzuerlegen, hat zwar eine 1,3 Verfahrensgebühr gemäß VV Nr. 3100 ausgelöst, diese ist jedoch nur noch nach dem Kostenstreitwert zu bemessen (OLG Köln, JurBüro 2000, 77; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2005, 1231; vgl. auch BGH, JurBüro 2003, 256). Diese Verfahrensgebühr entsteht nach § 15 Abs. 3 RVG neben der Verfahrensgebühr nach VV Nr. 3101, ist jedoch in der Weise begrenzt, dass die aus dem Gesamtbetrag der Wertteile nach dem höchsten Gebührensatz berechnete Gebühr nicht überschritten werden darf (OLG Köln, JurBüro 2000, 77; OLG Koblenz, JurBüro 1983, 558 für das Berufungsverfahren). Im vorliegenden Fall errechnet sich die Verfahrensgebühr gemäß VV Nr. 3101 mit 172,90 EUR, da die Kosten des Rechtsstreits (nämlich die Anwaltsgebühren beider Parteien zuzüglich der Gerichtskosten von 219 EUR) zwischen 1.500 EUR und 2.000 EUR betragen. Sie fällt in voller Höhe neben der 0,8 Verfahrensgebühr gemäß VV Nr. 3101 an, weil die Summe der beiden errechneten Verfahrensgebühren mit 593,70 EUR niedriger ist als die vom Gesamtstreitwert nach dem höchsten Gebührensatz von 1,3 errechnete Gebühr von 683,80 EUR (§ 15 Abs. 3 RVG). 2. Die im streitigen Verfahren angefallenen Verfahrensgebühren sind auch im vollen Umfang nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO als notwendige Kosten der Rechtsverteidigung erstattungsfähig. Das gilt - entgegen der vom Senat früher vertretenen Auffassung (Senat, JurBüro 2002, 641 m.w.N.) - auch für die hier angefallene Verfahrensgebühr nach VV Nr. 3101.

Nach der Rechtsprechung des Senats war eine im Mahnverfahren in Anspruch genommene Partei grundsätzlich gehalten, ihre Rechtsverteidigung zunächst auf die Erhebung des Widerspruchs zu beschränken. Aus erstattungsrechtlicher Sicht sei die Erteilung eines unbedingten Prozess-auftrages erst dann geboten, wenn ihr gemäß § 697 Abs. 2 ZPO die Anspruchsbegründung zugestellt worden sei oder sie wegen unterlassener fristgemäßer Anspruchsbegründung Veranlassung habe, selbst gemäß § 697 Abs. 3 ZPO auf eine Terminsbestimmung hinzuwirken (Senat, JurBüro 2002, 641; JurBüro 2001, 138; m.w.N.). An dieser Rechtsprechung wird nicht festgehalten, um einen Wertungswiderspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshof zu vermeiden, wonach im Falle einer nur fristwahrend eingelegten und noch nicht begründeten Berufung die mit dem Rechtsmittel überzogene Partei ohne weiteres Zuwarten einen Rechtsanwalt bestellen darf und die hierdurch entstehenden Kosten auch erstattungsfähig sind (BGH, NJW 2003, 756). Der Bundesgerichtshof hat auf § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO verwiesen, der die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei in allen Prozessen zu den erstattungsfähigen Kosten zählt. Daraus sei zu entnehmen, dass eine Partei im Prozess einen Rechtsanwalt zu Hilfe nehmen dürfe und diese Befugnis stehe uneingeschränkt auch dem Rechtsmittelgegner in einer als risikobehaftet empfundenen Situation zu. In einer solchen Lage befindet sich auch die Partei, die im Mahnverfahren in Anspruch genommen wurde, wenn die Streitsache nach Abgabe an das Prozessgericht dort anhängig geworden ist. Die in Anspruch genommene Partei muss mit der Durchführung der Klage rechnen, nachdem der Antragsteller im Mahnverfahren den Antrag nach § 696 Abs. 1 Satz 1 GKG gestellt, die Kosten für die Durchführung des streitigen Verfahrens gemäß § 12 Abs. 3 Satz 3 GKG eingezahlt und dadurch die Abgabe an das Prozessgericht bewirkt hat. Sie kann regelmäßig nicht selbst beurteilen, was in dieser Lage des Verfahrens zu ihrer Rechtsverteidigung sachgerecht zu veranlassen ist. Der beklagten Partei kann daher nicht zugemutet werden, ohne den Beistand eines Rechtsanwalts zunächst die Klagebegründung oder die vom Prozessgericht zur Klagebegründung gesetzte Frist abzuwarten.

3. Ingesamt errechnen sich die von der Klägerin an die Beklagten zu erstattenden Kosten wie folgt:

Verfahrensgebühr VV 3101 (0,8)

Streitwert: 12.357,32 EUR 420,80 EUR

Verfahrensgebühr VV 3100 (1,3)

Streitwert: bis zu 2000 EUR 172,90 EUR

Pauschale für Post- und Telekommunikationleistungen VV 7002 (Mahnverfahren) 20,00 EUR

Pauschale für Post- und Telekommunikationsleistungen VV 7002 20,00 EUR

zusammen 633,70 EUR

16 % Mwst 101,39 EUR

Summe 735,09 EUR

bereits festgesetzt 479,66 EUR

noch festzusetzen 255,43 EUR

4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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