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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 26.04.2005
Aktenzeichen: 1 W 414/04
Rechtsgebiete: Beschluss BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1908 d Abs. 3
FGG § 12
Es ist nicht erforderlich, den Aufgabenkreis eines Betreuers zu erweitern, wenn der Betroffene geistig behindert ist, seine Angelegenheiten in dem fraglichen Bereich aber gleichwohl selbst besorgen kann. Die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen hat das Vormundschaftsgericht zu treffen, sie dürfen nicht allein einem medizinischen Gutachter überlassen werden.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 414/04

In der Betreuungssache betreffend

Der 1. Zivilsenat des Kammergerichts hat auf die - teils sofortige - weitere Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der Zivilkammer 83 des Landgerichts Berlin vom 2. November 2004 in der Sitzung vom 26. April 2005 beschlossen:

Tenor:

Die - teils sofortige - weitere Beschwerde wird zurückgewiesen, soweit der angefochtene Beschluss die Verlängerung der Betreuung mit den Aufgabenkreisen Vermögenssorge und Wohnungsangelegenheiten sowie des Einwilligungsvorbehaltes für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge zum Gegenstand hat.

Im Übrigen wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Erörterung und Entscheidung nach Maßgabe der folgenden Gründe an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.

Gründe:

Die gemäß §§ 27, 29 Abs. 1 FGG zulässige weitere Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Landgerichts vom 2. November 2004 hat nur zum Teil Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einer Verletzung des Gesetzes (§ 27 Abs. 1 FGG i. V. m. § 546 f. ZPO), soweit sie die Verlängerung der bestehenden Betreuung bestätigt. Sie verletzt jedoch den Betroffenen in seinen Rechten, soweit das Landgericht die Voraussetzungen für eine Erweiterung der Betreuung um die Aufgabenkreise "Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmung zum Zweck der Heilbehandlung" bejaht hat.

1. Zu Recht hat das Landgericht die Beschwerde des Betroffenen als zulässig angesehen und die Voraussetzungen für die Verlängerung der seit Anfang 1997 bestehenden Betreuung des Betroffenen mit den Aufgabenkreisen Vermögenssorge und Wohnungsangelegenheiten gemäß §§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB, 69 i Abs. 6 Satz 1 FGG sowie für die Verlängerung des angeordneten Einwilligungsvorbehalts in Vermögensangelegenheiten gemäß §§ 1903 Abs. 1 BGB, 69 i Abs. 6 Satz 1 FGG bejaht. Das Landgericht durfte nach dem Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Jnn Wnnnnn vom 18. Februar 2004, den Berichten des Betreuers und dem Ergebnis der mündlichen Anhörung des Betroffenen vom 18. Mai 2004 davon ausgehen, dass der Betroffene unverändert eine mit einer Persönlichkeitsstörung verbundene Intelligenzminderung aufweist, in Vermögens- sowie in Wohnungsangelegenheiten Hilfe durch einen Betreuer benötigt und der angeordnete Einwilligungsvorbehalt weiterhin notwendig ist, um eine erhebliche Gefahr für das Vermögen des Betroffenen abzuwenden. Die Feststellungen des Landgerichts hierzu beruhen auf einer möglichen tatrichterlichen Würdigung. Das Gutachten vom 18. Februar 2004, welches in der psychischen Beurteilung des Betroffenen mit den früheren Fachgutachten der Ärzte vom Sozialpsychiatrischen Dienst übereinstimmt, bildet nach § 68 b Abs. 1 FGG eine ausreichende Grundlage für die Feststellung der Persönlichkeitsstörung des Betroffenen. Die Auswirkungen der eingeschränkten intellektuellen Fähigkeiten des Betroffenen, insbesondere die herabgesetzte Urteilsfähigkeit gegenüber seinen finanziellen Möglichkeiten und seine Hilflosigkeit gegenüber den Anfeindungen aus dem Wohnumfeld, sind zudem während der Begutachtung sowie bei der Anhörung des Betroffenen vor dem Amtsgericht deutlich zutage getreten und durch den Bericht des Betreuers vom 2. März 2004 belegt. Die Schlussfolgerung des Landgerichts, dass das Unvermögen des Betroffenen zur Einteilung seiner Mittel fortbesteht und das finanzielle Auskommen des Betroffenen ohne Einwilligungsvorbehalt gefährdet wäre, ist im Hinblick auf die aktenkundigen Vorgeschichte rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. 2) Die angefochtene Entscheidung kann jedoch keinen Bestand haben, soweit sie die Erweiterung der Bestellung um den Aufgabenkreis "Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmung zum Zweck der Heilbehandlung" betrifft.

Voraussetzung für die Bestellung eines Betreuers ist nach § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB, dass ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen, also ohne Antrag des Betroffenen oder - wie hier - gegen seinen Willen, setzt ferner voraus, dass der Betreute aufgrund seiner Erkrankung seinen Willen in dem fraglichen Bereich nicht frei bestimmen kann (BayObLG, BtPrax 1994, 209; FamRZ 2001, 1245). Dabei darf nach §§ 69 i Abs. 1 Satz 1, 68 b Abs. 1 Satz 1 FGG ein Betreuer erst nach Einholung eines Sachverständigengutachtens bestellt werden, da die Bestimmungen für die erstmalige Entscheidung über die Bestellung eines Betreuers für die Erweiterung des Aufgabenkreises eines Betreuers entsprechend gelten.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze reichen die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts nicht aus, um die Erweiterung der Betreuung auf den Bereich der Gesundheitssorge zu rechtfertigen.

Das Landgericht hat es als feststehend erachtet, dass der Betroffene an behandlungspflich-tigen Herz-Rhythmus-Störungen leide, dies aber behinderungs- bzw. krankheitsbedingt nicht zu erkennen vermöge und deshalb die aus ärztlicher Sicht erforderliche konsequente Behandlung nicht durchführe. Diese Feststellungen begegnen schon deshalb durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil sie sich nur auf das Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Wnnnnn vom 18. Februar 2004 stützen können, das psychiatrische Fachgutachten insoweit aber als Entscheidungsgrundlage nicht ausreicht. Der Sachverständige hat nämlich eine eigene körperliche und internistische Untersuchung des Betroffenen nicht vorgenommen und auch darauf verzichtet, sich weitere Untersuchungsbefunde zum körperlichen Gesundheitszustand des Betroffenen, etwa die eines Internisten oder des behandelnden Hausarztes, vorlegen zu lassen und im Rahmen des Gutachtens zu verwerten. Das Gutachten lässt nicht einmal erkennen, ob der Betroffene selbst oder sein Betreuer "bestehende Herz-Rhythmus-Störungen" gegenüber dem Sachverständigen erwähnt hat. Die pauschale Diagnose "Herz-erkrankung" entbehrt mithin einer nachprüfbaren Begründung und die für erforderlich gehaltene "konse-quente ambulante Behandlung" ist ebenfalls in keiner Weise näher erläutert. Die Ausführungen des Sachverständigen, wonach der Betroffene "teilweise nicht in der Lage ist, einer ambulanten, aufgrund seiner Herzerkrankung notwendigen Behandlung konsequent nachzugehen", weswegen die Betreuung um den Wirkungskreis Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmung erweitert werden solle, erfüllen keinesfalls die Anforderungen an ein Sachverständigengutachten nach § 68 b I FGG, zu dem ein ausdrücklicher gerichtlicher Auftrag hinsichtlich einer gebotenen Erweiterung der bestehenden Betreuung im Übrigen auch nicht vorlag. Sie stellen ein - nach § 68 b I. 2 FGG nicht ausreichendes - ärztliches Zeugnis dar, mit dem eine zu prüfende Erweiterung lediglich angeregt werden konnte. Die auf einer - gezielten - persönlichen Untersuchung und Befragung des Betroffenen beruhende Begutachtung (§ 68 b I. 4 FGG) war auch nicht deswegen entbehrlich, weil eine lediglich unwesentliche Erweiterung der fortzusetzenden Betreuung in Rede stand (§ 69 i I. 2 FGG). Denn die Erweiterung um den Aufgabenkreis "Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmung zum Zwecke der Heilbehandlung" als Teil der Personensorge stellte schon keine unwesentliche Erweiterung dar (§ 69 i I. 3 FGG). Hinzu kommt, dass die letzte fachärztliche Stellungnahme von Dr. Pnnnn vom 14.6.1999 eine Notwendigkeit der Verletzung der Betreuung nur im bisherigen Umfang ergeben hatte. Dem entsprachen auch die Stellungnahmen des Beteiligten zu 1) - zuletzt - vom 2.3.2004, in denen auch über die Gesundheitssituation des Betroffenen berichtet wurde, die - im Gegensatz zu seiner Schwester Frau Enn Onn - eine Betreuung nicht notwendig erscheinen ließ. Insoweit hat das erstinstanzliche Gericht auch keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Unter diesen Umständen erweist sich aber die vom Landgericht vorgenommene Feststellung, dass sich der Betroffene einer ärztlich empfohlenen Behandlung seiner Herz-Rhythmus-Störungen verschließe, als rechtlich fehlerhaft. Sie beruht auf einer unzureichenden ärztlichen Stellungnahme und damit auf einer nicht ausreichenden Erfüllung der gerichtlichen Ermittlungspflicht nach § 12 FGG (vgl. Senat, KG-Report 1995, 248).

Den vom Landgericht getroffenen Feststellungen lässt sich zudem nicht entnehmen, ob und inwieweit der Betroffene seinen Willen im Bereich der Gesundheitsvorsorge frei bestimmen kann. Das Gutachten vom 18. Februar 2004 geht auf diese Frage nicht ein. Der Akteninhalt spricht - soweit die Gesundheit des Betreuten persönlich und nicht die seiner Schwester betroffen ist - eher gegen die Annahme, dass dem Betroffenen in Fragen seiner körperlichen Gesundheit die Fähigkeit zum sinnvollen Handeln fehlt. Der Betroffene hat zwar bei seiner Anhörung am 18. Mai 2004 auf Nachfrage der Richterin nicht erklärt, "wann er bei welchem Arzt in welcher Angelegenheit" zuletzt gewesen ist. Doch ist dem Bericht des Betreuers vom 2. März 2004 ebenso wie den früheren Berichten zu entnehmen, dass der Betroffene regelmäßig verschiedene Ärzte besucht und an ambulanten Heilbehandlungen teilnimmt. Aktenkundig ist auch die Tatsache, dass er vom 2. August 2001 bis zum 9. August 2001 in stationärer Behandlung war und sich einer Beinoperation unterzogen hat.

Aufgrund der aufgezeigten Mängel ist die Beschwerdeentscheidung bezüglich der Erweiterung der Betreuung um die Aufgabenkreise "Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmung zum Zweck der Heilbehandlung" aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung dieser Frage an das Landgericht zurückzuverweisen. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat wegen der Erforderlichkeit weiterer Ermittlungen verwehrt. Nach den hier bekannt gewordenen Tatsachen wäre auch zu erfragen, ob es zutrifft, dass sich der Betroffene inzwischen freiwillig und ohne Zutun seines Betreuers einer Herzoperation unterzogen und eine künstliche Herzklappe erhalten hat.

Ende der Entscheidung

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