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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 16.03.2004
Aktenzeichen: 1 W 458/01
Rechtsgebiete: BGB, RpflG


Vorschriften:

BGB § 166
BGB § 1954
BGB § 2361 Abs. 1
RpflG § 8 Abs. 2
RpflG § 8 Abs. 4
RpflG § 16 Abs. 1 Nr. 6
RpflG § 16 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 458/01

in dem Erbscheinseinziehungsverfahren

betreffend den Nachlass des am 21. August 1945 geborenen und am 29. Juli 1997 mit letztem Wohnsitz in B... verstorbenen ....

Der 1. Zivilsenat des Kammergerichts hat auf die von der früheren Beteiligten eingelegte und von den jetzigen Beteiligten fortgeführte weitere Beschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer 83 des Landgerichts Berlin vom 14. Juni 2001 in der Sitzung vom 16. März 2004 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss und der Beschluss des Amtsgerichts Spandau vom 22. Februar 2001 werden aufgehoben.

Das Amtsgericht Spandau wird angewiesen, den der früheren Beteiligten am 2. September 1997 erteilten Erbschein einzuziehen.

Gründe:

Die mit dem Ziel der Einziehung des die frühere Beteiligte als Alleinerbin ausweisenden Erbscheins vom 2. September 1997 eingelegte weitere Beschwerde ist gemäß §§ 27, 29 FGG zulässig. Die Beschwerdebefugnis der früheren Beteiligten ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass ihre Erstbeschwerde erfolglos geblieben ist. Durch den während des Verfahrens der weiteren Beschwerde eingetretenen Tod der früheren Beteiligten ist keine Unterbrechung des Verfahrens eingetreten; das Verfahren ist vielmehr mit ihren Rechtsnachfolgern fortzuführen (vgl. OLG Zweibrücken FGPrax 2000, 66; Jansen, FGG, 2. Aufl., Vorbem. §§ 8-18, Rdn. 37; Keidel/Schmidt, FGG, 15. Aufl., § 12 Rdn. 115). Da die jetzigen Beteiligten durch den Erbschein des Amtsgerichts Charlottenburg vom 23. Januar 2003 als Miterben der früheren Beteiligten ausgewiesen sind, sind sie nunmehr an diesem Verfahren beteiligt.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand und ist daher aufzuheben (§§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG in Verbindung mit 546 f. ZPO). Da weitere Ermittlungen nicht erforderlich sind, kann der Senat selbst in der Sache entscheiden (§§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG i. V. m. 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und zur Anweisung an das Amtsgericht, den erteilten Erbschein einzuziehen.

Rechtlich richtig ist das Landgericht zunächst von der Zulässigkeit der Erstbeschwerde der früheren Beteiligten ausgegangen. Insbesondere ist ihre Beschwerdebefugnis gegeben. Die mit dem Ziel der Einziehung des Erbscheins eingelegte Beschwerde steht gemäß § 20 Abs. 1 FGG jedem zu, der durch die Erteilung des Erbscheins in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Durch den Inhalt des Erbscheins beeinträchtigt ist der im Erbschein ausgewiesene Erbe, der geltend macht, er sei nicht Erbe geworden, und zwar selbst dann, wenn ihm der Erbschein zuvor auf seinen Antrag hin erteilt worden ist (vgl. BGHZ 30, 261 = NJW 1959, 1730; Senat NJW 1960, 1158; Keidel/Kahl a.a.O. § 20 Rdn. 73; Palandt/Edenhofer, BGB, 63. Aufl., § 2361 Rdn. 15, jew. m.w.N.).

In der Sache hat das Landgericht die Erstbeschwerde als unbegründet angesehen. Es hat übereinstimmend mit dem Amtsgericht die Voraussetzungen für eine Einziehung des Erbscheins vom 2. September 1997 gemäß § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB als nicht gegeben erachtet. Entgegen seiner Auffassung führt jedoch bereits der Umstand, dass der Erbschein trotz Vorliegens eines Testaments mit Erbeinsetzung durch den Rechtspfleger erteilt worden ist, zu dessen Einziehung.

1. Gemäß § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB ist das Nachlassgericht von Amts wegen verpflichtet, einen erteilten Erbschein einzuziehen, wenn er sich als unrichtig erweist. Die Unrichtigkeit des Erbscheins kann sich aus formellen (verfahrensrechtlichen) oder materiellen (inhaltlichen) Gründen ergeben. Eine formelle Unrichtigkeit des Erbscheins liegt vor, wenn der Erbschein unter Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften erteilt worden ist, die Bedingung für die Zulässigkeit des ganzen Verfahrens sind. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Erbschein ohne Antrag eines Antragsberechtigten oder abweichend vom Antrag oder von einem unzuständigen Gericht erteilt worden ist. Dagegen rechtfertigt eine Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften - etwa des rechtlichen Gehörs - im Erteilungsverfahren die Einziehung für sich allein nicht (vgl. zu Vorstehendem Senat NJW 1963, 766/768; BGHZ 40,54 = NJW 1963, 1972/1973; Erman/Schlüter, BGB, 10. Aufl., § 2361 Rdn. 1; Palandt/Edenhofer a.a.O. Rdn. 4; Staudinger/Schilken, BGB, 13. Aufl., § 2361 Rdn. 16 f., jew. m.w.N.).

Eine formelle Unrichtigkeit des Erbscheins ist vorliegend im Hinblick darauf gegeben, dass für das Erbscheinsverfahren der Richter und nicht der Rechtspfleger funktionell zuständig war. Abweichend von der grundsätzlich nach § 3 Nr. 2 c RpflG gegebenen Zuständigkeit des Rechtspflegers für das Erbscheinsverfahren bleibt gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 6 RpflG dem Richter die Erteilung von Erbscheinen dann vorbehalten, wenn eine Verfügung von Todes wegen vorliegt. Die Frage, ob eine wirksame Verfügung von Todes wegen vorhanden und geeignet ist, die gesetzliche Erbfolge zu beeinflussen, erfordert eine Prüfung oder Entscheidung durch den Richter. Nur wenn der Richter zu dem Ergebnis gelangt, dass dies nicht der Fall ist und der Erbschein nach gesetzlicher Erbfolge zu erteilen ist, kann er die Erteilung des Erbscheins gemäß § 16 Abs. 2 RpflG dem Rechtspfleger übertragen. Sind die Voraussetzungen für eine Übertragung im Allgemeinen gegeben, ist eine solche aber nicht erfolgt oder fehlt es nur im Einzelfall an den Voraussetzungen der Übertragung, so ist die Entscheidung des Rechtspflegers gemäß § 8 Abs. 2 RpflG gleichwohl wirksam. In anderen Fällen, in denen das Geschäft seiner Art nach nicht übertragbar war, ist das Geschäft des Rechtspflegers dagegen gemäß § 8 Abs. 4 RpflG unwirksam.

Nach ganz herrschender Auffassung ist ein Erbschein grundsätzlich im Sinne des § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB unrichtig, wenn er von einem unzuständigen Rechtspfleger anstelle des zuständigen Richters erteilt wurde. Dieser Mangel nötigt nur dann nicht zur Einziehung, wenn deutsches Recht anzuwenden und der Erbschein trotz Vorliegens einer letztwilligen Verfügung aufgrund gesetzlicher Erbfolge zu erteilen ist. Denn in solchem Fall ist der Erbschein gemäß § 8 Abs. 2 RpflG nicht unwirksam, auch wenn die Übertragung gemäß § 16 Abs. 2 RpflG unterblieben ist oder deren Voraussetzungen im Einzelfall nicht gegeben waren. In anderen Fällen, in denen die Sache gemäß § 8 Abs. 4 RpflG nicht übertragbar war, ist er dagegen einzuziehen (vgl. zu Vorstehendem - im Einzelnen abweichend - BayObLGZ 1948-1951, 89/93; 1977, 59/63 f.; FamRZ 1997, 1370; LG Koblenz DNotZ 1969, 43; LG Frankfurt/Main Rpfleger 1983, 486; Palandt/Edenhofer a.a.O. Rdn. 4, Staudinger/Schilken a.a.O. Rdn. 16; Erman/Schlüter a.a.O. Rdn. 1; MünchKomm-BGB/Promberger, 3. Aufl., § 2361 Rdn. 13; Soergel/Zimmermann, BGB, 13. Aufl., § 2361 Rdn. 9; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl., § 39 VI. 1. Fn. 191; Weiß, Rpfleger 1984, 389/393; Arnold/Herrmann, RpflG, 6. Aufl., § 8 Rdn. 9-11; Dallmayer/Eickmann, RpflG, § 8 Rdn. 22, § 16 Rdn. 53).

Hier ergibt sich die ausschließliche Zuständigkeit des Richters für das Erbscheinsverfahren aus dem Vorliegen des Testaments des Erblassers vom 25. Februar 1990. Da das Testament die Einsetzung der früheren Beteiligten zur Alleinerbin - unter Anordnung von Ersatzerbfolge - enthält, sind die Voraussetzungen für eine Übertragung auf den Rechtspfleger nach § 16 Abs. 2 RpflG nicht gegeben. Denn der Erbschein ist aufgrund testamentarischer Erbfolge zu erteilen, auch wenn diese hier der gesetzlichen Erbfolge entspricht, weil die frühere Beteiligte zugleich auch gesetzliche Alleinerbin des Erblassers war. Für die Erteilung eines Erbscheins aufgrund testamentarischer Erbfolge ist der Rechtspfleger auch nicht "im Einzelfall" nach Übertragung im Sinne des § 8 Abs. 2 in Verbindung mit § 16 Abs. 2 Satz 1 RpflG zuständig. Die Erteilung des verfahrensgegenständlichen Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge erweist sich daher gemäß § 8 Abs. 4 RpflG als unwirksam mit der Folge, dass dieser einzuziehen ist.

Die Ansicht des Senats steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (a.a.O.); eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 28 Abs. 2 FGG ist daher nicht geboten. Das Bayerische Oberste Landesgericht vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass ein aufgrund gesetzlicher Erbfolge erteilter Erbschein nicht bereits deswegen einzuziehen ist, weil das Vorliegen einer letztwilligen Verfügung im Streit ist und der Rechtspfleger in diesem Fall unzuständig war, in Entscheidung dieses Streits den Erbschein zu erteilen. Es verweist darauf, dass der Richter auch bei Vorliegen einer Verfügung von Todes wegen dem Rechtspfleger die Erteilung des Erbscheins übertragen kann, wenn deutsches Recht anzuwenden und der Erbschein aufgrund gesetzlicher Erbfolge zu erteilen ist; ein im Rahmen dieser Voraussetzungen erteilter Erbschein sei gemäß § 8 Abs. 2 RpflG nicht unwirksam. Auch das Bayerische Oberste Landesgericht geht also davon aus, dass bei Vorliegen einer letztwilligen Verfügung, die eine Erbeinsetzung enthält, die Erteilung eines Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge durch den Rechtspfleger nicht in Betracht kommt und ein dennoch erteilter Erbschein wegen dieses Mangels einzuziehen ist (i. Erg. nicht abweichend auch LG Frankfurt a.a.O.: Dort lag ein Testament vor, das keine Erbeinsetzung enthielt, sodass der aufgrund gesetzlicher Erbfolge erteilte Erbschein inhaltlich richtig war).

Nach allem ist der Erbschein vorliegend schon wegen formeller Unrichtigkeit gemäß § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB einzuziehen. Die angefochtene Entscheidung erweist sich - ebenso wie diejenige des Amtsgerichts - bereits aus diesem Grund als unrichtig.

2. Auf die Frage, ob der Erbschein nach erfolgter Anfechtung der Erbschaftsannahme durch die frühere Beteiligte auch wegen inhaltlicher Unrichtigkeit einzuziehen wäre, kommt es demnach nicht mehr an. Gleichwohl erscheinen zur Frage der Wirksamkeit der Anfechtungserklärung die folgenden Hinweise geboten:

Das Landgericht hat angenommen, die frühere Beteiligte sei Erbin des Erblassers geblieben, der ihr erteilte Erbschein daher inhaltlich richtig, weil ihre notariell beglaubigte Erklärung der Anfechtung der Annahme der Erbschaft vom 10. August 2000 dem Nachlassgericht nicht innerhalb der sechswöchigen Anfechtungsfrist gemäß § 1954 Abs. 1 und 2 Satz 1 BGB zugegangen sei. Der Lauf dieser Frist habe spätestens mit Zugang der Einspruchsentscheidung des Finanzamts Oranienburg vom 31.5.2000 bei ihrem Steuerberater am 5. Juni 2000 begonnen, sodass die Anfechtungsfrist im Zeitpunkt des Eingangs der Anfechtungserklärung am 11. August 2000 bereits abgelaufen gewesen sei. Denn die Kenntnis des Steuerberaters sei ihr gemäß § 166 BGB zuzurechnen.

Diese Auffassung unterliegt durchgreifenden Bedenken. Eine Zurechnung der Kenntnis des Steuerberaters aufgrund rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht gemäß § 166 Abs. 1 BGB käme nur dann in Betracht, wenn er von der früheren Beteiligten auch mit der Regelung ihrer Erbschaftsangelegenheit beauftragt gewesen wäre und insoweit Vollmacht zu ihrer Vertretung erhalten hätte (vgl. BayObLG NJW 1953, 1431; NJW-RR 1999, 590/592; Palandt/Edenhofer a.a.O. § 1954 Rdn. 1). Dafür bietet der Sachverhalt keinen Anhaltspunkt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er nur mit der Regelung ihrer Steuerangelegenheit betraut war. In der Erbschaftsangelegenheit bevollmächtigt war nach dem Vorbringen der weiteren Beschwerde wohl schon damals ihr Verfahrensbevollmächtigter, dem auf seine Nachfrage vom 3.8.2000 seitens des Steuerberaters mitgeteilt wurde, dass eine Klage beim Finanzgericht nicht eingereicht worden und der Bescheid vom 31.5.2000 daher am 5.7.2000 bestandskräftig geworden war.

Im Hinblick auf das Vorbringen der früheren Beteiligten, sie sei davon ausgegangen, der Steuerberater werde Klage beim Finanzgericht erheben, und habe erst durch ihren Verfahrensbevollmächtigten erfahren, dass er dies nicht getan habe, ist weiter zu prüfen, ob nicht die Kenntnis der Einspruchsentscheidung des Finanzamts Oranienburg vom 31.5.2000 ihr hinreichend zuverlässige Kenntnis von der nunmehr zu erwartenden Einkommensteuerforderung und der sich daraus ergebenden Überschuldung des Nachlasses vermittelte, die jedenfalls den Beginn der Frist zur Anfechtung der Annahmeerklärung gemäß § 119 Abs. 2, § 1954 Abs. 1 und 2 Satz 1 BGB in Lauf setzte. Dabei wäre gegebenenfalls zu ermitteln, wann der Steuerberater ihr den Bescheid mitteilte und aus welchen Gründen sie angeblich annahm, sie habe Klageauftrag erteilt und eine Klage sei aussichtsreich. Denn der Einspruch war, worauf das Landgericht zutreffend hinweist, nicht mit sachlichen Einwendungen gegen die Steuerschuld sondern dem Vorliegen eines Härtefalls begründet worden. Zum Vorbringen der weiteren Beschwerde, der Feststellungsbescheid des Finanzamts Oranienburg habe eine Steuerforderung noch nicht begründet, ist zu bemerken, dass es hierauf im Hinblick auf den bereits vorliegenden Einkommensteuerbescheid vom 8.4.1999 nicht ankommen dürfte. Entscheidend dürfte sein, ob die frühere Beteiligte nach der von ihrem Steuerberater erhaltenen Beratung erwarten konnte, durch Klage beim Finanzgericht noch einen Erlass oder eine erhebliche Minderung der festgesetzten Einkommensteuerforderung zu erreichen.

Ende der Entscheidung

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