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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 14.11.2007
Aktenzeichen: 1 Ws 235/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 141
StPO § 142
Die Befugnis des bestellten Verteidigers zur Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung wirkt über den Tod des Angeklagten hinaus fort.
KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: 1 Ws 235/07

1 AR 447/05

In der Strafsache

wegen Beihilfe zur Hehlerei

hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 14. November 2007 beschlossen:

Tenor:

Die für den früheren Angeklagten durch den Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt G., gegen die Auslagenentscheidung in dem Beschluß des Landgerichts Berlin vom 28. August 2007 eingelegte sofortige Beschwerde wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht verurteilte den früheren Angeklagten am 27. April 2007 wegen Beihilfe zur Hehlerei zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 20 EUR. Nachdem er am 31. Juli 2007 während des Laufs der Frist zur Begründung seiner Revision verstorben war, hat das Landgericht mit Beschluß vom 28. August 2007 das Verfahren nach § 206a Abs. 1 StPO eingestellt und ausdrücklich von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten auf die Landeskasse abgesehen. Die gegen diese Auslagenentscheidung gerichtete sofortige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

1. Das durch den Rechtsanwalt ersichtlich nicht im eigenen Namen, sondern als Pflichtverteidiger für den Angeklagten eingelegte Rechtsmittel ist statthaft. Es ist nicht durch § 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO ausgeschlossen, weil die Hauptentscheidung nach § 206a Abs. 2 StPO - wenn auch mangels Beschwer nicht für den Angeklagten - angefochten werden kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl., Rdn. 19 zu § 464 mwN). Trotz fehlender Angaben zum Beschwerdewert(§ 304 Abs. 3 StPO) geht der Senat davon aus, daß die notwendigen Auslagen des Angeklagten nach der 40tägigen Hauptverhandlung 200 EUR übersteigen.

Der Senat teilt auch nicht die Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft, wonach die Auslagenentscheidung hier nicht anfechtbar sei, weil sie nach dem Tod des Angeklagten jedenfalls "bei einem bestellten Verteidiger keine Wirkung mehr" entfalte.

Die Frage, ob der Verteidiger in derartigen Fällen weiterhin die Befugnis zur Einlegung von Rechtsmitteln hat, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung bisher fast ausschließlich für den Wahlverteidiger entschieden worden (vgl. zum Meinungsstand OLG München NJW 2003, 1133 und KG, Beschluß vom 4. März 2002 - 4 Ws 24/02 -, jeweils mwN). Das ist hier jedoch ohne Belang. Denn es kommt nicht darauf an, ob eine vom Angeklagten erteilte Vollmacht mit seinem Ableben erlischt (vgl. OLG München aaO) oder im Hinblick auf die §§ 168, 672, 675 BGB über den Tod hinaus fortwirkt und den Verteidiger jedenfalls noch zur Anbringung von Kostenanträgen und von damit im Zusammenhang stehenden Rechtsmitteln ermächtigt (vgl. KG aaO). Selbst wenn Rechtsanwalt G., was der Senat dem ihm vorgelegten Beschwerdeband nicht entnehmen kann, zunächst Wahlverteidiger gewesen sein sollte, wäre infolge der durch die Pflichtverteidigerbestellung gebotenen (konkludenten) Niederlegung des Wahlmandats seine Vollmacht nach dem Rechtsgedanken des § 168 BGB erloschen (vgl. BGH NStZ 1991, 94).

Für den bestellten Verteidiger hat - soweit ersichtlich - bisher nur das OLG Karlsruhe entschieden, daß dessen Befugnisse zur Einlegung von Rechtsmitteln gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung fortwirken (NStZ-RR 2003, 286). Dem schließt sich der Senat an.

Die Pflichtverteidigerbestellung endet im Erkenntnisverfahren grundsätzlich mit dessen rechtskräftigem Abschluß (vgl. Senat, Beschluß vom 19. Juli 2007 - 1 Ws 56/07; KK-Laufhütte, StPO 5. Aufl., Rdn. 9 zu § 141; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl., Rdn. 33 zu § 140 -). Durch den Tod des Angeklagten wird das Verfahren nicht ohne weiteres beendet. Es bedarf dazu vielmehr einer förmlichen Einstellung nach § 206a StPO oder - in der Hauptverhandlung - nach § 260 Abs. 3 StPO (vgl. BGHSt 45, 108). Mit dieser Entscheidung ist zugleich gemäß § 464 StPO auch darüber zu befinden, wer die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des (verstorbenen) Angeklagten zu tragen hat. Insoweit bleibt das Verfahren auch nach dem Tod des Angeklagten anhängig (vgl. BGH aaO). Ebenso wie die Einstellung selbst unterliegen auch die Nebenentscheidungen der Anfechtung (§§ 206 Abs. 2, 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 StPO). Erst mit ihrer Rechtskraft ist das Verfahren endgültig abgeschlossen. Der Pflichtverteidiger muß daher - wie die Staatsanwaltschaft - befugt sein, auch nach dem Tod des Angeklagten auf eine gesetzmäßige Kosten- und Auslagenentscheidungen hinzuwirken und diese erforderlichenfalls durch das Beschwerdegericht überprüfen zu lassen (vgl. OLG Karlsruhe aaO).

2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen des verstorbenen Angeklagten auf die Landeskasse abgesehen.

Wann die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind, ist in der Rechtsprechung umstritten (vgl. dazu KG, Beschluß vom 28. Juli 2005 - 4 Ws 153/02 -). Der Senat kann die Frage hier offen lassen. Denn auch nach der Auffassung, daß für die Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nicht schon beim Vorliegen eines (hinreichenden oder erheblichen) Tatverdachts sondern erst dann Raum ist, wenn die Hauptverhandlung bis zu Schuldspruchreife durchgeführt worden war (vgl. KG aaO), ist diese Voraussetzung hier mit dem erstinstanzlichen Urteil des Landgerichts vom 27. April 2007 erfüllt.

Allerdings bemängelt die Beschwerde mit Recht, daß der angefochtene Beschluß über den bloßen Hinweis auf § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO hinaus entgegen § 34 StPO keine Begründung enthält und nicht erkennen läßt, auf welche Umstände die Strafkammer ihre Ermessensentscheidung ("kann") gestützt hat. Das Landgericht war sich augenscheinlich nicht bewußt, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO die Anwendung dieser Vorschrift nur eröffnen, allein aber nicht begründen können. Für die Abweichung von der Regel des § 467 Abs. 1 StPO bedarf es vielmehr weiterer Umstände, die es unbillig erscheinen lassen, die Staatskasse mit den notwendigen Auslagen des Angeklagten zu belasten (vgl. KG aa0; OLG Köln NJW 1991, 506).

Trotz dieses Begründungsmangels sieht der Senat von einer Zurückverweisung der Sache an das Landgericht ab und entscheidet selbst (§ 309 Abs. 2 StPO).

Im Falle der Fortsetzung des (Revisions-)Verfahrens hätte der Angeklagte damit rechnen müssen, daß sein Rechtsmittel verworfen worden wäre. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils bilden eine tragfähige Grundlage für den Schuldspruch und die Rechtsfolgenentscheidung. Rechtsfehler, die zu einer anderen Entscheidung und letztlich zum Freispruch des Angeklagten oder einer milderen Bestrafung und damit zu einer für ihn ganz oder teilweise günstigen Auslagenentscheidung hätten führen können, sind nicht ersichtlich und werden auch mit dem Beschwerdevorbringen nicht aufgezeigt. Soweit der Pflichtverteidiger die Beweiswürdigung des Landgerichts durch seine eigene ersetzt und zu von dem Urteil abweichenden Feststellungen gelangt, ist das unbeachtlich. Tatsachen, die einer von ihm offenbar beabsichtigten Aufklärungsrüge zum Erfolg verholfen hätten, teilt er nicht mit. Daß der Angeklagte bereits während der laufenden Hauptverhandlung gesundheitlich angegriffen war und ihn das Verfahren stark belastet hat, ist noch kein Grund, seine notwendigen Auslagen der Landeskasse aufzuerlegen. Denn im Falle der ohne Eintritt des Verfahrenshindernisses zu erwartenden Verwerfung der Revision hätte der Angeklagte ohne Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand seine notwendigen Auslagen nach § 465 Abs. 1 StPO selbst tragen müssen. Es erscheint daher unbillig, damit jetzt die Staatskasse zu belasten.

3. Eine Entscheidung nach § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist nicht veranlaßt, da für sie die Erben des früheren Angeklagten nicht haften (§ 465 Abs. 3 StPO).

Ende der Entscheidung

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