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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 13.05.2009
Aktenzeichen: 1 Ws 37/09
Rechtsgebiete: StPO, GKG


Vorschriften:

StPO § 465 Abs. 1
GKG § 21 Abs. 1 S. 1
Hat das Gericht übersehen, dass die Anschlusserklärung des Nebenklägers unwirksam ist, und ihm gleichwohl einen Beistand bestellt, später aber die rechtsfehlerhafte Bestellung zurückgenommen, so trägt die durch die Bestellung entstandenen Kosten nicht der Verurteilte, sondern die Staatskasse.
KAMMERGERICHT

Beschluß

Geschäftsnummer: 1 Ws 37/09

1 AR 311/09

In der Strafsache gegen

wegen schweren Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung u.a

hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 13. Mai 2009 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Kostenentscheidung in dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. Oktober 2008 wird verworfen.

Die Landeskasse Berlin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:

Das Landgericht (Jugendkammer) hat die Minderjährigen Ö. und H. mit Beschluß vom 13. Oktober 2008 nach § 395 Abs. 1 Nr. 1d StPO als Nebenkläger zugelassen und zugleich gemäß § 397a Abs. 1 Satz 1 StPO Rechtsanwältin F. als deren Beistand bestellt. Diese Entscheidung hat die Jugendkammer durch Beschluß vom 22. Oktober 2008 wieder aufgehoben, die Anträge auf Zulassung der Nebenklage zurückgewiesen und die Bestellung des Beistands zurückgenommen, da die Anschlußerklärungen der Verletzten "ohne Zustimmung oder Genehmigung" ihrer gesetzlichen Vertreter abgegeben worden waren. Durch Urteil vom 27. Oktober 2008 hat das Landgericht den Angeklagten teilweise freigesprochen und gegen ihn wegen der die Verletzten betreffenden sowie anderer Taten eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verhängt. Insoweit hat das Landgericht dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt, jedoch angeordnet, daß die durch die Bestellung der Rechtsanwältin F. entstandenen Kosten der Landeskasse zur Last fallen. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der sie eine Überbürdung dieser Kosten auf den Angeklagten erstrebt, bleibt ohne Erfolg.

1. Der Senat ist als Beschwerdegericht zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufen, obwohl das Verfahren wegen der Revision des Angeklagten noch beim Bundesgerichtshof anhängig ist. Denn das Revisionsgericht ist gemäß § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO nur bei einer - hier nicht gegebenen - Identität der Rechtsmittelführer zuständig (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 96; Senat, Beschluß vom 19. Dezember 2008 - 1 Ws 343/08 -).

2. Das fristgemäß (§§ 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1, 311 Abs. 2 StPO) eingelegte Rechtsmittel ist zulässig.

a. Die Staatsanwaltschaft ist durch die angefochtene Entscheidung beschwert. Rechtsanwältin F. kann ihre Gebühren und Auslagen für die erbrachte Tätigkeit trotz der zurückgenommenen Bestellung verlangen, da sie und die Verletzten insoweit auf die Einstandspflicht des Staates vertrauen durften (vgl. OLG Schleswig JurBüro 1997, 417). Die Beschwer entfällt auch nicht deshalb, weil die Landeskasse - unabhängig von der getroffenen Kostenentscheidung des Landgerichts - ohnehin gemäß § 45 Abs. 3 RVG unmittelbar für die Vergütung des nach § 397a Abs. 1 StPO bestellten Beistands haftet. Denn diese Auslagen der Staatskasse gehören nach § 464a Abs. 1 Satz 1 StPO zu den Kosten des Verfahrens, die gemäß den §§ 465 Abs. 1 StPO, 29 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 9007 VV GKG dem Verurteilten in Rechnung gestellt werden, wenn sie nicht nach § 21 GKG von der Erhebung ausgenommen oder aus anderen Gründen niedergeschlagen worden sind.

b. Der erforderliche Beschwerdewert von über 200,00 EUR (§ 304 Abs. 3 StPO) ist erreicht. Allein die gesetzlichen Gebühren der bestellten Rechtsanwältin belaufen sich nach den Nrn. 4100, 4112, 4114 (3 Verhandlungstage) VV RVG auf 904,00 EUR.

3. Das Rechtsmittel ist unbegründet. Die Jugendkammer hat den Angeklagten trotz seiner Verurteilung zu Recht von den Kosten der Bestellung des Nebenklägerbeistands gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG freigestellt.

Dem Landgericht war die Anwendung dieser Vorschrift schon bei der im Urteil nach den §§ 464 ff. StPO zu treffenden Kostengrundentscheidung nicht verwehrt. Ihr Geltungsbereich ist nicht auf das Kostenansatzverfahren beschränkt (vgl. BGH JurBüro 1980, 533; KG, Beschluß vom 31. August 2001 - 5 Ws 546/01 -).

Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG werden Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht erhoben. Allerdings rechtfertigt nicht jede unrichtige Sachbehandlung die Anwendung des § 21 GKG. Um einer Ausuferung von entsprechenden Anträgen mit langwierigen Prüfungen von (vermeintlichen) Rechtsverstößen vorzubeugen, verlangt die Rechtsprechung - über den Wortlaut der Vorschrift hinaus - für ihre Anwendung das Vorliegen eines offensichtlich schweren Fehlers (vgl. BGH MDR 2005, 956; OLG Stuttgart MDR 2008, 1043; OLG Karlsruhe NJW-RR 2008, 807; OLG Düsseldorf NJW-RR 2007, 1151). Das ist hier der Fall.

Rechtsanwältin F. hätte nicht als Beistand bestellt werden dürfen, weil die durch sie vertretenen Verletzten - trotz ihrer jeweiligen Anschlußerklärung und deklaratorischen Zulassung (§ 396 Abs. 2 Satz 1 StPO) - die Stellung eines Nebenklägers nicht erlangt haben. Zwar waren die Geschädigten H. (geboren am 16. November 1993) und Ö. (geboren am 29. Dezember 1991) gemäß § 395 Abs. 1 Nr. 1d StPO auch als Minderjährige befugt, sich der öffentlichen Klage als Nebenkläger anzuschließen. In diesen Fällen können aber nach ganz herrschender Meinung für die prozeßunfähigen Verletzten ausschließlich ihre gesetzlichen Vertreter bzw. Personenberechtigten den Anschluß erklären und die Nebenklagerechte wahrnehmen (vgl. KG, Beschluß vom 23. März 2009 - 4 Ws 26/09 - mwN). Die hier von den Verletzten selbst stammenden und nicht nachträglich genehmigten (vgl. BayOblG NJW 1956, 681) Anschlußerklärungen waren deshalb unwirksam (vgl. OLG Stuttgart Justiz 1999, 348; OLG Schleswig aaO; LR-Hilger, StPO 25. Aufl., Rdn. 28 zu § 395). Das Landgericht war auch befugt, die Zulassung der Nebenkläger zu widerrufen und die Bestellung ihres Beistands zurückzunehmen, da die Voraussetzungen für die mit Beschluß vom 13. Oktober 2008 zugunsten der Verletzten getroffenen Entscheidungen von vornherein nicht gegeben waren (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., Rdn. 16 zu § 396).

Ob die Anwendung des § 21 GKG ausgeschlossen ist, wenn die beanstandete Sachentscheidung sich noch im Rahmen einer möglichen Rechtsansicht hält, muß der Senat hier nicht entscheiden (zum Meinungsstand Hartmann, KostG 39. Aufl., Rdn. 8 ff. zu § 21 GKG). Denn um einen solchen Fall handelt es sich hier nicht. Zwar wird vereinzelt vertreten, daß die Ausübung von Nebenklagerechten nicht die Prozeßfähigkeit, sondern lediglich die Verstandesreife des Verletzten voraussetze (vgl. Eisenberg GA 98, 32). Auf diese Ansicht hat sich das Landgericht aber bei der Nebenklagezulassung und der Beistandsbestellung ersichtlich nicht gestützt. Die Entscheidung beruhte vielmehr, wie die Begründung des Beschlusses vom 22. Oktober 2008 zeigt, auf einem Versehen, das zunächst auch von der Staatsanwaltschaft und der Verteidigerin nicht bemerkt worden war.

Die Auffassung der Staatsanwaltschaft, das Landgericht hätte die durch die Bestellung des Beistands verursachten Kosten dem Verurteilten jedenfalls als notwendige Auslagen der Verletzten nach den §§ 406g Abs. 1 Satz 2, 472 Abs. 3 Satz 1 StPO auferlegen müssen, geht schon deshalb fehl, weil der Vergütungsanspruch des Beistands nicht zu den notwendigen Auslagen eines nebenklageberechtigten Verletzten gehört (vgl. Senat, Beschluß vom 1. September 2008 - 1 Ws 317/08 -), da der Rechtsanwalt die Gebühren nach § 53 Abs. 2 Satz 1 RVG nicht von seinem Auftraggeber verlangen kann (vgl. KG, Beschluß vom 10. Februar 2006 - 5 Ws 577/05 -; Meyer-Goßner aaO., Rdn. 17 zu § 397a).

4. Die Kosten- und Auslagenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.



Ende der Entscheidung

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