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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 18.10.2006
Aktenzeichen: 11 U 3/06
Rechtsgebiete: VermG


Vorschriften:

VermG § 7 Abs. 7
VermG § 3 Abs. 3 S. 1
1. Der Wert unentgeltlicher Fremdnutzung ist nach dem Vermögensgesetz dem Verfügungsberechtigten zugewiesen.

2. Der Verfügungsberechtigte handelt nicht pflichtwidrig, wenn er Dritten den Vermögenswert unentgeltlich zur Verfügung stellt. 3. Weder § 7 Abs. 7 VermG noch § 3 Abs. 3 S. 1 VermG geben unter dem Gesichtspunkt einer Pflichtverletzung einen Anspruch auf Herausgabe (schuldhaft) nicht gezogener Nutzungen.


Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 11 U 3/06

verkündet am: 18.10.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 11. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg, Elßholzstr. 30-33, 10781 Berlin, durch die Präsidentin des Kammergerichts Nöhre als Vorsitzende, den Richter am Kammergericht Dr. Vossler und den Richter am Amtsgericht Dr. Elzer auf die mündliche Verhandlung vom 13. September 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 15. Dezember 2005 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 13 O 636/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 10 Prozent abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages zuzüglich 10 Prozent leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

A.

Die Parteien streiten um Nutzungen eines mittlerweile restituierten Grundstücks im früheren Ostteil von Berlin. Die Klägerin hat im Wege der Stufenklage zunächst Auskunft über vereinnahmte Entgelte und Auskehrung des sich nach der Auskunft voraussichtlich ergebenden Guthabens verlangt. Am 15. Dezember 2005 hat das Landgericht Berlin festgestellt, dass sich der Auskunftsanspruch in der Hauptsache erledigt hat; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Der begehrte Anspruch auf Zahlung vom Beklagten nicht gezogener Nutzungen könne weder auf § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG (analog) noch auf § 3 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 2 VermG i.V.m. § 678 BGB gestützt werden.

Gegen das ihr am 21. Dezember 2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. Januar 2006 - einem Montag - Berufung eingelegt und mit am 21. März 2006 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin den abgewiesenen Anspruch weiter. Die Klägerin rügt im Wesentlichen, das erstinstanzliche Gericht habe einen Anspruch aus § 3 Abs. 3 Satz 1 VermG i.V.m. § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB übersehen. Sie beantragt unter teilweise Abänderung des am 15. Dezember 2005 verkündeten Urteils des Landgerichts Berlin - 13 O 636/04 - den Beklagten zu verurteilen, an sie und Frau J G 289.534,37 EUR nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

B.

I. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht einen angeblich der Klägerin zustehenden Schadensersatzanspruch auf Zahlung von 289.534,37 EUR abgewiesen. Die gegen das Urteil vorgebrachten Angriffe führen nicht dazu, die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern. Denn die Klägerin kann ihren Zahlungsanspruch weder auf § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG (1) noch auf § 3 Abs. 3 Satz 1 VermG i.V.m. §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 BGB (2) stützen.

1. Die Klägerin hat gegen den Beklagten nach § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG keinen Anspruch auf Schadensersatz für Entgelte, die dem Beklagten als Verfügungsberechtigten ab dem 1.Juli 1994 aus einem Miet-, Pacht- oder sonstigen Nutzungsverhältnis zugestanden haben könnten.

a) Nach § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG hat der Berechtigte gegen den Verfügungsberechtigten nur einen Anspruch auf Herausgabe der bis zur Rückübertragung des Eigentums gezogenen Nutzungen, die dem Verfügungsberechtigten ab dem 1.Juli 1994 aus einem Miet-, Pacht- oder sonstigen Nutzungsverhältnis zustehen. Solche Nutzungen liegen unstreitig nicht vor.

b) Einen Anspruch auf hier allein im Streit befindliche (ggf. schuldhaft) nicht gezogene Nutzungen gibt § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG nicht. Nach gefestigter Rechtsprechung gewährt § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG weder einen Ersatzanspruch wegen Unterlassens von Nutzungen (BGH v. 14. 12. 2001 - V ZR 493/99, VIZ 2002, 214 = MDR 2002, 509 = ZOV 2002, 89 = BGHReport 2002, 270; v. 12.4.1996 - V ZR 310/94, BGHZ 132, 306 [311] = VIZ 1996, 458 = NJW 1996, 2030) noch auf Herausgabe (schuldhaft) nicht gezogener Nutzungen (BGH v. 23. 4. 1999 - V ZR 142/98, BGHZ 141, 232 [236] = VIZ 1999, 483 = NJW 1999, 2116). § 7 Abs. 7 Satz 2 VermG kann auf andere als dort genannte Gebrauchsvorteile, etwa auf durch Eigen- oder Fremdnutzung erlangte Vorteile, nicht entsprechend angewendet werden. Denn unabhängig vom Fehlen einer ausfüllungsbedürftigen Lücke erfordert die Interessenlage keine Ausweitung der Norm auf eine Eigennutzung des Vermögenswertes oder den hier gegebenen Fall unentgeltlicher Zurverfügungstellung des Vermögenswertes an einen Dritten. Bis zur Rückübertragung ist der Verfügungsberechtigte Eigentümer. Aus § 7 Abs. 7 Satz 1 VermG folgt, dass die Nutzung des Vermögensgegenstandes grundsätzlich allein dem Verfügungsberechtigten zusteht (BGH v. 28. Oktober 2005, V ZR 92/05 [unveröffentlicht]; BGH v. 23.4.1999 - V ZR 142/98, BGHZ 141, 232 [235]; v. 20.11.1997 - III ZR 39/97, BGHZ 137, 183 [186]). Dies gilt auch dann, wenn dem Verfügungsberechtigten etwa durch eine Eigennutzung möglicherweise andere Ausgaben erspart bleiben (BGH v. 23.4.1999 - V ZR 142/98, NJW 1999, 2116 [2117]) - und kann für die Frage unentgeltlicher Fremdnutzung nicht anders gesehen werden (Meyer-Seitz, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, Vermögensgesetz, Stand März 2005, § 7 Rz. 60; Kuhlmey/Wittmer, in: Rädler/Raupach/Bezzenberger, Vermögen in der ehemaligen DDR, Stand Dezember 2004, § 7 VermG Rz. 52). Ein Anspruch gegen den Verfügungsberechtigten, einen aus dem Grundstück ggf. zu erwirtschaftenden Ertrag auszukehren, liefe nämlich auf eine nicht gewollte, vorzeitige Zuordnung des Vermögenswertes an den Berechtigten vor der Rückübertragung hinaus. Für diese Sichtweise und ein restriktives Gesetzesverständnis spricht auch der wesentliche Gesetzeszweck des § 7 Abs. 7 VermG. Der liegt darin, die zweckwidrige Verwendung der Erträge durch den Verfügungsberechtigten zu verhindern. Danach ist es zwar sachgerecht, dem Restitutionsberechtigten Nutzungsentgelte zuzuweisen. Sie können dann von ihm zur Vornahme von Reparaturen und Renovierungsarbeiten verwendet werden. Der Wert der Eigen- oder unentgeltlichen Fremdnutzung stellt demgegenüber aber, auch in der Person des Restitutionsberechtigten, kein für Reparaturen und/oder Renovierungsarbeiten verfügbares Kapital dar.

2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Schadensersatz gem. § 3 Abs. 3 Satz 1 VermG i.V.m. §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 BGB. Zwischen den Parteien als Berechtigten und Verfügungsberechtigten i.S.d. Vermögensgesetzes bestand allerdings ein gesetzliches Schuldverhältnis, dass in einzelnen, vom Gesetz hervorgehobenen Fällen die Züge einer gesetzlichen Treuhand trug (siehe allgemein BGH v. 14. Dezember 2001 - V ZR 493/99, BGHReport 2002, 270 [217]; v. 16.12.1994 - V ZR 177/93, BGHZ 128, 210 [211]). Die Rechtsgeschäfte, die der Beklagte als Verfügungsberechtigter nach Anmeldung des Rückübertragungsanspruchs ausnahmsweise vornehmen durfte, hatte er so zu führen, wie es das Interesse des Berechtigten mit Rücksicht auf dessen wirklichen oder mutmaßlichen Willen erforderte (§ 3 Abs. 3 Satz 6 VermG; siehe auch BGH v. 14. Dezember 2001 - V ZR 493/99, BGHReport 2002, 270 [271]). Lag ein Pflichtverstoß gegen das Unterlassungsgebot vor, konnte der Klägerin als Berechtigter ein Anspruch aus § 3 Abs. 3 Satz 1 VermG i. V. m. §§ 280 Abs. 1 Satz 1, 241 BGB zustehen (Redeker/Hirtschulz/Tank, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, Vermögensgesetz, Stand März 2005, § 3 Rz. 310).

a) Einen Pflichtverstoß gegen seine durch § 3 Abs. 3 Satz 1 begründete "Treuhänderstellung" wirft die Klägerin dem Beklagten indes nicht vor. Die Klägerin behauptet weder, dass der Beklagte i. S. v. § 3 Abs. 3 VermG eine "langfristige vertragliche Verpflichtung" eingegangen und ihr hierdurch ein Schaden entstanden ist, noch, dass der Beklagte "dingliche Rechtsgeschäfte" abgeschlossen hätte. Der Pflichtverstoß muss sich nach der systematischen Stellung des § 3 VermG im Gefüge des Gesetzes aber auf eine "langfristige vertragliche Verpflichtung" oder ein "dingliches Rechtsgeschäft" beziehen (Redeker/Hirtschulz/Tank, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, Vermögensgesetz, Stand März 2005, § 3 Rz. 310: "die dadurch [§ 3 Abs. 3 VermG] begründeten Pflichten"). Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 VermG zu ersetzen ist etwa eine Wertminderung von Grundstücken auf Grund eines langfristigen Vertrages oder der Gewinn aus einer dem Berechtigten deshalb entgehenden Geschäftsmöglichkeit, nicht aber der hier geforderte ggf. durch eine Vermietung oder Verpachtung erzielbare Ertrag.

b) Hingegen gibt § 3 Abs. 3 Satz 1 VermG unter dem Gesichtspunkt einer Pflichtverletzung keinen Anspruch auf Herausgabe von (ggf. nicht erzielten) Erträgen (zu §§ 812 ff. BGB siehe BGH v. 16.12.1994 - V ZR 177/93, NJW 1995, 1154 [1155]). Ein Ausgleich für eine ggf. erzielbare Miete oder Pacht liegt außerhalb des Schutzbereichs des 3 Abs. 3 Satz 1 VermG (siehe dazu BGH v. 16.12.1994 - V ZR 177/93, NJW 1995, 1154 [1155]; Meyer-Seitz, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, Vermögensgesetz, Stand März 2005, § 7 Rz. 53). Das Unterlassungsgebot will die mit der Rückübertragung entstehende Dispositionsbefugnis des Berechtigten sichern, nicht aber diesem den Vermögenswert und damit dessen (mögliche) Nutzungen vorweg zuzuweisen. Ein "sonstiger Pflichtverstoß" im Zusammenhang mit den Nutzungen des Vermögensgegenstandes fällt nach der dem Vermögensgesetz immanenten Systematik nicht unter § 3 VermG, sondern allein unter § 7 Abs. 7 VermG. Diese Bestimmung regelt nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und systematischen Zusammenhang abschließend Ansprüche wegen erlaubter oder unerlaubter Nutzungen. Ein Anspruch ist insoweit nicht gegeben (siehe dazu bereits oben unter 1.).

c) Ein Anspruch auf Wertersatz oder auf Schadensersatz setzte außerdem voraus, dass der erlangte Vermögensvorteil dem Zuordnungsgehalt des Eigentums oder des verletzten Rechts widerspricht. Rechtlicher Ausgangspunkt ist insoweit die von der Rechtsordnung missbilligte Verletzung einer Rechtsposition, die einem Berechtigten zu dessen alleiniger Verfügung zugewiesen ist. Diese Voraussetzung ist bei einem Verstoß des Verfügungsberechtigten gegen § 3 Abs. 3 Satz 1 VermG nicht gegeben. Der Unterlassungsanspruch aus § 3 Abs. 3 Satz 1 VermG schützt die künftige Dispositionsbefugnis des Berechtigten gegen zwischenzeitliche Veränderungen (BGH v. 16.12.1994 - V ZR 177/93, NJW 1995, 1154 [1155]). Er weist aber seinem Inhaber den Vermögenswert nicht zu, auch nicht im Vorgriff auf seine künftige Stellung als Eigentümer. Die Möglichkeit des Antragstellers, im Rahmen des § 3 Abs. 3 Satz 1 VermG die Veräußerung oder Nutzung des Vermögenswertes von seiner Zustimmung abhängig zu machen, ist nicht Ausdruck einer vermögensrechtlichen Zuordnung, sondern lediglich Reflex einer gesetzlich angeordneten einstweiligen Veränderungssperre.

3. Ein Anspruch aus § 3 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 2 VermG i. V. m. § 678 BGB liegt fern - und wird von der Klägerin auch nicht mehr verfolgt.

II. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 711 ZPO. Die Revision wird auf Anregung der Klägerin im Hinblick auf die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zugelassen. Der Bundesgerichtshof hat die Frage, ob der Verfügungsberechtigte pflichtwidrig handelt und Schadensersatz schuldet, wenn er den Vermögenswert anderen unentgeltlich zu Verfügung stellt, noch nicht abschließend geklärt.

Ende der Entscheidung

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