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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 09.02.2009
Aktenzeichen: 11 W 1/09
Rechtsgebiete: RPflG


Vorschriften:

RPflG § 11 Abs. 2
Anfechtbarkeit der Weigerung des Rechtspflegers, Anträge und Erklärungen aufzunehmen (§ 11 Abs. 2 RPflG).
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 11 W 1/09

In dem Verfahren

hat der 11. Zivilsenat des Kammergerichts durch die Präsidentin des Kammergerichts Nöhre, die Richterin am Verwaltungsgericht Bähr und den Richter am Kammergericht Dr. Kapps am 9. Februar 2009

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 25. November 2008 - 4a O 675/05 - aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Gründe:

I.

Der Antragsteller beantragte Ende 2007 die Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Schadensersatzklage. Über dieses Gesuch ist noch nicht endgültig entschieden. Versuche des Antragstellers, zur Aufnahme seiner prozessualen Erklärungen und Anträge in diesem Verfahren die Rechtsantragsstelle des Landgerichts in Anspruch zu nehmen, scheiterten am 24. September sowie 10. und 16. Oktober 2008. Die jeweils zuständigen Rechtspfleger weigerten sich, Erklärungen des Antragstellers aufzunehmen. Dieser beantragte daraufhin, den Dienst habenden Rechtspfleger in der Rechtsantragsstelle zu verpflichten, seine Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle aufzunehmen bzw. die Verwaltung des Landgerichts Berlin zu verpflichten, den Rechtspfleger entsprechend anzuweisen.

Mit Beschluss vom 25. November 2008 - 4a O 675/05 - hat das Landgericht diese Anträge als unzulässig zurückgewiesen. Gegen die Weigerung des Rechtspflegers sei nur die Dienstaufsichtsbeschwerde gegeben.

Gegen diesen ihm am 8. Dezember 2008 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit Schreiben vom 14. Dezember 2008, zugegangen am 18. Dezember 2008, Beschwerde eingelegt. Er meint, die Weigerung sei gemäß § 11 RPflG anfechtbar. Wegen der besonderen Schwere der Rechtsmaterie müsse eine Protokollierung möglich sein. Das Landgericht hat der Beschwerde aus den Gründen des Beschlusses vom 25. November 2008 nicht abgeholfen und die Sache vorgelegt.

II.

1. Die Beschwerde ist gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässig und begründet. Die Entscheidung leidet unter einem wesentlichen Verfahrensmangel.

a)

Der angefochtene Beschluss ist verfahrensfehlerhaft ergangen. Über die Anträge des Antragstellers hätte im Verfahren nach § 11 Abs. 2 RPflG entschieden werden müssen. Danach ist zunächst der Rechtspfleger zur Entscheidung über die Erinnerung berufen (§ 11 Abs. 2 S. 2 RPflG). Erinnerungen, denen er nicht abhilft, legt er dem Richter zur Entscheidung vor (§ 11 Abs. 2 S. 3 RPflG). An einer solchen Nichtabhilfeentscheidung fehlt es hier.

aa)

Gegen die Weigerung des Rechtspflegers, Anträge oder Erklärungen nach § 24 RPflG aufzunehmen ist die befristete Erinnerung gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 1 RPflG statthaft (vgl. Hansens, in: Rechtspflegergesetz, 6. Aufl. 2002, § 24 Rdn. 16 m.w.N.; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl. 2009, § 129a Rdn. 20; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl. 2008, § 129a Rdn. 1; Wöstmann, in: Saenger, ZPO, 2. Aufl. 2007, § 129a Rdn. 2; Zimmermann, ZPO, 8. Aufl. 2008, § 129a Rdn. 2; Wagner, in: Münchener Kommentar, ZPO, 3. Aufl. 2008, § 129a Rdn. 6; Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2005, § 129a Rdn. 15; offen gelassen von KG v. 26. Januar 1995 - 1 VA 14/94, NJW-RR 1995, 637). Der von der Vorinstanz sowie Teilen der Literatur (vgl. Stadler, in: Musielak, ZPO, 6. Aufl. 2008, § 129a Rdn. 4; Greger; in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 129a Rdn. 2; Borck, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl. 2007, § 129a Rdn. 15) vertretenen Gegenauffassung, im Falle einer Weigerung sei mangels "Entscheidung" lediglich die Dienstaufsichtsbeschwerde und nicht die Erinnerung gegeben, vermag der Senat nicht zu folgen.

(1)

Bei der Weigerung des Rechtspflegers, Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle aufzunehmen, handelt es sich um eine gemäß § 11 Abs. 2 RPflG anfechtbare Entscheidung. Im Falle einer Verweigerung der Aufnahme von Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle ist es - ausgehend vom Grundsatz eines fairen Verfahrens - geboten, dem Betroffenen die Wahrnehmung der ihm kraft Gesetzes zustehenden Verfahrensrechte durch eine gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit zu sichern und diesen nicht auf die (sekundär bestehende) Gewährung rechtlichen Gehörs bzw. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch das erkennende Gericht zu verweisen.

Der Begriff der "Entscheidung" in § 11 Abs. 2 RPflG ist im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben in § 19 Abs. 4 GG weit auszulegen. Die Rechtsschutzgarantie des § 19 Abs. 4 GG macht es notwendig, die Weigerung des Rechtspflegers durch die Gerichte überprüfen zu lassen. Ist ein Rechtsmittel nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften nicht gemäß § 11 Abs. 1 RPflG zulässig, steht dem Beschwerten die Möglichkeit der Erinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG zur Verfügung, über die nach Maßgabe der Sätze 3 und 4 dieser Vorschrift das Gericht des Rechtspflegers entscheidet, wenn dieser ihr nicht abhilft (vgl. BVerfG v. 8. Januar 2001 - 1 BvR 2170/00, NJW-RR 2001, 1077 Rdn. 4 m.w.N.). Dieser Handhabung trägt Art. 19 Abs. 4 GG Rechnung und berücksichtigt, dass der Gesetzgeber (vgl. BTDrucks 13/10244, S. 7) bei Änderung des Rechtspflegergesetzes durch das Gesetz vom 6. August 1998 (BGBl. I S. 2030) den Rechtsbehelf der Erinnerung für die Fälle, in denen Entscheidungen des Rechtspflegers nach den allgemeinen Regeln des Verfahrensrechts nicht anfechtbar sind, gerade aus verfassungsrechtlichen Gründen beibehalten hat (vgl. BVerfG a.a.O.).

(2)

Einer gerichtlichen Überprüfung steht nicht entgegen, dass der Rechtspfleger gemäß § 24 RPflG Aufgaben der Geschäftsstelle und nicht solche des Richters wahrnimmt. Auch die Tätigkeit des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unterliegt einer gerichtlichen Kontrolle. Gemäß § 573 Abs. 1 S. 1 ZPO ist gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle die Erinnerung möglich. Unerheblich ist, dass nach § 24 Abs. 3 RPflG die Vorlage an den Richter (§ 5 RPflG) ausgeschlossen ist. § 5 RPflG regelt lediglich die Möglichkeit, auf den Rechtspfleger übertragene Aufgaben unter bestimmten Voraussetzungen dem Richter vorzulegen, enthält aber keine Bestimmung für die Frage des Rechtsschutzes.

b)

Da der angefochtene Beschluss keine Gründe der Rechtspfleger, die begehrten Protokollierungen abzulehnen, nennt, war der Senat an einer eigenen Entscheidung gehindert. Eine rechtliche Überprüfung des Begehrens des Antragstellers setzt voraus, dass konkret dargetan wird, aus welchen Gründen die Protokollierung versagt worden ist. Daran fehlt es.

Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass eine Protokollierung überhaupt nur in engen Ausnahmefällen abgelehnt werden kann und die Wertung unverständlich gebliebener oder querulatorischer Erklärungen grundsätzlich dem Prozessgericht zu überlassen ist (vgl. Wagner a.a.O. § 129a Rdn. 6). Eine Ablehnung wegen einer etwaigen (trotz Hilfeleistung des Urkundsbeamten nicht behebbaren) Unverständlichkeit, Verworrenheit, Fehlen jeden vernünftigen Anlasses (Querulanten) oder übermäßigen Umfangs der Erklärung kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Das ist dann der Fall, wenn in der Inanspruchnahme der Protokollierung ein Missbrauch der Rechtspflege liegt (vgl. Leipold a.a.O. § 129a Rdn. 13).

2. Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben und die Sache gemäß § 572 Abs. 3 ZPO zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen, weil weitere Ermittlungen nötig sind (vgl. zur Möglichkeit der Zurückverweisung Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl. 2009, § 572 Rdn. 14; Lipp, in: Münchener Kommentar, ZPO, 3. Aufl. 2007, § 572 Rdn. 28). Zudem kann auch, wenn - wie hier - das Erstgericht eine Beschwerde zu Unrecht als unzulässig verworfen hat, entsprechend § 538 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur anderweitigen Entscheidung zurückverwiesen werden (vgl. Heßler, in: Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 572 Rdn. 31).

III.

Die Kostentscheidung beruht auf § 21 Abs. 1 S. 1 GKG.

IV.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht gemäß § 574 Abs. 1 ZPO zuzulassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 3 u. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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