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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 14.10.2005
Aktenzeichen: 11 W 8/04
Rechtsgebiete: ZPO, WEG, SGG


Vorschriften:

ZPO §§ 91 ff.
ZPO § 91 Abs. 2
ZPO § 91a
ZPO § 91a Abs. 2 Satz 1
ZPO § 91a Abs. 1
ZPO § 91a Abs. 1 Satz 1
ZPO § 139
ZPO § 569
ZPO § 571 Abs. 2 Satz 1
WEG § 47 Satz 1
SGG § 193 Abs. 1 Satz 3
Wird eine erstinstanzliche Kostentscheidung angegriffen, für die das Gesetz den Gerichten Ermessen einräumt, ist das Beschwerdegericht darauf beschränkt, die von ihm zu überprüfende Ermessensentscheidung auf Ermessensfehler hin zu überprüfen.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 11 W 8/04

14.10.2005

In dem Rechtsstreit

hat der 11. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Richter am Amtsgericht Dr. Elzer als Einzelrichter am 14. Oktober 2005

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 30. August 2004 - Aktenzeichen 11 O 191/02 - wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Gründe:

A.

Die Kläger erhoben am 9. Juli 1990 Klage auf Auskunft und Feststellung gegen ihren Bruder (den Beklagten zu 1) wegen eines in der ehemaligen DDR gelegenen Grundstücks. Mit Schriftsatz vom 3. Juni 1991 erweiterten die Kläger die Klage gegen Sohn und Schwiegertochter des Beklagten zu 1) (die Beklagten zu 2) und 3). Außerdem verlangten sie erstmalig von allen Beklagten Auflassung. Am 14. April 1993 erklärten die Parteien wegen des zwischenzeitlich In-Kraft-getretenen Vermögensgesetzes den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt. Die Kostenentscheidung sollte nicht erfolgen, bis das bereits im August 1990 begonnene Rückübertragungsverfahren beendet worden war.

Am 20. Dezember 2002 entschied das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder), dass der Restitutionsanspruch der Kläger begründet ist.

Das Landgericht hat durch Beschluss 30. August 2004 ganz überwiegend den Klägern die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Das Gericht führte aus, dass die gegen die Beklagten zu 2) und 3) erhobenen Klagen von Anfang an unzulässig waren. Auch die Klageerweiterung gegen den Beklagten zu 1) sei unzulässig gewesen. Nur die ursprünglich gegen den Beklagten zu 1) erhobenen, zunächst zulässigen und begründeten Klagen seien nachträglich unzulässig geworden. Nur insoweit legte das Gericht dem Beklagten zu 1) Kosten des Rechtsstreits auf. Im Übrigen verurteilte es aber die Kläger, die Kosten zu tragen.

Die Kostenentscheidung stellte das Gericht den Klägern am 2. September 2004 zu. Hiergegen legten sie mit bei Gericht am 7. September 2004 eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung ihrer Beschwerde, mit der sie die Aufhebung der landgerichtlichen Kostenentscheidung und Verurteilung der Beklagten in die Kosten anstreben, weisen die Kläger im Wesentlichen darauf hin, dass ihnen in 1991 die teilweise Unzulässigkeit ihrer Klagen nicht sicher bekannt war.

B.

Die nach § 91a Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden, § 569 ZPO. In der Sache hat sie keinen Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Es entspricht billigem Ermessen den Klägern ganz überwiegend die Gerichtskosten und vollständig die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) und 3) aufzuerlegen.

I. Wird eine erstinstanzliche Entscheidung angegriffen, für die das Gesetz dem Gericht - wie hier nach § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO - Ermessen einräumt, ist das Beschwerdegericht darauf beschränkt, die ihm von ihm zu überprüfende Ermessensentscheidung auf Ermessensfehler hin zu überprüfen (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Beschl. v. 31. Januar 2005 - 5 W 150/04; OLG-Report Hamburg 2003, 277; OLG Hamm NJW-RR 2000, 212; NJW-RR 1995, 1213; OLG Schleswig NJW-RR 1998, 1371, 1372; Braun, in: Münchner Kommentar zur ZPO, 2. Aufl. 2000, § 567 ZPO Rz. 7a; Merz ZMR 1983, 365, 367; Schmid ZZP 97 [1984], 245, 291; noch weiter gehend RGZ 54, 348, 349: keine Überprüfung von Ermessensentscheidungen). Das Beschwerdegericht kann keine eigene Ermessensentscheidung treffen (a.A. Wolst, in: Musielak, 4. Aufl. 2005, § 91a ZPO Rz. 25; noch anders Stickelbrock, Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens im Zivilprozeß, 2002, S. 447 f.: § 91a ZPO räume den Gerichten für die Kostenentscheidung gar kein Ermessen ein). Gegen die Annahme einer eigenen Ermessensentscheidung spricht die Kontrolle richterlicher Ermessens-Kostenentscheidungen in anderen Verfahrensordnungen (1). Außerdem streitet die Systematik des Gesetzes und sein Sinn und Zweck für diese Sichtweise (2).

1) Es ist nicht erkennbar und wäre jedenfalls nicht überzeugend, dass der Gesetzgeber den Beschwerdegerichten bei im Wesentlichen gleichen Wortlaut verschiedener Billigkeitsvorschriften über die Kosten des Rechtsstreits eine jeweils andere Überprüfungsmöglichkeit einräumen wollte.

a) Etwa für die § 91a ZPO ähnlich liegende Kostenvorschrift des § 47 Satz 1 WEG - in deren Rahmen die sich aus § 91a ZPO ergebenden Rechtsgedanken zu berücksichtigen sind, vgl. BayObLG WE 1999, 154, 155 - wird ganz allgemein angenommen, dass das Beschwerdegericht eine Entscheidung nur daraufhin überprüfen kann, ob der Tatrichter die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten hat, ob er wesentliche Gesichtspunkte außer acht gelassen, sich mit den Denkgesetzen in Widerspruch gesetzt oder sonst von seinem Ermessen einen dem Sinn und Zweck des Gesetzes widersprechenden Gebrauch gemacht hat (OLG Köln Beschl. v. 1.02.2005 - 16 Wx 5/05; BayObLG ZWE 2000, 354; BayObLGZ 1997, 148, 151 mwN; BayObLG WE 1993, 285).

b) Nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG hat das Gericht auf Antrag über die Kosten zu entscheiden, wenn das Verfahren auf andere Weise als durch Urteil beendet worden ist. Diese Entscheidung richtet sich wie in § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO in erster Linie nach dem Erfolg bzw. mutmaßlichen Erfolg des Verfahrens. Das Gericht hat die Kostenentscheidung also nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen (Meyer-Ladewig, 8. Aufl. 2005, § 193 SGG Rz. 12). Soweit die Beendigung durch eine Erledigterklärung erfolgt, kann das Beschwerdegericht nach einer weit vertretenen Meinung auch dort eine erstinstanzliche Entscheidung nur auf Ermessensfehler hin überprüfen, nicht aber sein Ermessen an die Stelle desjenigen des Sozialgerichts setzen (VerfGBbg LVerfGE 3, 141; LSG Niedersachsen-Bremen Beschl. vom 26.05.2003 - L 13 B 3/03 SB; LSG Niedersachsen Beschl. vom 09.05.1997 - L 1 S (Ran) 30/97; LSG Bremen Beschl. vom 15.11.1985 - L 5 BR 13/85; a.A. LSG Berlin Beschl. v. 17.04.2003 - L 6 B 20/03 AL). Ob eine Entscheidung rechtmäßig ist, bestimmt sich allein danach, ob Ermessen fehlerfrei ausgeübt worden ist. Das ausgeübte Ermessen ist nur hinsichtlich seiner Voraussetzungen und Grenzen nachprüfbar (VerfGBbg LVerfGE 3, 141).

2) Für eine Beschränkung auf eine Fehlerkontrolle spricht hier außerdem, dass jedenfalls im Rahmen des § 91 Abs. 2 ZPO - anders als sonst nach § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO - gem. § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO eine Entscheidung unter alleiniger Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu erfolgen hat. Den Klägern ist es also grundsätzlich (zu möglichen Ausnahmen siehe nur Vollkommer, in: Zöller, 25. Aufl. 2005, § 91a ZPO Rz. 27; Lindacher, in: Münchner Kommentar zur ZPO, 2. Aufl. 2000, § 91a ZPO Rz. 68; a.A. Bork, in: Stein/Jonas, 22. Aufl. 2004, § 91a ZPO Rz. 38) nicht möglich, Gesichtspunkte einzuführen, die dem erstinstanzlichen Gericht noch nicht bekannt waren. Eine Prüfung des erstinstanzlichen Ermessens auf Fehler entspräche deshalb Sinn und Zweck des Gesetzes. Wäre das Beschwerdegericht bei erstinstanzlichen Ermessensentscheidungen aufgerufen, stets eine eigene Bestimmung zu treffen, wäre ein Rechtsmittel, dass im Wesentlichen eine Fehlerkontrolle ist, seines Sinnes beraubt: Statt einer Kontrolle erstinstanzlicher Überlegungen könnte das Beschwerdegericht eine originär eigene Entscheidung treffen. Dabei könnten beide Entscheidungen, auch wenn sie nicht übereinstimmen, jeweils für sich betrachtet ermessensfehlerfrei sein. Dem Rechtssuchenden wäre es bei diesem Verständnis also möglich, zwei gleichsam "erstinstanzliche" Entscheidungen zu erlangen. Eine solche Verdopplung des Rechtsschutzes entspricht aber weder dem Sinn der Beschwerdevorschriften noch der Systematik des Gesetzes.

II. Ermessensfehler der angegriffenen Entscheidung werden von den Klägern auch nach Hinweis des Gerichts nicht vorgetragen und sind auch nicht zu erkennen. Maßgeblich für die nach billigem Ermessen zu treffende Kostenentscheidung nach § 91 a Abs. 1 ZPO ist der ohne Eintritt des (tatsächlich oder vermeintlich) erledigenden Ereignisses zu erwartende Verfahrensausgang mit den sich aus den §§ 91 ff. ZPO ergebenden Kostenerstattungspflichten (OLG Dresden OLG-Report Dresden 2001, 395 mwN). In entsprechender Anwendung von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat grundsätzlich diejenige Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, die ohne den Eintritt des erledigenden Ereignisses voraussichtlich unterlegen wäre. Das sind aber - wie das Landgericht zutreffend herausgearbeitet hat - ganz überwiegend die Kläger. Dazu nur folgende kurze Ergänzungen:

1) Die gegen den Beklagten zu 1) am 9. Juli 1990 erhobenen Klagen auf Auskunft und Feststellung waren zunächst zulässig und sind erst durch In-Kraft-Treten des Vermögensgesetzes am 29. September 1990 unzulässig geworden. Sie wären, jedenfalls überwiegend, begründet gewesen. Das Beschwerdegericht schließt sich auch insoweit der überzeugenden Begründung des Landgerichts an und verweist auf diese. Hierauf bezogen muss der Beklagte zu 1) die Kosten tragen.

2) Die gegen die Beklagten zu 2) und 3) gerichteten Klagen und die gegen den Beklagten zu 1) erhobene Klage auf Auflassung waren hingegen - wie das Landgericht zu Recht ausführt - unstreitig von Anfang an unzulässig. Diese Klagen wurden erst am 3. Juni 1991 erhoben und sind am 12. Juni 1991 rechtshängig gewordenen. Zuständig und für die Entscheidung über die Klagen berufen waren seit In-Kraft-Treten des Vermögensgesetzes am 29. September 1990 indessen allein die Verwaltungsgerichte. Insoweit müssen deshalb die Kläger die Kosten nach dem Rechtsgedanken des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO tragen.

3) a) Dass diese Klagen von Anfang an unzulässig waren, stellen die Kläger auch nicht in Abrede. Sie weisen allerdings darauf hin, dass bestimmte Klagen auch nach In-Kraft-Treten des Vermögensgesetzes noch den Zivilgerichten zugewiesen waren. Dass hier ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist aber weder vorgetragen noch ersichtlich.

b) aa) Die Kläger meinen weiter, dass sie die Unzuständigkeit der Zivilgerichte zunächst nicht erkennen konnten. Auch das Landgericht habe noch im Juli 1991 die Rechtslage falsch eingeschätzt. Dem ist entgegen zu halten, dass das Vermögensgesetz selbst klar gefasst und unmissverständlich ist. Es bietet für Irrtümer keinen Anlass. Für vermögensrechtliche Ansprüche an Vermögenswerten, die darauf gestützt waren, dass der Kläger von seiten staatlicher Stellen zur Veräußerung seines Grundbesitzes genötigt worden war, hat das Vermögensgesetz einen ausschließlichen, öffentlich-rechtlichen Rückübertragungsanspruch geschaffen und zugleich jeden Rechtsstreit über Vermögen, das danach Gegenstand einer Rückübertragung sein kann, den Verwaltungsgerichten zugewiesen (BT-Drucks. 11/7831 Abschnitt II, zu § 3; BGH NJW 1992, 1757; BezG Gera ZIP 1992, 137, 139 139 und DtZ 1992, 122; KG ZIP 1992, 211, 212).

bb) Es ist vorstellbar, dass diese Sicherheit im Umgang mit den Zuständigkeiten bei Erlass des Vermögensgesetzes noch nicht vorhanden war. Insoweit ist aber von maßgeblicher Bedeutung, dass der Irrtum der Kläger, welches Gericht für ihre Ansprüche zuständig ist, nach billigem Ermessen und unter Abwägung aller Umstände jedenfalls den Beklagten kostenrechtlich nicht zum Nachteil sein darf: Die Beklagten haben diesen Irrtum der Kläger nicht veranlasst oder dazu beigetragen. Die unzulässig erhobenen Klagen entsprangen allein der Entscheidung und Spähre der Kläger. Ihre Folgen müssen sie allein tragen.

c) Richtig ist, dass das Landgericht im Jahre 1991 gem. § 139 ZPO auf die richtige Rechtslage hätte hinweisen müssen. Es ist aber nicht zu erkennen, dass der fehlende Hinweis den Klägern nachteilig war. Neben einer Klagerücknahme mit der Folge ihrer Kostentragungspflicht (§ 269 ZPO) wäre allein eine Erledigterklärung in Betracht gekommen. Diese haben die Kläger ohne kostenrechtliche Nachteile in 1993 nachgeholt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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