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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 04.07.2008
Aktenzeichen: 11 W 9/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 265 Abs. 2 S. 1
ZPO § 544 Abs. 5 S. 1
ZPO § 544 Abs. 5 S. 2
ZPO § 567 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 717 Abs. 2 S. 1
ZPO § 719 Abs. 2 S. 1
ZPO § 721
ZPO § 721 Abs. 1
ZPO § 721 Abs. 1 S. 1
ZPO § 721 Abs. 3 S. 1
ZPO § 721 Abs. 6 Nr. 2
ZPO § 765a Abs. 1 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 11 W 9/08

In dem Verfahren

hat der 11. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg, Elßholzstraße 30 - 33, 10781 Berlin, durch den Richter am Kammergericht Dr. Elzer am 4. Juli 2008 als Einzelrichter

beschlossen:

Tenor:

1) Die sofortige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 20. März 2008 - 2 O 56/08 - wird zurückgewiesen.

2) Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Das Kammergericht verurteilte die Antragsteller am 7. März 2007, ein von ihnen genutztes so genanntes Townhouse in Berlin-Tempelhof zu räumen und an die Antragsgegnerin herauszugeben. Das Kammergericht bewilligte den Antragstellern zur Suche eines angemessenen Ersatzwohnraums gem. § 721 Abs. 1 S. 1 ZPO eine Räumungsfrist bis zum 30. September 2007. Noch vor Ablauf der Frist beantragten die Antragsteller beim Landgericht Berlin, diese Frist letztlich mindestens bis zum 31. Juli 2008 zu verlängern. Zur Begründung führten sie zunächst an, dass das gerichtliche Verfahren durch Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof noch nicht abgeschlossen sei. Vor einer endgültigen Entscheidung könne ihnen aber eine Räumung nicht zugemutet werden. Später ergänzten sie, dass ihnen eine Räumung nicht vor Rechtskraft des Räumungsurteils zugemutet werden könne.

Das Landgericht hat dem Antrag mit den Antragstellern am 23. April 2008 zugestelltem Beschluss nicht stattgegeben. Die Antragsteller trügen keine "neuen Tatsachen" zur Begründung ihres Gesuches vor. Die allerdings noch ausstehende Rechtskraft des Urteils vom 7. März 2007 sei kein zureichender Grund für eine Fristverlängerung. Schließlich sei die Erfolgsaussicht der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil vom 7. März 2007 auch gar nicht hinreichend dargetan.

Gegen diesen Beschluss legten die Antragsteller mit bei Gericht per Fax am 5. Mai 2008 zugestelltem Schriftsatz sofortige Beschwerde ein, der das Landgericht nicht abhalf. Zur Begründung führten die Antragsteller neben den bisherigen Gründen im Wesentlichen an, dass sich die Sachlage geändert habe. Die Antragsgegnerin habe das Grundstück veräußert und habe so durch ihre Nutzung keine wirtschaftlichen Nachteile zu befürchten. Sie stünden mit der neuen Eigentümerin in - aus ihrer Sicht - sehr Erfolg versprechenden Verhandlungen über einen Mietvertrag. Bei Bemessung der Räumungsfrist müssten im Übrigen vor allem die gegenseitigen Interessen miteinander abgewogen werden. Danach würden ihre Interessen überwiegen. Denn durch eine Räumung erlitten sie wirtschaftliche und unwiederbringliche Nachteile.

Die Antragsteller beantragen,

die Räumungsfrist unter Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts vom 20. März 2008 bis zum 31. Juli 2008 zu verlängern.

II.

Die Beschwerde der Antragsteller vom 5. Mai 2008 ist nach §§ 721 Abs. 6 Nr. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und zulässig; insbesondere wurde sie frist- und formgerecht erhoben. Sie ist aber unbegründet. Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf Verlängerung der ihnen mit Urteil vom 7. März 2007 bis zum 30. September 2007 bewilligten Räumungsfrist. Die Voraussetzungen, unter denen nach § 721 Abs. 3 S. 1 ZPO eine Räumungsfrist verlängert werden kann, liegen nicht vor.

Nach ihrem Sinn und Zweck dient die Bestimmung des § 721 ZPO nach Ansicht von einigen Stimmen vor allem dem Interesse der Allgemeinheit, Obdachlosigkeit mit all ihren unerwünschten sozialen Folgen möglichst zu vermeiden (vgl. nur Gather, DWW 1995, 5 [11]). Dass eine Obdachlosigkeit den vermögenden Antragstellern droht, ist indes nicht erkennbar. Die Antragsteller tragen diese Gefahr nicht vor. Die Antragsteller haben etwaig fehlgeschlagene Bemühungen, Ersatzwohnraum zu erhalten, ungeachtet des Hinweises des Senats vom 18. Juni 2008 weder dargelegt noch ist diese Gefahr angesichts des Zeitablaufs seit dem Räumungsurteil, der Wohlhabenheit der Antragsteller und des hier betroffenen oberen "Preissegments" glaubhaft. Für die Frage, ob eine Räumungsfrist zu verlängern ist, kommt es neben anderen Momenten aber im Wesentlichen darauf an, ob der Räumungsschuldner sich nach der erstmaligen Bewilligung dieser Frist hinreichend um eine Ersatzwohnung bemüht hat (BGH v. 27.6.1990 - XII ZR 73/90, NJW 1990, 2823; vgl. auch Buche, MDR 1972, 189 [194]).

Nach anderen Stimmen beruht § 721 Abs. 1 ZPO auf der Erwägung, dass die Durchsetzung des Räumungsanspruchs für den Nutzer mit einer besonderen Härte verbunden sein kann (so Blank, in: Schmidt-Futterer, 9. Auflage 2007, § 721 ZPO Rn. 1). Danach soll die Räumung dann hinausgeschoben und die Räumungsfrist verlängert werden können, wenn den Wohnungsnutzer die Räumung unverhältnismäßig trifft. Auch eine solche unverhältnismäßige Härte ist nicht erkennbar. Bei der Bewertung der von den Antragstellern für ihre Ansicht ins Feld geführten Nachteile und Härten muss dabei in Rechnung gestellt werden, dass das Räumungsurteil bereits jetzt über ein Jahr zurückliegt. Jedenfalls in einem solchen Fall muss wegen der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG das Interesse des Gläubigers, an der Wiedererlangung seines Eigentums, was wegen § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO auch im Falle einer Veräußerung gilt, Interessen des Schuldners im Regelfall und ganz grundsätzlich überwiegen. In einem solchen besonderen Falle können nur ganz erhebliche Nachteile es rechtfertigen, eine weitere Räumungsfrist zu gewähren. Eine so beschriebene ganz besondere Härte liegt dabei jedenfalls nicht darin, dass die Antragsteller mit der Rechtsnachfolgerin der Antragsgegnerin in Verhandlungen über einen Mietvertrag stehen und dieser nach ihrer Ansicht "mit hoher Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich abgeschlossen wird". Unterstellt man diese Behauptung nämlich als wahr, droht den Antragstellern schon kein Nachteil. Die Antragsgegnerin kann wegen der Veräußerung offensichtlich nur Herausgabe an ihre Rechtsnachfolgerin verlangen. Dass aber die Rechtsnachfolgerin auf eine Herausgabe gegenüber ihrem (künftigen und sicheren) Mieter besteht, ist nicht glaubhaft. Verlangt die Rechtsnachfolgerin die Herausgabe indes doch, erweist sich die Prognose der Antragsteller, bald Mieter zu werden, als falsch. Dann liegt in der vor 1 1/2 Jahren ausgeurteilten Herausgabe aber auch kein rechtlich relevanter Nachteil und eine besondere Härte der sich unstreitig rechtsuntreu verhaltenden Antragsteller. Ob die von den Antragstellern in den Raum gestellten weiteren pauschal so benannten "wirtschaftlichen Nachteile" bzw. die behaupteten "unwiederbringlichen Nachteile" es im Übrigen erlauben würden, die Räumungsfrist zu verlängern, kann offen bleiben. Denn die Antragsteller haben diese Nachteile ungeachtet der Auflage des Senats mit Verfügung vom 18. Juni 2008 weder dargelegt noch glaubhaft gemacht.

Der Zurückweisung des Antrags steht nicht entgegen, dass das Räumungsurteil wegen Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 544 Abs. 5 S. 1 ZPO noch nicht rechtskräftig ist (vgl. allgemein Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 9. Auflage 2007, § 721 ZPO Rn. 12; a.A. etwa LG Wuppertal v. 17.10.1994 - 6 T 792/94, WuM 1996, 429; LG Essen v. 12.12.1991 - 11 T 746/91, WuM 1992, 202; LG Hamburg v. 6.4.1983 - 16 S 52/83, WuM 1987, 62). Denn es ist nicht einmal ansatzweise erkennbar, dass für vorläufig vollstreckbar erklärte Räumungsurteile andere Grundsätze gelten als im übrigen Recht für einen vorläufig vollstreckbaren Titel. Auch die Risiken und Nachteile, die den Antragstellern als Räumungsschuldnern durch eine unrechtmäßige Vollstreckung drohen, deckt das Recht durch die allgemeinen Bestimmungen angemessen und auch ausreichend ab. Zum einen ist der Gläubiger dann, wenn ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil aufgehoben oder abgeändert wird, nach § 717 Abs. 2 S. 1 ZPO zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem Schuldner durch die Vollstreckung des Urteils entstanden ist. Zum anderen kann der Schuldner, der - wie hier - eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hat, nach §§ 544 Abs. 5 S. 2, 719 Abs. 2 S. 1 ZPO beim Revisionsgericht beantragen, dass die Zwangsvollstreckung aus dem angegriffenen Titel einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Schließlich ist auf § 765a Abs. 1 S. 1 ZPO hinzuweisen.

Auf diese Fragen kommt es letztlich aber auch nicht an. Jedenfalls lässt die bereits zitierte Rechtsprechung, dass es auf die Rechtskraft des Räumungsurteils ankommt und der Mieter - was die Antragsteller ja nie waren - sich erst mit Rechtskraft eines Räumungsurteils um Ersatzwohnraum kümmern muss, eine Ausnahme zu. Auf die Rechtskraft kommt es allgemeiner Meinung nach nicht an, wenn die Räumungspflicht auf der Hand liegt. Dass ist dann der Fall, wenn der Schuldner von der Erfolglosigkeit seiner Verteidigung ausgehen muss (vgl. Lackmann, in: Musielak, ZPO, 6. Auflage 2008, § 721 ZPO Rn. 6 m.w.N.), wenn er also mit hinreichender Sicherheit erkennen kann, dass seine Rechtsverteidigung gegenüber der Wirksamkeit des Räumungsverlangens nicht Erfolg versprechend ist. So aber liegt der Fall hier. Nach dem Urteil des Senats vom 7. März 2007 liegt für die Parteien und für das erkennende Gericht die Räumungspflicht offensichtlich auf der Hand. Ein von den Antragstellern befürchteter "Zwischenumzug" durch Aufhebung des Räumungsurteils droht nicht. Einen Anlass, von dieser Bewertung des Urteils abzurücken, gibt das Beschwerdevorbringen im Ergebnis nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, liegt nicht vor.

Der Streitwert wird auch für die II. Instanz auf 8.591,70 EUR festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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