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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 12.11.2007
Aktenzeichen: 12 U 174/07
Rechtsgebiete: StVO, ZPO


Vorschriften:

StVO § 7 Abs. 1 S. 2
StVO § 7 Abs. 5
StVO § 9 Abs. 5
ZPO § 267
ZPO § 286
1. Kollidiert ein nachfolgendes Kfz mit seiner vorderen rechten Ecke mit der linken Seite eines zunächst vorausgefahrenen und im Kollisionszeitpunkt - zum Zwecke des Wendens - in Querstellung befindlichen Kfz, so handelt es sich nicht um den typischen Auffahrunfall, aus dem ein Anscheinsbeweis gegen den Nachfolgenden abgeleitet werden kann.

Ein solcher Anscheinsbeweis ist vielmehr nur dann gegeben, wenn die Front des nachfolgenden Kfz gegen das Heck des Vorausfahrenden stößt und bei den Anstoßstellen wenigstens eine Teilüberdeckung von Heck und Front vorliegt.

2. Ein Fahrstreifen i.S.d. § 7 Abs. 5 StVO setzt keine Fahrbahnmarkierung voraus, sondern ist nach § 7 Abs. 1 Satz 2 StVO der Teil der Fahrbahn, den ein mehrspuriges Fahrzeug zum ungehinderten Fahren im Verlauf der Fahrbahn benötigt.


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 12 U 174/07

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß, den Richter am Kammergericht Spiegel und die Richterin am Kammergericht Zillmann am 12. November 2007 beschlossen:

Tenor: 1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers durch Beschluss zurückzuweisen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2 ZPO).

2. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.

Gründe:

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Beides ist hier nicht der Fall. Der Senat folgt vielmehr den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet werden.

1. Der Kläger macht auf S. 2 der Berufungsbegründung geltend, das Landgericht habe bei seiner Beurteilung übersehen, dass der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs von hinten in das klägerische Fahrzeug hineingefahren ist, es sich also um einen sogenannten Auffahrunfall gehandelt habe. Bei einem derartigen Unfall spräche aber der Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden. Daher müsse - nach dem Standpunkt des Landgerichts, das von einem Anscheinsbeweis gegen den Kläger wegen Wendens ausgegangen sei - bei ungeklärtem Unfallhergang der Schaden hälftig geteilt werden. Diese Argumentation verhilft der Berufung nicht zu einem (Teil-) Erfolg.

a) Denn die Auffassung des Klägers trifft nicht zu, ein Anscheinsbeweis richte sich gegen den Beklagten, da dessen Fahrzeug "von hinten in das klägerische Fahrzeug hineingefahren ist" (S. 2 der Berufungsbegründung).

Denn es handelt sich im Streitfall nicht um einen "typischen" Auffahrunfall, an dessen Typizität der Anscheinsbeweis anknüpft.

Der Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden wird nämlich nach ständiger Rechtsprechung nicht allein durch den bloßen Zusammenstoß mit einem Vorausfahrenden begründet (vgl. nur Senat, Urteil vom 25. September 2003 - 12 U 34/02 -; Urteil vom 26. August 2004 - 12 U 195/03 - KGR 2005, 99 = DAR 2005, 157 = VRS 108, 25 = VersR 2005, 1746 L).

Der Anscheinsbeweis kann vielmehr nur dann eingreifen, wenn gegen das Heck des Vorausfahrenden gestoßen wird und bei den Anstoßstellen der Fahrzeuge wenigstens eine Teilüberdeckung von Heck und Front vorliegt (vgl. Senat, VM 1996 Nr. 8; VM 2004, 29 Nr. 26).

Dies ist hier nicht der Fall , weil bei dem streitgegenständlichen Zusammenstoß unstreitig sich das Fahrzeug des Klägers in Querstellung befand und auf der linken Seite beschädigt worden ist (vgl. die Schadensbeschreibung auf S. 3 f. des klägerischen Privatgutachtens mit Lichtbildanlage), während der VW-Bus des Beklagten hauptsächlich an der vorderen rechten Ecke sowie an der rechten Seite Schäden aufweist (Fotos Bl. 61-63 d. A.).

Kollidiert aber ein nachfolgendes Kraftfahrzeug mit seiner vorderen rechten Ecke mit der linken Seite eines zunächst vorausgefahrenen und im Kollisionszeitpunkt - zum Zwecke des Wendens - in Querstellung befindlichen Kraftfahrzeugs, so handelt es sich nicht um den typischen Auffahrunfall, aus dem ein Anscheinsbeweis gegen den Nachfolgenden abgeleitet werden kann.

b) Das Landgericht (UA 5) ist bei diesem Sachverhalt vielmehr zutreffend von einem gegen den Kläger sprechenden Anscheinsbeweis ausgegangen, weil sich der Unfall in örtlichem und zeitlichen Zusammenhang mit dem von der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs eingeleiteten Wendemanöver ereignet hat.

Denn der Wendende muss sich nach § 9 Abs. 5 StVO so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (höchste Sorgfaltsstufe).

Hierzu gehört auch, dass der Verkehrsteilnehmer, der mittels Abbiegens nach links wenden will, sich rechtzeitig möglichst weit links einzuordnen hat (§ 9 Abs. 1 Satz 2 StVO).

Bereits nach der von der Zeugin ... als Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs vor dem Landgericht geschilderten Einleitung des Wendemanöver nebst Skizze war das nicht der Fall ("Ich bin dann so weiter gefahren, wie ich es eingezeichnet habe, d. h. ich bin innerhalb meiner Spur nach rechts gezogen, dabei aber nicht in die rechts daneben liegende Spur geraten"..."ich denke, die linke Spur, in der ich fuhr, ist so breit, dass dort auch zwei Fahrzeuge nebeneinander Platz haben"...,Protokoll vom 27. Juni 2007, S. 2), wobei nach der von der Zeugin gezeichneten Skizze ihr Bogen nach rechts zwar innerhalb des Fahrstreifens liegt, dessen Breite aber wenigstens zwei Fahrzeugbreiten misst.

War letzteres der Fall, dann spricht - neben dem ungerechtfertigten Verstoß gegen die Pflicht, sich rechtzeitig möglichst weit links einzuordnen - auch viel für einen sorgfalts-widrigen Fahrstreifenwechsel.

Denn "Fahrstreifen ist der Teil einer Fahrbahn, den ein mehrspuriges Fahrzeug zum ungehinderten Fahren im Verlauf der Fahrbahn benötigt" (§ 7 Abs. 1 Satz 2 StVO) und setzt keine Fahrbahnmarkierung voraus (BGH VersR 2007, 262; Senat, VRS 109, 10; NZV 2003, 82; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., StVO § 7 Rn 5).

Das mag jedoch letztlich dahinstehen; denn - wie bereits ausgeführt - ist das Landgericht zutreffend von einem Anscheinsbeweis zu Lasten des Klägers ausgegangen, dessen Fahrzeug sich im Unfallzeitpunkt im Wendevorgang befand, wobei das Fahrzeug zuvor nicht rechtzeitig möglichst weit nach links eingeordnet war.

2. Soweit der Kläger auf S. 2 f. seiner Berufungsbegründung die Beweiswürdigung des Landgerichts beanstandet, verhilft dies der Berufung nicht zum Erfolg.

Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden.

a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.

Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (vgl. Senat, Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 -; vgl. auch KG [22. ZS], KGR 2004, 38 = MDR 2004, 533; Senat, Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 - KGR 2004, 269).

§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung feststellen (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 286 Rn 13).

Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 286 Rdnr. 3, 5).

An diese Regeln der freien Beweiswürdigung hat das Landgericht sich gehalten.

Auf die Erwägungen des Landgerichts auf S. 5 - 7 des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

b) Der Kläger beanstandet, die Aussage des Zeugen ... sei nicht glaubhaft und nicht geeignet, die Angaben der Zeugin ... zu erschüttern. Denn es spräche alles dafür, dass dieser die Vorgänge nicht aus eigener Anschauung geschildert, sondern sich die Unfalldarstellung des Fahrers des Beklagtenfahrzeugs unbesehen zu eigen gemacht habe, was sich wiederum daraus ergäbe, dass der Zeuge der Bußgeldbehörde keine eigene Unfalldarstellung überlassen habe, sondern die des Fahrers als richtig abgezeichnet habe.

Außerdem habe der Zeuge nicht die Behauptung des Beklagten Landes bestätigt, ... Makeprange habe als Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs den Fahrstreifen gewechselt.

Diese Argumentation ist nach Auffassung des Senats nicht geeignet, die zutreffende Beweiswürdigung des Landgerichts zu entkräften.

Allein daraus, dass der Kläger selbst das Beweisergebnis anders wertet, folgt kein Rechtsfehler des Landgerichts.

Der Senat ist auch hinsichtlich des Beweisergebnisses derselben Auffassung wie das Erstgericht.

Der Umstand, dass der Zeuge gegenüber der Bußgeldbehörde der Form nach keine eigene Unfalldarstellung abgegeben hat, stellt seine Glaubwürdigkeit nicht in Frage und läßt auch die Aussage nicht unglaubhaft erscheinen.

So hat der Zeuge am 27. Juni 2007 sich auch nicht sogleich auf seine schriftliche Erklärung vom 31. Mai 2006 im Bußgeldverfahren bezogen, sondern aus dem Gedächtnis eine eigene Darstellung gegeben und eine Skizze gezeichnet. Wenn er danach seine schriftliche Erklärung vom 31. Mai 2006 gelesen und als richtig bezeichnet hat, erschüttert dies seine Glaubwürdigkeit nicht.

Auch der inhaltliche Vorwurf, der Zeuge habe nicht die Behauptung des Fahrstreifenwechsels durch den Beklagten bestätigt, sondern lediglich ein "Rüberziehen nach rechts" ändert am Beweisergebnis nichts. Denn die Schilderung vor dem Landgericht ist im Zusammenhang mit der vom Zeugen angefertigten Skizze zu verstehen, aus der zweifellos ein Fahrstreifenwechsel des klägerischen Fahrzeugs folgt. Auch aus den Worten "Dann zog diese Dame, die Straße ist dort recht breit, nach rechts rüber, vielleicht wollte sie parken" ist im Zusammenhang mit der Skizze ein vom Zeugen bekundeter tatsächlicher Vorgang, der rechtlich auf den Wechsel eines Fahrstreifens im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 StVO schließen lässt. Völlig deutlich wird dieser Wechsel aber aus dem vom Landgericht auf S. 7 wiedergegebenen Teil der Aussage der schriftlichen Erklärung vom 31. Mai 2006 ("ohne Betätigung eines Blinkers an den rechten Fahrbahnrand bremsend hinübergefahren").

3. Im Übrigen hat die Sache weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO).

Es wird angeregt, die Rücknahme der Berufung zu erwägen.

Ende der Entscheidung

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