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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 12.05.2005
Aktenzeichen: 12 U 187/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 286
ZPO § 412
Ist streitig, ob der Kläger durch den Unfall überhaupt verletzt wurde, hat er dies nach § 286 ZPO zu beweisen. Gibt der medizinische Sachverständige den Grad der Wahrscheinlichkeit einer unfallbedingten Verschlimmerung vorbestehender HWS - Beschwerden mit ca. 20 % an, so ist der erforderliche Beweis der Unfallkausalität nicht geführt. Bezieht sich der Kläger gegenüber dem Ergebnis des vom Gericht eingeholten Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen zum Beweise seiner Behauptung der Unfallkausalität von Beschwerden auf die Vernehmung seines behandelnden Arztes, so ist dessen Vernehmung nicht geboten, wenn nicht dargelegt ist, dass dieser Arzt aus eigener Wahrnehmung Angaben zur Unfallursächlichkeit der Beschwerden machen kann.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 187/04

verkündet am: 12. Mai 2005

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 12. Mai 2005 durch den Richter am Kammergericht Hinze als Einzelrichter für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das am 30. Juli 2004 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin - 24 O 465/01 - wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin zu 1) 92 % und die Kläger zu 2) und 3) jeweils 4 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die zulässige Berufung der Kläger hat in der Sache keinen Erfolg.

1.a) Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht einen Anspruch der Klägerin zu 1) auf Zahlung eines Schmerzensgeldes verneint. Allerdings kann dem Landgericht nicht gefolgt werden, wenn es auf den Seiten 9 und 10 des angefochtenen Urteils ausführt, die richtungsweisende Verschlimmerung einer bereits bestehenden HWS-Verletzung die für einen Zeitraum von einem Monat zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % führt stelle noch eine Bagatelle dar (Senat, Urteil vom 16. Oktober 2003 - 12 U 58/01 - VersR 2004, 1193). Dem Landgericht ist jedoch darin zu folgen, dass die Klägerin zu 1) eine derartige Verschlimmerung der unstreitig bestehenden Vorverletzung nicht bewiesen hat. Für die hier streitige Frage, ob die Klägerin bei dem Unfall überhaupt eine Verletzung erlitten hat, gilt der strenge Beweismaßstab des § 286 ZPO. Danach ist die volle Überzeugung des Gerichts erforderlich, dass die Klägerin bei dem Unfall vom 6. Oktober 1998 tatsächlich die von ihr behaupteten Verletzungen erlitten hat. Diesen Beweis hat die Klägerin zu 1) nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht erbracht.

aa) Allerdings weisen die Kläger zu Recht darauf hin, dass das Gutachten des Sachverständigen Dr. Cnnn Pnn vom 3. Mai 2004 mehrdeutig ist. Während der Sachverständige auf Seite 43 zweiter Absatz seines Gutachtens ausführt, eine unfallbedingte Entstehung einer HWS-Distorsion bei der Klägerin zu 1) sei aus medizinischer Sicht auf Grund der erheblichen Vorschädigung im Bereich der Halswirbelsäule und der Möglichkeit einer Rotationskomponente durch den Blick zur Seite möglich, heißt es auf Seite 45 bei der Beantwortung der Beweisfragen ohne Einschränkung: "Frau Cnnn Znnn hat als Verletzungsfolge eine HWS-Distorsion 1. Grades erlitten". Die gebotene ergänzende Befragung des Sachverständigen im Termin vom 12. Mai 2005 hat ergeben, dass aus der sachverständigen Sicht des Gutachters eine unfallbedingte HWS-Distorsion bzw. eine Verschlimmerung der bestehenden Vorverletzungen durch den Unfall vom 6. Oktober 1998 lediglich möglich ist, nicht aber, wie die Aussage auf Seite 45 des Gutachtens nahe legt, als feststehend erscheint. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass unter Berücksichtigung des Gutachtens des Sachverständigen für Unfallrekonstruktion Dnnnn vom 7. März 2003 eine Verletzung der Halswirbelsäule zwar möglich aber nicht wahrscheinlich ist. Ferner hat der Sachverständige ausgeführt, dass nach der Fachliteratur die Frage einer erhöhten Vulnerabilität auf Grund von Vorverletzungen nicht unumstritten sei. So bestünden derzeit keine gesicherten Kenntnisse darüber, ob bestehende Vorverletzungen im Bereich der Halswirbelsäule tatsächlich dazu führen, dass für die Verursachung einer weiteren Verletzung der Halswirbelsäule eine geringere Krafteinwirkung erforderlich ist oder ob Vorverletzungen nur dazu führen, dass dann, wenn es zu einer erneuten Verletzung der Halswirbelsäule kommt diese in ihren Auswirkungen bei bestehenden Vorverletzungen schwerer wiegt als im Fall der Verletzung einer nicht vorgeschädigten Halswirbelsäule. Den Grad der Wahrscheinlichkeit, mit dem der Unfall vom 6. Oktober 1998 zu einer spürbaren Verschlimmerung der bestehenden Vorverletzungen der Klägerin zu 1) geführt hat, hat der Sachverständige mit ca. 20 % angegeben. Unter diesen Voraussetzungen vermag sich das Gericht nicht mit der erforderlichen Gewissheit davon zu überzeugen, dass die Klägerin zu 1) bei dem streitgegenständlichen Unfall die behaupteten Verletzungen erlitten hat.

bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin zu 1) war das Landgericht auch nicht gehalten, den von ihr als sachverständigen Zeugen benannten Dr. Mnnnnn zu den behaupteten Verletzungen zu vernehmen. Dass der benannte Zeuge Dr. Mnnnnn aus eigener Beobachtung Angaben dazu machen könnte, ob die Beschwerden, die die Klägerin zu 1) ihm gegenüber bei ihrer Untersuchung angegeben hat auf den Unfall vom 6. Oktober 1998, auf den Vorunfall vom 9. August 1998 oder andere Ursachen zurückgeführt werden könnte, haben die Kläger nicht substantiiert vorgetragen. Auch gibt das von den Klägern erstmals mit Telefax vom 10. Mai 2005 eingereichte "ärztliche Attest" des Dr. Jnn Mnnnnn vom 29. Dezember 2004 keinen Anlass, gemäß § 412 ZPO ein neues Gutachten einzuholen. Dr. Mnnnnn führt auf Seite 2 des genannten Attests lediglich aus, es sei möglich, dass der Unfall vom 6. Oktober 1998 zu einer weiteren Exacerbation des bereits vor dem Unfall vom 8. September 1998 bestehenden HWS-Syndroms geführt hat. Die bloße Möglichkeit einer weiteren Exacerbation reicht indes nicht aus, um den von der Klägerin zu erbringenden vollen Beweis (§ 286 ZPO) für eine unfallbedingte Verletzung zu erbringen. Auf die Frage, ob, wie das Landgericht auf Seite 9 seines Urteils meint, eine anerkannte sogenannte Harmlosigkeitsgrenze besteht (dagegen BGH VersR 2003, 474 ff.) kommt es nicht mehr an.

cc) Auch soweit sich die Klägerin zu 1) auf die Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes (in NJW 2002, 504 ff.) beruft, wonach im Fall der Verursachung eines Dauerschadens durch zwei einander folgende selbständige Unfälle der Zweitschädiger für den Dauerschaden mangels abgrenzbarer Schadensteile schon dann haftet, wenn der Zweitunfall lediglich mitursächlich für den Dauerschaden ist, verhilft dies der Berufung nicht zum Erfolg. Denn der Sachverständige Dr. Pnn hat auf Seite 46 unter 3. seines Gutachtens überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass eine etwaige Verschlimmerung der vorbestehenden Verletzungen durch den Unfall vom 6. Oktober 1998 - wenn sie überhaupt eingetreten sein sollte - eindeutig von den bestehenden Vorverletzungen abgrenzbar ist.

b) Hinsichtlich der Berufung des Klägers zu 2) folgt das Berufungsgericht den Gründen des angefochtenen Urteils. Der Sachverständige Dr. Pnn hat auf Seite 37 seines Gutachtens überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Unfallrekonstruktionsgutachtens die unfallbedingte Entstehung einer Lendenwirbelsäulen- und Brustwirbelsäulendistorsion nicht möglich ist. Es kommt hinzu, dass der Kläger zu 2) bei seiner Untersuchung im Krankenhaus am 6. Oktober 1998 keine Schmerzen angegeben hat und auch kein objektiver Befund festgestellt werden konnte. Der von den Klägern benannte Dr. Mnnnnnn hat den Kläger zu 2) erst zwei Tage nach dem Unfall untersucht. Es ist weder vorgetragen worden, noch sonst ersichtlich, auf Grund welcher Umstände er dazu in der Lage sein sollte, Angaben zu der Ursache der Beschwerden zu machen, wegen derer der Kläger zu 2) ihn aufgesucht hat. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass der Kläger zu 2) nach den unbestrittenen Feststellungen des Sachverständigen Dr. Pnn unabhängig vom streitgegenständlichen Unfall an multiplen Knochenschmerzen litt. Die Voraussetzungen, unter denen nach § 412 ZPO ein weiteres Gutachten einzuholen wäre, können nicht festgestellt werden.

c) Auch die Berufung des Klägers zu 3) hat in der Sache keinen Erfolg. Dem Berufungsgericht ist jedenfalls darin zu folgen, dass der Kläger zu 3) nicht bewiesen hat, dass die von ihm behaupteten Verletzungen (Schädelprellung, Thoraxprellung) durch den Unfall vom 6. Oktober 1998 verursacht worden sind. Hinsichtlich der behaupteten Schädelprellung fällt auf, dass der Kläger schon vor dem Unfall vom 6. Oktober 1998 über Kopfschmerzen und Schwindelgefühle geklagt hat und zudem bereits beim Vorunfall mit dem Kopf gegen eine Scheibe gestoßen war. Eine richtungsweisende Verschlimmerung der bestehenden Beschwerden durch den Unfall vom 6. Oktober 1998 ist nicht konkret vorgetragen worden. Der Sachverständige Dr. Pnn hat bei seiner Anhörung im Termin vom 12. Mai 2005 überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass keine objektiven Anhaltspunkte für die vom Kläger zu 3) behauptete Schädelprellung festgestellt werden können. Das Attest vom 8. Oktober 1998 enthalte keinen Hinweis hierauf. Auch hat der Kläger zu 3) nicht vorzutragen vermocht, gegen welchen Fahrzeugteil oder anderen Fahrzeuginsassen er mit seinem Kopf gestoßen sein soll. Hinsichtlich der vom Kläger zu 3) behaupteten Thoraxprellung haben sowohl der Sachverständige für Unfallrekonstruktion Dnnnn als auch der Sachverständige Dr. Pnn übereinstimmend ausgeführt, dass der streitgegenständliche Unfall vom 6. Oktober 1998 nicht geeignet war, eine derartige Verletzung hervorzurufen, zumal der Thorax durch den Arm des Kindes geschützt war.

Auch hinsichtlich der vom Kläger zu 3) behaupteten Verletzungen bedurfte es keiner Vernehmung des in erster Instanz benannten Dr. Mnnnnn , der den Kläger zu 3) erstmals zwei Tage nach dem Unfall am 8. Oktober 1998 untersucht hat. Insoweit wird auf die Ausführungen zu a) und b) verwiesen.

2.) Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).

3.). Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO in Verbindung mit § 26 Nr. 8 EGZPO.

Ende der Entscheidung

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