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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 24.11.2005
Aktenzeichen: 12 U 188/04
Rechtsgebiete: StVG, BGB, PflVG, ZPO, EGZPO


Vorschriften:

StVG § 7 Abs. 1
StVG § 18
BGB § 426 Abs. 1 Satz 1
BGB § 823
PflVG § 3 Nr. 1
PflVG § 3 Nr. 2
ZPO § 411a n.F.
ZPO § 426 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 531 Abs. 2
EGZPO § 29 Nr. 3
Die Abweisung einer Klage eines Fußgängers auf Schmerzensgeld durch das Amtsgericht entfaltet keine Rechtskraft hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen zur Geschwindigkeit des Kfz. Reicht das Gutachten aus einem Parallelverfahren aus, um die von einer Partei zum Beweisthema angestellten Überlegungen und die in ihrem Vortrag angesprochenen aufklärungsbedürftigen Fragen zu beantworten, so kann es urkundenbeweislich verwertet werden; der Tatrichter muss nicht auf Antrag der Partei erneut einen Sachverständigen hinzuziehen und eine neue schriftliche oder mündliche Begutachtung anordnen. Revision zugelassen.
Kammergericht Im Namen des Volkes Grund- und Teilurteil

Geschäftsnummer: 12 U 188/04

verkündet am: 24. November 2005

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 27. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß und die Richter am Kammergericht Spiegel und Hinze für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 9. Juni 2004 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin - 24 O 6/04 - abgeändert:

Die Klage ist dem Grunde nach zu 25 % gerechtfertigt.

Im Übrigen wird die Klage dem Grunde nach abgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die am 10. September 2004 eingelegte und mit einem am Montag, den 11. Oktober 2004 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung des Klägers richtet sich gegen das am 10. August 2004 zugestellte Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin vom 09. Juni 2004, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird.

Der Kläger verfolgt sein erstinstanzliches Klagebegehren weiter und macht geltend, das Landgericht habe seine Hinweispflicht verletzt. Es hätte dem Kläger (auch ohne einen ausdrücklichen Antrag) dazu Gelegenheit geben müssen, die vom Landgericht im Termin zur mündlichen Verhandlung zitierten Entscheidungen des Kammergerichts nachzulesen und dazu Stellung zu nehmen. Der Kläger meint, die vom Landgericht zitierten Entscheidungen des Kammergerichts würden auf den vorliegenden Sachverhalt nicht passen. Auch sei das Landgericht dazu verpflichtet gewesen, den Kläger darauf hinzuweisen, dass es konkreten Vortrag dazu vermisste, welche Verletzungen ausgeblieben wären, wenn der Beklagte mit einer Ausgangsgeschwindigkeit von nur 50 km/h gefahren wäre. Der Kläger behauptet, in diesem Fall hätte er allenfalls leichte Verletzungen wie Schürfwunden, eine Prellung, eine leichte Gehirnerschütterung und im ungünstigsten Fall eine Fraktur eines Beines oder Armes davongetragen, bleibende Schäden wären indessen nicht verblieben (Beweis: Sachverständigengutachten). Weiter behauptet der Kläger, zum Unfallzeitpunkt habe kein starker Verkehr geherrscht (Beweis: Sachverständigengutachten, Vernehmung des Beklagten als Partei), der Kläger sei mit einer Geschwindigkeit von 1 bis 1,5 Meter pro Sekunde über die Straße gegangen (Beweis: Sachverständigengutachten, Vernehmung des Klägers als Partei).

Entgegen der Annahme des Sachverständigen Prof. Dr. Rn sei der Anstoß des Klägers am Beklagtenfahrzeug mittig (und nicht vorne rechts) erfolgt. Dies ergebe sich aus den als Anlage K 27 eingereichten Fotos.

Schließlich macht der Kläger geltend, das Landgericht habe die in dem Verfahren des Amtsgerichts Mitte - 107 C 3293/00 (Landgericht Berlin - 58 S 287/01 -) vom Amtsgericht und vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Tatsachen, insbesondere zur Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten zu 1) und zur Unvermeidbarkeit des Unfalls nicht als rechtskräftig festgestellt zugrunde legen dürfen, sondern die hierzu vom Kläger angebotenen Beweise erheben müssen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 09. Juni 2004 verkündeten Urteils des Landgerichts Berlin - 24 O 6/04 -

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 12.629,46 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.01.1999 zu zahlen;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, beginnend mit dem 01.01.2004 vierteljährlich im Voraus einen Betrag von 611,44 DM = 312,62 EUR an den Kläger zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger 30 % des weitergehenden materiellen Schadens aus dem Verkehrsunfall vom 24.10.1997, 6.30 Uhr, in Berlin, Kreuzung Gustav-Meyer-Allee/Hussitenstraße zu ersetzen, letzterer, soweit dieser nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil und machen geltend, der weitere Sachvortrag des Klägers im Berufungsverfahren sei verspätet. Eines Hinweises des Gerichts auf die Problematik geringerer Verletzungen des Klägers bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h durch den Beklagten zu 1) sei der Kläger im Vorprozess - 107 C 3293/00 - des Amtsgerichts Mitte (50 S 287/01 des Landgerichts Berlin) mehrfach ausdrücklich hingewiesen worden. Sie räumen eine Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten zu 1) von 53 km/h ein und meinen, die sich hieraus ergebende geringfügig erhöhte Betriebsgefahr trete hinter dem Verschulden des Klägers zurück.

Das Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Rn vom 8. März 2002 wollen die Beklagten so verstanden wissen, dass er von den Ergebnissen seines Erstgutachtens nicht abweichen wollte, sondern lediglich darlegen wollte, dass das vom Kläger vorgelegte Privatgutachten der Sachverständigen Qnnnn und Nnn in sich nicht stimmig sei.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Akten 11 C 3293/00 des AG Mitte/ 58 S 287/01 LG Berlin haben zu Informationszwecken vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg. Die Beklagten haften dem Kläger dem Grunde nach aus §§ 7 Abs. 1, 18 StVG, § 823 BGB i. V. m. § 3 Nr. 1 und 2 Pflichtversicherungsgesetz auf Erstattung von 1/4 der materiellen Schäden, die ihm aufgrund des Verkehrsunfalls vom 24. Oktober 1996 auf der in Berlin gelegenen Gustav-Meyer-Allee entstanden sind.

1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts entfaltet das Urteil in dem auf Schmerzensgeld gerichteten Vorprozess - 107 C 3293/00 - AG Mitte = 58 S 287/01 - LG Berlin weder hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen (Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten zu 1), örtliche oder zeitliche Vermeidbarkeit) noch hinsichtlich der rechtlichen Vorfragen (Verschulden des Beklagten zu 1), unabwendbares Ereignis) Rechtskraft für den vorliegenden Prozess. Die materielle Rechtskraft eines Urteils beschränkt sich grundsätzlich auf den Entscheidungssatz (Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., vor § 322 Rdnr. 31 m.w.N.). Tatsachen, von denen das Gericht als unstreitigen oder erwiesenen Prozessstoff ausgeht, werden niemals rechtskräftig festgestellt (BGHZ 123, 140; Zöller/Vollkommer a.a.O., Rdnr. 32 m.w.N.). Gleiches gilt für präjudizielle Rechtsverhältnisse und Vorfragen (Zöller/Vollkommer, a.a.O., Rdnr. 34, 36).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von den Beklagten zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes in NJW 1993, 3204, 3205. Diese Entscheidung betrifft einen anderen Sachverhalt. Im dortigen Fall hatte der Kläger zunächst Schadensersatz aus einem Schulunfall geltend gemacht. Diese Klage ist rechtskräftig abgewiesen worden. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die tatsächlichen Voraussetzungen, auf denen die Klageabweisung beruhte, so nicht zutrafen, hat der Kläger in einem erneuten Prozess seinen Schadensersatzanspruch darauf gestützt, dass eine von der Beklagten erteilte Auskunft fehlerhaft gewesen sei. Der Bundesgerichtshof hat hierzu ausgeführt, ein Schadensersatzanspruch könne nur dann bestehen, wenn der Kläger den Vorprozess wegen der unrichtigen Auskunft zu Unrecht verloren hätte. Dies würde voraussetzen, dass dem Kläger der im Vorprozess geltend gemachte Anspruch tatsächlich zugestanden habe. Insoweit sei das Gericht im nachfolgenden Prozess jedoch an die Rechtskraft der Entscheidung des Vorprozesses über das Nichtbestehen des Anspruchs gebunden. Die Voraussetzungen für eine Durchbrechung der Rechtskraft lägen nicht vor.

Im vorliegenden Fall ist dem gegenüber für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch nicht Tatbestandsvoraussetzung, ob dem Kläger - wie im Vorprozess rechtskräftig beschieden - ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zusteht oder nicht.

2. Auf der Grundlage des Ergänzungsgutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Rn vom 8. März 2002 im Verfahren 58 S 287/01 sieht es der Senat als erwiesen an, dass die Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten zu 1) vor dem streitgegenständlichen Unfall jedenfalls 58 km/h betragen hat.

a) Zwar ist die Vorschrift des § 411a ZPO n.F., nach der auch Sachverständigengutachten aus einem anderen Prozess im laufenden Verfahren als Sachverständigengutachten -und nicht nur im Wege des Urkundsbeweises - verwertet werden können, auf den vorliegenden Fall nach § 29 Nr. 3 EGZPO nicht anwendbar, da der Prozess bereits vor dem 1. September 2004, nämlich am 3. Januar 2004, anhängig war. Der Tatrichter kann jedoch von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absehen, wenn ihm ein früher erstattetes Gutachten über die Beweisfrage vorliegt; er kann dieses dann im Wege des Urkundsbeweises würdigen (BGH NJW 1987, 2300 f.; BGH NJW 1982, 2874; BGH NJW 1983, 121). Nur wenn die Ausführungen des urkundlich zu verwertenden Gutachtens nicht ausreichen, um die von einer Partei zum Beweisthema angestellten Überlegungen und die in ihrem Vortrag angesprochenen aufklärungsbedürftigen Fragen zu beantworten, muss der Tatrichter auf Antrag der Partei einen Sachverständigen hinzuziehen und eine schriftliche oder mündliche Begutachtung anordnen (BGH NJW 2002, 2324; BGH MDR 2000, 1148; BGH NJW 1997, 3381; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 402 Rdnr. 6 d). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, da sich die Gutachten des Prof. Dr. Rn vom 6. März 2001 und vom 8. März 2002 genau mit dem entscheidungserheblichen Beweisthema und der vom Kläger im jetzigen Rechtsstreit aufgestellten Behauptungen befassen, die auch schon Beweisthema im Rechtsstreit zwischen den Parteien bezüglich desselben Verkehrsunfalls wegen des Schmerzensgeldes waren. Daher ist der Senat nicht gehalten, ein anderes Gutachten einzuholen.

b) Die im wesentlichen auf das Privatgutachten der Sachverständigen Prof. Qnnnn und Nnn vom 27. Juli 2002 gestützten Einwände des Klägers gegen die Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Rn bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.

aa) Die an der Unfallstelle unstreitig bestehende Steigung des Straßenverlaufs, die im Ergebnis zu einer höheren Bremsverzögerung führt, hat der Sachverständige Prof. Rnn in seinem Ergänzungsgutachten berücksichtigt. Auf dieser Grundlage ist er zu einer Ausgangsgeschwindigkeit von 58 km/h gelangt (Ergänzungsgutachten vom 8. März 2002, Seiten 18, 22).

bb) Unbegründet ist auch der Einwand, der Sachverständige Prof. Dr. Rnn habe bei seinem Erstgutachten die sich durch die Kollision zwischen dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) und dem Kläger ergebende Verringerung der Geschwindigkeit des Pkws unberücksichtigt gelassen. Auch diesen Umstand hat der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten eingearbeitet.

cc) Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, der Anstoß am Fahrzeug des Beklagten zu 1) sei mittig und nicht rechts vorne erfolgt. Der Kläger übersieht, dass auch die von ihm beauftragten Privatsachverständigen auf Seite 13 des Gutachtens vom 27. Juli 2001 unter Berücksichtigung der Fotos des Pkw VW Golf (Bilder 21 bis 28) davon ausgehen "die Erstberührung (habe) im Bereich vorne rechts von der Mitte des Pkw stattgefunden".

dd) Soweit der Kläger in zweiter Instanz erstmals behauptet, er habe sich vor dem Unfall mit einer Geschwindigkeit von lediglich einem bis 1,5 Metern pro Sekunde bewegt und nicht, wie vom Sachverständigen Prof. Dr. Rn auf Seite 13 seines Erstgutachtens zugrunde gelegt, mit etwa 2,1 Metern pro Sekunde, handelt es sich um neuen Vortrag. Die Beklagten haben diesen Vortrag bestritten. Die Voraussetzungen, unter denen der neue Vortrag des Klägers nach § 531 Abs. 2 ZPO ausnahmsweise zugelassen werden könnte, sind weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Insbesondere kann sich der Kläger nicht auf eine Verletzung der Hinweispflicht durch das Landgericht berufen, denn ihm musste bereits aus dem Vorprozess bekannt sein, dass die Frage, mit welcher Geschwindigkeit er sich vor dem Unfall bewegt hat, für die Haftung der Beklagten von entscheidender Bedeutung ist.

c) Soweit die Beklagten meinen, der Sachverständige Prof. Dr. Rn habe mit seinen Ausführungen im Ergänzungsgutachten vom 8. März 2002 die Ausführungen zur Ausgangsgeschwindigkeit des VW Golf in seinem Erstgutachten vom 6. März 2001 nicht infrage stellen wollen, sondern lediglich das Privatgutachten der Sachverständigen Qnnnn und Nnn auf seine Folgerichtigkeit überprüfen wollen, kann dem nicht gefolgt werden.

Zwar hat der Sachverständige Prof. Dr. Rnn in der Vorbemerkung zu seinem Ergänzungsgutachten gefragt, ob es, wie von den Privatgutachtern Qnnnn und Nnn angenommen, möglich sei, die Ausgangsgeschwindigkeit auf einen km/h genau anzugeben, zumal die genaue Kollisionsstelle nicht eindeutig festgestellt werden konnte. Die sich bei der Neuberechnung der Geschwindigkeit gegenüber dem Erstgutachten ergebende Änderung der Ausgangsgeschwindigkeit des VW Golf beruht indessen auf zwei Aspekten, die der Sachverständige Prof. Dr. Rn ausdrücklich als zutreffend bezeichnet hat.

Zu der Steigung der Straße und der sich daraus ergebenden größeren Bremsverzögerung hat der Sachverständige auf Seite 11 des Ergänzungsgutachtens ausdrücklich ausgeführt, es treffe zu, dass die Fahrbahn in Fahrtrichtung des Pkw bis in den Bereich der Unfallstelle eine Steigung von durchschnittlich 1,4 % aufweise. Es sei "in Ordnung, wenn man diese Steigung bei der Bestimmung der Bremsverzögerung mit dem zusätzlichen Wert von 0,24 m/sec.2 in die Berechnung aufnimmt". Gleiches gilt für den vom Kläger geltend gemachten Geschwindigkeitsverlust des Pkw durch die Kollision. Hierzu hat der Sachverständige auf Seite 11 seines Ergänzungsgutachtens ausgeführt, es sei grundsätzlich richtig, dass ein Fahrzeug durch den Anprall gegen einen Fußgänger einen Geschwindigkeitsverlust erfahre. Aus diesem Grund sei es nicht zu beanstanden, wenn dieser Geschwindigkeitsverlust gesondert in der Berechnung berücksichtigt sei.

Allerdings hat der Sachverständige Prof. Dr. Rn bei seiner Berechnung - insoweit abweichend von dem Privatgutachten Qnnnn /Nnn einen deutlich geringeren Geschwindigkeitsverlust zugrunde gelegt, den er mit weniger als 2 km/h gegenüber den im Privatgutachten angenommenen 3,3 km/h in Ansatz gebracht hat. Auf Seite 18 des Gutachtens hat der Sachverständige sodann ausgeführt, dass die Mindestausgangsgeschwindigkeit des VW Golf bei 57,99 km/h, also praktisch genau 58 km/h gelegen habe. Diesen Ausführungen schließt der Senat sich an.

3.a) Auf der Grundlage des Ergänzungsgutachtens Prof. Dr. Rn , wonach die Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten zu 1) mindestens 58 km/h betragen hat, können, dem Sachverständigen folgend, weder die örtliche noch die zeitliche Vermeidbarkeit für den Fall der Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h festgestellt werden. Der Sachverständige führt jedoch auf Seite 19 des Ergänzungsgutachtens aus, dass bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h die Kollisionsgeschwindigkeit nur noch etwa 26 km/h betragen hätte, was möglicherweise zu deutlich geringeren Verletzungen geführt hätte. Ausgehend von einer Ausgangsgeschwindigkeit von 58 km/h hatte der Sachverständige eine Kollisionsgeschwindigkeit von 41,1 (41,08) km/h ermittelt (Seite 17 des Gutachtens). Es liegt auch nahe, dass eine Verringerung der Kollisionsgeschwindigkeit um ca. 37 % zu deutlich geringen Verletzungen führt. Nach der Rechtsprechung des BGH (DAR 2000, 524; NJW 2001, 152, 153; NJW 2004, 772, 773) ist ein unfallursächliches Verschulden des Fahrzeugführers auch dann anzunehmen, wenn er die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten hätte und es bei Beachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit "zumindest zu einer deutlichen Abmilderung des Unfallverlaufs und der erlittenen Verletzungen gekommen wäre".

b) Allerdings sind die Einzelheiten der Haftung des Fahrzeugführers in derartigen Fällen - soweit ersichtlich - in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes noch nicht geklärt. Es könnte daran gedacht werden, die Haftung des Fahrzeugführers bzw. seines Versicherers auf diejenigen Verletzungen zu beschränken, die nur aufgrund der höheren Geschwindigkeit hervorgerufen worden sind und bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht entstanden wären. So hat möglicherweise das Landgericht auf Seite 7 seines Urteils die Rechtsprechung des BGH verstanden. Gegen eine solche Auslegung spricht jedoch, dass sie kaum praktikabel ist, da es im konkreten Fall auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen dürfte, konkret festzustellen, welche Verletzungen bei Einhaltung welcher Geschwindigkeit tatsächlich entstanden wären. Zudem erscheint dieses Verständnis als unsystematisch. Dort, wo die Rechtsprechung aufgrund einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine (Mit-)Haftung annimmt, legt sie regelmäßig eine Haftungsquote vom Gesamtschaden fest und differenziert nicht danach, welche (Sach-)Schäden allein auf die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zurückzuführen sind. Der Einwand der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 7. November 2005, auch in anderen Fallkonstellationen, wie etwa bei sogenannten Kettenunfällen oder bei Vergrößerung eines Körperschadens durch einen ärztlichen Kunstfehler bestünden ähnlich Abgrenzungsschwierigkeiten, vermag aus Sicht des Senats nicht zu überzeugen. Die Beklagten erkennen selbst, dass in den genannten Fällen mehrere Verursacher dann, wenn abgrenzbare Schadensteile nicht bestehen, auf Ersatz des Gesamtschadens haften (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 64. Aufl., § 830 Rdnr. 1 m. w. N.). Die Abgrenzungsschwierigkeiten sollen also gerade nicht zu Lasten des Geschädigten gehen. Im Innenverhältnis der Verantwortlichen gilt im Regelfall die Vorschrift des § 426 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wonach Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander zu gleichen Teilen verpflichtet sind, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Abgrenzungsschwierigkeiten bezüglich unterschiedlicher Verursachungsbeiträge stellen sich also in derartigen Fällen nicht mit der gleichen Schärfe wie im vorliegenden Fall, wo es an einer dem § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB entsprechenden Regelung fehlt. Nach Auffassung des Senats erscheint es daher sachgerecht, dann, wenn feststeht, dass bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit die erlittenen Verletzungen deutlich geringer gewesen wären - auch in Fällen der örtlichen oder zeitlichen Unvermeidbarkeit -, letztlich eine Haftungsquote nach Prozentsätzen vom Gesamtschaden auszuurteilen. Ein konkreter Vortrag dazu, welche einzelnen Verletzungen bei Beachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht entstanden wären, erscheint daher entbehrlich.

c) Im vorliegenden Fall sieht es der Senat bereits aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung als erwiesen an, dass die vom Kläger bei dem streitgegenständlichen Unfall erlittenen Verletzungen deutlich geringer gewesen wären, wenn der Beklagte zu 1) vor dem Unfall die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h eingehalten hätte. Denn nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Rn hätte bei einer Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten zu 1) von 50 km/h die Kollisionsgeschwindigkeit nur noch etwa 26 km/h betragen, während sie tatsächlich bei 41,1 (41,08) km/h lag (Seite 17 des Ergänzungsgutachtens). Es liegt auf der Hand, dass eine Verringerung der Kollisionsgeschwindigkeit um ca. 37 % zu deutlich geringeren Verletzungen führt. Davon geht im Ergebnis auch der Sachverständige Prof. Dr. Rn auf Seite 19 seines Ergänzungsgutachtens aus. Jedenfalls spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Kläger bei einer Kollisionsgeschwindigkeit von nur etwa 26 km/h deutlich geringere Verletzungen erlitten hätte als bei der tatsächlichen Kollisionsgeschwindigkeit von ca. 41,1 km/h.

4. Unter Berücksichtigung des Mitverschuldens des Klägers, dessen Verhalten das Landgericht in dem angefochtenen Urteil zutreffend als grob fahrlässig angesehen hat, erscheint eine Haftung der Beklagten im Umfang von 25 % als angemessen. Da der Kläger dem Grunde nach eine Haftung der Beklagten für 30 % der bei dem streitgegenständlichen Unfall entstandenen materiellen Schäden begehrt, war die weitergehende Klage abzuweisen.

5. Die Kostenentscheidung war dem Schlussurteil vorzubehalten.

6. Die Revision wird zugelassen, weil die Einzelheiten der Haftung eines Fahrzeugführers, der bei überhöhter Geschwindigkeit in einen Verkehrsunfall verwickelt wird, den er auch bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht hätte vermeiden können, für Personenschäden, soweit ersichtlich, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher nicht abschließend geklärt sind, und zwar auch nicht durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 8. November 2003 - VI ZR 31/02 - VersR 2004, 392 = NJW 2004, 772).

Ende der Entscheidung

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