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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 06.12.2004
Aktenzeichen: 12 U 21/04
Rechtsgebiete: StVO, StVG, PflVG, BGB, ZPO


Vorschriften:

StVO § 5
StVG § 7 Abs. 1
StVO § 9 Abs. 1
StVO § 9 Abs. 1 Satz 1
StVG § 18
PflVG § 2
BGB § 1006
ZPO § 287
Kommt es in unmittelbarem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Linksabbiegen zu einer Kollision mit einem links überholenden Fahrzeug, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Linksabbiegers).Der Fahrtrichtungsanzeiger ist dann "rechtzeitig" i. S. d. § 9 Abs. 1Satz 1 StVO betätigt, wenn sich der Verkehr auf das Abbiegen einstellen kann: maßgeblich dafür ist weniger die Entfernung vom Abbiegepunkt als vielmehr die Zeit zwischen Anzeigebeginn und Abbiegen unter Berücksichtigung der Fahrgeschwindigkeit.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 21/04

verkündet am: 06.12.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2004 durch den Richter am Kammergericht Hinze als Einzelrichter für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird das am 16. Dezember 2003 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin - 24 O 252/1 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 907,46 EUR nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Januar 2000 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet.

1.Dem Grunde nach ist der Beklagte dem Kläger gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 StVG in Verbindung mit § 2 Pflichtversicherungsgesetz zum Ersatz aller Schäden verpflichtet, die ihm aufgrund des Verkehrsunfalls vom 30. September 2000 auf der in Berlin gelegenen Rominter Allee in Höhe Morellenweg entstanden sind.

a)Die Aktivlegitimation des Klägers folgt aus § 1006 BGB. Da der Kläger zum Unfallzeitpunkt unstreitig Fahrer des bei dem Unfall beschädigten Kleinkraftrades Kymco mit dem Kennzeichen nnnn war, und es mithin in seinem Besitz hatte, spricht die Vermutung dafür, dass er Eigentümer war (§ 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB). Diese Vermutung hat der Beklagte nicht widerlegt.

b) aa) Da sich der Unfall unstreitig im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Versuch der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs, der Zeugin Onnn-Gnnn ereignet hat, aus der Rominter Allee nach links in den Morellenweg einzubiegen, spricht gegen sie der Anschein, den Unfall dadurch verschuldet zu haben, dass sie die besonderen Sorgfaltspflicht nach § 9 Abs. 1 StVO nicht beachtet hat. Danach hatte sie nicht nur rechtzeitig den linken Fahrtrichtungsanzeiger zu setzen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 StVO), sondern sie musste sich rechtzeitig möglichst weit nach links zur Straßenmitte einordnen (§ 9 Abs. 1 Satz 2 StVO) und vor dem Einordnen einmal und vor dem Abbiegen noch einmal auf nachfolgenden Verkehr achten (§ 9 Abs. 1 Satz 4 StVO). Im Rahmen des § 9 Abs. 1 StVO spricht der Beweis des ersten Anscheins gegen den nach links abbiegenden Kraftfahrer. Kommt es zwischen ihm und einem überholenden Fahrzeug zum Unfall, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der nach links abbiegende Kraftfahrer die ihm nach § 9 Abs. 1 StVO obliegende Sorgfaltspflicht verletzt hat (Senat, VM 1993, 159; Urteil vom 13. Januar 1997 - 12 U 7147/95 -). Der Beklagte trägt selbst nicht vor, die Zeugin Onnn-Gnnnhabe ihre Absicht, nach links abzubiegen, rechtzeitig angekündigt. Rechtzeitig ist das Zeichen, wenn sich der Verkehr auf das Abbiegen einstellen kann. Dafür ist weniger die Entfernung zum Abbiegepunkt maßgebend, als vielmehr die Zeit zwischen Anzeigebeginn und Abbiegen unter Berücksichtigung der Fahrtgeschwindigkeit (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Auflage, § 9 StVO Rdnr. 20 m. w. N.). Bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 30 km/h reichen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes 5 sec. vor dem Abbiegen aus (BGH VRS 25, 264). Hier hat der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte nicht konkret vorgetragen, wie lange vor dem Abbiegevorgang die Zeugin Onnn-Gnnn den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hat. Die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs hat bei ihrer Vernehmung durch das Landgericht bekundet, sie habe "den linken Fahrtrichtungsanzeiger erst kurz, sehr kurz vor dem Unfall eingeschaltet". Darüber hinaus muss davon ausgegangen werden, dass die Zeugin Onnn-Gnnn ihrer Verpflichtung zur zweiten Rückschau nicht nachgekommen ist. Anderenfalls hätte sie das sich von hinten nähernde Kleinkraftrad des Klägers wahrnehmen müssen. Gerade wenn der Kläger, wie der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2004 geltend gemacht hat, vor Erreichen der Unfallstelle an mehreren hintereinander fahrenden Polizeifahrzeugen vorbeifahren musste, bevor er die Unfallstelle erreichte, muss er für die Zeugin Onnn-Gnnn entsprechend längere Zeit sichtbar gewesen sein.

bb)Demgegenüber lässt sich ein Mitverschulden des Klägers an dem Unfall nicht feststellen. Insbesondere lässt sich ein Mitverschulden des Klägers nicht damit begründen, dieser habe entgegen § 5 StVO trotz Bestehens einer unklaren Verkehrslage überholt. Wie bereits ausgeführt, hat der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte weder konkret vorgetragen, noch unter Beweis gestellt, dass die Zeugin Onnn-Gnnn ihre Absicht, nach links abzubiegen, so rechtzeitig angekündigt hätte, dass der Kläger sich hierauf hätte einrichten können. Die vom Landgericht in seinem Hinweis vom 21. Dezember 2001 zitierte Rechtsprechung, wonach den Überholer, der in einem Zug an einer Fahrzeugkolonne vorbeifährt, die überwiegende Mithaftung trifft, passt auf den vorliegenden Sachverhalt schon deshalb nicht, weil hier, anders als in der vom Landgericht zitierten Entscheidung, nicht festgestellt werden kann, dass die Zeugin Onnn-Gnnn sich rechtzeitig zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet und den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt hatte. Zudem kann hier nicht festgestellt werden, dass der Kläger, als er an den Polizeifahrzeugen links vorbeifuhr, zu diesem Zweck die Gegenfahrbahn benutzt hätte. Derartiges wird schon vom Beklagten nicht substantiiert behauptet. Die Zeugin Bnnn , die sich als einzige zu dieser Frage geäußert hat, hat bekundet, sie wisse nicht, ob der Kläger "noch auf unserer Fahrbahn oder bereits auf der Gegenfahrbahn" gefahren sei. Unter diesen Umständen hat die nicht erhöhte Betriebsgefahr des klägerischen Kleinkraftrades hinter dem festgestellten Verschulden der Fahrerin des Polizeifahrzeuges Onnn-Gnnn zurückzutreten. Dies führt im Ergebnis zur vollen Haftung des Beklagten.

c)Der dem Kläger vom Beklagten zu ersetzende Schaden beträgt nach dem Ergebnis der vor dem Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Hnn vom 1. Dezember 2003 907,46 EUR brutto.

aa)Soweit das Landgericht in dem angefochtenen Urteil ausgeführt hat, das Kraftrad des Klägers habe Schäden am Reifen, der Felge sowie der Gabelbrücke ausgewiesen, welche durch den streitgegenständlichen Unfall nicht erklärt werden könnten; da der Kläger keine näheren Angaben dazu gemacht habe, wie es zu diesen Schäden gekommen sei, sei die Klage insgesamt unschlüssig, kann dem nicht gefolgt werden. Den vom Landgericht zitierten Entscheidungen des OLG Köln (VersR 1999, 865) und des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg (r + s 2001, 455 f.) lag ein anderer Sachverhalt zugrunde, als er hier zu beurteilen ist. In den dortigen Fällen - in denen die Beklagtenseite jeweils geltend gemacht hätte, es läge ein sogenannter manipulierter Unfall vor - stand fest, dass das beschädigte Fahrzeug Schäden aufwies, die nicht auf das streitgegenständliche Schadensereignis zurückgeführt werden konnten. Einen derartigen Sachverhalt hat das Landgericht gerade nicht festgestellt. Vielmehr hat der Sachverständigen Hnn- an dessen Fachkunde auch das Landgericht keinen Zweifel hatte - auf Seite 7 seines Gutachtens vom 4. Juli 2002 wörtlich ausgeführt:

"Da aufgrund des Schadensbildes davon auszugehen ist, dass der Anstoß mit dem Vorderrad des Fahrzeugs erfolgte, ist eine visuelle nicht erkennbare Beschädigung der Gabelbrücke, beider Gabelholme und des Vorderrades nicht auszuschließen. Diese Teile sind daher aus Sicherheitsgründen zu erneuern."

Auf Seite 13 seines Gutachtens vom 1. Oktober 2003 hat er demgegenüber ausgeführt:

"Da ein Anstoß des Vorderrades des Kleinkraftrades gegen den VW Caddy ausweislich der Schäden an diesem nicht stattgefunden hat ... ist eine Beschädigung des Vorderrades, der Gabelbrücke und beider Gabelholme infolge des Unfallgeschehens vom 30.09.2000 nicht nachzuvollziehen."

Es sind also gerade keine unfallunabhängigen Schäden am Kleinkraftrad des Klägers festgestellt worden, die den Schluss zulassen könnten, es habe ein weiteres Schadensereignis stattgefunden, bei dem auch die vom Sachverständigen Hnn in seinem Gutachten als durch den Unfall erklärbaren Schäden am Kleinkraftrad des Klägers verursacht worden sein könnten. Auch im Übrigen sind keine Anhaltspunkte vorgetragen worden oder sonst ersichtlich, die den Schluss auf ein weiteres Schadensereignis zulassen würden.

bb)Die durch den Unfall erklärbaren Schäden betragen nach den Ausführungen des Sachverständigen Hnn , denen das Gericht folgt, 907,46 EUR. Auch die in diesem Betrag enthaltenen Schäden an der linken Fahrzeugseite des Kleinkraftrades sind vom Beklagten zu ersetzen. Der Sachverständige Hnn hat hierzu auf Seite 8 seines Gutachtens überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, infolge eines Sturzes bzw. eines Umkippens des klägerischen Kleinkraftrades auf die linke Seite ließen sich die Beschädigungen der Tourenscheibe, des linken Außenspiegels, des linken Lenkerendes, des linken Bremshebels sowie des linken Seitenständers erklären. Die Angabe des Klägers, wonach der linke Außenspiegel abgebrochen gewesen sei, sei ebenfalls nachzuvollziehen. Zwar trifft es zu, dass der Kläger in erster Instanz schriftsätzlich nicht vorgetragen und unter Beweis gestellt hatte, dass das Kleinkraftrad nach dem Zusammenstoß mit dem Polizeifahrzeug des Beklagten auf die linke Seite gekippt war. Ob ein solcher Vortrag zur Substantiierung des geltend gemachten Schadens erforderlich gewesen wäre, kann indessen dahinstehen. Denn der Kläger hat sich den Inhalt des Gutachtens, soweit es ihm günstig ist, jedenfalls durch schlüssiges Verhalten zu eigen gemacht. Unter Berücksichtigung der Beweiserleichterungen des § 287 ZPO sieht das Gericht auf der Grundlage des vom Landgericht eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Hnn vom 1. Oktober 2003 den dort als durch den Unfall erklärbar ausgewiesenen Schaden von 907,46 EUR als bewiesen an.

Weitergehende Schadensersatzansprüche stehen dem Kläger demgegenüber nicht zu, weil er auch unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung des § 287 ZPO nicht hat nachweisen können, dass es zu einer Berührung zwischen dem Vorderrad seines Kleinkraftrades und dem Polizeifahrzeug des Beklagten gekommen ist, die nach dem Gutachtens des Sachverständigen Hnn vom 4. Juli 2002 einen Austausch der Gabelbrücke, beider Gabelholme und des Vorderrades rechtfertigen würde, obwohl diese Teile keine sichtbaren Schäden aufwiesen.

d)Die vom Beklagten hilfsweise erklärte Aufrechnung mit Gegenansprüchen greift nicht durch. Wie unter 1. b) ausgeführt, trifft den Beklagten selbst die volle Haftung für alle bei dem streitgegenständlichen Unfall entstandenen Schäden. Mithin hat er auch die Schäden an seinem Einsatzfahrzeug selbst zu tragen.

2.Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).

3.Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO in Verbindung mit § 26 Nr. 8 EGZPO.

Ende der Entscheidung

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