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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 31.07.2008
Aktenzeichen: 12 U 234/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, StVG


Vorschriften:

ZPO § 286
BGB § 254
StVG § 9
Der Kraftfahrer muss nicht damit rechnen, dass ein Fußgänger, der bei für ihn rotem Ampellicht den vom Kfz befahrenen Fahrstreifen betreten hatte, dann aber auf die benachbarte Busspur zurückgetreten war, dann wieder nach vorn vor das herannahende Fahrzeug läuft.

In einem solchen Fall tritt die einfache Betriebsgefahr des Kfz gegenüber dem Alleinverschulden des Fußgängers zurück (§ 9 StVG, § 254 BGB).


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 12 U 234/07

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß, die Richterin am Kammergericht Zillmann und den Richter am Kammergericht Spiegel am 31. Juli 2008 beschlossen:

Tenor:

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 ZPO zurückzuweisen.

2. Der Berufungskläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.

Gründe:

Die gegenüber beiden Beklagten rechtzeitig eingelegte Berufung (vgl. OLG Hamm, OLGR 2000, 312) hat keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat folgt den im Wesentlichen zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet worden sind. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

I.

Nach § 513 Absatz 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.

1.

a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.

Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (vgl. Senat, Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 -; vgl. auch KG [22. ZS], KGR 2004, 38 = MDR 2004, 533; Senat, Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 - KGR 2004, 269).

§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung feststellen (Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 286 Rdnr. 13).

Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 286 Rdnr. 3, 5).

b) An diese Regeln der freien Beweiswürdigung hat das Landgericht sich im angefochtenen Urteil gehalten.

Es hat auf den Seiten 4f des Urteils ausführlich, in sich schlüssig und widerspruchsfrei dargelegt, dass und warum der Kläger den ihm obliegenden Beweis aus Sicht des Landgerichts nicht geführt hat. Das Landgericht hat insbesondere ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, warum es den Zeugen ... und ... gefolgt ist und nicht der Zeugin ... . Es hat insbesondere auch ausführlich, in sich schlüssig und widerspruchsfrei dargelegt, warum es die letztgenannte Zeugin nicht für glaubwürdig gehalten hat.

Allein daraus, dass der Kläger selbst das Beweisergebnis anders wertet, folgt kein Rechtsfehler des Landgerichts.

c) Der Senat folgt der Beweiswürdigung auch in der Sache. Auf die Frage, wann der Zeuge ... den beteiligten PKW gesehen hat, kommt es maßgeblich nicht an. Entscheidend ist, dass dieser Zeuge gesehen hat, dass der Kläger die Straße bei für ihn rotem Ampellicht überquert hat.

2.

Entgegen der Ansicht des Klägers hat das Landgericht eine Mithaft der Beklagten zu Recht verneint.

a) Ein Mitverschulden ist dem Beklagten zu 1) nicht vorzuwerfen. Er musste insbesondere nicht damit rechnen dass der Kläger bei rotem Ampellicht die vom Beklagten zu1) befahrene Fahrspur erneut betritt, nachdem er die mittlere Fahrspur verlassen und in die Busspur zurückgetreten war. Die vom Kläger genannte Entscheidung des Senats vom 5. November 1981 - 12 U 2035/81 - (VM 82, 36) ist nicht einschlägig, da jener Fall einen Fußgänger betraf, der beim Versuch, eine dreistreifige Richtungsfahrbahn vom Mittelstreifen aus zu überschreiten, auf dem mittleren Fahrstreifen stehen blieb. In einem solchen Fall muss ein auf dem inneren Fahrstreifen herankommender Kraftfahrer, der zuvor ein auf dem mittleren Fahrstreifen fahrendes Fahrzeug überholt hatte, damit rechnen, dass der Fußgänger umkehren und zum Mittelstreifen zurücklaufen werde. Vorliegend war der Vorgang des "Zurücklaufens" in die Busspur bereits abgeschlossen, mit einem erneuten Betreten der Fahrbahn trotz roter Ampel musste der Beklagte zu 1) deshalb nicht rechnen.

Dass der Beklagte zu 1) noch in der Lage gewesen wäre, unfallverhütende Maßnahmen einzuleiten, nachdem der Kläger begann, erneut in die vom Beklagten zu 1) befahrene Fahrbahn zu laufen, ist dem klägerischen Vortrag nicht zu entnehmen.

b) Zu Recht geht das Landgericht davon aus, dass die einfache Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs gegenüber dem Alleinverschulden des Klägers bei der gemäß § 9 StVG, § 254 Absatz 1 BGB vorzunehmenden Abwägung nicht ins Gewicht fällt.

II.

Im Übrigen hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich.

III.

Es wird daher angeregt, die Fortführung der Berufung zu überdenken.

IV.

Es ist beabsichtigt, den Streitwert für den zweiten Rechtszug wie folgt festzusetzen:

Antrag zu 1) (188,82 € + 20.000,00 € =) 20.188,82 €

Antrag zu 2) betrifft einen Nebenforderung

Antrag zu 3) 1.800,00 €

Summe: 21.988,82 €

Ende der Entscheidung

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