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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 17.07.2008
Aktenzeichen: 12 U 240/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 513 Abs. 1
ZPO § 529
ZPO § 546
1. Spricht eine ungewöhnliche Häufung von Indizien dafür, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Geschehen mit erheblicher Wahrscheinlichkeit um eine Unfallmanipulation in Form eines provozierten Unfalls handelt, ist die Klage abzuweisen.

2. Die Klage ist ebenfalls abzuweisen, wenn sich nicht feststellen lässt, welche Fahrzeugschäden durch das streitgegenständliche Ereignis verursacht worden sind.


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 12 U 240/07

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß, die Richterin am Kammergericht Zillmann und den Richter am Kammergericht Spiegel am 17. Juli 2008 beschlossen:

Tenor:

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 ZPO zurückzuweisen.

2. Der Berufungskläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.

Gründe:

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat folgt den im Wesentlichen zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet worden sind. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

A.

Nach § 513 Absatz 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht die Klage in der angefochtenen Entscheidung abgewiesen.

I. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme eines sogenannten provozierten Unfalls hat das Landgericht auf den Seiten 3 bis 5 der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen zutreffend dargestellt. Ergänzend ist nur darauf hinzuweisen, dass ein Anscheinsbeweis für das Vorliegen einer Unfallmanipulation nicht in Betracht kommt.

II. In Anwendung dieser Grundsätze ist das Landgericht zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass eine ungewöhnliche Häufung von Indizien den Schluss zulässt, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Geschehen mit erheblicher Wahrscheinlichkeit um einen provozierten Unfall handelt. Diese erhebliche Wahrscheinlichkeit reicht aus, um die Klage abzuweisen.

1) Die Darstellung des Unfallgeschehens auf Seite 2 der Klageschrift ist außerordentlich knapp gehalten und kann kaum noch als schlüssig bezeichnet werden. Sie enthält keine näheren Einzelheiten zum konkreten Unfallablauf. Es wird nicht einmal vorgetragen, dass sich am Unfallort eine Lichtzeichenanlage befindet. Die Unfallzeit wird nicht mitgeteilt. Auch findet sich kein Vortrag zum Verhalten der beiden am Unfall beteiligten Fahrer. Es wird zum Beispiel nicht vorgetragen, mit welcher Geschwindigkeit der Kläger gefahren ist, welches Licht die für ihn maßgebliche Ampel abstrahlte und ob er vor dem Unfall noch gebremst hat oder solches zumindest versucht hat. Es wird gleichfalls nicht vorgetragen, ob die Beklagte zu 1) ihren Abbiegevorgang in einem Zug durchführte oder ob sie zunächst im Kreuzungsbereich anhielt. Obwohl das Landgericht dem Kläger mit Verfügung vom 15. Juni 2007 aufgegeben hat, den Unfall näher zu substantiieren, hält der Kläger es nicht für erforderlich, seinen dürftigen Sachvortrag zum Unfallgeschehen schriftsätzlich zu ergänzen. Er verweigert eine solche Unfallschilderung vielmehr ausdrücklich.

Aus Sicht des Senats wäre es sachgerecht gewesen, wenn das Landgericht die Klage nach Eingang des Schriftsatzes vom 13. Juli 2007 ohne Anhörung der Parteien und ohne weitere Hinweise an den Kläger als unsubstantiiert abgewiesen hätte.

Das oben geschilderte Verhalten des Klägers ist typisch für das Vorliegen bestellter, gestellter, fingierter oder provozierter Unfälle. Durch eine möglichst substanzlose schriftsätzlich Darstellung des Geschehens kann man zum einen flexibel auf den gegnerischen Vortrag reagieren, zum anderen verringert ein solch vager Vortrag das Risiko, dass sich im Rahmen einer Beweisaufnahme die Unmöglichkeit der vorgetragenen Unfallschilderung ergibt.

Auffällig ist auch, dass ein dem Kläger vorliegender, von der Beklagten zu 1) unterzeichneter "Unfallbericht" der Klage nicht beigefügt, in einem später Schriftsatz lediglich erwähnt und erst aufgrund einer Auflage des Landgerichts zur Akte gereicht wird.

Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die einzigen konkreten Angaben in der Klageschrift zum Unfallgeschehen, nämlich die Darstellung der Fahrrichtungen der beiden beteiligten Fahrzeuge, grob falsch ist.

Selbst im zweiten Rechtszug kommt der Kläger seiner Pflicht zur vollständigen und der Wahrheit gemäßen Erklärung über die tatsächlichen Umstände des Unfalls nicht nach. Er beschränkt seinen Vortrag vielmehr auf den Satz "Am 03.05.2006 ist es dann zu dem hier gegenständlichen Unfall gekommen, bezüglich der Einzelheiten verweist der Kläger auf seinen erstinstanzlichen Vortrag". Angesichts der Kürze des schriftsätzlichen Vortrags in erster Instanz und der Widersprüche, die die persönliche Anhörung des Klägers ergeben hat, ist diese Bezugnahme bemerkenswert.

2) Vom Gericht nach dem Zeitpunkt des Unfallgeschehens befragt, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 27. April 2007 vorgetragen: "Nach dem hier vorliegenden Verkehrsunfallbericht hat sich der Unfall um 15:22 Uhr ereignet." Auffällig hieran ist neben der unrichtigen Zeitangabe die Bezugnahme auf einen Unfallbericht, der dem Schriftsatz allerdings nicht beigefügt wird. Der Kläger, der an dem streitgegenständlichen Geschehen selbst beteiligt war, ist gemäß § 138 Absatz 1 ZPO verpflichtet, seine Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. Statt seine eigene Wahrnehmung hinsichtlich der Unfallzeit vorzutragen verweist er auf einen "Verkehrs-unfallbericht", ohne dem Gericht mitzuteilen, um was für ein Schriftstück es sich handelt und von wem es unterzeichnet worden ist.

Das sich auch aus diesem Verhalten ergebende Bestreben des Klägers, den Sachverhalt möglichst wenig konkret darzustellen, ist wie oben dargestellt, ein typisches Indiz für das Vorliegen bestellter, gestellter, fingierter oder provozierter Unfälle.

Die Versuche des Klägers, diese unrichtige Zeitangabe mit dem Unvermögen seines Prozessbevollmächtigten zu erklären, die undeutliche Schreibweise auf dem "Verkehrsunfallbericht" richtig zu interpretieren, vermag den Senat nicht zu überzeugen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat nämlich mit Schriftsatz vom 7. August 2007 ausdrücklich vorgetragen, der ihm vorliegenden Kopie des Unfallberichtes sei "eindeutig zu entnehmen, dass der Unfall sich ... gegen 15:22 Uhr ... ereignet hat."

3) Mit zutreffender Begründung führt das Landgericht aus, dass die vom Kläger persönlich angegebene Ausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h nicht zutreffend sein kann, der Kläger muss erheblich langsamer gefahren sein. Die Angriffe des Klägers gegen die Sachkenntnis des Landgerichts greifen nicht durch. Das Landgericht hat die Fahrer der beiden Unfallfahrzeuge ausführlich befragt und beide den Unfall skizzieren lassen. Auch der erkennende Senat ist aufgrund seiner jahrelangen Erfahrung mit Verkehrsunfallsachen davon überzeugt, dass sich die vom Kläger persönlich gegeben Unfallschilderung weder mit der Endstellung der Fahrzeuge noch mit den geringen Schäden an dem von der Beklagten zu 1) gefahrenen Fahrzeug in Einklang bringen lassen.

Die geringen Schäden an dem von der Beklagten zu 2) gefahrenen Opel Corsa ergeben sich zum einen aus der geringen Schadenshöhe, zum anderen aus der Aussage der Beklagten zu 2), das Auto sei nach dem Unfall fahrfähig gewesen, lediglich der beschädigte Blinker vorne rechts habe sie an der Weiterfahrt gehindert. Warum der Kläger meint, diese Aussage sei nicht verwertbar, erschließt sich dem Senat nicht.

4) Zutreffend hat das Landgericht zu Lasten des Klägers berücksichtigt, dass dieser gegenüber dem Sachverständigen ... mehrere Vorschäden verschwiegen hat.

a) Es handelt sich um den auf einem Unfall beruhenden, nicht vollständig und nicht fachgerecht beseitigten Vorschaden im Frontbereich. Dass dem Kläger dieser nicht vollständig und nicht fachgerecht beseitigte Vorschaden bekannt war, ergibt sich bereits aus dem von ihm selbst eingereichten Kaufvertrag vom 27. Februar 2005, insbesondere aus der in diesen Vertrag aufgenommene Aussage, nach einem Unfall seien nicht alle Teile vollständig ausgetauscht worden. Auf die Frage, ob der Kläger bei der Nachbesichtigung am 26. April 2005 insoweit weitere Informationen erhalten hat, kommt es deshalb nicht an.

Obwohl es auch aus Sicht des Klägers zumindest zweifelhaft sein musste, ob sämtliche in dem Gutachten des Sachverständigen ... aufgeführten Schäden auf dem streitgegenständlichen Unfall beruhen, hat der Kläger dies in seinem Schreiben an die Beklagte zu 2) vom 29. Mai 2006 als völlig sicher ("definitiv") dargestellt.

Dass es sich entgegen der Darstellung des Klägers um einen ganz erheblichen Vorschaden gehandelt hat, ergibt sich aus der von den Beklagten eingereichten Anlage B3.

b) Des weiteren hat der Kläger den Unfallschaden vom 1. April 2005 an der Tür hinten links gegenüber dem Sachverständigen ... nicht offenbart. Dieser Schaden ist deshalb in dessen Gutachten nur als "Tür hinten links zeigt Eindellung" vermerkt. Tatsächlich handelt es sich aber um einen durch eine Anhängerkupplung verursachten Unfallschaden, dessen kalkulierte und von der Allianz regulierten Reparaturkosten bei gut 1.000 € netto lagen und den der Kläger nur teilweise beseitigt hat.

c) Einen weiteren Vorschaden hatte das Fahrzeug an der Tür hinten rechts, wie sich aus der Anlage B4, Seite 6 ergibt. In seiner Anhörung vor dem Landgericht hat der Kläger sowohl diesen Schaden als auch seine Kenntnis von dem Schaden zunächst bestätigt und angegeben, er habe den Schaden nach dem Unfall nicht reparieren lassen. Später hat er dann ausgesagt, er habe den Schaden an der Tür hinten links gemeint.

d) Jedenfalls gegenüber dem Sachverständigen ... hat der Kläger hinsichtlich dieser drei Vorschäden nicht alle ihm bekannten Informationen offengelegt.

Erstaunlich ist auch, dass der Kläger in seinem Schriftsatz vom 21. Februar 2007 bestreitet, dass das klägerische Fahrzeug am 7. Februar 2005 einen Unfall erlitten hat, obwohl ihm aus den Angaben im Kaufvertrag bekannt war, dass das Fahrzeug einen Unfall erlitten hatte. Erstaunlich ist auch, dass der Kläger in diesem Schriftsatz behauptet, Unfallschäden seien - so sie vorliegen - fachgerecht repariert worden. Zum einen widerspricht diese Aussage wiederum den Angaben im Kaufvertrag, zum anderen kann der Kläger gar nicht wissen, ob die Vorbesitzer des Fahrzeugs eventuelle Vorschäden tatsächlich fachgerecht repariert haben.

5) Zutreffend geht das Landgericht auch davon aus, dass es sich bei dem Fahrzeug des Klägers, einem erstmals am 10. März 1998 zugelassenen BMW 523i mit einer Fahrleistung von 172.989 km um ein typisches Opferfahrzeug handelt. Hinzu kommt, dass das Fahrzeug bereits am 7. Februar 2005 in einen provozierten Unfall mit Vorschadenüberdeckung verwickelt war. Es ist typisch für das Vorliegen bestellter, gestellter, fingierter oder provozierter Unfälle, dass Opferfahrzeuge mehrfach "verwendet" werden.

Zutreffend hat das Landgericht aus den Angaben des Klägers darauf geschlossen, dass dieser "in wenig erfreulichen wirtschaftlichen Verhältnissen lebt". Der Kläger ist dem in seiner Berufungsbegründung nicht substantiiert entgegengetreten. Zu Recht hat das Landgericht die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers auch als Indiz gewertet, welches für die Annahme spricht, das es sich vorliegend um einen provozierten Unfall handelt.

6) Dass der Kläger - wie er behauptet - bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist und er auch in zivilrechtlicher Hinsicht in der Vergangenheit mit solchen Dingen nichts zu tun hatte, führt zu keiner anderen Sicht der Dinge (vgl. Senat, VersR 2003, 1552 = KGR 2004, 4; Senat, r+s 1996, 377, 378). Dem mit derartigen Fällen befassten Spezialsenat sind sog. Schädiger und Geschädigte bekannt, die sich in der Gesellschaft allgemein hohen Ansehens erfreuen und dennoch der Verlockung unterliegen, unberechtigte Schadensersatzforderungen durch manipulierte Unfälle zu stellen.

7) Auf die Ausführungen des Landgerichts zum Unfallbericht kommt es streitentscheidend nicht an.

8) Letztendlich kann aber dahinstehen, ob der Kläger den streitgegenständlichen Unfall provoziert hat. Die Klage muss schon deshalb in vollem Umfang abgewiesen werden, weil sich nicht ermitteln lässt, welche Schäden an dem Fahrzeug des Klägers tatsächlich auf dem streitgegenständlichen Unfall beruhen. Wie sich aus den Anlagen B3 und B4 ergibt, weist das Fahrzeug des Klägers aufgrund des Unfalles vom 7. Februar 2005 vorne links ganz erhebliche Vorschäden auf. Wie sich aus der Anlage B4 ergibt, war das Fahrzeug im Schadensbereich vorne links auch am 7. Februar 2005 bereits erheblich vorgeschädigt. Der Senat vermag dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen, welche Schäden ihm tatsächlich am 3. Mai 2006 durch den streitgegenständlichen Unfall entstanden sind. Das Gutachten des Sachverständigen ... vom 3. Mai 2006 ist insoweit jedenfalls ohne Wert, da diesem Sachverständigen die doppelte Vorschädigung durch zwei Unfälle im Schadensbereich nicht bekannt war.

Da sich der dem Kläger bei dem streitgegenständlichen Unfall tatsächlich entstandene Schaden aus den Angaben des Sachverständigen ... auch unter Berücksichtigung der Anlagen B3 und B4 nicht "herausrechnen" lässt, war die Klage schon wegen der nicht ausreichenden Darlegung der Schadenshöhe in vollem Umfang abzuweisen.

B.

Im Übrigen hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich.

C.

Es wird daher angeregt, die Fortführung der Berufung zu überdenken.

Ende der Entscheidung

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