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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 26.11.2007
Aktenzeichen: 12 U 27/07
Rechtsgebiete: StVO, StVG, BGB, PflVG


Vorschriften:

StVO § 9 Abs. 5
StVO § 10
StVG § 7
StVG § 17
BGB § 823
PflVG § 3
Kollidiert ein Kfz, welches nach links in eine Grundstückseinfahrt abbiegen will, bei diesem Vorgang mit einem anderen Kfz, das neben der Einfahrt vom Fahrbahnrand anfährt, kommt eine Haftungsteilung im Verhältnis 50:50 in Betracht.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 27/07

verkündet am: 26. November 2007

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin auf die mündliche Verhandlung 5. November 2007 durch die Richterin am Kammergericht Z als Einzelrichterin für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin und der Drittwiderbeklagten, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird das am 19. Dezember 2006 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 24 O 228/06 - in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 2. Januar 2007 abgeändert:

Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin 458,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. November 2005 sowie weitere 43,65 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. März 2006, die Beklagte zu 2. darüber hinaus seit dem 15. März 2006, zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Auf die Widerklage werden die Klägerin und die Drittwiderbeklagten gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Beklagten 4.225,53 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Mai 2006 zu zahlen. Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:

Von den Kosten der ersten Instanz haben die Klägerin und die Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner 45 %, die Klägerin darüber hinaus weitere 5 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 50 % zu tragen.

Von den Kosten der Berufung haben die Klägerin und die Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner 66 %, die Klägerin darüber hinaus weitere 6 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 28 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Auf die Berufung der Klägerin und der Drittwiderbeklagten war das angegriffene Urteil wie aus dem Tenor ersichtlich abzuändern, im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

1. Klage

Das Landgericht hat die Klage zu Unrecht in vollem Umfang abgewiesen, was die Berufung zu Recht rügt.

Die Klägerin kann von den Beklagten als Gesamtschuldner nach den §§ 7, 17 StVG, 823 BGB i. V. m. § 10 StVO und § 3 PflVG die Hälfte des ihr auf Grund des Verkehrsunfalls vom 5. September 2005 in der Augsburger Straße in Berlin-Charlottenburg entstandenen Schadens verlangen.

a. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs, der Drittwiderbeklagte zu 1., bei seinem Fahrmanöver des Abbiegens nach links in eine Grundstückseinfahrt die gemäß § 9 Abs. 5 StVO geforderte besondere Sorgfaltspflicht zu beachten hatte und demgemäß sicherstellen musste, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war.

Nicht gefolgt werden kann dem Landgericht allerdings, wenn dieses davon ausgeht, dass für den Beklagten zu 1. die besondere Sorgfaltspflicht des § 10 StVO nicht galt. Hiernach hat der vom Fahrbahnrand Anfahrende sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Der Beklagte zu 1. war nach dem unstreitigen Vorbringen der Parteien sowie ausweislich der Aussage des Zeugen S zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes gerade erst angefahren. Der Zeuge Schwarz führte hierzu aus, dass der Beklagte zu 1. nach seiner Auffassung vielleicht 1 1/2 Meter gefahren sei, als es zum Unfall kam.

Damit befand sich der Beklagte zu 1. noch im Vorgang des Anfahrens, da dieser nach der einhelligen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte so lange andauert, wie sich der Anfahrende noch nicht vollständig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat und sich noch im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Anfahrtort befindet, woran auch das Zurücklegen von 10 bis 15 m nichts ändert (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 11. März 2004 - 12 U 285/02 - KGR 2004, 282).

Der Vorgang des Anfahrens vom Fahrbahnrand endet nicht schon mit dem Verlassen der Parkposition, sondern erst, wenn sich der Anfahrende so weit von der parkenden Stelle entfernt und sich in seinem Fahrverhalten dem Verkehrsfluss angepasst hat, dass die Tatsache des Anfahrens unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr für den weiteren Ablauf ursächlich sein kann (vgl. Senat, Urteil vom 11. Mai 1989 - 12 U 3044/88 - ).

b. Damit steht der gesteigerten Sorgfaltspflicht des links Abbiegenden gemäß § 9 Abs. 5 StVO die ebenfalls gesteigerte Sorgfaltspflicht des Anfahrenden gegenüber, die gemäß § 17 StVG gegeneinander abzuwägen sind.

Dies führt dazu, dass die Klägerin lediglich 50 % ihres Schadens ersetzt verlangen kann. Für eine Haftungsbeteiligung in Höhe von lediglich 1/3 für die Klägerin spricht vorliegend nichts. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Verkehrsunfall durch eine gleich schwer wiegende Pflichtverletzung des Drittwiderbeklagten zu 1. und des Beklagten zu 1. verursacht worden ist. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil auf Grund des Schadensbildes an den beiden Fahrzeugen davon auszugehen ist, dass beide Beteiligten etwa zur gleichen Zeit losgefahren sind, da sie sich jeweils im vorderen Bereich trafen und der Beklagte zu 1. nicht etwa in die Seite des Fahrzeugs der Klägerin fuhr, was gegebenenfalls für einer erhöhte Haftung des Beklagten zu 1. sprechen könnte.

Zu Recht hat das Landgericht ausgeführt, dass der Drittwiderbeklagte zu 1. auf Grund seiner Kenntnis der Verhältnisse vor der Einfahrt damit hätte rechnen müssen, dass er in den Fahrstreifen eines anfahrenden Taxis gerät, da nach den ihm bekannten Üblichkeiten vor der Hoteleinfahrt jederzeit mit an- und abfahrenden Taxen - insbesondere von dem Taxenstand - zu rechnen war.

Soweit die Berufung dagegen anführt, der Drittwiderbeklagte zu 1. habe nicht damit rechnen müssen, dass stehende Fahrzeuge anfahren wollen, mag dies im Allgemeinen zutreffen. Hinsichtlich der von der Berufung in Bezug genommenen Entscheidung des OLG Hamm vom 6. November 1969, die in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren erging - 3 Ws OWi 564/69 - VRS 39, 233, ist zu bemerken, dass auch dort für die Frage der Beobachtungspflicht von öffentlichen Verkehrsmitteln wie Omnibus oder Straßenbahn die Möglichkeit einer anderen Beurteilung offen gelassen wurde.

Für den vorliegenden Fall des Anfahrens eines Taxis von einem Taxenstand der sich unmittelbar vor der Garageneinfahrt eines Hotels befindet, in welche der Linksabbieger einfahren will, ist jedenfalls eine gesteigerte Sorgfaltspflicht im Hinblick auf anfahrende Taxen zu bejahen.

c. Hinsichtlich der Schadenshöhe ist eine Kürzung lediglich in Höhe von 5,- EUR erforderlich, da nach der Rechtsprechung des Kammergerichts eine Nebenkostenpauschale in Höhe von 20,- EUR angemessen ist (Senat, Urteil vom 4. Dezember 2006 - 12 U 206/05 - NZV 2007, 409).

Im Übrigen hat die Klägerin durch Vorlage der Rechnung der Smart Vertriebs GmbH die Standkosten, sowie durch Vorlage des Kaufvertrages und des neuen Fahrzeugscheines die Anschaffung eines neuen Fahrzeugs innerhalb von zwei Wochen nach dem Unfall und damit die weitere Nutzungsabsicht nachgewiesen. Ob die Klägerin dieses neue Fahrzeug ihrem Sohn, dem Drittwiderbeklagten zu 1., zur Verfügung gestellt hat, ist unerheblich, da es hier um den weiteren Nutzungswillen der Klägerin als Anspruchsberechtigter geht und dieser durch den Neuerwerb ausreichend dokumentiert ist.

Dass Ummeldekosten tatsächlich entstanden sind, ergibt sich ebenfalls bereits aus der Vorlage des neuen Fahrzeugscheines, wobei gegen die Geltendmachung einer Pauschale in Höhe von 40,- EUR keine Bedenken bestehen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 20. Februar 2006 - 1 U 137/05 -, NZV 2006, 415, Pauschale von 75,- EUR angemessen).

Die Zinsentscheidung beruht auf den §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

2. Widerklage

Die Beklagten können von der Klägerin und den Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner nach den §§ 7, 17, 18 StVG, 823 BGB i. V. m. § 9 Abs. 5 StVO und § 3 PflVG die Hälfte des ihnen auf Grund des Verkehrsunfalls vom 5. September 2005 in der Augsburger Straße in Berlin-Charlottenburg entstandenen Schadens verlangen.

a. Wie bereits ausgeführt hatte der Drittwiderbeklagte zu 1. nach der Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO auch gegenüber dem vom Fahrbahnrand Anfahrenden eine gesteigerte Sorgfaltspflicht (Senat, Urteil vom 11. Mai 1989 - 12 U 3044/88 -).

Zu den durch § 9 Abs. 5 StVO geschützten Verkehrsteilnehmern gehört auch der vom Fahrbahnrand Anfahrende, weshalb nicht davon auszugehen ist, dass der fließende Verkehr, unabhängig von der Frage, in welchem Fahrmanöver sich dieser gerade befindet, grundsätzlich Vorrang vor dem Anfahrenden genießt (anders noch Senat, Urteil vom 1. Dezember 1983 - 12 U 4206/83 - VerkMitt 1984, 48).

Auch wenn der Beklagte zu 1. sich noch nicht in den fließenden Verkehr eingeordnet hatte, begann seine Teilnahme am Verkehr mit dem Verlassen seiner Parkposition, weshalb die gesteigerte Sorgfaltspflicht gemäß § 9 Abs. 5 StVO auch ihm gegenüber zu beachten war (vgl. OLG München, Urteil vom 21. Januar 2005 - 10 U 5291/04 - DAR 2005, 287).

b. Entgegen der Beurteilung des Landgerichts hatte der Beklagte zu 1., wie bereits ausgeführt, seinerseits eine gesteigerte Sorgfaltspflicht gegenüber dem Drittwiderbeklagten zu 1., da er als vom Fahrbahnrand Anfahrender den gesamten fließenden Verkehr, zu dem auch der Drittwiderbeklagte zu 1. gehörte, beobachten und diesem gegebenenfalls den Vorrang hätte lassen müssen. Die Tatsache, dass er als Wartender in einem Taxenstand insbesondere die Geschehnisse vor dem Hoteleingang beobachtete und für andere Verkehrsteilnehmer, zumal wenn sie wie der Drittwiderbeklagte zu 1. mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut waren, ersichtlich sein musste, dass jederzeit mit dem Anfahren einer Taxe zu rechnen war, entbindet den Beklagten nicht von seiner eigenen gesteigerten Sorgfaltspflicht.

Die Abwägung der jeweiligen Verschuldensanteile führt, wie bereits oben ausgeführt, zu einer hälftigen Haftungsteilung.

c. Die geltend gemachten Schadenspositionen sind erstinstanzlich nicht bestritten und werden von der Berufung auch nicht angegriffen.

d. Die Zinsentscheidung beruht auf den §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

3. Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 543 ZPO).

Ende der Entscheidung

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