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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 06.12.2004
Aktenzeichen: 12 U 28/04
Rechtsgebiete: VVG, StVG, PflVG, BGB, StVO


Vorschriften:

VVG § 67
VVG § 67 Abs. 1
StVG § 7 Abs. 1
StVG § 7 Abs. 2 Satz 1
StVG § 17 Abs. 1
StVG § 18 Abs. 1
PflVG § 2
BGB § 407
BGB § 412
StVO § 9 Abs. 5
Ist das Bestehen einer Vollkasko-Versicherung unstreitig und macht der Beklagte geltend, die Ansprüche des Klägers wegen Beschädigung seines Pkw seien nach § 67 VVG auf den Vollkasko-Versicherer übergegangen, so trifft den Beklagten dafür die Beweislast. Steht in jeder Fahrtrichtung einer Straße jeweils ein Fahrstreifen zur Verfügung, muss der nach links abbiegende Fahrer eines Kfz mit Anhänger nicht damit rechnen, dass ein nachfolgender Verkehrsteilnehmer versuchen wird, am Gespann rechts vorbeizufahren bevor er seinen Abbiegevorgang beendet hat. Ohne hinreichende besondere Unfallspuren kann ein Sachverständiger nicht feststellen, ob der Linksabbieger rückwärts gegen das Kfz des Unfallgegners gerollt ist oder der Unfallgegner vorwärts fahrend den Linksabbieger von hinten angestoßen hat. Ist weder das eine noch das andere auszuschließen, kommt eine hälftige Schadensteilung in Betracht.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 28/04

verkündet am : 6. Dezember 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2004 durch den Richter am Kammergericht Hinze als Einzelrichter für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird das am 4. November 2003 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin - 24 O 299/03 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte zu 1 wird verurteilt, an den Kläger 532,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19. Juli 2003 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu 1 21 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten des Klägers sowie 42 % seiner eigenen außergerichtlichen Kosten zu tragen. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat nur teilweise Erfolg.

1. Bezüglich des Beklagten zu 2 hat es bei der vollständigen Klageabweisung zu verbleiben, nachdem der Kläger sein - grundsätzlich beachtliches - Bestreiten des Vorbringens der Beklagten, wonach sich der Beklagte zu 2 zum Unfallzeitpunkt auf einer Dienstfahrt befunden habe, ausdrücklich aufgegeben hat.

2. Nicht gefolgt werden kann dem Landgericht, soweit es Schadensersatzansprüche des Klägers auch gegen den Beklagten zu 1 als unbegründet angesehen hat. Der Beklagte zu 1 haftet dem Kläger gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG i.V.m. § 2 Pflichtversicherungsgesetz auf Ersatz von 50 % derjenigen Schäden, die dem Kläger aus dem Verkehrsunfall vom 19. November 2002 entstanden sind.

a) Entgegen der Ansicht des Landgerichts hat der Kläger seine Aktivlegitimation hinreichend dargelegt. Unstreitig ist der Kläger zum Unfallzeitpunkt Eigentümer des bei dem Unfall beschädigten Pkw Audi A6 mit dem amtlichen Kennzeichen nnnnn gewesen. Daraus ergibt sich grundsätzlich seine Aktivlegitimation hinsichtlich der aus der Beschädigung dieses Fahrzeugs entstandenen Schadensersatzansprüche. Der Kläger hat auch dargelegt, dass er die unstreitig bestehende Vollkasko-Versicherung für sein Fahrzeug nicht in Anspruch genommen hat. Wenn die Beklagten geltend machen wollen, Schadensersatzansprüche des Klägers aus dem Verkehrsunfall vom 19. November 2002 seien gemäß § 67 VVG auf das Unternehmen übergegangen, bei dem der Kläger die Vollkasko-Versicherung abgeschlossen hat, so ist es grundsätzlich an ihnen, die Voraussetzungen für einen derartigen Forderungsübergang zu beweisen (vgl. BGH NJW 1956, 912 f. für Forderungsabtretung). Ohnehin käme ein Forderungsübergang nach § 67 Abs. 1 VVG nur hinsichtlich solcher Schadenspositionen in Betracht, die vom Versicherer auch tatsächlich ersetzt worden sind, also nicht für Schadenspositionen wie Nutzungsausfallentschädigung und die Nebenkostenpauschale, da diese von einer Vollkasko-Versicherung üblicherweise nicht umfasst sind. Soweit die Beklagten ihren gegenteiligen Standpunkt damit begründen, der Schädiger sei der Gefahr ausgesetzt, zweimal zahlen zu müssen, wenn der Geschädigte nicht nachweist, dass er seine Vollkasko-Versicherung nicht in Anspruch genommen hat, verkennen sie, dass den Belangen des Schuldnerschutzes durch die Vorschriften der §§ 412, 407 BGB in ausreichender Weise Rechnung getragen wird. Danach kann der Schuldner Zahlungen bis zum Zeitpunkt der Kenntnis vom Forderungsübergang mit befreiender Wirkung an den bisherigen Gläubiger - in Fällen der vorliegenden Art also an den geschädigten Kfz-Eigentümer - erbringen, wobei nur sichere Kenntnis von der Leistung der Kaskoversicherung schadet (Himmelreich/Hahn/Bücken, Kfz-Schadensregulierung Rn. 346). Ob dem Geschädigten in derartigen Fällen eine sekundäre Darlegungslast dahingehend trifft, vorzutragen, ob er eine bestehende Vollkasko-Versicherung in Anspruch genommen und vom Versicherer Zahlungen erhalten hat, kann dahinstehen, da der Kläger einer solchen Darlegungslast jedenfalls in ausreichendem Maße nachgekommen wäre.

b) Der Unfall stellt sich für keine der Parteien als unabwendbares Ereignis i. S. d. § 7 Abs. 2 Satz 1 StVG dar, weil keine der Parteien mangels einer entsprechenden Beweisführung für sich in Anspruch nehmen kann, dass sich der Kläger bzw. der Beklagte zu 2 auf ein etwaiges Fehlverhalten des jeweils anderen eingestellt hätten.

aa) Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, es sei deshalb zum Unfall gekommen, weil das Gespann des Beklagten zu 1 in dem Zeitpunkt, als er, der Kläger, mit seinem Fahrzeug am Ende des Gespanns vorbeigefahren sei, zurückgerollt sei. Allerdings kann dem Landgericht nicht darin gefolgt werden, wenn es meint, der diesbezügliche Vortrag des Klägers sei nicht schlüssig, weil der Kläger nicht vorgetragen habe, warum das Gespann des Beklagten zu 1 zurückgerollt sei und wie der Kläger dies habe wahrnehmen können. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Klageanspruchs schlüssig und damit erheblich, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person des Klägers entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nur dann erforderlich, wenn diese für die Rechtsfolgen von Bedeutung sind (BGH NJW 1991, 2707, 2709; NJW-RR 1996, 1402; NJW RR 1998, 1409; NJW RR 1999, 361, ständige Rechtsprechung). Würde der Vortrag des Klägers zutreffen, wonach das Gespann des Beklagten zu 1 zum Unfallzeitpunkt zurückgerollt ist, so würde der Beweis des ersten Anscheins dafür sprechen, dass der Beklagte zu 2 die nach § 9 Abs. 5 StVO beim Rückwärtsfahren erforderliche besondere Sorgfalt nicht beachtet hat. Dies könnte - mangels eines festgestellten Mitverschuldens des Klägers - die volle Haftung des Beklagten zu 1 für die bei dem Unfall entstandenen Schäden am Fahrzeug des Klägers führen. Die Fragen, warum das Gespann des Beklagten zu 1 - nach der Darstellung des Klägers - zurückgerollt sein soll und wie der Kläger dazu in der Lage gewesen sein soll, dies festzustellen, ist für die in Anspruch genommene Rechtsfolge ohne Bedeutung und gehört daher nicht zu einem schlüssigen Vortrag. Der Kläger hat seine Sachverhaltsdarstellung jedoch nicht in ausreichender Weise und Beweis gestellt. Er hat sich insoweit lediglich auf das Gutachten eines Sachverständigen für Unfallrekonstruktion berufen. Dem Gericht, das geschäftsplanmäßig mit der Bearbeitung von Verkehrsunfallsachen betraut ist, ist aus einer Vielzahl von Sachverständigengutachten bekannt, dass ein Sachverständiger mangels besonderer Unfallspuren anhand der an den Fahrzeugen entstandenen Schäden grundsätzlich nur den Kollisionswinkel und den relativen Geschwindigkeitsunterschied der beteiligten Fahrzeuge ermitteln kann. Dem gegenüber kann ein Sachverständiger ohne besondere Anhaltspunkte nicht feststellen, ob ein am Unfall beteiligtes Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt rückwärts gegen den Unfallgegner gerollt ist oder ob umgekehrt das andere Fahrzeug vorwärts fahrend gegen den Unfallgegner gestoßen ist. Da der Kläger im vorliegenden Fall keine besonderen Umstände dargetan hat, aufgrund derer ausnahmsweise weitergehende Feststellungen durch einen Sachverständigen möglich wären, ist der Beweisantritt des Klägers nicht geeignet, die Richtigkeit seiner Sachverhaltsdarstellung zu beweisen. Hierauf hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung hingewiesen.

bb) Andererseits haben die Beklagten ihren Vortrag auf Seite 3 des Schriftsatzes vom 2. September 2003, wonach es zum Unfall gekommen sei, weil der Kläger sich im Abstand zum Anhänger verschätzt und früh nach links gelenkt habe oder ein Ausschwenken des Anhängers beim Abbiegen nicht berücksichtigt habe, nicht unter Beweis gestellt. Der Beweisantritt auf Seite 1 des genannten Schriftsatzes bezieht sich nur auf den von den Beklagten behaupteten Anlass der Fahrt des Beklagten zu 2. Im Übrigen hat der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2004 dargestellt, dass die Beklagten in dem genannten Schriftsatz lediglich Vermutungen bezüglich der Ursachen des Unfalls geäußert hätten.

cc) Soweit das Landgericht in dem angefochtenen Urteil meint, der Kläger hätte sich auf ein etwaiges Ausschwenken des Anhängers nach rechts - auf das sich der Kläger mit Schriftsatz vom 26. November 2004 ausdrücklich berufen hat - einstellen müssen, kann dem nicht gefolgt werden. Es ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, dass der Kläger, etwa durch ein entsprechendes Hinweisschild am Hänger - hätte erkennen müssen, dass der Anhänger beim Abbiegen nach links nach rechts ausschwenken würde. Vielmehr hätte der Beklagte zu 2 dann, wenn der Hänger beim Linksabbiegen nach rechts ausschwenken sollte, dies berücksichtigen und dafür Sorge tragen müssen, dass andere Verkehrsteilnehmer durch das Ausschwenken nicht behindert oder gefährdet würden (vgl. OLG Stuttgart, DAR 1974, 163; Senat, Urteil vom 19. April 2004 - 12 U 325/02 -). Andererseits kommt - insoweit abweichend von dem Urteil des Kammergerichts vom 19. April 2004 - im vorliegenden Fall eine volle Haftung des Beklagten zu 1 deshalb nicht in Betracht, weil nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Beklagten an der Unfallstelle - wie im Übrigen auch gerichtsbekannt ist - nur ein Fahrstreifen pro Fahrtrichtung zur Verfügung steht, zumal die Fahrbahn durch an beiden Seiten abgestellte Kraftfahrzeug eingeengt wird. Dass der Beklagte zu 2 bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass der Kläger - unter Ausnutzung der Fahrbahnverbreiterung im Kreuzungsbereich der Rubensstraße mit der Trägerstraße - versuchen würde, seine Fahrt an dem Gespann vorbei fortzusetzen, bevor der Beklagte zu 2 den Abbiegevorgang beendet hatte, kann zwar nicht ausgeschlossen werden, andererseits aber auch nicht sicher festgestellt werden.

dd) Da ein Verschulden des Klägers oder des Beklagten zu 2 an dem streitgegenständlichen Unfall nicht festgestellt werden kann, führt die nach § 17 Abs. 1 StVG erforderliche Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr zur hälftigen Schadensteilung.

c) Der Schaden des Klägers umfasst die durch das vorgelegte Gutachten belegten Reparaturkosten in Höhe von 1.045,01 DM brutto sowie die Nebenkostenpauschale in Höhe von 20 EUR. Ohne Erfolg wenden sich die Beklagten gegen die Verpflichtung zur Erstattung der anteiligen Mehrwertsteuer auf die Reparaturkosten, weil der Kläger seinen Beruf nicht dargetan habe. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 21. Juli 2003 unwidersprochen vorgetragen, Rentner zu sein. Mithin ist er nicht vorsteuerabzugsberechtigt. Ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung besteht dem gegenüber nicht. Der Kläger hat auf das entsprechende Bestreiten der Beklagten hin weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt, dass er sein Fahrzeug hat reparieren lassen und ihm dadurch ein entsprechender Nutzungsausfallschaden entstanden wäre.

Mithin errechnet sich der dem Kläger entstandene Schaden wie folgt:

Reparaturkosten brutto 1.045,01 EUR Nebenkostenpauschale 20,00 EUR insgesamt 1.065,01 EUR.

Hiervon hat der Beklagte zu 1 dem Kläger 50 %, mithin 532,50 EUR zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).

4. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

Ende der Entscheidung

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