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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 14.03.2005
Aktenzeichen: 12 U 46/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 276
ZPO § 310 Abs. 3
ZPO § 331 Abs. 3
ZPO § 339 Abs. 1
ZPO § 341 Abs. 1 Satz 2
ZPO § 418
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 2
Die Beweiskraft der Zustellungsurkunde nach § 418 ZPO erstreckt sich nicht darauf, dass unter der gegebenen Zustellungsanschrift eine Wohnung des Adressaten existiert.

Die bloße Indizwirkung der Zustellungsurkunde, dass der Adressat unter der Zustellanschrift auch tatsächlich wohnhaft ist, kann durch eine plausible und schlüssige Darstellung der tatsächlichen Wohnverhältnisse durch den Adressaten erschüttert und entkräftet werden.


Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 46/04

verkündet am: 14. März 2005

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. März 2005 durch die Richterin am Kammergericht Zillmann als Einzelrichterin für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12. Januar 2004 verkündete Urteil der Zivilkammer 34 - 34 O 82/03 - und das zugrunde liegende Verfahren (§ 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO) aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht, welches auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat, zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die am 8. März 2004 eingelegte und mit einem am 6. April 2004 eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung der Beklagten richtet sich gegen das am 6. Februar 2004 zugestellte Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Januar 2004 auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird.

Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Klägerin u.a. vor:

Sie sei seit dem 1. Januar 2003 unter der Anschrift Jnn straße 6in nnnPnnnordnungsgemäß gemeldet gewesen. Die entsprechenden Meldebescheinigungen seien dem Gericht, welches hierüber sogar eine amtliche Auskunft eingeholt habe, vorgelegt worden. Die Auskunft habe ebenfalls ergeben, dass die Beklagte von ihrer früheren Anschrift in nnnOnnnnn , Bnn weg 33/35 am 1. Januar 2003 nach Pnnnabgemeldet worden sei.

Weder die Klageschrift mit der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens, noch das Versäumnisteilurteil vom 30. Juni 2003 seien ihr ordnungsgemäß zugestellt worden. Tatsächlich seien ihr beide Schriftstücke nicht einmal zugegangen.

Entgegen der Annahme des Landgerichts sei ihr Einspruch vom 25. August 2003 gegen das Versäumnisteilurteil vom 30. Juni 2003 bereits deshalb nicht verspätet und damit unzulässig gewesen, weil mangels ordnungsgemäßer Zustellung des im schriftlichen Vorverfahren ergangenen Urteils die Einspruchsfrist nicht zu laufen begann.

Die Beklagte beantragt,

auf die Berufung der Beklagten zu 1) gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Januar 2004, zugestellt am 6. Februar 2004, wird das Urteil aufgehoben.

hilfsweise,

den Rechtsstreit gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und führt aus, dass das Landgericht zutreffend davon ausgegangen sei, dass die Zustellung durch die bei den Akten befindliche Postzustellungsurkunde bewiesen sei. Die Beklagte habe nicht beweisen können, dass sie unter der Zustellanschrift nicht mehr wohnhaft gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens beider Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht

1.

Das Landgericht hat den Einspruch der Beklagten zu 1) gegen das Versäumnisteilurteil vom 30. Juni 2004 zu Unrecht gemäß § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen.

Der Einspruch der Beklagten zu 1) vom 25. August 2003 gegen das Versäumnisteilurteil vom 30. Juni 2003 war nicht nach Ablauf der Einspruchsfrist des § 339 Abs. 1 ZPO bei Gericht eingegangen. Diese begann mangels wirksamer Zustellung des im schriftlichen Vorverfahren gemäß den §§ 276, 331 Abs. 3 ZPO erlassenen Versäumnisteilurteils an die Beklagte zu 1) bisher überhaupt nicht zu laufen.

Voraussetzung des Beginns der Einspruchsfrist ist die Verkündung des Versäumnisurteils, die gemäß § 310 Abs. 3 ZPO bei im schriftlichen Vorverfahren erlassenen Versäumnisurteilen durch (wirksame) Zustellung an die Parteien erfolgt (Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl., § 339, RN 4).

a)

Die Zustellung des Versäumnisteilurteils erfolgte ausweislich der bei den Akten befindlichen Zustellungsurkunde, Bl. 57, am 8. Juli 2003 durch Übergabe an Frau CnnBnnnnals einem erwachsenen Familienangehörigen unter der Anschrift Bnnweg 33 in nnnOnnnnn .

Das Landgericht hat das Vorbringen der Beklagten zu 1), dass sie zum Zeitpunkt der Zustellung unter der genannten Anschrift nicht wohnhaft war, fehlerhaft nicht berücksichtigt. Zwar ist es zunächst richtig davon ausgegangen, dass auf die Zustellungsurkunde § 418 ZPO anwendbar ist und die Urkunde damit vollen Beweis für die in ihr enthaltenen Angaben erbringt. Hierzu gehört jedoch nicht die Tatsache, dass der Zustellungsempfänger unter der Zustelladresse tatsächlich wohnhaft ist (vgl. OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 9. Oktober 2000, FamRZ 2001, 1013; hierzu auch BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1991, NJW 1992, 224). Hierbei handelt es sich um eine regelmäßig vom Postzusteller nicht nachprüfbare Tatsache. Soweit das Landgericht davon ausgegangen ist, dass wegen § 418 ZPO allein der durch die Beklagte zu 1) zu führende Gegenbeweis die Beweiskraft der Urkunde zu erschüttern geeignet wäre und allein damit die fehlerhafte bzw. nicht erfolgte Zustellung nachgewiesen werden könne, ist dies unrichtig.

Die in der Postzustellungsurkunde niedergelegte Erklärung des Zustellers stellt vielmehr lediglich ein, wenn auch starkes, Indiz dafür dar, dass der Adressat unter der Zustellanschrift auch tatsächlich wohnhaft ist. Diese Indizwirkung kann jedoch durch eine plausible und schlüssige Darstellung der tatsächlichen Wohnverhältnisse erschüttert werden. Dies ist vorliegend der Fall.

Die Beklagte zu 1) hat vorgetragen, unter der Anschrift Bnnweg 33/35 in nnnOnnnnnn lediglich eine Meldeanschrift unterhalten zu haben, und dies auch nur bis zum 1. Januar 2003. Zu diesem Zeitpunkt habe sie sich in ihrer jetzigen Wohnung, in der sie seither auch ausschließlich wohnhaft ist, angemeldet. Diese Vorbringen wird einerseits durch die von der Beklagten zu 1) vorgelegten Anmeldebestätigung vom 23. Januar 2003 des Oberbürgermeister Pnnnfür ihre Wohnung in der Jnnstraße 6 in nnnPnnn , sowie durch die seitens des Landgerichts eingeholten Meldeauskünfte des Bürgermeisters der Stadt Onnnnnvom 18. November 2003 und des Bürgermeisters Pnnn vom 25. November 2003 bestätigt. In der Anmeldung in der neuen Wohnanschrift Pnnnund damit verbunden der Abmeldung von der Anschrift in Onnnnnliegt ein starkes Indiz einerseits dafür, dass die Beklagte zu 1) ihre alte Wohnung aufgegeben hat, andererseits dafür, dass sie seit der Anmeldung unter der neuen Anschrift wohnhaft ist (vgl. hierzu auch OLG Koblenz, Urteil vom 20. Oktober 2003, 12 U 1023/02).

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte zu 1) daneben auch unter der alten Anschrift in Onnnnnweiterhin nach außen den Anschein erweckte, dort tatsächlich eine Wohnung zu haben, wonach sie eine dort erfolgte Zustellung gegebenenfalls trotz der erfolgten Ummeldung gegen sich gelten lassen müsste (hierzu Senat, Beschluss vom 10. August 2004 - 12 W 121/04 - ). Allein die Tatsache der erfolgten Zustellung selbst kann vorliegend bereits deshalb nicht ausreichend sein einen derartigen durch die Beklagte zu 1) gesetzten Anschein anzunehmen, weil die Zustellungsurkunde vom 8. Juli 2003 insoweit ersichtlich unrichtig ist, als sie die das zuzustellende Schriftstück entgegennehmende CnnBnnnn , die der Beklagten zu 1) nach ihrem unwidersprochenen Vorbringen völlig unbekannt ist, als Familienangehörige ausweist. Schließlich ist festzustellen, dass eine Zustellung am 9. September 2003 unter eben der Anschrift in Onnnnn , die durch die nunmehr beauftragte PIN AG und nicht, wie die Zustellungen zuvor, durch die Deutsche Post AG ausgeführt wurde, nicht erfolgreich war, weil der Zusteller die Beklagte zu 1) unter der Anschrift nicht ermitteln konnte.

Damit hat die Beklagte zu 1) die Indizwirkung der Zustellungsurkunde entkräftet, so dass eine wirksame Zustellung nicht festgestellt werden kann.

Soweit die Klägerin sich in ihrem Schriftsatz vom 24. Oktober 2003, Bl. 87ff, darauf berufen hat, dass der Beklagten zu 1) am 12. März 2003 unter der Anschrift in Onnnnnebenfalls ein Schriftstück zugestellt werden konnte, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Es handelt sich ausweislich der eingereichten Anlagen um eine Zustellungsurkunde der Deutschen Post AG, wonach das zuzustellende Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt worden sei. Dies stellt keine ausreichende Indizwirkung dafür dar, dass die Beklagte entgegen ihren Angaben und entgegen den An- und Abmeldebestätigungen doch unter der Anschrift wohnhaft war bzw. dort jedenfalls nach außen diesen Rechtsschein gesetzt hatte.

Soweit die Klägerin nunmehr vorträgt, die Beklagte zu 1) habe im Termin vor dem Landgericht versehentlich ein Schriftstück vorgelegt, aus welchem sich ergab, dass sie unter der Anschrift in Onnnnnwohnhaft war, ist dieses Vorbringen einerseits völlig vage, da nicht einmal dargelegt ist, um was für ein Schriftstück es sich gehandelt haben soll und wird zudem durch die Beklagte zu 1) bestritten. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass, wenn es einen solchen Vorfall im Termin gegeben hätte, der Einzelrichter diesen in das Protokoll aufgenommen hätte, da er ihn sodann im Urteil hätte verwenden können. Dies ist nicht der Fall, so dass dieses Vorbringen der Klägerin nichts an der Beurteilung ändert, dass die Indizwirkung der Zustellungsurkunde aus den genannten Gründen nicht ausreichend ist.

Auf die Frage der Hausnummern kommt es bereits deshalb nicht an, weil sich sowohl aus der von der Beklagten zu 1) vorgelegten Anmeldebestätigung, als auch aus ihrem Vorbringen im Termin vom 12. Januar 2004 ergibt, dass die Hausnummer richtig 33/35 lautete.

b)

Da, wie ausgeführt, eine wirksame Zustellung des Versäumnisteilurteils vom 30. Juni 2003 nicht festgestellt werden kann, ist das im schriftlichen Vorverfahren erlassene Versäumnisurteil bisher nicht verkündet. Das Landgericht wird zudem zu prüfen haben, ob gleiches auch für das am 22. Juli 2003 im schriftlichen Vorverfahren erlassene Versäumnisschlussurteil gilt, welches die Beklagte zu 1) in der Kostenentscheidung betrifft.

c)

Die Sache war gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 2 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen, da es dem Senat nicht möglich ist, in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. auch Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 538 Rn 34). Dies gilt bereits deshalb, weil ein Versäumnisurteil gegen die Beklagte zu 1), welches gegebenenfalls aufrecht zu erhalten wäre, wie oben ausgeführt, noch gar nicht verkündet worden ist.

2.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Landgericht vorbehalten (vgl. Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 538 RN 57, 58).

3.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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