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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 18.10.1999
Aktenzeichen: 12 U 6654/98
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 513 Abs. 2
ZPO § 331
ZPO § 335 Nr. 2
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 546 Abs. 2
Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil, durch das der Einspruch gegen ein aufgrund mündlicher Verhandlung ergangenes Versäumnisurteil verworfen wird, kann nicht auf die fehlende Schlüssigkeit der Klage gestützt werden.
Kammergericht

Urteil

18.10.1999

12 U 6654/98 28 O 97/98 LG Berlin

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Hartig, den Richter am Kammergericht Grieß und den Richter am Kammergericht Philipp auf die mündliche Verhandlung vom 18. Oktober 1999 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 31. Juli 1998 verkündete zweite Versäumnisurteil der Zivilkammer 28 des Landgerichts Berlin wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung des Klägers wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Der Wert der Beschwer übersteigt 60.000,00 DM nicht.

Gründe

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Vergütung in Höhe von 37.094,98 DM brutto für die Reinigung einer Gaststätte in Berlin für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1996 in Anspruch; wegen der Berechnung und Begründung im einzelnen wird auf den Inhalt des Schriftsatzes des Klägers vom 28. Januar 1998 (Bl. 8 ff.) verwiesen. Der Kläger stützt sich für seine Forderung auf den Vertrag der Parteien vom 18. September 1995 (Bl. 14-16 d.A.) sowie einen besonderen Reinigungsauftrag vom 12. August 1996 über eine Grundreinigung nach einem Brand in der Gaststätte vor deren Wiedereröffnung.

Nachdem der Kläger einen Mahnbescheid erwirkt und nach Widerspruch der Beklagten die Klage begründet hatte, hat das Landgericht durch Verfügung vom 20. Mai 1998 die Durchführung des schriftlichen Vorverfahrens angeordnet. Nachdem die Beklagte nach Zustellung der Klagebegründung am 3. April 1998 ihre Verteidigungsabsicht nicht angezeigt hatte, hat das Landgericht antragsgemäß am 29. April 1998 ein Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren erlassen, das der Beklagten am 7. Mai 1998 zugestellt worden ist.

Auf den am 19. Mai 1998 eingegangenen Einspruch der Beklagten beraumte das Landgericht Verhandlungstermin zum Einspruch und zur Hauptsache auf den 31. Juli 1998 an und übertrug den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter.

Trotz ordnungsgemäßer Ladung (Bl. 55) ist für die Beklagte, für die zwischenzeitlich ein Anwalt erwidert hatte, niemand im Verhandlungstermin erschienen; antragsgemäß hat das Landgericht den Einspruch der Beklagten durch zweites Versäumnisurteil verworfen.

Gegen dieses ihr am 5 August 1998 zugestellte zweite Versäumnisurteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 31. August 1998 eingelegten Berufung, die sie - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 30. Oktober 1998 - am 30. Oktober 1998 begründet hat.

Sie macht geltend, bei Erlass des zweiten Versäumnisurteils am 31. Juli 1998 habe ein Fall der Säumnis nicht vorgelegen, da die Klage nicht schlüssig gewesen sei.

Sie ist unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BGH, NJW 1991, 43, der Auffassung, die angeblich fehlende Schlüssigkeit der Klage könne auch im Klageverfahren als fehlende Säumnis im Sinne des § 513 Abs. 2 ZPO gerügt werden, obgleich insbesondere das BAG eine andere Auffassung vertreten würde.

In der Sache selbst verweist sie auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und macht geltend, der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag sei nach dem Recht des Werkvertrages, nicht des Dienstvertrages zu beurteilen. Daher sei § 615 BGB nicht anwendbar. Da ihre Gaststätte in der Zeit zwischen dem Brand im Februar 1996 bis zur Wiedereröffnung am 14. August 1996 geschlossen gewesen sei und sie mit Schreiben vom 15. November 1996 jedenfalls wirksam zum 30. November 1996 den Vertrag mit dem Kläger über die Reinigung der Gaststätte gekündigt hätte, könnte lediglich ein Vergütungsanspruch für die Grundreinigung vom 14. August 1996 sowie für die Monate Januar, September, Oktober, November sowie den halben August 1996 streitig sein.

Der Kläger habe jedoch nicht vorgetragen, dass - nach Wiedereröffnung des Lokals am 14. August 1996 und Eintritt eines vertraglosen Zustandes ab 25. September 1996 - ein weiterer Vertrag geschlossen worden sei. Daher könne allenfalls Vergütung für Januar 1996 in Höhe von 2.900,00 DM netto und für die Grundreinigung am 13. August 1996 in Höhe von 2.695,00 DM netto verlangt werden; diese Forderung sei jedoch durch ihre unstreitige à-Konto-Zahlung in Höhe von 6.024,27 DM erloschen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung der Versäumnisurteile des Landgerichts Berlin vom 31. Juli 1998 und des 29. April 1998 die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Versäumnisurteil vom 31. Juli 1998 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landgericht Berlin zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das Rechtsmittel für unstatthaft, da am 31. Juli 1998 ein Fall der Säumnis gegeben gewesen sei, die die Beklagte auch nicht entschuldigt habe. Er vertritt nach wie vor die Auffassung, die Klage sei im ersten Rechtszuge schlüssig gewesen, da der Vertrag der Parteien als Dienstvertrag zu qualifizieren sei. Außerdem treffe es nicht zu, dass nach seinem Schreiben vom 25. September 1996 ein vertragloser Zustand eingetreten sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg, weil sie unzulässig ist.

Da die Verwerfung der Berufung bereits auf deren Unzulässigkeit - und nicht auf der Säumnis des Beklagten und Berufungsklägers - beruht, ist durch "unechtes Versäumnisurteil" zu entscheiden (vgl. Baumbach/Albers, ZPO, 56. Aufl., § 542 Rn 2).

1. Nach § 513 Abs. 2 ZPO kann die Berufung gegen ein Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist (zweites Versäumnisurteil nach § 345 ZPO, durch das der Einspruch gegen ein erstes Versäumnisurteil verworfen wird), nur darauf gestützt werden, dass ein Fall der Versäumung nicht vorgelegen habe. Diesen Voraussetzungen genügt die Berufung der Beklagten nicht.

a) Das Rechtsmittel der Beklagten ist zwar form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

b) Die Berufung ist aber nicht darauf gestützt, dass ein Fall der Versäumung im Sinne des § 513 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorgelegen habe.

aa) Säumig ist derjenige, der trotz ordnungsgemäßer Ladung im Termin nicht erscheint oder nicht verhandelt, §§ 331, 335 Nr. 2 ZPO. Die Beklagte war zum Termin am 31. Juli 1998 ordnungsgemäß geladen; sie ist jedoch nicht erschienen und hat ihr Nichterscheinen auch nicht entschuldigt; demnach ist sie säumig gewesen.

bb) Die Beklagte kann ihre Berufung auch nicht darauf stützen, ein Fall der Versäumung habe deshalb nicht vorgelegen, weil das erste Versäumnisurteil vom 29. April 1998, durch welches das Landgericht der Klage stattgegeben hat, wegen fehlender Schlüssigkeit nicht hätte ergehen dürfen. Denn die Schlüssigkeit des Klagevorbringens gehört nicht zu den Voraussetzungen der Säumnis.

Der Begriff der Säumnis setzt voraus, dass eine Partei in einem ordnungsgemäß angeordneten Termin zur notwendigen mündlichen Verhandlung nach Aufruf der Sache nicht erscheint oder nicht verhandelt und kein Grund zur Vertagung von Amts wegen besteht (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl. 1999, Vorbemerkung zu § 330 Rdn. 1-5; § 519 Rdn. 4; Zöller/Herget, ZPO, 21. Aufl. 1999, Vorbemerkung § 330 Rdn. 2-7). Dass die Schlüssigkeit der Klage nicht zu den Voraussetzungen der Säumnis gehört, sondern auch im Falle einer unschlüssigen Klage Säumnis vorliegt, zeigt insbesondere § 331 Abs. 2 ZPO; nach dieser Vorschrift ergeht auf Grund eines unschlüssigen Klagevorbringens bei Säumnis ein sogenanntes unechtes - klageabweisendes - Versäumnisurteil (vgl. Zöller/Herget, a.a.O., § 331 Rdn. 15).

cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten kann sie ihre Berufung auch nicht mit Hilfe einer weiten oder erweiterten Auslegung des § 513 Abs. 2 Satz 1 ZPO darauf stützen, ein Fall der Säumnis habe deshalb nicht vorgelegen, weil das zweite Versäumnisurteil am 31. Juli 1998, durch das ihr Einspruch gegen das erste Versäumnisurteil verworfen worden ist, wegen fehlender Schlüssigkeit nicht hätte ergehen dürfen.

Die Beklagte kann sich insbesondere für ihre Auffassung nicht auf die Entscheidung des BGH vom 25. Oktober 1990 (Z 112, 367 = NJW 1991, 43) berufen. Dort - wie auch schon im Urteil vom 7. Dezember 1978, BGHZ 73, 87 = NJW 1979, 658 - hat der BGH ausgeführt, die Berufung gegen ein nach Erlass eines Vollstreckungsbescheides ergangenes zweites Versäumnisurteil könne darauf gestützt werden, dass die Klage im Zeitpunkt der Verhandlung über den Einspruch unschlüssig gewesen sei. Der BGH begründet dies nämlich im Wesentlichen damit, dass das Gesetz bei vorhergegangenem Vollstreckungsbescheid die Prüfungspflicht des Gerichts erweitert hat (vgl. § 700 Abs. 6 ZPO; alt: § 700 Abs. 3 Satz 3 ZPO). Wörtlich heißt es (NJW 1991, 45): "Weil das Gesetz bei vorausgegangenem Vollstreckungsbescheid die Prüfungspflicht erweitert hat, verliert die Beschränkung der Berufung auf die Überprüfung von Nichterscheinen und Nichtverhandeln die innere Berechtigung".

Der Grund der erweiterten Prüfungspflicht liegt darin, dass das Mahnverfahren - im Gegensatz zum Erlass eines ersten Versäumnisurteiles nach Klagebegründung - eine Schlüssigkeitsprüfung durch einen Richter nicht vorsieht. § 700 Abs. 6 ZPO regelt aber über das Erfordernis der Schlüssigkeitsprüfung bei der Entscheidung über den Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid hinaus nicht, dass entgegen § 513 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil auf die fehlende Schlüssigkeit einer Klage gestützt werden kann (so BAG NZA 1994, 1102, 1103).

dd) Auch aus den Entscheidungen des BGH (a.a.O.) folgt nicht, dass auch bei einem zweiten Versäumnisurteil, mit dem der Einspruch gegen ein erstes Versäumnisurteil im Klageverfahren verworfen worden ist, in gleicher Weise die Berufung ohne die Einschränkung des § 513 Abs. 2 Satz 1 ZPO möglich ist; denn die Entscheidungen stellen ausdrücklich auf die Besonderheiten des Verfahrens betreffend den Erlass von Mahn- und Vollstreckungsbescheid ab. So verneint der BGH (NJW 1991, 43) auch ausdrücklich eine Divergenz zu der Entscheidung des BAG vom 30. Januar 1975 (AP Nr. 6 zu § 513 ZPO), weil Gegenstand der Entscheidung des BAG nicht die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil nach vorausgegangenem Mahnverfahren war, sondern die Frage, ob die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil darauf gestützt werden konnte, dass ein Fall der Versäumung bei Erlass des ersten Versäumnisurteils nicht vorgelegen habe.

ee) So hat der BGH auch in seinem Urteil vom 22. April 1999 (NJW 1999, 2120, 2122) wie auch schon in seinem Urteil vom 16. April 1986 (Z 97, 341, 349 = NJW 1986, 2113, 2115) die Frage ausdrücklich offen gelassen, ob im normalen Klageverfahren vor Erlass des zweiten Versäumnisurteils die Schlüssigkeit der Klage erneut zu prüfen ist und die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil auch darauf gestützt werden darf, das Versäumnisurteil habe mangels Schlüssigkeit der Klage nicht ergehen dürfen.

ff) Das BAG (NZA 1994, 1102 = JZ 1995, 523) und nunmehr auch der BGH (MDR 1999, 1017) haben dagegen ausdrücklich entschieden, dass die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil nach § 513 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht auf die fehlende Schlüssigkeit der Klage in erster Instanz gestützt werden kann (so auch OLG Hamm NJW 1991, 1067 = VersR 1991, 1193; Baumbach/Albers, ZPO, 57. Aufl., § 513 Rdn. 6; MüKo-Rimmelspacher, ZPO, 513 Rdn. 18).

Dieser Auffassung folgt der Senat; denn entgegen der abweichenden Auffassung in Teilen der Literatur (vgl. Vollkommer JZ 1991, 828; Braun JZ 1995, 525; Zöller/Gummer, a.a.O., § 513 Rdn. 6 b) ist die vom BGH in NJW 1991, 43, für den Fall der Anfechtung eines zweiten Versäumnisurteils nach vorhergegangenem Mahnbescheid vorgenommene erweiternde Auslegung des § 513 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht auf den Fall des zweiten Versäumnisurteils nach Klageverfahren zu übertragen; im normalen Klageverfahren liegen nämlich die Voraussetzungen nicht vor, die den BGH zu seiner erweiternden Auslegung des § 513 Abs. 2 Satz 1 ZPO nach vorhergegangenem Vollstreckungsbescheid veranlasst haben (so auch BAG, a.a.O.). Ferner findet die gegenteilige Auffassung im Gesetz keine Stütze (vgl. BGH MDR 1999, 1017, 1018 = NJW 1999, 2599).

Da die Berufung der Beklagten gegen das zweite Versäumnisurteil vom 31. Juli 1998 daher unzulässig ist, kommt es auf die Schlüssigkeit der Klage nicht an.

3. Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 546 Abs. 2 ZPO.



Ende der Entscheidung

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